Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde eines Gasversorgungsnetzbetreibers bzgl der fachgerichtlichen Kontrolle von Entscheidungen der Bundesnetzagentur im Rahmen der Anreizregulierung - ua Rüge einer Verletzung der Rechtsschutzgarantie nicht hinreichend substantiiert
Gesetze: Art 12 Abs 1 GG, Art 19 Abs 4 S 1 GG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 9 Abs 3 S 1 ARegV, § 88 Abs 2 EnWG, § 88 Abs 4 EnWG
Instanzenzug: Az: EnVR 10/20 Beschluss
Gründe
1Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Festlegung des generellen sektoralen Produktivitätsfaktors zur Bestimmung der Erlösobergrenze für Betreiber von Gasversorgungsnetzen für die Dauer der dritten Regulierungsperiode (2018 bis 2022) durch die Bundesnetzagentur sowie einen die Rechtmäßigkeit der Festlegung bestätigenden Beschluss des Bundesgerichtshofs.
I.
21. Die Beschwerdeführerin betreibt ein Gasnetz.
32. Mit dem angegriffenen Beschluss vom legte die Beschlusskammer 4 der Bundesnetzagentur für die Bestimmung der Erlösobergrenze nach § 4 in Verbindung mit § 6 ARegV für die Dauer der dritten Regulierungsperiode gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 ARegV einen generellen sektoralen Produktivitätsfaktor in Höhe von 0,49 % für Betreiber von Gasversorgungsnetzen fest.
43. Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin hat das den Beschluss der Bundesnetzagentur vom aufgehoben und die Bundesnetzagentur verpflichtet, unter Beachtung seiner Rechtsauffassung erneut über die Festlegung des generellen sektoralen Produktivitätsfaktors zu entscheiden.
54. Der Bundesgerichtshof hat mit dem angegriffenen Beschluss vom auf die Rechtsbeschwerde der Bundesnetzagentur den aufgehoben und die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss der Bundesnetzagentur vom zurückgewiesen.
65. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 19 Abs. 4 GG, hilfsweise Art. 47 GRCh, Art. 12 Abs. 1 GG, hilfsweise Art. 16 GRCh, Art. 14 GG, hilfsweise Art. 17 GRCh, und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
II.
7Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Ihr kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne des § 93a Abs. 2 lit. a BVerfGG zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 lit. b BVerfGG), weil die Verfassungsbeschwerde unzulässig ist (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>). Gemessen an den Begründungsanforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG (1) legt sie weder eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG (2) noch des Art. 47 Abs. 1 GRCh (3) noch des Art. 12 Abs. 1 GG oder des Art. 16 GRCh (4) noch des Art. 14 Abs. 1 oder Art. 17 GRCh (5) noch des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (6) ausreichend dar.
81. Die Begründung der Verfassungsbeschwerde soll dem Bundesverfassungsgericht eine zuverlässige Grundlage für die weitere Behandlung des Verfahrens verschaffen (vgl. BVerfGE 15, 288 <292>). Hiernach ist der Beschwerdeführer gehalten, den Sachverhalt, aus dem sich die Grundrechtsverletzung ergeben soll, substantiiert und schlüssig darzulegen. Es ist alles darzutun, was dem Gericht eine Entscheidung der verfassungsrechtlichen Fragen ermöglicht (BVerfGE 131, 66 <82>). Die Verfassungsbeschwerde muss sich insbesondere mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts auseinandersetzen und hinreichend substantiiert darlegen, dass eine Grundrechtsverletzung möglich erscheint (vgl. BVerfGE 89, 155 <171>; 108, 370 <386 f.>). Es muss deutlich werden, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (vgl. BVerfGE 78, 320 <329>; 99, 84 <87>; 115, 166 <179 f.>). Werden gerichtliche Entscheidungen angegriffen, muss sich der Beschwerdeführer auch mit deren Gründen auseinandersetzen (vgl. BVerfGE 101, 331 <345>; 105, 252 <264>). Schließlich muss die Verfassungsbeschwerde schlüssig darlegen, dass die angegriffenen Entscheidungen auf dem geltend gemachten Grundrechtsverstoß beruhen (vgl. BVerfGE 66, 155 <175>; 86, 133 <147>; 131, 66 <85>).
92. Die Verfassungsbeschwerde zeigt nicht ausreichend auf, dass der angegriffene Beschluss des Bundesgerichtshofs auf einer Verletzung der Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG beruht, weil er die gerichtliche Kontrolle zu weit zurückgenommen habe.
10a) Aus der Garantie effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG folgt grundsätzlich die Pflicht der Gerichte, die angefochtenen Verwaltungsakte in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig nachzuprüfen (vgl. BVerfGE 101, 106 <123>; 103, 142 <156>). Auch wenn die zugrundeliegende gesetzliche Regelung außerrechtliche fachliche Beurteilungen erfordert, überprüft das Gericht die behördliche Entscheidung grundsätzlich vollständig auf ihre Rechtmäßigkeit. Wenn unterhalb der gesetzlichen Vorgabe keine normativen Konkretisierungen für die fachliche Beurteilung solcher gesetzlicher Tatbestandsmerkmale bestehen, müssen sich Behörde und Gericht zur fachlichen Aufklärung dieser Merkmale unmittelbar der Erkenntnisse der Fachwissenschaft und -praxis bedienen (vgl. BVerfGE 149, 407 <413 f. Rn. 19>).
