Einkommensteuer | Rückwirkende Einführung der Steuerbefreiung für Photovoltaikanlagen und damit einhergehende Abzugsbeschränkung (FG)
Das FG Düsseldorf hat zur
Verfassungsmäßigkeit der rückwirkenden Einführung der Steuerbefreiungsregelung
nach
§ 3 Nr. 72
EStG für bestimmte Photovoltaikanlagen und der damit
einhergehenden Abzugsbeschränkung nach
§ 3c Abs. 1
EStG entschieden. Das Gericht hat einen Verfassungsverstoß
verneint (; Revision zugelassen).
Sachverhalt: Die Kläger wurden im VZ 2022 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Gegen ihren Einkommensteuerbescheid 2022 legten sie Einspruch ein und machten geltend, negative Einkünfte aus dem Betrieb einer PV-Anlage i.H.v. rund 3.000 € seien zu Unrecht nicht berücksichtigt worden.
Die in § 52 Abs. 4 Satz 27 EStG angeordnete Rückwirkung der Steuerbefreiungsregelung in § 3 Nr. 72 EStG sei verfassungswidrig. Die Klägerin habe im Juni 2021 den Auftrag erteilt, die Anlage zu installieren. Wegen der Corona-Krise sei die Anlage dann erst verzögert errichtet und im Dezember 2022 an das Stromnetz angeschlossen worden. Seitdem werde sie mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben. Im Regierungsentwurf zum JStG 2022 sei eine Steuerbefreiung erst ab dem vorgesehen gewesen. Erst mit der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses vom sei die Befreiung auf den vorgezogen worden. Es liege eine rückwirkende, belastende Rechtsänderung vor, da diese den Betreibern die im Anschaffungsjahr 2022 fest eingeplante Steuerminderung aus der Sonder-AfA nachträglich raube und eine echte Liquiditätsbelastung beschere. Die Rückwirkung sei nicht gerechtfertigt. Insbesondere sei sie für eine gewünschte Entbürokratisierung nicht erforderlich; eine solche könne mangels Abstimmung mit der Einführung des Nullsteuersatzes in der Umsatzsteuer und den übrigen bestehenden Anzeigepflichten auch nicht erreicht werden. Auch die Investitionsbereitschaft könne nicht rückwirkend erhöht werden. Ab dem bestellte PV-Anlagen seien ohnehin erst im Jahr 2023 geliefert worden. Die Rückwirkung solle vermeiden, dass in Kenntnis zukünftiger Steuerbefreiungen Aufwendungen in die Zeit der noch zulässigen Verlustverrechnung vorgezogen würden. Dies hätte auf einfachstem Weg über § 52 EStG ausgeschlossen werden können, stattdessen solle unzulässigerweise Betreibern die Steuerminderung versagt werden, die sie im Dispositionszeitpunkt einkalkuliert hätten. Fördervorschriften, die zu bestimmtem Handeln motivieren sollten, vermittelten besonders hohen Vertrauensschutz. Nachdem der Regierungsentwurf die Befreiung ab dem vorgesehen habe, habe kein Zweifel daran bestanden, dass die Verlustverrechnung im Jahr 2022 nicht eingeschränkt werde. Dies habe bei einigen Steuerpflichtigen zu kurzfristigen Anschaffungen geführt, um die Förderung noch nutzen zu können. Steuerberater hätten auch dahingehend beraten.
Die Klage hatte vor dem FG Düsseldorf keinen Erfolg:
Vorliegend findet das Rückwirkungsverbot bereits keine Anwendung.
Die Verfassungsmäßigkeit eines rückwirkenden Gesetzes ist nur dann fraglich, wenn es sich um ein belastendes Gesetz handelt (, BVerfGE 135, 1, Rz. 63, m.w.N.). Begünstigende Regelungen unterliegen auch dann keinem Rückwirkungsverbot, wenn die Begünstigung mit relativierenden Belastungen verbunden ist (Drüen, in Tipke/Kruse, § 4 AO Rz. 18 (4/2025) zu § 3 Nr. 72 EStG).
Vor diesem Hintergrund ist die Einführung der Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 72 EStG auch durch das Zusammenwirken mit § 3c Abs. 1 EStG nicht als belastende Maßnahme einzuordnen (vgl. , Rz. 44 ff., s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 10.4.2024; aufgehoben aus anderen Gründen durch , BStBl. II 2025, 30, s. Online-Nachricht v. 31.10.2024). Denn die Befreiungsregelung betrifft naturgemäß nur steuerbare Einkünfte, was wiederum eine Gewinnerzielungsabsicht und damit regelmäßig eine positive Totalgewinnprognose voraussetzt (vgl. Krumm, in Kirchhof/Seer, 24. Aufl. 2025, § 15 EStG Rz. 35 ff.). So machen auch die Kläger ausdrücklich geltend, mit Gewinnerzielungsabsicht zu handeln (Bl. 68 GA).
