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BFH Urteil v. - III R 32/22

Hinzurechnung von Zinsen auf Depotverbindlichkeiten im Retrozessionsgeschäft (§ 8 Nr. 1 Buchst. a GewStG)

Leitsatz

1. Rückversicherungsunternehmen unterliegen nicht der für bestimmte Erstversicherungsunternehmen geltenden Verpflichtung, ein dem Zugriff Dritter entzogenes Sondervermögen zu bilden, und können sich schon deshalb nicht auf die darauf gestützte Ausnahme von der Hinzurechnung der auf Bardepots gezahlten Zinsen (vgl. , BStBl. III 1967, 631 zu § 8 Nr. 1 des GewerbesteuergesetzesGewStG— a.F.) berufen.

2. Eine allgemeine, dem sogenannten Bankenprivileg (§ 35c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e GewStG i.V.m. § 19 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung) vergleichbare Ausnahme von § 8 Nr. 1 Buchst. a GewStG gibt es für Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen nicht.

3. Ein Rückversicherungsunternehmen kann die teilweise Hinzurechnung der von ihm gezahlten Zinsen auf Depotverbindlichkeiten gemäß § 8 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 GewStG nicht durch Saldierung mit erhaltenen Zinsen auf Depotforderungen vermeiden.

Gesetze: GewStG § 8 Nr. 1 Buchst. a

Instanzenzug:

Tatbestand

I.

1 In der Sache ist die gewerbesteuerrechtliche Hinzurechnung von Zinsen auf Depotverbindlichkeiten aus dem Retrozessionsgeschäft der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) gemäß § 8 Nr. 1 Buchst. a des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) i.d.F. des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom —UntStRefG 2008— (BGBl I 2007, 1912) im Erhebungszeitraum 2013 (Streitjahr) streitig.

2 Die Klägerin…war im Streitjahr als Rückversicherer tätig. Außerdem schloss sie als Rückversicherungsnehmerin (Retrozedentin) mit anderen Rückversicherern (Retrozessionaren) Rückversicherungsverträge ab. Die im Rahmen des Rückversicherungsgeschäfts übernommenen Risiken wurden von der Klägerin sowohl an konzerninterne (Intragroup Retrocession) als auch an konzernfremde Versicherungsunternehmen (Externe Retrozession) in Retrozession gegeben.

3 Konzernintern hatte die Klägerin im Bereich „Non Life Retrocession“…einen Quotenrückversicherungsvertrag für das gesamte Non-Life-Geschäft abgeschlossen. Laut…wurden im Streitjahr Rückversicherungsabgaben in Höhe von ... % vereinbart. Im Bereich…zedierte die Klägerin ... % ihres Portfolios.

4 Im Bereich „Life Retrocession“ wurde entsprechend dem mit Wirkung zum abgeschlossenen Quotenrückversicherungsvertrag im Streitjahr konzernintern eine Rückversicherungsabgabe von ... % vereinbart. Daneben bestand für das gesamte Life- und Non-Life Portfolio noch ein „Stop Loss Vertrag“, mit dem ein Selbstbehalt von . € sowie ein Limit von . € geregelt wurden.

5 Ebenfalls konzernintern hatte die Klägerin mit Wirkung zum einen Quotenrückversicherungsvertrag für das in den Geschäftsbereich „Corporate Solutions“ fallende Geschäft abgeschlossen. Gemäß…betrug die Rückversicherungsabgabe ... %.

6 In der Bilanz zum wurden unter den Aktivposten Depotforderungen (vgl. § 13 Abs. 1 der Verordnung über die Rechnungslegung von VersicherungsunternehmenRechVersV—) an Vorversicherer aus dem von der Klägerin in Rückdeckung übernommenen Versicherungsgeschäft in Gesamthöhe von . € ausgewiesen, die in Höhe von . € auf den Bereich „Life“ und in Höhe von . € auf den Bereich „Non Life“ entfielen. Außerdem wurden als Passivposten Depotverbindlichkeiten (vgl. § 33 Abs. 1 RechVersV) gegenüber den Rückversicherern der Klägerin (den Retrozessionaren) aus dem von ihr (als Retrozedentin) in Rückdeckung gegebenen Versicherungsgeschäft in Gesamthöhe von . € ausgewiesen. Auf den Bereich „Life“ entfielen . € und auf den Bereich „Non Life“ . €.

