Instanzenzug: Az: 1 StR 481/24 Beschlussvorgehend Az: 1 StR 481/24 Beschlussvorgehend Az: 1 StR 481/24 Beschlussvorgehend LG Aachen Az: 68 KLs 6/22
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten P. wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Einfuhr von Betäubungsmitten, sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Anstiftung zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, die Angeklagte T. wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Einfuhr von Betäubungsmitteln sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge jeweils unter Freispruch im Übrigen zu Gesamtfreiheitsstrafen von zehn Jahren (P. ) bzw. sieben Jahren und sechs Monaten (T. ) verurteilt. Den Angeklagten C. hat es wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Anstiftung zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts B. vom zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und zwei Monaten verurteilt. Gegen die Angeklagten P. und T. hat das Landgericht ferner die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet. Die Angeklagten wenden sich mit ihren jeweils auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen gegen ihre Verurteilung. Die Rechtsmittel haben Erfolg.
I.
2Das Landgericht hat – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3Die Angeklagten trieben einen schwunghaften Handel mit Ecstasy, das sie aus den Niederlanden einführten bzw. einführen ließen. Die Handelsmengen enthielten jeweils MDMA-Base im Kilogrammbereich. Die Angeklagten P. und T. agierten teilweise als Mitglieder einer Bande, die sich zusammengeschlossen hatte, um Betäubungsmittel von Deutschland oder anderen europäischen Staaten zum gewinnbringenden Weiterverkauf nach Vietnam auszuführen.
II.
4Die Revisionen haben mit der von allen Angeklagten erhobenen Verfahrensrüge Erfolg, das Landgericht habe gegen seine Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO verstoßen, weil es nach ausgesetzter Hauptverhandlung zwar bekanntgegeben habe, dass es in früherer Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung einen schriftlichen Verständigungsvorschlag „unterbreitet“ habe, den es auch in neuer Besetzung bereit sei zu „erörtern“, den Inhalt desselben aber nicht mitgeteilt habe.
51. Den Rügen liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
6Die erste Hauptverhandlung wurde am nach neun Verhandlungstagen ausgesetzt, weil die Strafkammer kurz vor dem Termin bemerkt hatte, dass die Frist des § 229 Abs. 1 StPO i.V.m. § 229 Abs. 2 StPO überschritten war. Gleichwohl kündigte der Vorsitzende in der mündlichen Verhandlung an, dass im Anschluss an dieselbe ein Verständigungsvorschlag erörtert werden solle, der in der neuen Hauptverhandlung noch von Belang sein könne, auch wenn sich die Besetzung teilweise ändern werde. Den Verteidigern der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wurde nach Schluss der mündlichen Verhandlung ein achtseitiger schriftlicher Verständigungsvorschlag ausgehändigt. Darin erläuterte das Gericht seine vorläufige rechtliche Bewertung anhand der Aktenlage und führte dazu aus, welche Strafkorridore betreffend die insgesamt sechs Angeklagten im Fall eines Geständnisses (ggf. nach Teileinstellungen nach § 154 Abs. 2 StPO) bzw. ohne ein solches in Betracht kommen könnten. Aus einem von den Revisionsführern nicht vorgelegten, dem Senat durch die Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft zur Kenntnis gelangten Vermerk des Vorsitzenden vom ergibt sich ferner, dass die Verteidiger nach interner Besprechung erklärten, den Vorschlag zunächst mit ihren Mandanten erörtern und einen inhaltlichen Austausch mit den übrigen Verfahrensbeteiligten zurückstellen zu wollen. Eine Stellungnahme zu dem Verständigungsvorschlag kündigten sie für den ersten Termin der neuen Hauptverhandlung am an. Nach den Ausführungen des Vorsitzenden wurde den Verteidigern daraufhin Gelegenheit gegeben, den Vorschlag im Gerichtsgebäude unter Inanspruchnahme der anwesenden Dolmetscher mit ihren Mandanten zu erörtern. Den Angeklagten selbst wurde der schriftliche Verständigungsvorschlag seitens des Gerichts weder zu diesem Zeitpunkt noch später ausgehändigt. In dem ersten Termin der neuen Hauptverhandlung (), in der die Strafkammer mit anderen Beisitzern und Schöffen besetzt war, teilte der Vorsitzende mit, dass es einen schriftlichen Verständigungsvorschlag gegeben habe, den das Gericht in früherer Besetzung unterbreitet habe. Die Strafkammer sei bereit, diesen auch in neuer Besetzung zu „erörtern“. Der Inhalt des Verständigungsvorschlags wurde weder in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt noch sonst den Angeklagten seitens des Gerichts bekanntgegeben. Der Vorschlag wurde im Folgenden auch nicht wiederaufgegriffen und unterlag keinen Erörterungen zwischen den Verfahrensbeteiligten. Eine Verständigung kam nicht zustande. Die Angeklagten P. und T. ließen sich in der mündlichen Verhandlung am mittels Verteidigererklärungen zur Sache ein. Sie räumten darin eine Beteiligung an einem Handel mit Betäubungsmitteln in geringem Umfang ein, stellten jedoch ein Handeln als Mitglied einer Bande oder in sonstigem Zusammenwirken mit einer oder einem Mitangeklagten in Abrede. Der Angeklagte C. machte keine Angaben zur Sache.
72. Die Verfahrensbeanstandungen greifen durch.
8a) Die Rügen sind zulässig.
