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BGH Beschluss v. - I ZR 168/24

Instanzenzug: Az: 6 U 16/24vorgehend Az: 84 O 104/22

Gründe

1I. Die Klägerin vertreibt über ihren Online-Shop die Matratze "B.    ". Die Beklagte stellt Matratzen und andere Bettwaren her und vertreibt ihre Produkte sowie Bettwaren anderer Hersteller im Internet unter www.m    c   .de, aber auch über ein großes Filialnetz.

2Die Beklagte bewarb - soweit für das Beschwerdeverfahren relevant - am die Matratzen "Be  S    " (Anlage K 2) und "M   Sl  Mo   " (Anlage K 3) sowie im August 2023 die Matratze "Beširović    D  Sen   " (Anlage K 26) unter Bezugnahme auf eine unverbindliche Preisempfehlung (UVP). In der Werbung befand sich neben dem jeweils aktuellen Preis ein (durchgestrichener) Hinweis auf die unverbindliche Preisempfehlung:

(Anlage K 2)

(Anlage K 3)

(Anlage K 26)

3Die Klägerin meint, die in der Werbung jeweils angegebene unverbindliche Preisempfehlung sei keine ernsthafte unverbindliche Preisempfehlung des Herstellers gewesen. Sie hat nach erfolgloser Abmahnung - soweit für das Beschwerdeverfahren relevant - beantragt,

I. die Beklagte zu verurteilen, es unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr

1....;

2.einen Preisvergleich mit einer UVP durchzuführen, es sei denn, der UVP liegt eine aktuelle und ernsthafte Kalkulation als angemessener Verbraucherpreis zugrunde, wenn das geschieht wie in Anlage K2 oder K3 oder K26 dargestellt.

II. ...

4Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die nur gegen die Verurteilung nach dem Antrag I 2 gerichtete Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und die Klage insoweit abgewiesen.

5Das Berufungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin. Mit der angestrebten Revision möchte sie die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils hinsichtlich des Antrags I 2 erreichen.

6II. Das Berufungsgericht hat angenommen, der mit dem Antrag I 2 geltend gemachte Unterlassungsanspruch sei unbegründet. Es hat dazu im Wesentlichen ausgeführt:

7Die Werbung mit einer existierenden unverbindlichen Preisempfehlung könne irreführend sein, wenn die Preisempfehlung des Herstellers nicht auf der Grundlage einer ernsthaften Kalkulation als angemessener Verbraucherpreis ermittelt worden sei. Entscheidend sei die konkrete Wettbewerbslage auf dem relevanten Markt.

8Die Klägerin habe für den von ihr darzulegenden und zu beweisenden Irreführungstatbestand des § 5 Abs. 2 Nr. 2 UWG nicht schlüssig vorgetragen.

9Die Klägerin müsse nachvollziehbar darlegen, dass die unverbindlichen Preisempfehlungen zum Zeitpunkt der angegriffenen Werbung weder von (reinen) Onlinehändlern noch im (rein) stationären Handel noch von Multichannel-Händlern in hinreichendem Umfang verwendet worden seien. Ihr Vortrag zur Preisgestaltung im stationären Handel sei insgesamt unzureichend. Eine hinreichende Marktrecherche habe die Klägerin nicht durchgeführt. Eine ausforschende Beweisaufnahme hierzu durch Vernehmung der von der Klägerin benannten Zeugen komme nicht in Betracht. Für die gebotene umfassendere Marktuntersuchung sei es erforderlich, in einem repräsentativen Umfang auch Matratzenhändler zu erfassen, die ausschließlich im stationären Handel tätig seien, zum Beispiel mittels einer exemplarischen Recherche in bestimmten größeren, mittleren und kleineren Städten im Bundesgebiet. Dem werde die Nachfrage der Klägerin in drei eng beieinanderliegenden Großstädten (Köln, Bonn, Kassel) nicht gerecht. Die im Januar 2023 durchgeführte Recherche sei nicht repräsentativ und auch zeitlich ohne Aussagekraft. Der Vortrag der Klägerin sei weitgehend pauschal und zum Inhalt der Gespräche kaum einlassungsfähig.

