Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: Zur Auswirkung einer Verletzung der Benachrichtigungspflicht über eine Inhaftierung (Art 104 Abs 4 GG) auf die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung selbst (hier offengelassen) - teils erfolgreiche Verfassungsbeschwerde wegen Unterlassen der nach Art 104 Abs 4 GG vorgeschriebenen Benachrichtigung nahestehender Personen über die Inhaftierung des Beschwerdeführers - Gegenstandswertfestsetzung
Gesetze: Art 2 Abs 2 S 2 GG, Art 19 Abs 4 GG, Art 104 Abs 1 S 1 GG, Art 104 Abs 4 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, Art 36 Abs 1 KonsÜbk Wien, § 37 Abs 2 S 2 RVG
Instanzenzug: Az: 10 T 62/22 Beschlussvorgehend Az: 527 XIV 57/22B Beschluss
Gründe
I.
11. Der algerische Beschwerdeführer reiste erstmals im Jahr 2012 in das Bundesgebiet ein. Ein Asylantrag blieb erfolglos. Im September 2017 wurde der Beschwerdeführer aus der Bundesrepublik ausgewiesen, wobei das ausweisungsbezogene Einreise- und Aufenthaltsverbot auf zehn Jahre ab dem Tag der Ausreise befristet wurde. Im Januar 2018 wurde der Beschwerdeführer nach Algerien abgeschoben. Am wurde er von der Polizei wiederum im Bundesgebiet festgestellt, festgenommen und vorläufig in Polizeigewahrsam genommen. Noch am selben Tag beantragte das Regierungspräsidium Karlsruhe, gegen den Beschwerdeführer Haft zur Sicherung der Abschiebung anzuordnen.
22. Am hörte eine Richterin am Amtsgericht Stuttgart den anwaltlich noch nicht vertretenen Beschwerdeführer an. Dem Protokoll ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer erklärte, eine Benachrichtigung des algerischen Konsulats nicht zu wünschen. Des Weiteren enthält das Protokoll folgende Passage: "Der Betroffene wurde über die Möglichkeit der Benachrichtigung von Angehörigen bzw. Personen ihres (sic) Vertrauens belehrt. Er kennt keine Telefonnummer. Sein Akku ist leer. Er will aus Darmstadt telefonieren."
33. Mit Beschluss vom ordnete das Amtsgericht gegen den Beschwerdeführer Haft zur Sicherung der Abschiebung an. Die Benachrichtigung eines Angehörigen oder einer Vertrauensperson des Beschwerdeführers unterblieb. Der Beschwerdeführer wurde am zunächst in der Abschiebehafteinrichtung in Darmstadt untergebracht und am in die Einrichtung in Pforzheim verlegt.
44. Die von dem zwischenzeitlich mandatierten Bevollmächtigten des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Amtsgerichts erhobene Beschwerde wies das zurück. Der Antrag des Beschwerdeführers, eine Verletzung seines Rechts aus Art. 104 Abs. 4 GG festzustellen, sei unbegründet. Der Beschwerdeführer sei auf die Möglichkeit, Angehörige oder Vertrauenspersonen zu benachrichtigen, hingewiesen worden. Durch seine Erklärung, er kenne keine Telefonnummern, sein Akku sei leer und er wolle "aus Darmstadt telefonieren", habe er zum Ausdruck gebracht, dass er von seinem Recht keinen Gebrauch machen wolle. Weil der Beschwerdeführer keine Telefonnummern angegeben habe, sei es dem Gericht nicht möglich gewesen, eine Vertrauensperson zu benachrichtigen.
55. Der Beschwerdeführer wurde am nach Algerien abgeschoben.
II.
6Der Beschwerdeführer hat am Verfassungsbeschwerde erhoben.
71. Er wendet sich gegen den über die Anordnung der Abschiebungshaft und gegen den soweit es in Ziffer 2 seinen Antrag auf Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 104 Abs. 4 GG zurückgewiesen hat. Bei sachgerechter Auslegung der Verfassungsbeschwerde begehrt der Beschwerdeführer zudem die Feststellung, dass das Amtsgericht durch das Unterlassen einer Benachrichtigung eines Angehörigen oder einer Vertrauensperson von seiner Inhaftierung gegen Art. 104 Abs. 4 GG verstoßen hat.