7 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt —FA—) nahm zunächst eine erklärungsgemäße Veranlagung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung vor (Bescheide vom ). Die von der Klägerin an die Retrozessionare gezahlten Zinsen auf Depotverbindlichkeiten wurden dabei erklärungsgemäß nicht zu einem Viertel hinzugerechnet.

8 Im Rahmen einer Außenprüfung vertrat der Prüfer die Auffassung, dass es sich bei den Zinsen auf Depotverbindlichkeiten, welche die Klägerin an ihre Rückversicherer (Retrozessionare) gezahlt habe, um Entgelte für Schulden gehandelt habe, die gemäß § 8 Nr. 1 Buchst. a GewStG dem Gewinn der Klägerin in Höhe von einem Viertel hinzuzurechnen seien; die Hinzurechnung sei nachzuholen. Der Prüfer des FA rechnete daher dem Gewinn aus Gewerbebetrieb ein Viertel der Summe aus Entgelten für Schulden in Höhe von . € gemäß § 8 Nr. 1 Buchst. a GewStG hinzu. Die für Erstversicherer wegen deren Verpflichtung, ein Sicherungsvermögen vorzuhalten (§§ 66 ff. des VersicherungsaufsichtsgesetzesVAG— in der für das Streitjahr geltenden Fassung; entspricht §§ 125 ff. VAG der aktuellen Fassung), zu machende Ausnahme gelte nicht für die Klägerin, die als Rückversicherer kein derartiges Sicherungsvermögen unterhalte. § 121b VAG verweise nicht auf § 66 VAG. Infolge der Gesetzesänderung durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008, wonach gemäß § 8 Nr. 1 Buchst. a GewStG die Entgelte für alle Schulden (nicht nur die Entgelte für sogenannte Dauerschulden) hinzuzurechnen seien, seien nun alle von der Klägerin als Retrozedentin an ihre Retrozessionare gezahlten Zinsen auf Depotverbindlichkeiten zu einem Viertel hinzuzurechnen (der Freibetrag von 100.000 € sei bereits mit anderen, unstreitigen Entgelten für Schulden verrechnet worden).

9 Das FA folgte den Feststellungen der Betriebsprüfung und erließ entsprechend geänderte Bescheide für das Streitjahr. Mit Bescheid vom wurde der Gewerbesteuermessbetrag für 2013 auf . € festgesetzt. Dabei wurden dem Gewinn aus Gewerbebetrieb unter anderem Entgelte für Schulden in Höhe von . € hinzugerechnet, in denen die vorliegend strittigen Zinsen auf Depotverbindlichkeiten in Höhe von . € enthalten waren. Der vortragsfähige Gewerbeverlust auf den wurde ebenfalls mit Bescheid vom in Höhe von . € gesondert festgestellt. Außerdem hob das FA jeweils den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Die dagegen eingelegten Einsprüche wurden mit Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurückgewiesen.

10 Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2022, 1700 veröffentlicht.

11 Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Revision.

12 Die Klägerin beantragt,

das aufzuheben und den Gewerbesteuermessbescheid für 2013 vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom dahingehend zu ändern, dass die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags ohne die Hinzurechnung eines Viertels der Zinsen auf Depotverbindlichkeiten in Höhe von . € erfolgt, und den Bescheid über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom entsprechend zu ändern.

13 Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Gründe

II.

14 Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

15 1. Das FG ist zutreffend (stillschweigend) davon ausgegangen, dass die Klage sowohl bezüglich des Gewerbesteuermessbescheids 2013 als auch bezüglich des Bescheids zur Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den zulässig ist (vgl. § 35b Abs. 2 Satz 2 GewStG und Senatsurteil vom  - III R 30/21, BStBl II 2025, 56, Rz 17, m.w.N.).

