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BVerwG Beschluss v. - 8 B 30.24

Instanzenzug: Az: 1 K 1093/20 Urteil

Gründe

1Der Kläger zu 2 begehrt die Rückübertragung des Unternehmens S.-Werke GmbH und des Flurstücks ... der Flur ... der Gemarkung F. an die Erbengemeinschaft nach Fr., der seine Rechtsvorgängerin E. C. angehörte. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom ab. Das Verwaltungsgericht hat die dagegen erhobene Klage mit Urteil vom abgewiesen. Hinsichtlich beider Vermögenswerte fehle eine fristgemäße Anmeldung. Es sei auch keine schädigende Maßnahme ersichtlich. Weder sei nachgewiesen noch seien ausreichend konkrete Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass ein Rechtsvorgänger des Klägers zu 2 am oder danach Eigentümer der zurückverlangten Vermögenswerte gewesen sei. Das Verwaltungsgericht hat die Revision nicht zugelassen.

2Die auf Verfahrensrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde des Klägers zu 2 hat keinen Erfolg.

31. Das Verwaltungsgericht hat den Anspruch des Klägers zu 2 auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) nicht verletzt.

4Die Gewährleistung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO verpflichtet das Gericht, die entscheidungserheblichen tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. 8 C 37.01 - Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 35 S. 109; Beschluss vom - 8 B 44.10 - ZOV 2011, 131 Rn. 17). Dabei muss es nicht auf sämtliche Tatsachen und Rechtsansichten eingehen, die im Laufe des Verfahrens von der einen oder anderen Seite zur Sprache gebracht worden sind. Erst wenn es auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvorbringens eines Beteiligten zu einer Frage, die nach seiner eigenen Rechtsauffassung für den Prozessausgang von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht eingeht, lässt das darauf schließen, dass es dieses Vorbringen nicht berücksichtigt hat ( 4 C 10.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 267 S. 23; Beschluss vom - 8 B 1.20 - ZOV 2020, 118 Rn. 7).

5Ein solcher Mangel liegt, soweit substantiiert gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt, nicht vor.

6a) Das Verwaltungsgericht ist auf die nach seiner Rechtsauffassung erheblichen, in dem Schriftsatz der Kläger vom (Bl. 845 ff. der Streitakte) unter Hinweis auf den Schriftsatz vom vorgebrachten Argumente für eine rechtzeitige Anmeldung der S.-Werke eingegangen.

7Es hat die in dem Schreiben zitierten Anmeldungen vom , vom und vom im Tatbestand aufgeführt (UA S. 5 f.) und in den Entscheidungsgründen erörtert, ob mit diesen Anmeldungen auch die Restitution der S.-Werke GmbH verlangt wurde (UA S. 14 bis 17). Dabei ist es auch auf die klägerische Argumentation im Schriftsatz vom eingegangen, es komme darauf an, wie der Empfänger ihrer Erklärungen diese unter Berücksichtigung aller Begleitumstände, insbesondere ihres Gesamtverhaltens und der von ihnen verfolgten Zwecke, redlicherweise zu verstehen habe. Es hat entsprechend §§ 133 und 157 BGB darauf abgestellt, wie der zuständige Sachbearbeiter die Erklärungen bei objektiver Betrachtungsweise verstehen musste, und dabei (nur) die bis zum Ablauf der Antragsfrist erkennbaren Umstände für relevant gehalten (vgl. UA S. 14 ff.). Dass die Anmeldenden die S. K.werke mit dem Zusatz "später genannt 'S.werke GmbH'" bezeichneten, musste der Empfänger nach Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts dahin verstehen, dass neben der Zuckerfabrik N. AG nur ein weiteres, im Zeitpunkt der Schädigung als S. K.werke GmbH geführtes und später in S.-Werke GmbH umfirmiertes Unternehmen angemeldet werden sollte. Bei dieser Auslegung hat das Verwaltungsgericht nicht nur das Fehlen gegenteiliger Anhaltspunkte in den Anmeldeschreiben selbst berücksichtigt, sondern auch die weiteren bis zum Ablauf der Anmeldefrist bekannt gewordenen Umstände, insbesondere die synonyme Verwendung der Bezeichnungen S. K.werke GmbH und S.-Werke GmbH durch E. und K. C. sowie den Rechtsanwalt Dr. Sch. in den Wiedergutmachungsverfahren der 1950er Jahre (UA S. 16 f.).