82. Er führt aus, das Amtsgericht habe gegen Art. 104 Abs. 4 GG verstoßen, indem es niemanden von seiner Inhaftierung informiert habe. Das Landgericht habe den Verstoß perpetuiert und ihn in seinen durch Art. 104 Abs. 4 GG und Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG geschützten Grundrechten verletzt, indem es angenommen habe, er habe auf die Benachrichtigung von Angehörigen oder Vertrauenspersonen verzichtet. Durch seine Aussagen sei vielmehr deutlich geworden, dass er jemanden von seiner Freiheitsentziehung habe benachrichtigen wollen. Es habe dem Gericht oblegen nachzufragen und ihn durch die Möglichkeit, sein Handy aufzuladen, in die Lage zu versetzen, die - augenscheinlich vorhandene - Telefonnummer einer zu benachrichtigenden Person zu nennen. Es sei nicht mit Art. 104 Abs. 4 GG vereinbar, dass ein Gericht darauf vertraue, dass es einem Inhaftierten gelingen werde, aus der Haftanstalt heraus Vertrauenspersonen oder Angehörige von seiner Freiheitsentziehung zu benachrichtigen.
III.
9Das Ministerium der Justiz und für Migration Baden-Württemberg und das Regierungspräsidium Karlsruhe hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Ausländerakte des Beschwerdeführers und die die Abschiebungshaft betreffenden Verwaltungsvorgänge haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
IV.
10Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, soweit sich der Beschwerdeführer gegen das Unterlassen des Amtsgerichts wendet, einen Angehörigen beziehungsweise eine Vertrauensperson des Beschwerdeführers über die Anordnung der Abschiebungshaft zu benachrichtigen, und soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen Ziffer 2 des Tenors des richtet, durch die das Landgericht den Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 104 Abs. 4 GG zurückgewiesen hat. Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine stattgebende Entscheidung liegen insoweit vor. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung eines in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechts des Beschwerdeführers - namentlich seines Grundrechts aus Art. 104 Abs. 4 GG, auch in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG - angezeigt (1.). Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (2.).
111. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen das Unterlassen der Benachrichtigung einer Vertrauensperson durch das Amtsgericht wendet sowie gegen Ziffer 2 des Tenors des durch die das Landgericht den Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 104 Abs. 4 GG zurückgewiesen hat, ist sie zulässig und in einer die Zuständigkeit der Kammer eröffnenden Weise offensichtlich begründet.
12a) Das Amtsgericht hat das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 104 Abs. 4 GG verletzt, indem es pflichtwidrig weder einen Angehörigen noch eine Vertrauensperson des Beschwerdeführers von dessen Inhaftierung informiert hat.
13aa) Art. 104 Abs. 4 GG, wonach von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen ist, ist nicht nur eine objektive Verfassungsnorm, die dem Richter eine Verpflichtung auferlegt; sie verleiht dem Festgehaltenen vielmehr zugleich ein subjektives Recht darauf, dass die Vorschrift beachtet wird (vgl. BVerfGE 16, 119 <122>; 38, 32 <34 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 2345/16 - Rn. 42). Der Zweck des Art. 104 Abs. 4 GG ist es, einer in Haft genommenen Person den Kontakt nach außen zu sichern und damit ein spurloses Verschwinden von Personen zu verhindern (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 2345/16 -, Rn. 43; Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 656/20 -, Rn. 11; - 2 BvR 1816/22 -, Rn. 15; - 2 BvR 1210/23 -, Rn. 11).
14Das Gericht hat den Festgehaltenen zunächst über die Benachrichtigungspflicht des Art. 104 Abs. 4 GG zu informieren. Macht der Betroffene daraufhin Angaben zu einer zu benachrichtigenden Person, auf deren Grundlage eine Kontaktaufnahme nicht ohne Weiteres möglich ist, so obliegt dem Gericht eine Pflicht zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen, wie etwa der Einholung einer Meldeauskunft. Danach hat es sicherzustellen, dass die Benachrichtigung von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung tatsächlich erfolgt. Diese Benachrichtigung kann nicht davon abhängen, ob der Festgehaltene ohne weitere Vorbereitung - und gegebenenfalls sogar auswendig - Kontaktdaten seiner Vertrauensperson nennen kann (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1816/22 -, Rn. 18). Eine solche Annahme würde, ebenso wie die bloße Einräumung einer Benachrichtigungsmöglichkeit, die Schutzfunktion der dem Gericht von Amts wegen obliegenden Benachrichtigungspflicht aushebeln.
15bb) Gemessen an den vorstehenden Maßstäben hat das Amtsgericht das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 104 Abs. 4 GG verletzt.