16 2. Nach § 8 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 GewStG i.d.F. des UntStRefG 2008 ist dem Gewinn aus Gewerbebetrieb ein Viertel der Summe aus Entgelten für Schulden wieder hinzuzurechnen, soweit sie bei der Ermittlung des Gewinns abgesetzt worden sind (§ 8 Halbsatz 1 GewStG) und soweit die Summe der nach § 8 Nr. 1 GewStG vorzunehmenden Hinzurechnungen den Betrag von (damals) 100.000 € übersteigt. § 8 Nr. 1 Buchst. a GewStG unterliegt keinen europa- oder verfassungsrechtlichen Zweifeln (vgl. z.B. Senatsurteil vom  - III R 33/17, BFH/NV 2020, 781, Rz 17 ff.; , BFHE 247, 260, BStBl II 2017, 726, Rz 12 ff.; vom  - I R 30/08, BFHE 236, 159, BStBl II 2012, 507).

17 a) Mit Entgelt für Schulden ist die Gegenleistung für die Zurverfügungstellung beziehungsweise die Inanspruchnahme von Fremdkapital gemeint (vgl. z.B. , BFHE 282, 289, BStBl II 2024, 292, Rz 23, und vom  - III R 33/17, BFH/NV 2020, 781, Rz 16; , BFH/NV 2013, 1810, Rz 31 und vom  - IV R 55/05, BFHE 217, 103, BStBl II 2007, 655, Rz 19; Begründung zum Entwurf des UntStRefG vom , BTDrucks 16/4841, S. 31, 78; Gewerbesteuer-Richtlinien 2009 —GewStR 2009— vom , BStBl I 2010, Sondernr. 1, S. 2, R 8.1 Abs. 1 Satz 1 und 7).

18 b) Schuld in diesem Sinne ist eine Belastung des Vermögens, die als betrieblich veranlasste Verpflichtung gegenüber einem anderen rechtlich entstanden oder wirtschaftlich verursacht ist (Senatsurteil vom  - III R 27/21, BFHE 282, 289, BStBl II 2024, 292, Rz 23; , BFH/NV 2013, 1810, Rz 31, und vom  - IV R 55/05, BFHE 217, 103, BStBl II 2007, 655, Rz 19). Unerheblich ist, ob die Schuld durch Zuführung von Werten entstanden ist oder ob die Herausnahme von Werten aus dem Betrieb und damit eine Verringerung des Betriebskapitals durch Unterlassung von Zahlungen vermieden wird (, BFHE 65, 140, BStBl III 1957, 287). Der Ausweis eines Passivpostens in der Bilanz ist für den Begriff der „Schuld“ und die Hinzurechnung der Entgelte gemäß § 8 Nr. 1 GewStG nicht entscheidend (vgl. z.B. Senatsurteil vom  - III R 15/18, BFHE 274, 567, BStBl II 2022, 625, Rz 40; Köster in Lenski/Steinberg, a.a.O., § 8 Nr. 1 Buchst. a Rz 55).

19 c) Abweichend von der Rechtslage bis einschließlich 2007 ist es seit der Neufassung des Hinzurechnungstatbestandes des § 8 Nr. 1 GewStG durch das UntStRefG 2008 unerheblich, ob es sich bei der Schuld, für die das hinzuzurechnende Entgelt gezahlt wird, um eine sogenannte Dauerschuld handelt und für welchen betrieblich veranlassten Zweck das Fremdkapital verwendet wird (vgl. dazu etwa Senatsurteil vom  - III R 24/16, BFHE 265, 379, BStBl II 2020, 48, und die Begründung zum Entwurf des UntStRefG vom , BTDrucks 16/4841, S. 31 und S. 78). Der Gesetzestext stellt nicht mehr darauf ab, ob die Schuld wirtschaftlich mit der Gründung oder der Erweiterung des Betriebs (Teilbetriebs/Anteils am Betrieb) oder mit seiner Erweiterung oder Verbesserung zusammenhängt oder ob sie nicht nur vorübergehend das Betriebskapital verstärkt.

20 d) Ein Entgelt, das gezahlt wird, ohne dass Fremdkapital zur Verfügung gestellt oder in Anspruch genommen wird, ist kein Entgelt für Schulden und nicht hinzuzurechnen, unabhängig davon, ob es als „Zins“ bezeichnet wird. Deshalb sind zum Beispiel Bereitstellungszinsen nicht hinzuzurechnen, weil hierdurch nicht die Inanspruchnahme von Fremdkapital abgegolten wird, sondern die Zurverfügungstellung und das Bereithalten der erst später auszuzahlenden Gelder (, BFHE 188, 406, BStBl II 1999, 473 und vom  - I R 12/96, BFHE 181, 86, BStBl II 1997, 253; R 8.1 Abs. 1 Satz 9 GewStR 2009).