11Das Gebot effektiven Rechtsschutzes schließt nicht aus, dass durch den Gesetzgeber eröffnete Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungsspielräume sowie die Tatbestandswirkung von Exekutivakten die Durchführung der Rechtskontrolle durch die Gerichte einschränken (vgl. BVerfGE 103, 142 <157>; 113, 273 <310>; 129, 1 <21 f.>; BVerfGK 19, 229 <233>). Im Fall einer behördlichen Letztentscheidungsbefugnis bleibt nach allgemeinen Grundsätzen der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterworfen, ob der Behörde Verfahrensfehler unterlaufen, ob sie anzuwendendes Recht verkennt, von einem im Übrigen unrichtigen oder nicht hinreichend tiefgehend aufgeklärten Sachverhalt ausgeht, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzt oder sich von sachfremden Erwägungen leiten lässt (vgl. BVerfGE 149, 407 <418 Rn. 30>; BVerfGK 16, 418 <435 f.>). Die Frage nach der Existenz anerkannter fachwissenschaftlicher Maßstäbe und Methoden ist eine von der jeweiligen Fachwissenschaft zu beantwortende Tatsachenfrage, die dem Sachverständigenbeweis zugänglich ist (vgl. BVerfGE 149, 407 <411 Rn. 13>).
12b) Die Verfassungsbeschwerde legt nicht unter substantiierter Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Bundesgerichtshofs dar, dass dessen Kontrolle des von der Bundesnetzagentur gewählten Stützintervalls von 2006 bis 2016, der Robustheit des mittels der Törnquist-Methode ermittelten Ergebnisses, der konstanten Gewichtung der Verbrauchsanteile von Haushalts-, Gewerbe- und Industriekunden bei den als Deflator herangezogenen durchschnittlichen Netzentgelten sowie der von der Bundesnetzagentur herangezogenen Datengrundlagen hinter einer Prüfung am Maßstab des Stands der Wissenschaft im Sinne des § 9 Abs. 3 Satz 1 ARegV zurückgeblieben ist. Soweit sie rügt, dass der Bundesgerichtshof verschiedene Einwände gegen die Malmquist-Berechnungen nicht anhand des Stands der Wissenschaft geprüft habe, fehlt es jedenfalls an substantiierten Darlegungen dazu, inwiefern der angegriffene Beschluss auf der geltend gemachten Grundrechtsverletzung beruht.
13c) Darauf, ob sich die Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf die Regelungen der Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG und deren Auslegung durch den Bundesgerichtshof weitergehend mit der Frage, ob Raum für die Anwendung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ist, hätte auseinandersetzen müssen (vgl. BVerfGE 152, 152 < 169 f. Rn. 44 f., 179 Rn. 63>; 152, 216 <236 ff. Rn. 50 ff.>; 156, 182 <197 Rn. 36>; 158, 1 <26 Rn. 42>), kommt es demnach nicht an.
143. Auch die hilfsweise gerügte Verletzung der unionsrechtlichen Rechtsschutzgarantie aus Art. 47 Abs. 1 GRCh ist - ungeachtet der Frage, ob sich die Verfassungsbeschwerde ausreichend mit der Frage nach dessen Anwendbarkeit befasst hat - nicht ausreichend dargelegt. Die Verfassungsbeschwerde stützt sich insoweit auf dieselben Gründe, aus denen sie - ohne den Begründungsanforderungen zu genügen - eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG herleiten will. Zudem setzt sich die Verfassungsbeschwerde nicht mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Bestimmung des Grades der gerichtlichen Überprüfung nationaler Entscheidungen, die in Anwendung eines Unionsrechtsakts erlassen wurden, durch nationale Gerichte auseinander (vgl. Craeynest u.a., C-723/17, ECLI:EU:C:2019:533, Rn. 31, 46; Urteil vom , Association of Independent Meat Suppliers, C-579/19, ECLI:EU:C:2021:665, Rn. 74 f.).
154. Eine Verletzung der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG oder der hilfsweise angeführten unternehmerischen Freiheit aus Art. 16 GRCh ist ebenfalls nicht ausreichend dargelegt. Soweit die Verfassungsbeschwerde rügt, die angegriffenen Entscheidungen hätten verkannt, dass in der Festlegung eines generellen sektoralen Produktivitätsfaktors ohne belastbare Prognose und Prognosegrundlage ein unverhältnismäßiger Grundrechtseingriff liege, fehlt es an einer ausreichenden Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Bundesgerichtshofs. Der Bundesgerichtshof hat sich in seinem angegriffenen Beschluss sowie insbesondere in seinen Beschlüssen vom - EnVR 7/20 - (BGHZ 228, 268) und vom - EnVR 17/20 -, auf die er im angegriffenen Beschluss in weiten Teilen verweist, mit Einwänden gegen das Vorgehen der Bundesnetzagentur auseinandergesetzt. Dabei hat er sich insbesondere auch mit der Frage der Robustheit des mittels des gewählten Stützintervalls ermittelten Produktivitätsfaktors und der Notwendigkeit einer zusätzlichen Überprüfung befasst (vgl. BGHZ 228, 268 <312 ff. Rn. 77 ff.>). Will die Verfassungsbeschwerde geltend machen, dass damit in einem Ausmaß Unsicherheiten hingenommen worden seien, das die durch Art. 12 Abs. 1 GG oder Art. 16 GRCh gezogenen Grenzen grundsätzlich verkennt, hätte sie dies anhand der Erwägungen des Bundesgerichtshofs im Einzelnen aufzeigen müssen.