16(1) Das Amtsgericht hat gegen die ihm nach Art. 104 Abs. 4 GG obliegenden Pflichten bereits dadurch verstoßen, dass es den Beschwerdeführer ausweislich der Niederschrift zur Anhörung lediglich auf eine "Möglichkeit" hingewiesen hat, einen Angehörigen oder eine Vertrauensperson von seiner Inhaftierung zu benachrichtigen. Dem Gehalt des Art. 104 Abs. 4 GG als objektiver Verfassungsnorm, die den Richter unabhängig von einem entsprechenden Verlangen des Festgehaltenen zur Benachrichtigung einer Vertrauensperson verpflichtet, widerspricht es aber, wenn das Gericht bei dem Betroffenen den Eindruck erweckt, eine Benachrichtigung sei optional. Art. 104 Abs. 4 GG verlangt demgegenüber unmissverständlich, dass ein Angehöriger oder eine Vertrauensperson unterrichtet werden muss; Aufgabe des Gerichts ist es, diese Benachrichtigung selbst vorzunehmen oder sie auf andere Weise sicherzustellen.
17(2) Deshalb hat das Amtsgericht den Beschwerdeführer in seinem durch Art. 104 Abs. 4 GG geschützten Grundrecht verletzt, indem es die Benachrichtigung eines Angehörigen oder einer Vertrauensperson des Beschwerdeführers unterlassen hat. Ein verfassungsrechtlich legitimer Grund für die unterlassene Benachrichtigung ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist es vor dem Hintergrund der protokollierten Aussage des Beschwerdeführers, dass "sein Akku leer" sei und er keine Telefonnummern kenne, fernliegend, dass Kontaktdaten von Vertrauenspersonen des Beschwerdeführers für das Gericht nicht erreichbar oder ermittelbar gewesen sein könnten. Vielmehr hätte es der Haftrichterin oblegen, Namen zu erfragen und gegebenenfalls Kontaktdaten über die Meldebehörden zu ermitteln oder es dem Beschwerdeführer zu ermöglichen, sein Handy kurzzeitig in Betrieb zu nehmen, um die erforderlichen Kontaktdaten selbst angeben zu können.Denn die Äußerung des Beschwerdeführers legt nahe, dass er in der Lage gewesen wäre, dem Gericht die Kontaktdaten eines Angehörigen oder einer Vertrauensperson zu nennen, sofern man ihm gestattet hätte, sein Handy kurzzeitig an ein Ladegerät anzuschließen, um die gespeicherten Verbindungsdaten abzurufen. Auch die protokollierte Aussage des Beschwerdeführers, er wolle später "aus Darmstadt telefonieren", ließ die Benachrichtigungspflicht des Gerichts nicht entfallen. Ein Verzicht auf das dem Beschwerdeführer verfassungsrechtlich garantierte Recht aus Art. 104 Abs. 4 GG kann darin schon deshalb nicht erblickt werden, weil er über die Benachrichtigungspflicht nicht hinreichend informiert worden war.
18(3) Die spätere Kenntnis des Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers von dessen Inhaftierung ändert an dem Vorliegen des Verfassungsverstoßes nichts (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 2345/16 -, Rn. 44). Denn der Rechtsanwalt wurde nicht wie von Art. 104 Abs. 4 GG gefordert durch den Richter informiert und erfuhr zudem nicht unverzüglich von der Inhaftierung des Beschwerdeführers.
19b) Das Landgericht hat den Beschwerdeführer ebenfalls in seinem Recht aus Art. 104 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG verletzt, indem es dessen Antrag auf Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 104 Abs. 4 GG zurückgewiesen und den Verstoß des Amtsgerichts damit erneuert und perpetuiert hat.
20aa) Art. 19 Abs. 4 GG enthält ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 8, 274 <326>; 67, 43 <58>; 96, 27 <39>). Der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz fordert, dass das Gericht das Rechtsschutzbegehren in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht umfassend prüfen kann. Soweit die Effektivität des Rechtsschutzes von der Offenlegung der Vorgänge abhängt, die zu der angegriffenen Maßnahme beziehungsweise dem angegriffenen Unterlassen geführt haben, wird auch die Kenntnisnahme dieser Vorgänge durch das Gericht von dem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG umschlossen (vgl. BVerfGE 101, 106 <123>). Dementsprechend können sich aus der Rechtsschutzgarantie Dokumentations- und Begründungspflichten ergeben, deren Erfüllung einen effektiven Rechtsschutz erst ermöglicht (vgl. BVerfGE 118, 168 <208>).
21bb) Mit Art. 104 Abs. 4 und Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG unvereinbar ist die Annahme des Landgerichts, der Beschwerdeführer habe auf eine Benachrichtigung von Angehörigen oder Personen seines Vertrauens verzichtet. Dies ist bereits deswegen unzulässig, weil das Landgericht dadurch seine eigene nachträgliche Einschätzung an die Stelle der nicht nachvollziehbaren Entscheidung des Amtsgerichts setzt; dies entspricht nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen (vgl. BVerfGE 103, 142 <159>). Vielmehr hätte es dem Landgericht oblegen festzustellen, aus welchem Grund die Haftrichterin am Amtsgericht von der Benachrichtigung Angehöriger abgesehen hat. Im Übrigen verkennt das Landgericht ebenfalls, dass die Äußerung des Beschwerdeführers, er wolle "aus Darmstadt telefonieren", bereits deshalb keinen Verzicht darstellen kann, weil das Amtsgericht ihn über sein Recht aus Art. 104 Abs. 4 GG nicht hinreichend aufgeklärt hatte.