21 e) Entgelte, die zwar bei Gelegenheit einer Schuldenaufnahme anfallen, aber nicht an den Kreditgeber für das zur Verfügung gestellte Fremdkapital zu zahlen sind, sind gleichfalls nicht hinzuzurechnen. Die bloße Kausalität zwischen der Verpflichtung zur Zahlung des Entgelts und einer Schuldaufnahme genügt nicht (vgl. , BFHE 193, 141, BStBl II 2001, 609, Rz 9; vom  - IV R 55/05, BFHE 217, 103, BStBl II 2007, 655, Rz 25 f.; GewStR 8.1. Abs. 1 Satz 9; Köster in Lenski/Steinberg, Gewerbesteuergesetz, § 8 Nr. 1 Buchst. a Rz 77 und Rz 80 ff.). So werden zum Beispiel Avalgebühren oder Avalprovisionen für eine Ausfallbürgschaft nicht (zu einem Viertel) dem Gewinn hinzugerechnet (, BFHE 217, 103, BStBl II 2007, 655, Rz 25 f.; Gewerbesteuer-Handbuch, H 8.1 Abs. 1, ABC der nicht als Entgelt für Schulden anzusehenden Leistungen).

22 f) Besonderheiten gelten gegebenenfalls für Entgelte, die im Zusammenhang mit einem vom Entgeltpflichtigen unterhaltenen Sondervermögen stehen (vgl. z.B. , BFHE 248, 346, BStBl II 2015, 597, Rz 33 und vom  - I R 85/69, BFHE 102, 512, Rz 16).

23 So geht die Verwaltung, gestützt auf eine langjährige Rechtsprechung zur Rechtslage vor dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008, für Lebensversicherungsunternehmen in Bezug auf Zinsen auf Depotverbindlichkeiten, die ein Erstversicherer einem Rückversicherer zahlt, von einer (Bereichs-)Ausnahme von § 8 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 GewStG i.d.F. des UntStRefG 2008 aus (R 8.1 Abs. 1 Satz 10 GewStR 2009; BStBl I 2012, 654, hier Bayerisches Staatsministerium der Finanzen 33-G 1422-108-24128/12, Rz 24; Anwendungsfragen zur Hinzurechnung von Finanzierungsanteilen nach § 8 Nr. 1 GewStG i.d.F. des UntStRefG 2008 vom  - 3 G 1422/42, Der Betrieb 2008, 1655, Rz 24; vgl. , BFHE 183, 219, BStBl II 1997, 824, Rz 24 f.; vom  - I R 56/80, BFHE 141, 163, BStBl II 1984, 598, Rz 21 ff.; vom  - I R 85/69, BFHE 102, 512, Rz 16; vom  - I 293/61, BFHE 89, 279, BStBl III 1967, 631, Rz 9 ff.; vom  - I 3/62 U, BFHE 76, 723, BStBl III 1963, 264, Leitsatz; vom  - I 177/58 U, BFHE 71, 168, BStBl III 1960, 311, Rz 32; Gutachten des Reichsfinanzhofs —RFH— vom  - I D 1/43, RFHE 54, 29, RStBl 1944, 171). Zinsen auf Depotverbindlichkeiten werden hiernach nicht (zu einem Viertel) hinzugerechnet, sofern sie auf versicherungs- oder bilanztechnisch gebotene Rückstellungen beziehungsweise Depotverbindlichkeiten entfallen, die mit Werten des Sicherungsvermögens im Sinne von § 66 ff. VAG a.F. (= §§ 126 ff. VAG n.F.; bis zum „Deckungsstock"; im RFH-Gutachten vom  - I D 1/43, RFHE 54, 29, RStBl 1944, 171, zu 1: „Prämienreservefonds“) belegt sind.

