Körperschaftsteuer | Vorabentscheidungsersuchen zum Bestehen eines unionsrechtlichen Anspruchs auf einen Steueranrechnungsvortrag im früheren Körperschaftsteuer-Anrechnungsverfahren (BFH)
Der BFH hat dem EuGH vier Fragen
zum Bestehen eines unionsrechtlichen Anspruchs auf einen
Steueranrechnungsvortrag im früheren Körperschaftsteuer-Anrechnungsverfahren
vorgelegt (; veröffentlicht am
).
Hintergrund: In den Jahren 1993 bis 2000 war noch das damals gültige körperschaftsteuerliche Anrechnungsverfahren einschlägig, das zwischenzeitlich längst durch das Halbeinkünfte- bzw. Teileinkünfteverfahren ersetzt worden ist. Für Ausschüttungen von in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft ansässigen Tochtergesellschaften, die die Voraussetzungen des Art. 2 der Richtlinie 90/435/EWG erfüllt haben, an deutsche Körperschaftsteuersubjekte (Muttergesellschaften) sah unter Geltung des Anrechnungsverfahrens § 26 Abs. 2a KStG für den Fall, dass die Ausschüttungen nicht bereits nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) steuerfrei waren, folgende Regelung zum Ausgleich der wirtschaftlichen Doppelbelastung ausgeschütteter Gewinne mit Steuern vor:
Auf Antrag der Muttergesellschaft, die nachweislich ununterbrochen seit mindestens zwölf Monaten vor dem Ende des Veranlagungszeitraums oder des davon abweichenden Gewinnermittlungszeitraums mindestens zu einem Zehntel am Kapital der Tochtergesellschaft beteiligt war, wurde auf die auf die Ausschüttung entfallende Körperschaftsteuer der Muttergesellschaft eine vom Gewinn erhobene Steuer der Tochtergesellschaft nach den in § 26 Abs. 1 Satz 2 bis 7 KStG geregelten Maßgaben angerechnet. Voraussetzung für die Steueranrechnung war die Entstehung einer deutschen Körperschaftsteuer im Jahr des Dividendenbezugs (§ 26 Abs. 6 Satz 1 KStG i.V.m. § 34c Abs. 1 EStG in der jeweils gültigen Fassung).
In dem Fall, dass die Muttergesellschaft in dem betreffenden Veranlagungszeitraum insgesamt einen Verlust erwirtschaftet hatte und folglich keine Körperschaftsteuer entstanden war, sah das Gesetz weder eine Erstattung der ausländischen Steuer noch die Möglichkeit eines Vortrags des nicht nutzbaren Anrechnungspotentials in nachfolgende Veranlagungszeiträume vor.
Sachverhalt: Die Klägerin ist eine inländische Aktiengesellschaft (AG) und war seit dem Jahr 1992 alleinige Anteilseignerin der inländischen C-AG. Diese hielt wiederum seit dem Jahr 1992 Anteile an der griechischen Aktiengesellschaft AE. Die C-AG wurde zum auf die Klägerin verschmolzen. Im Zuge der Verschmelzung gingen die Anteile der C-AG an der AE auf die Klägerin über. Das zu versteuernde Einkommen der C-AG und der Klägerin waren negativ. Die Klägerin und die C-AG bezogen in den Jahren 1993 bis 2000 Bruttodividenden von der AE, auf diese die AE griechische Körperschaftsteuer zahlte.
In den Veranlagungen der Jahre 1993 bis 2001 berücksichtigte das Finanzamt (FA) die von der C-AG bzw. der Klägerin bezogenen Bruttodividenden bei der Ermittlung des (negativen) zu versteuernden Einkommens. Die von der AE auf diese Dividenden gezahlte griechische Steuer rechnete das FA weder im jeweiligen Jahr des Dividendenbezugs an noch in dem ersten Jahr, in dem die Klägerin den Verlustvortrag übersteigende Gewinne erzielt hat. Aufgrund der Verschmelzung gingen die bei der C-AG festgestellten Verlustvorträge in die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs der Klägerin zum ein.
Gegen die Bescheide für 1997 bis 1999 über Körperschaftsteuer sowie über die gesonderten Feststellungen des verbleibenden Verlustabzugs auf den , auf den und auf den erhob die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage, mit der sie die Beseitigung eines Verstoßes gegen das Unionsrecht begehrte, der sich ihrer Ansicht nach aus der fehlenden Anrechnung der griechischen Körperschaftsteuern trotz Kürzung ihres Verlustvortrags um den Betrag der bezogenen Dividenden ergebe. Ferner erhob die Klägerin gesondert Klage gegen den Körperschaftsteuerbescheid für 2002, mit der sie die indirekte Anrechnung der von der AE auf die ausgeschütteten Gewinne der Jahre 1993 bis 2000 gezahlten griechischen Körperschaftsteuern auf ihre deutsche Körperschaftsteuer des Jahres 2002 begehrte.
Die Klagen wurden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Die Klage wurde abgewiesen (; s. hierzu Lieber, IWB 10/2022 S. 373).
Das Verfahren wurde ausgesetzt und dem EuGH die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Steht Art. 4 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 90/435/EWG nationalen Regelungen entgegen, nach denen Ausschüttungen einer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässigen Tochtergesellschaft bei einer Verluste erzielenden inländischen Muttergesellschaft zu einer Kürzung ihres Verlustvortrags in Höhe dieser Ausschüttungen führen, die von der Tochtergesellschaft auf die Ausschüttungen entrichteten Steuern jedoch weder im Jahr des Dividendenbezugs noch in dem Jahr, in dem die Muttergesellschaft die vorgetragenen Verluste übersteigende Gewinne erzielt, angerechnet werden?
Für den Fall, dass die erste Vorlagefrage zu bejahen sein sollte: Ergibt sich dann, wenn ein Mitgliedstaat sich zur Umsetzung der Richtlinie 90/435/EWG in nationales Recht für das in Art. 4 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 90/435/EWG vorgesehene Anrechnungssystem entschieden hat und dieser Mitgliedstaat die Anrechnung deshalb nicht richtlinienkonform ausgestaltet hat, weil er eine Steueranrechnung ausschließlich in dem Jahr des Dividendenbezugs vornimmt, obwohl eine Besteuerung dieser Dividenden wegen im nationalen Recht vorgesehener Verlustvortragsmöglichkeiten auch in späteren Veranlagungszeiträumen eintreten kann, aus der Richtlinie ein Direktanspruch auf eine Steueranrechnung in Form eines Anrechnungsvortrags?
Falls die Richtlinie 90/435/EWG keinen Direktanspruch auf einen Anrechnungsvortrag gewährt (Fragen zu 1. und 2.): Ergibt sich ein solcher Anspruch als Folge eines Verstoßes gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 52 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrags von Maastricht bzw. Art. 43 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrags von Amsterdam, jetzt Art. 49 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union i.d.F. des Vertrags von Lissabon)?
Ergibt sich eine andere Beurteilung der Fragen zu 1. bis 3. für die Dividenden, die die Muttergesellschaft nicht unmittelbar selbst bezogen hat, sondern die ihre ebenfalls ausschließlich Verluste erzielende hundertprozentige Tochtergesellschaft bezogen hatte (hier: Jahre 1993 bis 1996), bevor diese unter Übergang auch ihres Verlustvortrags auf die Muttergesellschaft verschmolzen worden ist?
Quelle: ; NWB Datenbank (lb)
Fundstelle(n):
QAAAJ-97589