Bezogen auf den Gesamtzeitraum der Einkünfteerzielung ist deshalb davon auszugehen, dass die Einführung des § 3 Nr. 72 EStG auch im Zusammenwirken mit § 3c Abs. 1 EStG für die Kläger steuerentlastend und nicht -belastend wirkt.
Eine belastende Wirkung könnte daher nur dann angenommen werden, wenn man hierfür ausschließlich den Rückwirkungszeitraum - in dem die Kläger negative Einkünfte erzielt haben - berücksichtigte. Dies stünde indes nicht im Einklang mit der verfassungsrechtlichen Fundierung des Rückwirkungsverbotes, das auf Grundlage des objektivrechtlichen Rechtsstaatsgebots und der subjektivrechtlichen Grundrechtsverbürgungen Vertrauensschutz gewährleisten soll (, BVerfGE 157, 177, Rz. 51, m.w.N.). Denn es bestand kein schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass im Veranlagungszeitraum 2022 entstandene Verluste steuerwirksam bleiben, spätere Gewinne aber steuerfrei gestellt werden.
Dies gilt ungeachtet der zwischenzeitlichen gesetzgeberischen Bestrebungen, eine Steuerfreistellung erst ab dem einzuführen (Art. 4 Nr. 1 i.V.m. Art. 30 Abs. 6 des Entwurfs eines Jahressteuergesetzes 2022 v. , BT-Drucks. 20/3879).
Denn zum einen können derartige Gesetzentwürfe vor ihrer Verabschiedung zwar vertrauenszerstörend wirken (vgl. etwa , BVerfGE 157, 177, Rz. 65 ff., s. hierzu unsere Online-Nachricht 11.05.2021), sie können schon aus Gewaltenteilungsgesichtspunkten aber ihrerseits kein schutzwürdiges Vertrauen begründen (, BVerfGE 97, 67, Rz. 53 ff.).
Zum anderen hat die Klägerin die streitgegenständliche PV-Anlage nach ihren Angaben bereits im Juni 2021 in Auftrag gegeben, also zu einem Zeitpunkt, zu dem eine Steuerbefreiung noch nicht konkret absehbar war. Ausgehend von diesem maßgeblichen Zeitpunkt des rechtserheblichen Verhaltens (s.o. sowie zur Maßgeblichkeit des Dispositionszeitpunktes Hey, in Tipke/Lang, Steuerrecht, 25. Aufl. 2024, Rz. 3.264 f., m.w.N.) konnten die Kläger allenfalls darauf vertrauen, dass positive wie negative Einkünfte aus PV-Anlagen steuerpflichtig bleiben. Die Enttäuschung dieses Vertrauens in die Kontinuität der Rechtslage wirkt aber angesichts des zu erwartenden Gesamtgewinns nicht belastend und ist daher nicht am Rückwirkungsverbot zu messen.
Selbst wenn man von einer Anwendbarkeit des Rückwirkungsverbots ausginge, wäre die Rückwirkung gerechtfertigt.
Den Gesetzesmaterialien lässt sich, worauf die Kläger zu Recht hinweisen, kein spezifischer Grund für die Entscheidung, die Steuerfreiheit schon auf den zurückzubeziehen, entnehmen.
Indes gehen auch die Kläger davon aus, dass es dem Gesetzgeber gerade darum ging, in Konstellationen wie der vorliegenden (Anschaffung der PV-Anlage im Jahr 2022) zu verhindern, dass mit der Anschaffung verbundene Verluste steuerwirksam bleiben, während zukünftige Einnahmen steuerfrei sind.
Schon ein solches Fiskalinteresse kann nach der Rechtsprechung des BVerfG im Bereich der unechten Rückwirkung zur Rechtfertigung ausreichen, wenn keine besonderen Momente der Schutzbedürftigkeit hinzutreten (vgl. BVerfG, Beschlüsse v. – 2 BvL 14/02 u.a., BVerfGE 127, 1, Rz. 63 f.; v. - 2 BvR 748/05 u.a., BVerfGE 127, 61, Rz. 51 f.).
Das FG hat die Revision zum BFH zugelassen, Ob diese eingelegt wurde, ist noch nicht bekannt.
Der Volltext der Entscheidung ist in der Rechtsprechungsdatenbank des Landes NRW veröffentlicht.
Quelle: FG Düsseldorf online (il)
Fundstelle(n):
YAAAJ-96519