24 3. Nach diesen Grundsätzen ist die Vorentscheidung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das FG hat zutreffend entschieden, dass die vom FA für die Zinsen auf die Depotverbindlichkeiten vorgenommene Hinzurechnung eines Viertels (1/4 von . € = . €) nach § 8 Nr. 1 Buchst. a GewStG rechtmäßig ist.

25 a) Nach den Feststellungen des FG, welche die Klägerin nicht mit revisionsrechtlich beachtlichen Gründen angegriffen hat und die den BFH gemäß § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) binden, entfielen die Zinsen auf Depotverbindlichkeiten. Aus den Erläuterungen im Bericht über die Prüfung des Jahresabschlusses zum und des Lageberichtes für das Geschäftsjahr 2013, auf die das FG verwiesen hat, ergibt sich, dass es sich bei dem Bilanzposten der „Depotverbindlichkeiten aus dem in Rückdeckung gegebenen Versicherungsgeschäft“ um als Sicherheit einbehaltene und (der Klägerin) von den Retrozessionaren zu diesem Zweck zum Bilanzstichtag belassene Bardepots handelte. Dass die Bardepots durch Einbehalt von Zahlungen entstanden sind, steht —wie ausgeführt— dem Schuldcharakter nicht entgegen. Ebenso wird die Qualifizierung als Entgelt für Schulden nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Klägerin den Zins als Nachteilsausgleich für den Verzicht der Retrozessionare auf eigene Anlagepolitik bezeichnet. Denn daraus ergibt sich weder, dass die Retrozessionare der Klägerin (wie im Falle der Bereitstellungszinsen) kein Fremdkapital zur Verfügung gestellt haben, noch, dass die Entgelte (wie im Falle der Avalprovision) nur gelegentlich der Schuldaufnahme angefallen sind. Vielmehr beschreibt auch die von der Klägerin gewählte Bezeichnung nur den Sachverhalt, dass die Retrozessionare der Klägerin in den Bardepots Fremdkapital zur Verfügung gestellt haben und die Klägerin gerade hierfür ein Entgelt zu entrichten hatte.

26 Wie ausgeführt, wurde durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 der Hinzurechnungstatbestand des § 8 Nr. 1 GewStG ausgeweitet. Die Beschränkung auf Dauerschuldentgelte wurde aufgehoben. Der Zweck der Fremdkapitalaufnahme ist seither ohne Belang.

27 b) Die Klägerin als Rückversicherungsunternehmen und Retrozedentin kann sich auch nicht auf die genannte Bereichsausnahme für Erstversicherungsunternehmen berufen. Die Depotverbindlichkeiten der Klägerin waren nicht mit Werten des Sicherungsvermögens im Sinne von § 66 ff. VAG a.F. (= §§ 126 ff. VAG n.F.) belegt. Als Rückversicherungsunternehmen unterhielt die Klägerin kein derartiges Sicherungsvermögen, sondern unterlag —wie das FG zutreffend ausgeführt hat— nur den in § 121b VAG a.F. enthaltenen Anlagegrundsätzen, die nicht auf § 66 VAG a.F. verweisen.

28 c) Eine allgemeine, dem sogenannten Bankenprivileg (dazu Senatsurteil vom  - III R 55/20, BFHE 283, 184, BStBl II 2024, 378) vergleichbare Ausnahme von § 8 Nr. 1 Buchst. a GewStG gibt es für Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen nicht. In § 35c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f GewStG und § 19 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung sind sie nicht aufgeführt.

29 d) Entgegen der Auffassung der Klägerin gibt es auch keinen allgemeinen (ungeschriebenen) Rechtsgrundsatz, dass bei der Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags steuerliche Doppelbelastungen oder ein sogenannter Kaskadeneffekt zu vermeiden sind (vgl. Hidien/Pohl/Schnitter, Gewerbesteuer, 16. Aufl. 2020, 6.3.2.2., S. 479). Dies lässt sich unter anderem daraus ableiten, dass der Gesetzgeber in bestimmten Fällen Regelungen getroffen hat, um Doppelbelastungen zu vermeiden. Hierbei handelt es sich, neben dem bereits erwähnten Bankenprivileg, zum Beispiel um § 8 Nr. 1 Buchst. f GewStG, der Lizenzüberlassungen betrifft und im Klammerzusatz zu Satz 1 Lizenzen aus dem Hinzurechnungstatbestand ausnimmt, die ausschließlich dazu berechtigen, daraus abgeleitete Rechte Dritten zu überlassen. Im Umkehrschluss spricht dies dafür, dass der Gesetzgeber Doppelbelastungen und Kaskadeneffekte grundsätzlich in Kauf nimmt (vgl. auch , BFHE 246, 130, BStBl II 2015, 293, zum Gewerbesteuererlass bei Zwischenverpachtung).

