Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen die Versagung der Wiedereinsetzung in eine versäumte Rechtsmittelfrist - Verschulden der Fristversäumung durch Bevollmächtigten trotz unrichtiger erstinstanzlicher Rechtsmittelbelehrung - keine Verletzung grundrechtsgleicher Rechte (effektiver Rechtsschutz, faires Verfahren)
Gesetze: Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 11 S 5 FamFG, § 17 Abs 2 FamFG, § 87 Abs 4 FamFG, § 567 FamFG, § 569 FamFG, § 85 Abs 2 ZPO
Instanzenzug: Brandenburgisches Az: 15 WF 199/24 Beschlussvorgehend AG Luckenwalde Az: 31 F 163/22 Beschluss
Gründe
1Die Verfassungsbeschwerde betrifft gerichtliche Entscheidungen im Zusammenhang mit der Vollstreckung einer Umgangsregelung.
I.
21. Der Beschwerdeführer ist der Vater von zwei in den Jahren 2018 und 2021 geborenen Kindern, die aus der Ehe mit der Mutter hervorgegangen sind. Seit der Trennung der Eltern leben die Kinder bei der Mutter. Die Eltern haben im August 2022 eine gerichtlich gebilligte und ordnungsmittelbewehrte Umgangsvereinbarung getroffen.
32. Nachdem die Mutter einen für die Tochter Mitte Juni 2023 vorgesehenen Umgangstermin verweigert hatte, hat der Beschwerdeführer bei dem Familiengericht die Festsetzung von Ordnungsmitteln gegen die Mutter beantragt. Nach Anhörung der Beteiligten hat das Familiengericht mit angefochtenem Beschluss vom entschieden, dass Vollstreckungsentscheidungen nicht ergingen und das Verfahren eingestellt werde. Das Gericht mache dabei von seinem Vollstreckungsermessen Gebrauch. Durch die beantragten Vollstreckungsmaßnahmen würde das Verhältnis des Beschwerdeführers zu seinen Kindern und deren Mutter unangemessen kindeswohlabträglich belastet. In der Rechtsbehelfsbelehrung des dem Verfahrensbevollmächtigten des Beschwerdeführers am zugestellten Beschlusses heißt es unter anderem, dass gegen den Beschluss das Rechtsmittel der Beschwerde stattfinde, die binnen einer Frist von einem Monat einzulegen sei.
43. a) Der Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers hat für diesen am Beschwerde eingelegt und diese nachfolgend näher begründet. Das Oberlandesgericht hat daraufhin mit einem Schreiben vom darauf hingewiesen, die Beschwerde als unzulässig verwerfen zu wollen. Diese sei nicht innerhalb der nach den maßgeblichen § 87 Abs. 4 FamFG, §§ 567,569 BGB zweiwöchigen Frist eingelegt worden. Mit Schriftsatz vom hat der Verfahrensbevollmächtigte daraufhin die Wiedereinsetzung in die mögliche Versäumung der Beschwerdefrist beantragt. Auch eine anwaltlich vertretene Partei dürfe grundsätzlich auf die Richtigkeit einer gerichtlichen Rechtsbehelfsbelehrung vertrauen. Eine offenkundig unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung, die nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermöge, liege hier nicht vor. In einem weiteren Hinweisschreiben hat das Oberlandesgericht ausgeführt, dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht kommen dürfte.
5b) Mit angegriffenem Beschluss vom hat das Oberlandesgericht den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Beschwerdefrist zurückgewiesen und seine Beschwerde gegen die Entscheidung des Familiengerichts vom verworfen. Der Beschwerdeführer müsse sich nach § 11 Satz 5 FamFG, § 85 Abs. 2 ZPO die schuldhaft fehlerhafte Berechnung der Rechtsmittelfrist durch seinen Verfahrensbevollmächtigten zurechnen lassen. Zwar könne durch eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung ein Vertrauenstatbestand auch gegenüber einem Rechtsanwalt geschaffen werden. Wie das Bundesverfassungsgericht entschieden habe, entfalle ein solcher Vertrauenstatbestand aber dann, wenn die Unrichtigkeit der gerichtlichen Rechtsbehelfsbelehrung für einen Rechtsanwalt ohne Weiteres erkennbar sei. Das Oberlandesgericht habe bereits in seinem Hinweis vom aufgezeigt, dass die Rechtsmittelbelehrung im Beschluss des Familiengerichts kaum geeignet gewesen sei, einen unvermeidbaren Rechtsirrtum bei dem Verfahrensbevollmächtigten über die Beschwerdefrist hervorzurufen. Denn der Bevollmächtigte habe erkannt, dass es sich um eine sofortige Beschwerde nach § 87 Abs. 4 FamFG, §§ 567 ff. ZPO gehandelt habe.
