Erbrecht | Erbeinsetzung eines Arztes trotz berufsständischen Zuwendungsverbotes (BGH)
Eine Zuwendung von Todes wegen zugunsten des Hausarztes des
Erblassers ist nicht deshalb unwirksam, weil sie gegen ein den Hausarzt
treffendes berufsständisches Zuwendungsverbot verstößt ().
Hintergrund: Nach § 32 Abs. 1 Satz 1 der Berufsordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe (BO-Ä) ist es nicht gestattet, von Patienten oder anderen Geschenke oder andere Vorteile für sich oder Dritte zu fordern oder sich oder Dritten versprechen zu lassen oder anzunehmen, wenn hierdurch der Eindruck erweckt wird, dass die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinflusst wird.
Sachverhalt und Verfahrensgang: Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen eines Hausarztes, der den Erblasser seit 2015 behandelt hatte. Im Januar 2016 schloss der Erblasser mit dem Hausarzt sowie der ihn pflegenden Beklagten und deren Tochter vor einem Notar eine als "Betreuungs-, Versorgungs- und Erbvertrag" bezeichnete Vereinbarung. In dieser verpflichtete sich der Hausarzt gegenüber dem Erblasser zu verschiedenen ärztlichen Leistungen, u.a. zu medizinischer Beratung und Behandlung, zu Hausbesuchen und telefonischer Erreichbarkeit sowie zu Betreuungsleistungen im häuslichen Bereich. Als Gegenleistung sollte der Arzt im Falle des Todes des Erblassers ein dem Erblasser gehörendes Grundstück erhalten.
Im März 2016 verfügte der Erblasser in einem notariellen Testament, dass ihn die Beklagte hinsichtlich seines im Vertrag vom Januar 2016 nicht erfassten Vermögens allein beerben solle.
Im Januar 2018 verstarb der Erblasser. Die Beklagte nahm seinen Nachlass in Besitz. Im Dezember 2019 wurde über das Vermögen des Hausarztes das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger hat als Insolvenzverwalter die Beklagte auf Übertragung des dem Arzt in der Vereinbarung vom Januar 2016 zugewandten Grundstücks an die Insolvenzmasse in Anspruch genommen.
Die Klage hatte in erster Instanz vor dem Landgericht keinen Erfolg. Das OLG hat die Zuwendung des Grundstücks an den Hausarzt als Vermächtnis ausgelegt. Aus diesem könne der Kläger aber zugunsten der Insolvenzmasse keinen Anspruch aus § 2174 BGB herleiten, denn es sei gemäß den §§ 134, 2171 Abs. 1 BGB wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot unwirksam. Dem Hausarzt sei ein standesrechtlicher Verstoß gegen § 32 Abs. 1 Satz 1 der Berufsordnung der örtlich zuständigen Ärztekammer Westfalen-Lippe (BO-Ä) vorzuwerfen. Mit dem ihm zugewandten Grundstück habe er sich von einem Patienten einen anderen Vorteil im Sinne dieser Regelung versprechen lassen. Die Unwirksamkeit der Vermächtnisanordnung schränke auch die verfassungsrechtlich geschützte Testierfreiheit des Erblassers nicht ungerechtfertigt ein.
Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte Erfolg:
Die Zuwendung des Grundstücks an den Hausarzt im Wege des Vermächtnisses ist nicht wegen Verstoßes gegen § 32 Abs. 1 Satz 1 BO-Ä unwirksam. Der Senat hat nicht festgestellt, ob das Vermächtnis diese Vorschrift tatsächlich verletzt. Denn ein - unterstellter - Verstoß gegen § 32 Abs. 1 Satz 1 BO-Ä führt nicht zur Unwirksamkeit des Vermächtnisses gemäß den §§ 134, 2171 Abs. 1 BGB.
§ 32 Abs. 1 Satz 1 BO-Ä regelt als berufsständische Vorschrift das Verhältnis zwischen dem Arzt und der für ihn zuständigen Landesärztekammer. Die Vorschrift verbietet deshalb nur ein Verhalten des Arztes, dem es nicht gestattet ist, Geschenke oder andere Vorteile zu fordern, sich versprechen zu lassen oder anzunehmen. Nicht geschützt von diesem Verbot wird hingegen der zuwendende Patient oder die Erwartung seiner Angehörigen, diesen zu beerben. Die Vorschrift zielt darauf ab, die Unabhängigkeit des behandelnden Arztes sowie das Ansehen und die Integrität der Ärzteschaft zu sichern. Dies kann durch berufsrechtliche Sanktionen von Seiten der Ärztekammer ausreichend sichergestellt werden.
Auch die in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Testierfreiheit des Patienten verbietet es, ein zugunsten des behandelnden Arztes angeordnetes Vermächtnis wegen Verstoßes gegen § 32 Abs. 1 Satz 1 BO-Ä für unwirksam zu halten.
Für eine Beschränkung der Testierfreiheit des Patienten fehlt schon eine ausreichende gesetzliche Grundlage. Gesetzgeberische Entscheidungen, die für die Ausübung von Grundrechten wie der Testierfreiheit wesentlich sind, müssen durch den Gesetzgeber in einem Parlamentsgesetz getroffen werden und dürfen nicht anderen Normgebern, wie hier einem Berufsverband, überlassen werden.
Darüber hinaus ist der Eingriff in die Testierfreiheit des Patienten unverhältnismäßig. Das Interesse des Patienten, eine Verfügung von Todes wegen frei von offenem oder verstecktem Druck des ihn behandelnden Arztes errichten zu können, kann den Eingriff nicht rechtfertigen, weil dieses Interesse durch § 32 Abs. 1 Satz 1 BO-Ä nicht geschützt wird.
Der Senat hat deshalb das Berufungsurteil aufgehoben. Er hat die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das den Parteien noch Gelegenheit geben muss, zu einem von ihm bislang nicht geprüften Verstoß der Vereinbarung des Vermächtnisses in dem Erbvertrag gegen die guten Sitten vorzutragen.
Quelle: BGH, Pressemitteilung v. (il)
Fundstelle(n):
UAAAJ-94533