30 e) Nicht zu folgen ist der Klägerin auch insoweit, als sie im Streitfall eine Hinzurechnung der Zinsen auf Depotverbindlichkeiten aufgrund der Annahme eines durchlaufenden Kredits ausschließen will.

31 aa) Die Frage, ob Zinsen bei durchlaufenden Krediten hinzuzurechnen sind oder nicht, wurde im Senatsurteil vom  - III R 24/16 (BFHE 265, 379, BStBl II 2020, 48) —anders als das FG angenommen hat— nicht entschieden, da in dem dortigen Fall die Voraussetzungen eines durchlaufenden Kredits nicht vorlagen. Dies trifft auch im Streitfall zu.

32 Dafür, dass ein durchlaufender Kredit angenommen werden kann, muss der Kredit unter anderem im fremden Interesse, zu einem außerhalb des Betriebs des Darlehensnehmers liegenden Zweck aufgenommen worden sein (Senatsurteil vom  - III R 24/16, BFHE 265, 379, BStBl II 2020, 48, Rz 29 f.). Für eine Kreditaufnahme im fremden Interesse spricht zum Beispiel, dass dies gegenüber dem Darlehensgeber offengelegt wird, dass der Darlehensnehmer auf eine ihm genau vorgeschriebene Weitervermittlung des Kredits und auf dessen Verwaltung beschränkt bleibt und dass ihm aus dem Vorgang kein über die bloßen Verwaltungskosten hinausgehender Nutzen erwächst. Gegen eine Kreditaufnahme im fremden Interesse spricht hingegen, wenn der Darlehensnehmer die Kredite bilanziert und die entsprechenden Zinsen selbst als Aufwand verbucht (Senatsurteil vom  - III R 24/16, BFHE 265, 379, BStBl II 2020, 48, Rz 29, m.w.N.).

33 Entspricht die Weiterleitung der Kreditmittel dem betrieblichen Zweck des weiterleitenden Unternehmens oder liegt keine Weiterleitung vor, liegt kein durchlaufender Kredit vor (vgl. Senatsurteil vom  - III R 24/16, BFHE 265, 379, BStBl II 2020, 48, Rz 27 ff., m.w.N.). Überlegungen zur Behandlung von Zinsen bei durchlaufenden Krediten erübrigen sich dann.

34 bb) Im Streitfall liegen keine durchlaufenden Kredite vor, weil die Klägerin die Depotverbindlichkeiten nicht im fremden Interesse zu einem außerhalb ihres Betriebs liegenden Zweck aufgenommen hat (vgl. Senatsurteil vom  - III R 24/16, BFHE 265, 379, BStBl II 2020, 48, Rz 27 ff., m.w.N.). Durch den Abschluss von Retrozessionsverträgen hat sie in erster Linie ihre eigenen Risiken verringert und geglättet sowie ihr Eigenkapital gestärkt (vgl. auch Echarti/Labes in Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl. 2012, § 209 Rz 21 ff.). Gegen ein Geschäft im fremden Interesse spricht auch, dass die Klägerin Depotverbindlichkeiten bilanziert und die Zinsen als eigenen Aufwand verbucht hat. Depotverbindlichkeiten, die aus dem Abschluss eines Retrozessionsvertrags erwachsen, sind somit auch im eigenen Interesse der Klägerin begründete Verbindlichkeiten.

35 f) Schließlich können die von der Klägerin auf die Bardepots gezahlten Schuldzinsen —entgegen der Auffassung der Klägerin— auch nicht mit den Guthabenzinsen saldiert werden, die die Klägerin von den Erstversicherern für die diesen gestellten Bardepots erhalten hat.