64. Mit seiner Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG geltend. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts verletze ihn in seinem Anspruch auf ein faires Verfahren. Die Anforderungen an eine Wiedereinsetzung seien vor dem Hintergrund der gesetzlichen Vermutung in § 17 Abs. 2 FamFG übersetzt. Von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abweichend stelle das Oberlandesgericht nicht auf die offensichtliche Fehlerhaftigkeit der Rechtsmittelbelehrung des familiengerichtlichen Beschlusses ab. Diese sei zudem nicht offensichtlich unrichtig gewesen. Weder aus § 63 Abs. 1 FamFG noch aus § 569 ZPO ergebe sich ohne Weiteres, welche Frist auf einen Beschluss im familiengerichtlichen Vollstreckungsverfahren anzuwenden sei.
II.
7Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Familiengerichts richtet, ist sie unzulässig (1) und im Übrigen jedenfalls unbegründet (2). Sie ist damit insgesamt ohne Aussicht auf Erfolg und deshalb nicht zur Entscheidung anzunehmen (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).
81. Die gegen den Beschluss des Familiengerichts vom gerichtete Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Entgegen den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG folgenden Anforderungen zeigt ihre Begründung die Möglichkeit einer Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten des Beschwerdeführers durch die Entscheidung nicht auf. Weder setzt sich die Verfassungsbeschwerde mit dem Beschluss des Familiengerichts inhaltlich auseinander (vgl. BVerfGE 149, 346 <359 Rn. 24>; 158, 210 <230 f. Rn. 51>; stRspr) noch geht sie auf die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten verfassungsrechtlichen Maßstäbe ein, anhand derer die angegriffene Entscheidung überprüft werden soll (vgl. BVerfGE 153, 74 <137 Rn. 104>; 163, 165 <210 Rn. 75>; stRspr). Die verfassungsrechtlichen Ausführungen des Beschwerdeführers zu Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG beziehen sich allein auf den angegriffenen .
92. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung vom richtet, ist sie jedenfalls unbegründet. Der Beschluss verletzt den Beschwerdeführer in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG weder unter dem Aspekt des effektiven Rechtsschutzes noch unter dem des fairen Verfahrens.
10a) Für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten leitet sich aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG ein Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz ab (vgl. BVerfGE 93, 99 <107>; 107, 395 <401, 408>; stRspr). Die Gewährleistung umfasst nicht allein, dass der Rechtsweg zu den Gerichten überhaupt offensteht, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Der Rechtsweg darf dementsprechend nicht in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden. Dabei können Formerfordernisse für Prozesshandlungen der Rechtssicherheit dienen, sofern sie geeignet sind, die prozessuale Lage für alle Beteiligten rasch und zweifelsfrei zu klären (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2427/19 -, juris, Rn. 24 m.w.N.).
11Zudem folgt aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG als allgemeines Prozessgrundrecht das Recht auf ein faires Verfahren, das unter anderem gewährleistet, dass das Gericht aus eigenen oder ihm zurechenbaren Fehlern, Unklarheiten oder Versäumnissen keine Verfahrensnachteile ableiten darf. Bei der Auslegung und Anwendung von Prozessrecht dürfen die Gerichte den Zugang zu den den Rechtsuchenden eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer Weise erschweren. Vor allem dürfen die Anforderungen daran, was Betroffene veranlasst haben müssen, um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen, nicht überspannt werden. Bei auf Fehlern des Gerichts beruhenden Fristversäumnissen müssen die Anforderungen an eine Wiedereinsetzung mit besonderer Fairness gehandhabt werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2427/19 -, juris, Rn. 27 m.w.N.).