8Auf das von den Klägern mit Schriftsatz vom eingeführte Argument, E. und K. C. seien stets von der Existenz von zwei Unternehmen ausgegangen, kam es nach der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts nicht an. Maßgeblich war danach, wie der zuständige Sachbearbeiter die ihm übermittelten Anmeldungen verstehen musste (UA S. 16 Mitte) und nicht, von wie vielen Unternehmen E. und K. C. ausgegangen sind.

9b) Das Verwaltungsgericht hat erörtert, ob aus der Bescheinigung zum Antrag auf ein Negativattest vom (Positivattest) auf das Vorliegen einer fristgerechten und wirksamen Anmeldung des von den Klägern in diesem Verfahren begehrten Grundstücks rückgeschlossen werden kann (UA S. 19 f.).

10Auf den Inhalt des Schreibens der Treuhandanstalt vom an den Verfahrensbevollmächtigten eines anderen Erben nach Fr. musste das Verwaltungsgericht nicht ausdrücklich eingehen, weil es den objektiven Erklärungsgehalt der Anmeldungen für maßgeblich hielt. Auf die Rechtsansicht der Treuhandanstalt kam es nach seiner Auffassung nicht an.

11Das als Anlage zum Schriftsatz vom eingereichte Schreiben vom (Bl. 450 der Streitakte) hat das Verwaltungsgericht in den Blick genommen (UA S. 8), aber für unerheblich gehalten. Auf eine nach Ablauf der Antragsfrist geäußerte Rechtsansicht eines von anderen Erben mandatierten Rechtsanwalts kam es nach seiner Rechtsauffassung für die Auslegung der vor Fristablauf eingegangenen Anmeldungen nicht an.

12c) Auf die mit Schriftsatz vom (Bl. 577 ff. der Streitakte) vorgebrachten Argumente der Kläger musste das Verwaltungsgericht nicht mehr eingehen, weil sie ohne Schriftsatznachlass erst nach Verkündung des angegriffenen Urteils bei Gericht eingereicht wurden und keinen Anlass gaben, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.

13d) Die Rüge, das Verwaltungsgericht habe mit Schriftsatz vom (Bl. 286 der Streitakte) in Bezug genommene Erklärungen von P. und K. C. nicht zur Kenntnis genommen oder erwogen, erfüllt die Darlegungsanforderungen nicht. Die Beschwerde erläutert nicht, weshalb der Inhalt der Erklärungen nach der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts erheblich gewesen sein soll. Die weiteren Ausführungen der Beschwerdebegründung in diesem Zusammenhang beziehen sich lediglich auf eine abweichende rechtliche Würdigung des Klägers zu 2, mit der ein Gehörsverstoß nicht begründet werden kann.

14e) Entgegen der Ansicht des Klägers zu 2 hat das Verwaltungsgericht sich mit der Eigentümerrückverfolgung des Kataster- und Vermessungsamts des Landkreises H. vom auseinandergesetzt (UA S. 23 f.) und insoweit auch erläutert, weshalb es auf deren Ergebnis und nicht auf das der früheren, seines Erachtens überholten Eigentümerrückverfolgung vom und den Katasterauszug vom abstellt und dem Klägervorbringen zur Mutterrolle 4341 nicht folgt.

152. Das angegriffene Urteil genügt der Begründungspflicht gemäß § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Sie verlangt, die wesentlichen die richterliche Überzeugungsbildung leitenden Gründe wiederzugeben. Daran fehlt es, wenn die Entscheidungsgründe lückenhaft, rational nicht nachvollziehbar oder inhaltslos sind. Davon kann hier keine Rede sein.

163. Das Verwaltungsgericht hat den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nicht verletzt. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Etwaige Fehler in der Sachverhalts- oder Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich grundsätzlich dem sachlichen Recht und nicht dem Verfahrensrecht zuzuordnen. Die Freiheit der richterlichen Überzeugungsbildung ist erst dann überschritten, wenn das Gericht seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen oder sonst von objektiver Willkür geprägt sind (stRspr, vgl. nur 8 B 9.21 - juris Rn. 17 m. w. N.). Solches legt der Kläger zu 2 nicht dar.