36 Die Zusammenfassung mehrerer Schuldverhältnisse ist im Regelfall nicht möglich (Saldierungsverbot; , BFHE 282, 289, BStBl II 2024, 292 und vom  - III R 24/16, BFHE 265, 379, BStBl II 2020, 48, Rz 36). Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 8 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 GewStG vorliegen, muss grundsätzlich jedes Schuldverhältnis für sich betrachtet werden. Entgelte für Schulden können deshalb nur in Ausnahmefällen zusammengefasst oder saldiert werden. Ein derartiger Ausnahmefall, in dem Entgelte für Schulden zusammengefasst oder saldiert werden können, liegt im Streitfall jedoch nicht vor.

37 aa) Es liegt kein Fall des Cash-Poolings und auch kein damit vergleichbarer Fall vor. Eine Verrechnung von Verbindlichkeiten gegenüber einem Gläubiger mit Forderungen gegenüber einem anderem Schuldner wird von der Rechtsprechung nicht anerkannt.

38 (1) Eine Saldierung kommt nach der Senatsrechtsprechung zum Cash-Pooling und der Rechtsprechung zur Forderungssaldierung nur ausnahmsweise in Betracht, wenn die einzelnen Schuldverhältnisse, auf denen die Verbindlichkeiten beruhen, wirtschaftlich zusammenhängen und es dem Zweck des § 8 Nr. 1 Buchst. a GewStG widerspräche, diesen Zusammenhang unberücksichtigt zu lassen (Senatsurteil vom  - III R 33/17, BFH/NV 2020, 781, Rz 18, m.w.N.).

39 (a) Dementsprechend können mehrere bei einem Kreditgeber unterhaltene Konten ebenso wie wechselseitig zwischen zwei Personen gegebene Darlehen gewerbesteuerrechtlich als einheitliches Darlehensverhältnis beurteilt werden, wenn sie gleichartig sind, derselben Zweckbestimmung dienen und regelmäßig tatsächlich miteinander verrechnet werden (vgl. Senatsurteil vom  - III R 33/17, BFH/NV 2020, 781, Rz 18 ff., m.w.N.).

40 (b) Verbindlichkeiten gegenüber verschiedenen Kreditgebern können dann als eine Schuld im Sinne des § 8 Nr. 1 Buchst. a GewStG zu beurteilen sein, wenn sie wirtschaftlich eng zusammenhängen und durch Vereinbarungen zwischen den Kreditgebern sowie zwischen ihnen und dem Kreditnehmer derart miteinander verknüpft sind, dass gerade die Verknüpfung dem Kreditnehmer die längerfristige Nutzung von Kreditmitteln sichert (vgl. , BFH/NV 2012, 446, Rz 19, m.w.N.; vom  - IV R 2/08, BFH/NV 2011, 44, Rz 23, m.w.N. und vom  - VIII R 422/83, BFHE 164, 374, BStBl II 1991, 765, Rz 29).

41 (c) Eine Verrechnung von Zinsaufwendungen hat der BFH in dem Sonderfall für möglich erachtet, dass mit der empfangenen Leistung eine unmittelbare Verringerung der Zinslast beabsichtigt ist, etwa wenn ein aus öffentlichen Mitteln gewährter Zinsverbilligungszuschuss unmittelbar der Zinskostenminderung des Steuerpflichtigen dient (, BFHE 207, 340, BStBl II 2005, 102, Rz 24, und vom  - I 134/63 U, BFHE 82, 468, BStBl III 1965, 417).

42 (2) Im Streitfall kann eine Saldierung der vom (Zwischen-)Rückversicherer (Zessionar und Retrozedent) an die Retrozessionare zu zahlenden Zinsen auf Depotverbindlichkeiten mit den Zinsen auf Depotforderungen, die er von den Erstversicherern erhält, nicht auf diese Rechtsprechung gestützt werden.

43 Nach den Feststellungen des FG lag keine der oben genannten Fallgruppen vor. Insbesondere lag weder der Fall vor, dass mehrere Konten bei einem Kreditgeber unterhalten werden, noch wechselseitig zwischen zwei Personen gegebene Darlehen oder vergleichbare Rechtsgeschäfte. Die Depots, die der Erstversicherer zurückbehielt oder die die Klägerin ihm stellte, dienten diesem und seinen Versicherungsnehmern, die Depots, die die Retrozessionare der Klägerin stellten, der Klägerin selbst. Auch eine regelmäßige, tatsächliche Verrechnung hat das FG nicht festgestellt.