165. In der Folge ist auch eine Verletzung der Eigentumsfreiheit aus Art. 14 Abs. 1 GG oder Art. 17 GRCh nicht aufgezeigt, weil die Verfassungsbeschwerde insoweit auf ihre Ausführungen zu Art. 12 Abs. 1 beziehungsweise Art. 16 GRCh verweist.
176. Es ist nicht dargelegt, dass der Bundesgerichtshof Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dadurch verletzt hat, dass er die ihm als Rechtsbeschwerdegericht durch § 88 Abs. 2 und 4 EnWG gezogenen Grenzen überschritten hat.
18a) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG schützt den Anspruch des Rechtsuchenden auf eine Entscheidung seiner Rechtssache durch den hierfür von Gesetzes wegen vorgesehenen Richter (vgl. BVerfGE 22, 254 <258>; 118, 212 <239>). Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG kann insoweit auch verletzt sein, wenn eine an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz gebundene Rechtsinstanz eine nach dem Stand des Verfahrens gebotene Zurückverweisung an das Tatsachengericht zwecks weiterer Sachaufklärung unterlässt (vgl. BVerfGE 3, 255 <256>; 3, 359 <363 f.>; 31, 145 <165>; 54, 100 <115>). Die Verkennung der der Rechtsinstanz gezogenen Grenzen verstößt jedoch nur dann gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn sie von willkürlichen Erwägungen bestimmt ist (vgl. BVerfGE 3, 359 <364 f.>; 29, 45 <48>; 31, 145 <165>; 54, 100 <115 f.>; 82, 286 <299>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2160/16 -, Rn. 5; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 2222/21 -, Rn. 55).
19Die Abgrenzung der Tatsachenfeststellung von der rechtlichen Würdigung ist nicht immer eindeutig, und die Grenze der Entscheidungsbefugnis der Rechtsinstanz kann daher im Einzelfall fließend sein (vgl. BVerfGE 3, 359 <364 f.>). Nicht jede irrtümliche Überschreitung der den Rechtsinstanzen gezogenen Grenzen begründet einen Verfassungsverstoß. Durch einen schlichten error in procedendo wird niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen. Eine Verletzung der Garantie des gesetzlichen Richters kommt aber in Betracht, wenn das Fachgericht Bedeutung und Tragweite der Gewährleistung aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt hat oder wenn die maßgeblichen Verfahrensnormen in objektiv willkürlicher Weise fehlerhaft angewandt wurden (vgl. BVerfGE 138, 64 <87 Rn. 71> m.w.N.; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2160/16 -, Rn. 7). Die Rechtsinstanz nimmt keine eigene tatrichterliche Würdigung vor, wenn sie rechtlich prüft, ob die Grenzen eines Beurteilungsspielraums überschritten werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1588/20 u.a. -, Rn. 2).
20b) Ausgehend hiervon ist eine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht aufgezeigt.
21Soweit die Verfassungsbeschwerde eine eigene Tatsachenfeststellung des Bundesgerichtshofs darin sieht, dass dieser in seinem Beschluss vom entschieden habe, dass eine Korrektur des Törnquist-Werts um Aufholeffekte nicht erforderlich sei, setzt sie sich weder damit auseinander, inwiefern dies in den angegriffenen Beschluss eingeflossen ist, noch, inwiefern der angegriffene Beschluss hierauf beruht. Zudem legt sie insoweit nicht dar, inwiefern der Bundesgerichtshof Bedeutung und Tragweite der Gewährleistung aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt oder willkürlich gehandelt hat.
22Soweit die Verfassungsbeschwerde rügt, dass der Bundesgerichtshof allein auf Grundlage der lückenhaften Feststellungen des Beschwerdegerichts nicht darüber habe entscheiden dürfen, ob im Zusammenhang mit der Malmquist-Methode eine dynamische Kostentreiberanalyse erforderlich gewesen sei, legt sie weder konkrete tatsächliche Feststellungen dar, die der Bundesgerichtshof selbst getroffen hat, noch eine konkrete tatsächliche Fragestellung, hinsichtlich derer eine Zurückverweisung prozessual geboten gewesen wäre. Ihre Ausführungen dazu, inwiefern der angegriffene Beschluss auf der gerügten Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG beruht, bleiben zudem unsubstantiiert.
23Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
24Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2025:rk20250305.1bvr178622
Fundstelle(n):
FAAAJ-92221