10Unabhängig vom unzureichenden Vortrag der Klägerin zur Preisgestaltung im stationären Handel scheide ein Unterlassungsanspruch bezüglich der Werbungen für die Matratze "M   Sl  Mo   " (90x190, H2) auch deshalb aus, weil die Klägerin nicht einmal schlüssig dargelegt habe, dass die unverbindliche Preisempfehlung von den Onlinehändlern nicht in hinreichendem Umfang verwendet worden sei. Auch bezüglich der Werbung für die Matratze "Be  S    " (100x200, H3) sei der Vortrag zu den im Onlinehandel üblicherweise geforderten Preisen unzureichend.

11Hinsichtlich der Werbung für die Matratze "BeS   D  Sen   " (90x200, H3) könnten die vorgelegten zwölf Angebote aus August 2023 zwar für einen Mondpreis sprechen. Es sei allerdings fraglich, ob sich hieraus bereits ein hinreichend sicheres Bild ergebe. Die Frage könne aber offenbleiben, weil es für diese Matratze jedenfalls am erforderlichen schlüssigen Tatsachenvortrag zum stationären Handel fehle.

12III. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur teilweisen Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Beschwerde rügt mit Recht, das Berufungsgericht habe das Verfahrensgrundrecht der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

131. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (vgl. BVerfG, WM 2012, 492 [juris Rn. 14]).

14a) Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt daher vor, wenn das Gericht die Substantiierungsanforderungen offenkundig überspannt und es dadurch versäumt, den Sachvortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und die angebotenen Beweise zu erheben (, NJW-RR 2024, 1474 [juris Rn. 23] mwN).

15b) Der Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatgerichts, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen nach weiteren Einzelheiten zu befragen (vgl. , MMR 2023, 504 [juris Rn. 14] mwN).

16c) Auch die Ablehnung eines Beweisantrags kann den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzen, wenn sie keine Stütze im Prozessrecht findet. Nicht nachzukommen ist einem Beweisantritt, wenn er nicht dem Beweis vorgetragener Tatsachen zu dienen bestimmt ist, sondern die Ausforschung von Tatsachen oder die Erschließung von Erkenntnisquellen, die es erst ermöglichen sollen, bestimmte Tatsachen zu behaupten, zum Inhalt hat. Entscheidend für die Unterscheidung eines solchen Beweisermittlungsantrags von einem beachtlichen Beweisantrag ist, ob die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufstellt ( [juris Rn. 18 f.] mwN; , juris Rn. 15).

172. Diesen Maßstäben genügt das Berufungsurteil nicht. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht den Vortrag der Klägerin zu den Marktbedingungen des stationären Handels für Matratzen im Zeitpunkt der beanstandeten Werbungen für unschlüssig gehalten und eine Vernehmung der von der Klägerin benannten Zeugen als ausforschende Beweisaufnahme abgelehnt.

18a) Die Klägerin hat vorgetragen, ihr anwaltlicher Bevollmächtigter habe für die exemplarische Recherche in Köln, Bonn und Kassel zunächst im jeweiligen Telefonbuch die Matratzenfachhändler recherchiert und diese dann telefonisch kontaktiert. Keiner dieser Händler habe die streitgegenständlichen Modelle im Sortiment gehabt. Zum Beweis dafür, dass die Modelle in diesen Geschäften nicht angeboten würden, hat die Klägerin den jeweiligen Inhaber oder Geschäftsführer als Zeugen benannt. In der Berufungserwiderung hat die Klägerin zu weiteren (erfolglosen) Recherchen bei stationären Matratzenhändlern in Bonn vorgetragen. Die Nichtbelieferung des stationären Handels mit den Matratzenmodellen gemäß Anlage K 2 und Anlage K 26 hat sie zudem durch das Zeugnis der Geschäftsführer des Herstellers Be  unter Beweis gestellt. Außerdem hat die Klägerin vorgetragen, auch die auf der Internetseite des Herstellers Be  genannten Vertriebspartner der Marken "Be " und "BeS   " hätten weder die Matratze "Be  S    " (Anlage K 2) noch die Matratze "BeS   D  Sen   " (Anlage K 26) im Sortiment.

19b) Diesen Vortrag einschließlich der Beweisangebote der Klägerin hat das Berufungsgericht als unzureichend für einen Beleg der Marktverhältnisse im stationären Handel, weitgehend pauschal und zum Inhalt der Gespräche kaum einlassungsfähig gehalten. Das verletzt die Klägerin in ihrem Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG.

