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BGH Beschluss v. - 1 StR 116/25

Instanzenzug: Az: 3 KLs 291 Js 22368/23 jug

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat:
1. Die Rüge, die Strafkammer habe § 261 StPO verletzt, weil sie den Umstand, dass die Nebenklägerin während der Vergewaltigung keine stärkere Gegenwehr geleistet habe, als nicht gegen ihre Glaubhaftigkeit sprechend bewertet und dabei aber das ihr aus einer Vielzahl vergleichbarer Verfahren bekannte „typische“ Opferverhalten nicht in die Hauptverhandlung – etwa durch Verlesen von Urteilen oder Protokollen – eingeführt habe, ist bereits unzulässig. Offensichtlich hat das Landgericht „typisches“ Opferverhalten als gerichtsbekannt verwerten wollen, ohne hierüber förmlich Beweis erheben zu wollen. Dass es hierauf nicht – wie geboten – hingewiesen habe, hat der Angeklagte aber nicht beanstandet. Im Einzelnen:
a) § 261 StPO ist verletzt, wenn der Tatrichter seiner Entscheidung über die Schuld- und Straffrage Erkenntnisse zugrunde legt, die er nicht in der Hauptverhandlung nach den Regeln des Strengbeweises gewonnen hat. Dies schließt es grundsätzlich aus, außerhalb der Hauptverhandlung erlangtes Wissen ohne förmliche Beweiserhebung zum Nachteil des Angeklagten zu verwerten. Eine Ausnahme gilt für gerichtskundige Tatsachen, wenn in der Hauptverhandlung darauf hingewiesen wurde, dass sie der Entscheidung als offenkundig zugrunde gelegt werden könnten, und es sich nicht um eine auf den Einzelfall bezogene Wahrnehmung über Tatsachen handelt, die unmittelbar für Merkmale des äußeren und inneren Tatbestandes erheblich oder mittelbar für die Überführung des Angeklagten von wesentlicher Bedeutung sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom  – 5 StR 47/23 Rn. 4 mwN und vom – 2 StR 126/15 Gerichtskundigkeit 5 Rn. 3 mwN) wie etwa mittelbar beweiserhebliche Indiztatsachen, die sich auf den Inhalt einer Zeugenaussage und das Aussageverhalten eines Zeugen beziehen (vgl. Rn. 14-16, BGHSt 45, 354, 358).
Soll beanstandet werden, die Überzeugungsbildung des Tatgerichts sei unter Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz gewonnen worden, so erfordert § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO den vollständigen Vortrag der entsprechenden Verfahrensvorgänge (vgl. Rn. 7; Beschluss vom – 1 StR 146/13; jew. mwN). Bei Umständen, die – wie hier – der Behandlung als gerichts- oder offenkundig grundsätzlich zugänglich sind, gehört dazu der Vortrag, ob und gegebenenfalls mit welchem Inhalt ein Hinweis durch das Gericht erteilt wurde, dass und in welchem Umfang es bestimmte Umstände als gerichtskundig behandeln will (vgl. Rn. 7). Da sich dies aus den schriftlichen Urteilsgründen regelmäßig nicht ergibt, kann der Senat anderenfalls nicht allein anhand des Revisionsvorbringens prüfen, ob der geltend gemachte Verstoß tatsächlich vorliegt.
b) Der auf die Mitteilung beschränkte Revisionsvortrag, die Strafkammer habe zu ihren Beweiserwägungen keine „dienstliche Erklärung“ abgegeben, wie auch das Schweigen des Protokolls beweise, genügt diesen Vorgaben nicht. Der Angeklagte meint, das typische Opferverhalten habe nur nach Aufklärung im Strengbeweisverfahren zum Inbegriff der Hauptverhandlung werden können. Dies ist indes nicht der Fall, wie sogleich unter 2. aufgezeigt wird. Damit verfehlt die Angriffsrichtung der Rüge den hier allein maßgeblichen Gesichtspunkt eines möglichen Verstoßes gegen die Hinweispflicht.
2. Die Rüge wäre aber auch unbegründet; denn die Strafkammer hat ihre Überzeugung von der Tat nicht auf Umstände gestützt, die nicht Inbegriff der Hauptverhandlung waren. Die Angaben der Nebenklägerin, auf die sie den Tatnachweis maßgeblich gestützt hat, sind im Rahmen der Zeugenvernehmung eingeführt worden. Dazu zählen auch die von der Nebenklägerin geschilderten Gefühle während des Vergewaltigungsgeschehens. Soweit die Strafkammer diese Angaben gewürdigt und dabei – unter anderem – das häufig anzutreffende Opferverhalten als gerichtskundig angesehen hat, enthält dies keinen Rechtsfehler. Die Annahme der Gerichtskundigkeit auf Gebieten, die im Hintergrund des Geschehens stehen und gleichsam den Boden für die Verübung einer größeren Zahl gleichgearteter Verbrechen abgeben und Tatsachen betreffen, die in einer im Wesentlichen unveränderten Weise immer wieder mit bestimmten strafrechtlich zu beurteilenden Vorgängen verknüpft sind, ist unbedenklich. Hat der Richter durch die Erhebung zahlreicher Beweise, die er gegebenenfalls in einer ganzen Reihe von Verfahren durchgeführt hat, ein sicheres Bild von solchen gleichbleibenden tatsächlichen Ereignissen oder Zuständen gewonnen, so steht es ihm frei, dieses Wissen in späteren Verfahren zu verwerten. Hier bleibt die tatsächliche Grundlage stets unverändert und die Besonderheiten der jeweiligen Tatausführung können insoweit keine ausschlaggebende Rolle spielen (vgl. , BGHSt 6, 292, 295).
Jäger                         Fischer                         Leplow
            Allgayer                  Welnhofer-Zeitler

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:280525B1STR116.25.0

Fundstelle(n):
CAAAJ-98437