Instanzenzug: LG Regensburg Az: KLs 402 Js 13715/23 jug
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerer Vergewaltigung und mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von elf Jahren verurteilt, die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten und bestimmt, dass sechs Monate der verhängten Jugendstrafe im Jugendstrafvollzug und der Strafrest in einer sozialtherapeutischen Einrichtung zu vollziehen sind. Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
I.
21. Nach den Feststellungen verabredete der zur Tatzeit 18-jährige Angeklagte, der bereits geraume Zeit mit Cannabis handelte, am Abend des ein Treffen mit der Nebenklägerin, um – wie bereits zuvor mehrfach geschehen – Cannabis an sie zu veräußern. Der Angeklagte nahm ein Messer unbekannter Beschaffenheit sowie Klebeband und Kabelbinder an sich, weil er vorhatte, die Nebenklägerin in ein abgelegenes Waldstück zu locken, um sie dort überraschend anzugreifen und zu fesseln; anschließend wollte er sie vergewaltigen und schließlich unter Einsatz des Messers töten, um die Entdeckung der Tat zu verhindern. In Ausführung dieses Tatentschlusses begab er sich zu dem mit ihr vereinbarten Treffpunkt und versteckte das Cannabis in einem Waldstück. Anschließend ging er der Nebenklägerin, die den Treffpunkt zunächst nicht gefunden hatte, entgegen und lockte sie dorthin. Er nahm das Cannabis aus dem Versteck, überreichte es ihr und nahm den vereinbarten Kaufpreis entgegen. Auf dem Rückweg versetzte er ihr unvermittelt mehrere wuchtige Schläge gegen den Kopf, wodurch sie benommen zu Boden fiel. Nach weiteren Schlägen gab die Nebenklägerin jegliche Gegenwehr auf. Sodann fesselte er ihre Hände mit den Kabelbindern auf dem Rücken, verschloss Augen und Mund mit dem Klebeband und zerschnitt ihre Kleidung mit dem Messer. Er manipulierte an ihren Brüsten, penetrierte sie vaginal mit einem Finger und vollzog ungeschützt den vaginalen Geschlechtsverkehr. Anschließend wies er sie an aufzustehen und weiterzugehen. Nachdem sie sich weisungsgemäß rücklings auf den Boden gelegt hatte, stach er mehrfach gezielt auf ihren Hals ein und führte einen Schnitt quer über ihre Kehle aus, um sie zu töten und die Entdeckung der vorangegangenen Vergewaltigung zu verhindern. In der Annahme, die reglos am Boden liegende und stark blutende Nebenklägerin sei bereits verstorben, verließ er nach mehreren Minuten den Tatort. Der Nebenklägerin gelang wenig später die Flucht; ihr Leben konnte durch eine Notoperation gerettet werden.
32. Das Landgericht hat die Tat rechtlich als versuchten Mord (§§ 211, 22 StGB) in Tateinheit (§ 52 StGB) mit schwerer Vergewaltigung (§§ 177 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 1, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1, Abs. 7 Nr. 1 und 2 StGB) und mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 5 StGB) bewertet. Sachverständig beraten hat es eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten durch vor der Tatbegehung konsumierten Alkohol und Cannabis ausgeschlossen.
II.
41. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende sachlich-rechtliche Nachprüfung des Urteils hat im Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Soweit das Landgericht den Angeklagten nicht auch wegen besonders schwerer Vergewaltigung verurteilt hat, weil er das Messer allein zum Aufschneiden der Bekleidung der Nebenklägerin vor Beginn der Vergewaltigungshandlung eingesetzt habe, lassen die Urteilsgründe zwar ein zu enges Verständnis von den Voraussetzungen des Qualifikationstatbestandes nach § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB besorgen (vgl. , BGHSt 51, 276 Rn. 7; Beschlüsse vom – 4 StR 166/21, BGHR StGB § 177 Abs. 8 Nr. 1 Verwenden 1, Rn. 8; vom – 6 StR 502/23, Rn. 10); hierdurch ist der Angeklagte aber nicht beschwert.
52. Die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1, § 105 Abs. 1 JGG kann nicht bestehen bleiben, weil die Jugendkammer das ihr eingeräumte Ermessen nicht erkennbar ausgeübt hat. Dahinstehen kann deshalb, ob die Gefährlichkeitsprognose, an die höchste Anforderungen zu stellen sind (vgl. ‒ 4 StR 280/20, BGHSt 65, 221, 230), rechtsfehlerfrei begründet ist.