20aa) Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die erforderlichen Darlegungen zum stationären Handel überspannt, indem es - ohne nähere Befassung mit dem konkreten Vortrag - darauf abgestellt hat, die Nachfrage der Klägerin in den drei (angeblich) eng beieinanderliegenden Großstädten Köln, Bonn und Kassel werde dem Erfordernis einer repräsentativen Marktuntersuchung zu rein stationären Matratzenhändlern in bestimmten größeren, mittleren und kleineren Städten im Bundesgebiet nicht gerecht. Insbesondere mit Blick auf die konkreten Auskünfte der kontaktierten Händler, nach denen diese überwiegend nur eigene oder nur Matratzen einiger weniger Hersteller führen, ist schon nicht ersichtlich, weshalb sich dies in anderen Städten im Bundesgebiet anders darstellen sollte. Hinzu kommt der Vortrag der Klägerin, die Vertriebspartner des Herstellers von zwei der streitgegenständlichen Matratzenmodelle führten diese nicht in ihrem Sortiment. Das Berufungsgericht hätte sich zumindest mit dem Inhalt der von der Klägerin durchgeführten Marktrecherche befassen müssen, die das Landgericht noch als hinreichend erachtet hatte.

21Hinsichtlich der vom Berufungsgericht beanstandeten zeitlichen Bezugspunkte der Recherche ist gerade mit Blick auf den rein stationären Handel und die konkret eingeholten Auskünfte, wonach die Händler (ebenso wie die von den Herstellern benannten Vertriebspartner) die streitgegenständlichen Marken beziehungsweise Matratzen überhaupt nicht im Sortiment hätten, nicht ersichtlich, dass oder weshalb eine spätere oder frühere Recherche zu anderen Ergebnissen hätte führen können.

22Soweit das Berufungsgericht meint, der Vortrag der Klägerin sei weitgehend pauschal und zum Inhalt der Gespräche kaum einlassungsfähig, erschließt sich nicht, was die Klägerin zu den Telefonaten mit den Händlern in Bonn, Köln und Kassel mehr hätte angeben können als die Mitteilung, diese hätten die streitgegenständlichen Matratzenmodelle nicht im Sortiment.

23bb) Danach verstößt auch die Ablehnung der Beweisanträge der Klägerin, die Geschäftsführer der kontaktierten Händler sowie die Geschäftsführer des Herstellers der Matratzen gemäß den Anlagen K 2 und K 26 als Zeugen dazu zu vernehmen, dass diese Modelle nicht im stationären Handel angeboten werden, gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Die unter Beweis gestellten Tatsachen sind unter Berücksichtigung des von der Klägerin gehaltenen Sachvortrags nicht ins Blaue hinein behauptet worden.

243. Die Verletzung des Anspruchs der Klägerin aus Art. 103 Abs. 1 GG ist betreffend die von ihr beanstandete Werbung für die Matratze "BeS   D  Sen   " (Anlage K 26) entscheidungserheblich. Insoweit beruht das Berufungsurteil allein auf der von der Beschwerde zu Recht als gehörsrechtsverletzend gerügten Annahme des Berufungsgerichts, es fehle an schlüssigem Vortrag der Klägerin zu den Marktverhältnissen im stationären Handel. Hinsichtlich dieses Matratzenmodells hat das Berufungsgericht offengelassen, ob die Klägerin schlüssig zu den Marktverhältnissen im Onlinehandel vorgetragen hat.

25Für die von der Klägerin beanstandete Werbung für die Matratzen "Be  S    " (Anlage K 2) und "M   S  M    " (Anlage K 3) fehlt es dagegen an der Entscheidungserheblichkeit der Gehörsrechtsverletzungen, weil das Berufungsgericht für diese Matratzenmodelle auch von unzureichendem Vortrag zu den Marktverhältnissen im Onlinehandel ausgegangen ist und die insoweit erhobenen Rügen ebenso wenig durchgreifen wie die weiteren gegen das Berufungsurteil gerichteten Beanstandungen der Nichtzulassungsbeschwerde.

26IV. Die weitergehende Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist deshalb zurückzuweisen. Die Rechtssache hat insoweit keine grundsätzliche Bedeutung und auch weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:070525BIZR168.24.0

Fundstelle(n):
KAAAJ-93440