22cc) Selbst wenn die Mitteilung des Beschwerdeführers, er wolle "aus Darmstadt telefonieren", dahin zu deuten sein könnte, dass er erst von der Abschiebehafteinrichtung Darmstadt aus, in der er am zunächst untergebracht wurde, telefonieren wollte, so hätte er mit dieser Formulierung doch jedenfalls seinen Wunsch, eine (noch unbenannte) Person oder Stelle telefonisch zu kontaktieren, unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Auch die Erwähnung von (für ihn derzeit unerreichbaren) Telefonnummern durch den Beschwerdeführer deutete darauf hin, dass er mit einer (oder mehreren) Person(en) in Kontakt treten wollte. Ein Verzicht konnte hierin gerade nicht erblickt werden; vielmehr konnte dieser Hinweis nur bedeuten, dass er die Telefonnummern von Kontaktpersonen nicht auswendig wusste, wohl aber auf seinem Handy gespeichert hatte.
23Im Übrigen müssen Angehörige oder Vertrauenspersonen durch den Richter und unverzüglich informiert werden. Es oblag nach den protokollierten Äußerungen des Beschwerdeführers weiterhin der Haftrichterin, so bald wie möglich eine von dem Beschwerdeführer benannte Person zu informieren.
24Vor diesem Hintergrund kann offenbleiben, ob Sinn und Zweck des Art. 104 Abs. 4 GG einen Verzicht des Betroffenen auf die Benachrichtigung von Vertrauenspersonen überhaupt zulassen. Jedenfalls wären an einen Verzicht strenge Anforderungen zu stellen und mögliche Verzichtserklärungen eng auszulegen (vgl. zu Letzterem: BVerfGE 16, 119 <122>).
252. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den über die Anordnung der Abschiebungshaft wendet, wird sie nicht zur Entscheidung angenommen, da sie unzulässig ist.
26Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verletzt die Nichtbenachrichtigung eines Angehörigen beziehungsweise einer Vertrauensperson den in Haft befindlichen Betroffenen nicht zusätzlich in seinem Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG, sodass die Haftanordnung nicht wegen der Nichtbenachrichtigung aufzuheben ist; dass diese Rechtsprechung erneuter Überprüfung bedürfte, macht die vorliegende Verfassungsbeschwerde nicht hinreichend substantiiert geltend. Das Bundesverfassungsgericht sieht daher insofern von einer weiteren Prüfung ab, wenngleich Zweifel bestehen, ob vor dem Hintergrund der herausragenden Bedeutung des in Art. 104 Abs. 4 GG verankerten Benachrichtigungsrechts des Inhaftierten an dieser Rechtsauffassung festzuhalten ist.
27Die Bedeutung der Benachrichtigungspflicht aus Art. 104 Abs. 4 GG wird auch durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unterstrichen, der - im Anschluss an Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs (IGH, ICJ Reports 2001, 464 Rn. 63, 125 - LaGrand; ICJ Reports 2004, 12 Rn. 119, 122, 124 - Avena; vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 2485/07 u.a. -, juris, Rn. 33) - entschieden hat, dass ein Verstoß gegen die - unter anderem ähnlichen Zwecken wie Art. 104 Abs. 4 GG dienende - Belehrungspflicht aus Art. 36 Abs. 1 WÜK zur Rechtswidrigkeit der Haft des Betroffenen führt, wenn das Verfahren bei pflichtgemäßem Vorgehen zu einem anderen Ergebnis hätte führen können; darlegungspflichtig sei insofern der Betroffene ( -, juris, Rn. 12).
V.
281. Der Beschluss des Landgerichts ist insoweit aufzuheben, als darin der Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung, dass Art. 104 Abs. 4 GG verletzt ist, zurückgewiesen wird. Die Sache ist insoweit zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2, § 95 Abs. 2 BVerfGG).
292. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG. Da der nicht zur Entscheidung angenommene Teil der Verfassungsbeschwerde von untergeordneter Bedeutung ist, sind die Auslagen in vollem Umfang zu erstatten (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1333/21 -, Rn. 67 m.w.N.). Die Festsetzung des Gegenstandswerts findet ihre Grundlage in § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (vgl. auch BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).
30Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2025:rk20250416.2bvr084622
Fundstelle(n):
NAAAJ-92587