6a) Die Anordnung vorbehaltener Sicherungsverwahrung nach § 7 Abs. 2 Satz 1 JGG steht im pflichtgemäßen Ermessen des Tatgerichts. Dieses kann sich – anders als bei einer Entscheidung über die in § 7 Abs. 1 JGG genannten Maßregeln (vgl. , BGHSt 37, 373, 374; Beschluss vom – 4 StR 62/19, Rn. 12) – trotz Vorliegens der formellen und materiellen Voraussetzungen gegen die Anordnung vorbehaltener Sicherungsverwahrung nach § 7 Abs. 2 Satz 1 JGG entscheiden (vgl. BR-Drucks. 173/12, S. 30; Brunner/Dölling, JGG, 14. Aufl., § 7 Rn. 20; MüKo-StGB/Laue, 4. Aufl., § 7 JGG Rn. 31; Peglau, JR 2025, 159, 163). Der Gesetzgeber hat die Regelung der Rechtsfolge des § 7 Abs. 2 Satz 1 JGG bewusst an die Vorschrift des § 66a StGB zur vorbehaltenen Sicherungsverwahrung für erwachsene Straftäter angelehnt (vgl. BR-Drucks. 173/12, S. 30; BT-Drucks. 16/6562, S. 8). Damit kann auch bei jugendlichen und heranwachsenden Straftätern einer schematischen Gesetzesanwendung entgegengewirkt (vgl. zu § 66a BT-Drucks. 14/8586, S. 6) und den von Verfassungs wegen erhöhten Anforderungen an die Maßregelanordnung gerade gegenüber jungen Menschen (vgl. BT-Drucks. 16/6562, S. 7; dazu BVerfG, NJW 2011, 1931, 1936 f.) Rechnung getragen werden. Dem Tatgericht wird es damit auch im Jugendstrafrecht ermöglicht, seine Entscheidung etwa am Grad der Wahrscheinlichkeit drohender Katalogtaten nach § 7 Abs. 2 Satz 1 JGG und der Gefährlichkeit des Angeklagten zu orientieren (vgl. zu § 66a StGB bereits BT-Drucks. 14/8586, S. 6; , Rn. 9), zugleich aber auch die mit einer im Nachverfahren drohenden Anordnung der Sicherungsverfahrung verbundenen, den Angeklagten belastenden und begünstigenden Auswirkungen in den Blick zu nehmen und gegeneinander abzuwägen (vgl. zu § 66a Abs. 2 StGB etwa , NStZ 2018, 90, 91; Beschluss vom – 4 StR 168/18, NStZ 2019, 266, 269; LK-StGB/Peglau, 13. Aufl., § 66a Rn. 48 mwN).
7Dieses Ermessen muss tatsächlich ausgeübt werden (vgl. zu § 66 Abs. 2 und 3 StGB etwa , NStZ-RR 201, 172; Beschlüsse vom ‒ 5 StR 351/09, Rn. 13; vom – 3 StR 251/03, NStZ-RR 2004, 12). Die Urteilsgründe müssen nicht nur erkennen lassen, dass sich das Tatgericht seiner Entscheidungsbefugnis bewusst war, sondern auch nachvollziehbar belegen, aus welchen Gründen es von diesem Ermessen in einer bestimmten Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. zu § 66 Abs. 2 StGB etwa , StV 2024, 253; ferner zu § 66a StGB bereits BT-Drucks. 14/8586, S. 6).
8b) Die Urteilsgründe lassen auch unter Berücksichtigung ihres Gesamtzusammenhangs nicht erkennen, dass sich die Jugendkammer des Umstandes bewusst war, eine Ermessensentscheidung zu treffen. Bei dieser Sachlage vermag der Senat nicht zu überprüfen, ob das Landgericht etwa die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs auf den noch jungen Angeklagten und mögliche Haltungsänderungen durch das Fortschreiten seines Lebensalters berücksichtigt hat (vgl. , NStZ-RR 2023, 42, 45; Beschluss vom – 2 StR 147/24 Rn. 13, jeweils mwN).
9c) Dies führt zur Aufhebung des Maßregelausspruchs. Der Senat hebt auch die zugehörigen Feststellungen auf, um dem neu zur Entscheidung berufenen Tatgericht eine umfassende neue Prüfung zu ermöglichen. Dies hat die Aufhebung der Anordnung nach § 7 Abs. 3 Satz 1 JGG zur Folge (vgl. , Rn. 32)
Bartel Feilcke Wenske
Fritsche von Schmettau
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:060325B6STR524.24.0
Fundstelle(n):
UAAAJ-95142