44 bb) Nach den Grundsätzen zur Bewertungseinheit kann die Klägerin im Streitfall gleichfalls kein für sie günstiges Ergebnis erreichen.

45 (1) Die Grundsätze zur Bewertungseinheit (vgl. § 5 Abs. 1a Satz 2 des EinkommensteuergesetzesEStG— i.d.F. des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes vom , BGBl I 2009, 1102; § 254 Satz 1 des Handelsgesetzbuchs) gelten für Fälle, in denen die Einzelbewertung von Vermögensgegenständen und Verbindlichkeiten zu einem gegen die Bilanzwahrheit verstoßenden Ergebnis führen würde (vgl. bereits , BFHE 208, 116, BStBl II 2009, 100, Rz 36, vor Inkrafttreten des § 5 Abs. 1a EStG).

46 (2) Im Streitfall ist nicht ersichtlich, dass die gesonderte Bewertung —die Bilanzierung sowohl von Depotforderungen als auch von Depotverbindlichkeiten jeweils in voller Höhe— zu einem gegen die Bilanzwahrheit verstoßenden Ergebnis beim Rückversicherer (Zessionar und Retrozedent) führen würde. Auch die Klägerin macht insoweit keinen (möglichen) Verstoß gegen die Bilanzwahrheit geltend, sondern beanstandet lediglich einen —grundsätzlich hinzunehmenden— Kaskadeneffekt. Zudem hat die Klägerin keine Bewertungseinheiten gebildet.

47 cc) Auch die im Senatsurteil vom  - III R 27/21 (BFHE 282, 289, BStBl II 2024, 292, zu einem Swap) dargelegten Rechtsgrundsätze rechtfertigen im Streitfall keine Saldierung.

48 (1) In diesem Senatsurteil wurde klargestellt, dass ein bloßer Kausal- oder Veranlassungszusammenhang noch keine wirtschaftliche Einheit begründet und dass Verbindlichkeiten aus einem Darlehen (Grundgeschäft) und einem Absicherungsgeschäft grundsätzlich nur dann als einheitliche Schuld zusammengefasst werden können, wenn beide Geschäfte in sachlicher, zeitlicher und personeller Hinsicht eng miteinander verflochten sind. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn beide Geschäfte bezüglich der Beträge und der Laufzeiten, der Zeitpunkte des Vertragsschlusses und der vertragschließenden Personen im Wesentlichen kongruent sind und insbesondere die Fälligkeitstermine aufeinander abgestimmt sind. Nur unter diesen Bedingungen können die zivilrechtlich eigenständigen und deshalb grundsätzlich auch steuerrechtlich getrennt zu betrachtenden Schuldverhältnisse als ein einheitliches Schuldverhältnis zu werten sein (vgl. Senatsurteil vom  - III R 27/21, BFHE 282, 289, BStBl II 2024, 292, Rz 34).

49 (2) Diese Rechtsgrundsätze rechtfertigen im Streitfall keine Saldierung. Selbst wenn man unterstellt, dass die einzelnen Schuldverhältnisse, auf denen die Depotforderungen und die Depotverbindlichkeiten beruhen, wirtschaftlich zusammenhängen und dass der Rückversicherungsvertrag mit dem Erstversicherungsvertrag beziehungsweise der Retrozessionsvertrag mit dem Rückversicherungsvertrag steht und fällt (vgl. Stangl/Greinert/Siebing, Die Unternehmensbesteuerung 2023, 679) —was das FG nicht festgestellt hat—, waren die Rückversicherungsverträge und die Retrozessionsverträge hinsichtlich der vertragschließenden Personen nicht kongruent. Zudem begründet ein bloßer Kausal- oder Veranlassungszusammenhang nicht zwingend auch eine wirtschaftliche Einheit (Senatsurteil vom  - III R 27/21, BFHE 282, 289, BStBl II 2024, 292, Rz 34).

50 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2025:U.210525.IIIR32.22.0

Fundstelle(n):
MAAAJ-98571