12b) Daran gemessen hat das Oberlandesgericht mit der Versagung der Wiedereinsetzung in die Versäumung der hier geltenden zweiwöchigen Beschwerdefrist aus § 87 Abs. 4 FamFG, § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO den Beschwerdeführer nicht in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt. Die Anwendung und Auslegung der genannten fachrechtlichen Bestimmungen lässt keine Fehler erkennen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhten (vgl. zum Maßstab BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2427/19 -, juris, Rn. 26 m.w.N.). Vielmehr hat das Oberlandesgericht unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe und auf der Grundlage der zum Fachrecht in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung ein unverschuldetes Versäumen der hier zweiwöchigen Beschwerdefrist ohne Verfassungsverstoß verneint.
13aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann bei Regelungen - wie hier § 17 Abs. 2 FamFG oder § 233 Satz 2 ZPO - die dort für den Fall fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrung aufgestellte Vermutung fehlenden Verschuldens widerlegt werden. Die Vermutung gilt danach grundsätzlich auch für die Rechtsmittelführer vertretenden Rechtsanwälte. Allerdings können Rechtsanwälte dieses Vertrauen in die Richtigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung nicht uneingeschränkt, sondern nur dann in Anspruch nehmen, wenn die fehlerhafte Belehrung zu einem unvermeidbaren, zumindest aber einem nachvollziehbaren und daher verständlichen Rechtsirrtum des Rechtsanwalts geführt habe. Die Fristversäumung sei bei unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrung nicht unverschuldet, wenn diese offenkundig falsch gewesen sei und sie deshalb nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermocht habe (vgl. -, Rn. 7 m.w.N.). Das Abstellen auf die Offensichtlichkeit einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung in der Fachgerichtsbarkeit ist verfassungsrechtlich im Ausgangspunkt nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2427/19 -, juris, Rn. 33, 36 f.).
14bb) Entgegen der Bewertung des Beschwerdeführers ist das Oberlandesgericht von diesen verfassungs- und fachrechtlichen Maßgaben ausgegangen. Es hat in dem angegriffenen Beschluss ausdrücklich unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf den grundsätzlich auch für Rechtsanwälte geltenden Vertrauenstatbestand abgestellt, diesen aber bei ohne Weiteres erkennbarer Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung entfallen lassen. Für den konkreten Fall hat es eine solche Offensichtlichkeit damit begründet, dass der Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers selbst positiv erkannt habe, dass es sich um eine sofortige Beschwerde nach § 87 Abs. 4 FamFG, §§ 567 ff. ZPO handele. Dann aber betrage die Frist nach § 569 Abs. 1 ZPO zwei Wochen.
15Mit dieser Begründung hat das Oberlandesgericht die Anforderungen an die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht überspannt. Die Fehlerhaftigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung in dem Beschluss des Familiengerichts vom lag auf der Hand, so dass es keiner näheren Rechtsprüfung bedurfte, um dies zu erkennen. Dem Verfahrensbevollmächtigten war aufgrund des von ihm selbst für den Beschwerdeführer gestellten Antrags und des ebenfalls bekannten Inhalts des Beschlusses vom bekannt, dass Verfahrensgegenstand ausschließlich die Vollstreckung aus der ordnungsmittelbewehrten Umgangsvereinbarung war. Für diese Konstellation entspricht es langjähriger obergerichtlicher Rechtsprechung, dass die zweiwöchige Beschwerdefrist aus § 87 Abs. 4 FamFG, § 569 Abs. 1 ZPO gilt und ein Irrtum anwaltlicher Verfahrensbevollmächtigter darüber nicht unverschuldet ist (vgl. Brandenburgisches -, juris, Rn. 8, 13; OLG Zweibrücken, Beschluss vom - 6 WF 182/12 -, juris, Rn. 9 f.; OLG Naumburg, Beschluss vom - 4 WF 16/17 -, juris, Rn. 5, 7).
163. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
17Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2025:rk20250623.1bvr054525
Fundstelle(n):
CAAAJ-96830