9aa) Nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO müssen Verfahrensrügen in bestimmter Form erhoben und durch Angabe der den vorgeblichen Mangel enthaltenden Tatsachen begründet werden. Der Revisionsführer muss dabei die den Mangel enthaltenden Tatsachen so vollständig und genau angeben, dass das Revisionsgericht allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (st. Rspr.; vgl. Rn. 57 mwN; speziell zu den Anforderungen betreffend die Rüge des Verstoßes gegen die Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO siehe Rn. 34). Mit der Frage des Zusammenhangs zwischen dem gerügten Verfahrensfehler und dem Urteil braucht sich die Revisionsbegründung grundsätzlich nicht zu befassen. Lediglich in Ausnahmefällen, in denen das Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler nicht auf der Hand liegt, kann es für den Beschwerdeführer geboten sein, Tatsachen vorzutragen, aufgrund derer die Möglichkeit des Beruhens geprüft werden kann (, BGHSt 30, 131, 135; vgl. auch und Beschluss vom – 2 StR 127/07 mN; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 344 Rn. 65).
10bb) Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Die Beschwerdeführer waren weder verpflichtet, den Inhalt des Vermerks des Vorsitzenden vom mitzuteilen, noch sich dazu zu verhalten, ob den Angeklagten der Inhalt des schriftlichen Verständigungsvorschlags seitens ihrer Verteidiger bekanntgegeben wurde (vgl. Rn. 9 mwN; Schmitt/Köhler-StPO, 68. Aufl., § 243 Rn. 38a).
11b) Die Rügen sind auch begründet.
12Der Vorsitzende hat gegen seine aus § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO folgende Pflicht, über Erörterungen nach §§ 202a, 212 StPO zu berichten, die außerhalb einer Hauptverhandlung stattgefunden haben und deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist, verstoßen, weil er nach ausgesetzter Hauptverhandlung den Inhalt des schriftlichen Verständigungsvorschlags sowie die Reaktion der Verfahrensbeteiligten hierauf in dem ersten Termin der neuen mündlichen Verhandlung vom nicht mitgeteilt hat (vgl. Rn. 8 f. mwN).
13c) Der Verfahrensverstoß hat die Aufhebung des Urteils zur Folge, da dieses auf dem Rechtsfehler beruht.
14aa) Bei einem Verstoß gegen die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO ist bei Zugrundelegung der von der herkömmlichen Dogmatik des Beruhens (§ 337 Abs. 1 StPO) abweichenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Sinne eines um normative Aspekte angereicherten Beruhensbegriffs regelmäßig davon auszugehen, dass das Urteil auf diesem Verfahrensfehler beruht (vgl. BVerfG NJW 2013, 1058 Rn. 98; 2015, 1235 Rn. 28; 2020, 2461 Rn. 37 ff.; 2024, 1097 Rn. 55 ff.). Das Beruhen eines Urteils auf einer Verletzung der Mitteilungspflicht kann indes ausnahmsweise auch bei Zugrundelegung des normativen Beruhensbegriffs im Einzelfall zu verneinen sein. Dies gilt dann, wenn der Mitteilungsmangel sich nicht in entscheidungserheblicher Weise auf das Prozessverhalten des Angeklagten ausgewirkt haben kann sowie mit Blick auf die Kontrollfunktion der Mitteilungspflicht der Inhalt der geführten Gespräche zweifelsfrei feststeht und sicher ausgeschlossen werden kann, dass diese auf die Herbeiführung einer gesetzwidrigen Absprache gerichtet waren. Zu berücksichtigen sind dabei insbesondere die Schwere des Verstoßes und die Art der in der Hauptverhandlung nicht mitgeteilten Gesprächsinhalte (vgl. BVerfG NJW 2013, 1058 Rn. 98; 2015, 1235 Rn. 28; 2020, 2461 Rn. 37 ff.; 2024, 1097 Rn. 55 ff.). Auch dass der Angeklagte umfassend über die außerhalb der Hauptverhandlung geführten Gespräche informiert war, kann ein zu berücksichtigender Gesichtspunkt sein. Die Unterrichtung des Angeklagten durch seinen Verteidiger über den Inhalt der Verständigungsgespräche vermag die Mitteilung durch das Gericht in der Hauptverhandlung jedoch grundsätzlich nicht zu ersetzen. Richterliche und nichtrichterliche Mitteilungen sind nicht von identischer Qualität; der Strafprozessordnung liegt an verschiedenen Stellen die Wertung zugrunde, dass Authentizität, Vollständigkeit und Verständlichkeit einer Mitteilung oder Belehrung nur durch richterliches Handeln verbürgt sind (BVerfG NJW 2024, 1097 Rn. 57 mwN).
15bb) Daran gemessen kann der Senat das Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensfehler nicht ausschließen. Der Verstoß wiegt schon deshalb schwer, weil weder der Inhalt des schriftlichen Verständigungsvorschlags – auch nicht teilweise – noch die Reaktionen der Verfahrensbeteiligten hierauf mitgeteilt worden sind. Hinzu kommt, dass der Vorsitzende unter geänderter Spruchkörperbesetzung in der öffentlichen Hauptverhandlung erklärte, die Strafkammer sei auch in neuer Besetzung bereit, den Verständigungsvorschlag zu erörtern. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund hätten die Angeklagten wie auch die Öffentlichkeit über den Inhalt des Vorschlags zwingend durch den Vorsitzenden unterrichtet werden müssen. Vor diesem Hintergrund spricht vieles dafür, dass sich die Verständigung nicht hinreichend „im Lichte der öffentlichen Hauptverhandlung“ offenbart hat (vgl. BVerfG NJW 2024, 1097 Rn. 62).
Jäger Wimmer Leplow
Allgayer Welnhofer-Zeitler
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:150525U1STR481.24.0
Fundstelle(n):
LAAAJ-94964