17Sein Vortrag erschöpft sich insoweit in der Behauptung, das Verwaltungsgericht habe zahlreiche Vermerke und Schreiben zwar im Urteilstatbestand wiedergegeben, sich mit diesen aber nicht ausdrücklich, nicht ausführlich genug oder jedenfalls nicht mit dem von ihm für richtig gehaltenen Ergebnis auseinandergesetzt (Beschwerdebegründung S. 76 bis 83). Soweit der Kläger zu 2 rügt, das Verwaltungsgericht habe sich mit den von ihm genannten Dokumenten in den Entscheidungsgründen nicht auseinandergesetzt, fehlt schon die erforderliche Darlegung, weshalb der Inhalt der nicht ausdrücklich gewürdigten Unterlagen nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich gewesen sein soll. Soweit das Verwaltungsgericht die vom Kläger zu 2 zitierten Dokumente, darunter die Eigentümerrückverfolgung vom (UA S. 24) und die 19. Anordnung über die Neugestaltung der Reichshauptstadt Berlin (UA S. 22), in den Entscheidungsgründen behandelt hat, legt die Beschwerde nicht dar, dass diese Ausführungen des Verwaltungsgerichts gegen Denkgesetze verstoßen oder sonst von objektiver Willkür geprägt sind. Dazu genügt nicht, der Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts die eigene, abweichende gegenüberzustellen.

184. Der Kläger zu 2 legt keinen Verstoß des Verwaltungsgerichts gegen § 86 Abs. 2 VwGO dar. Das Verwaltungsgericht hat die sechs von den Klägern in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge (Bl. 461 f. der Streitakte) unter Hinweis auf § 87b Abs. 3 VwGO zurückgewiesen und seine Ermessensausübung damit begründet, dass sie nicht prozessordnungsgemäß gestellt worden seien, keine entscheidungserheblichen Tatsachen zum Gegenstand hätten und es sich um Ausforschungsbeweise handele. Der Kläger zu 2 setzt sich mit dieser Begründung nicht auseinander und erläutert nicht, weshalb die Ablehnung der Beweisanträge keine Stütze im Prozessrecht finde. Er legt nicht dar, dass die Voraussetzungen des § 87b Abs. 3 VwGO nicht vorgelegen hätten. Ebenso wenig wird dargetan, dass die Beweisanträge den Anforderungen des § 86 Abs. 2 VwGO entsprochen hätten und der Gegenstand der Anträge jeweils nach der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung der Vorinstanz entscheidungserheblich gewesen wäre.

195. Ein Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist ebenfalls nicht prozessordnungsgemäß dargelegt. Die Beschwerdebegründung erläutert nicht, weshalb sich dem Verwaltungsgericht auch ohne weiteren Beweisantrag zusätzliche Sachverhaltsermittlungen hätten aufdrängen müssen. Hinsichtlich der Anmeldung der S.-Werke GmbH und des verfahrensgegenständlichen Flurstücks ... zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf, welche nach der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung der Vorinstanz entscheidungserhebliche und beweisgeeignete Tatsache aufzuklären gewesen wäre. Der Hinweis auf eine angeblich fehlende Seite in den Verwaltungsvorgängen und das Begehren, die "im Zuge der Aufarbeitung des Sachverhalts erstellt[en]" Dokumente anzufordern, genügen dazu nicht. Die darüber hinaus verlangte Beiziehung historischer Einheitswertakten soll nach dem Klägervorbringen dazu dienen, das Voreigentum an den verfahrensgegenständlichen Vermögenswerten zu belegen. Selbst wenn dies gelänge, bliebe jedoch die nicht wirksam gerügte, die Klageabweisung selbständig tragende Erwägung unberührt, dass kein rechtzeitiger Restitutionsantrag feststellbar ist.

20Die Schriftsätze des Klägers zu 2 vom 10. und rechtfertigen keine ihm günstigere Beurteilung. Sie können eine prozessordnungsgemäße Substantiierung der Rügen nicht mehr nachholen, weil sie erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO vorgelegt wurden.

21Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO abgesehen.

22Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 und Abs. 4 Nr. 3 GKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2025:180725B8B30.24.0

Fundstelle(n):
YAAAJ-97705