Nichtannahmebeschluss: Subsidiarität einer Verfassungsbeschwerde gegen die Versagung fachgerichtlichen Eilrechtsschutzes in einer äußerungsrechtlichen Sache - Verweisung auf Hauptsacherechtsweg
Gesetze: Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 5 Abs 1 S 1 GG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 1004 BGB, § 926 Abs 1 ZPO, § 935 ZPO, § 936 ZPO
Instanzenzug: Az: 9 U 79/22 Beschlussvorgehend Az: 7 O 93/22 Urteilvorgehend Az: 7 O 93/22 Beschluss
Gründe
I.
1Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein zivilgerichtliches Ausgangsverfahren, in dem der Beschwerdeführer im Wege der einstweiligen Verfügung unter anderem zur Unterlassung von Äußerungen verurteilt wurde. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seiner Grundrechte auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) und auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) sowie einen Verstoß gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG).
II.
2Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg, denn sie ist insgesamt unzulässig.
31. Der Verfassungsbeschwerde fehlt bereits das Rechtsschutzbedürfnis, soweit sie sich gegen die Beschlussverfügung des und deren Bestätigung durch das erstinstanzliche Urteil vom richtet.
4Die Beschlussverfügung wurde zunächst durch das erstinstanzliche Urteil prozessual überholt. Das Urteil des Landgerichts ist seinerseits prozessual überholt (vgl. BVerfGK 7, 312 <316>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1265/08 -, Rn. 26). Das Oberlandesgericht hat als Berufungsgericht die Sache in vollem Umfang überprüft und eine eigene Sachentscheidung getroffen. Mit Blick hierauf ist eine isoliert verbleibende Grundrechtsverletzung (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 929/23 -, Rn. 12) durch die erstinstanzlichen Entscheidungen weder vorgetragen noch ersichtlich.
52. Die gegen die Berufungszurückweisung durch gerichtete Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Sie genügt insoweit nicht den Substantiierungsanforderungen (§ 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG).
6a) Mit Blick auf die von dem Beschwerdeführer gerügte Verletzung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) zeigt die Verfassungsbeschwerde nicht auf, dass der Grundsatz der Rechtswegerschöpfung (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) gewahrt ist.
7aa) Zwar ist der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eröffnete Rechtsweg erschöpft, da ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts gemäß § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO ausgeschlossen ist. Der Beschwerdeführer ist indes auf den Rechtsweg in der Hauptsache zu verweisen.
8(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erfordert der Grundsatz der Subsidiarität im materiellen Sinne über die formelle Erschöpfung des Rechtswegs hinaus, dass der Beschwerdeführer die ihm zur Verfügung stehenden weiteren Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erreichen oder diese gar zu verhindern. Daher ist auch die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache geboten, wenn dort nach der Art des gerügten Grundrechtsverstoßes die Gelegenheit besteht, der verfassungsrechtlichen Beschwer abzuhelfen (vgl. BVerfGE 79, 275 <278 f.>; 86, 15 <22 f.>; 104, 65 <71>). Dies ist regelmäßig anzunehmen, wenn - wie vorliegend mit der vom Beschwerdeführer erhobenen Rüge einer Verletzung seines Grundrechts auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG - mit der Verfassungsbeschwerde Grundrechtsverletzungen gerügt werden, die sich auf die Hauptsache beziehen (vgl. BVerfGE 86, 15 <22>; 104, 65 <71>).
9(2) Rechtsschutz in der Hauptsache kann der Beschwerdeführer erlangen, indem er den in § 926 Abs. 1, § 936 ZPO vorgesehenen Antrag auf Fristsetzung zur Erhebung der Hauptsacheklage durch den Verfügungskläger stellt. Kommt dieser der Fristsetzung nicht nach, kann der Beschwerdeführer das Aufhebungsverfahren nach § 926 Abs. 2, § 936 ZPO betreiben. Zudem enthält § 926 ZPO nach der Rechtsprechung der Fachgerichte keine erschöpfende Regelung der Rechte des von einer einstweiligen Verfügung Betroffenen, sondern lässt dessen Berechtigung unberührt, grundsätzlich wahlweise auch im Wege der negativen Feststellungsklage eine Klärung des der einstweiligen Verfügung zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses herbeizuführen und auf der Grundlage eines obsiegenden Urteils die Aufhebung der Eilentscheidung gemäß §§ 927, 936 ZPO zu verlangen (vgl. -, Rn. 14; BVerfGK 10, 153 <155>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1962/23 -, Rn. 10).
10bb) Die Voraussetzungen, unter denen nach § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG ausnahmsweise von der Rechtswegerschöpfung abgesehen werden kann, sind von dem Beschwerdeführer entgegen § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG weder hinreichend substantiiert vorgetragen (vgl. zu diesem Erfordernis: BVerfGE 76, 248 <251>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 2164/21 -, Rn. 20) noch sonst ersichtlich.
11(1) Ein Beschwerdeführer darf bei der Rüge von Grundrechtsverletzungen, die sich auf die Hauptsache beziehen, dann nicht auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werden, wenn dies für ihn unzumutbar ist, etwa weil die Durchführung des Verfahrens von vornherein und offensichtlich aussichtslos erscheinen muss (vgl. BVerfGE 70, 180 <186>; 86, 15 <22 f.>), oder wenn die Entscheidung von keiner weiteren tatsächlichen und rechtlichen Klärung abhängt und diejenigen Voraussetzungen gegeben sind, unter denen das Bundesverfassungsgericht gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG sofort entscheiden kann (vgl. BVerfGE 79, 275 <279>; 86, 15 <22 f.>; 104, 65 <71>; BVerfGK 10, 153 <155>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2290/23 - , Rn. 24).
12Die Aussichtslosigkeit des Hauptsacheverfahrens lässt sich nach diesem Maßstab nicht erkennen. Insbesondere kann der Beschwerdeführer im Hauptsacheverfahren nach dem dort maßgeblichen Beweismaß des Vollbeweises (§ 286 ZPO) zur Nachprüfung stellen (vgl. BVerfGK 10, 153 <156>), ob die beanstandeten Äußerungen auf einem zutreffenden Tatsachenkern beruhen. Davon kann im Streitfall die Beurteilung abhängen, ob es sich bei den hieran anknüpfenden Vorwürfen des Beschwerdeführers gegenüber dem Verfügungskläger um eine auf diesen Tatsachen fußende Schlussfolgerung und damit um eine nicht willkürlich aus der Luft gegriffene Wertung handelt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2619/13 -, Rn. 14). Zwar ist ein Obsiegen des Beschwerdeführers keineswegs gewiss. Als von vornherein aussichtslos lässt sich das Hauptsacheverfahren deshalb aber nicht betrachten (vgl. BVerfGE 70, 180 <186>; 104, 65 <71>).
13(2) Jedenfalls zeigt der Beschwerdeführer nicht auf, von der angegriffenen Entscheidung in existentieller Weise betroffen zu sein, die einen schweren und unabwendbaren Nachteil im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG begründen könnte. Hierzu fehlt in der Verfassungsbeschwerde jeglicher Vortrag.
14b) Hinsichtlich der weiteren Rügen ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil ihre Begründung eine Verletzung von Rechten im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG inhaltlich nachvollziehbar nicht erkennen lässt und sie daher offensichtlich nicht den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG genügt.
15Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
16Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2025:rk20250522.1bvr006723
Fundstelle(n):
KAAAJ-93949