Instanzenzug: Az: 2660 Js 14791/18 - 11 KLs
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit Körperverletzung sowie wegen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem hat es die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Von einem weiteren Vorwurf der Freiheitsberaubung hat es den Angeklagten freigesprochen. Der Angeklagte wendet sich gegen seine Verurteilung mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg; eines Eingehens auf die Verfahrensrügen bedarf es nicht.
21. Das Landgericht hat – soweit von Relevanz – folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3Der Angeklagte lernte die Nebenklägerin im Jahr 2017 kennen. Zwischen beiden entwickelte sich eine Beziehung, in deren Rahmen es auch zu einvernehmlichem Geschlechtsverkehr kam.
4In den Morgenstunden des weckte der Angeklagte die Nebenklägerin, von der er meinte, sie habe ihn betrogen, und erklärte ihr, sie habe etwas wieder gut zu machen. Er fasste ihr mit der Hand in die am Hinterkopf zusammengesteckten Haare und drückte ihren Kopf in Richtung seines unbedeckten erigierten Penis. Die Nebenklägerin fing an zu weinen, sagte, dass sie das nicht möchte, und versuchte, ihren Kopf wegzudrehen. Der Angeklagte drückte ihren Mund auf seinen Penis und drang so tief in ihre Mundhöhle ein, dass die Nebenklägerin einen Würgereiz verspürte. Anschließend vollzog er den ungeschützten Oralverkehr bis zum Samenerguss (Fall II.A.2.a. der Urteilsgründe).
5Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Januar 2018 umarmte der Angeklagte die Nebenklägerin von hinten und drückte sie mit ihrem Oberkörper auf seinen Schreibtisch. Um ihre Gegenwehr zu verhindern, drehte er ihre Hände schmerzhaft auf ihren Rücken. Er zog ihr die Hose herunter und drang mit seinem Penis ungeschützt vaginal in sie ein. Die Nebenklägerin schrie und wehrte sich. Der Angeklagte ließ erst von ihr ab, als ein Nachbar gegen die Wand klopfte (Fall II.A.2.b. der Urteilsgründe).
6Am fuhr der Angeklagte mit der Nebenklägerin von D. in Richtung A.. Er ließ die Nebenklägerin entgegen ihrem erklärten Willen nicht aus dem PKW aussteigen. Sowohl auf dieser Fahrt als auch auf einer Fahrt nach K. am kam es zu körperlichen Übergriffen des Angeklagten auf die Nebenklägerin, die hierdurch Schmerzen und ein oberflächliches Hämatom am rechten Oberarm erlitt (Fälle II.A.2.c. und II.A.2.d. der Urteilsgründe).
7Das Landgericht hat die Fälle II.A.2.a. und II.A.2.b. der Urteilsgründe als Vergewaltigung und die Fälle II.A.2.c. und II.A.2.d. der Urteilsgründe als Freiheitsberaubung in Tateinheit mit Körperverletzung und Körperverletzung gewertet.
82. Die dieser Bewertung zugrundeliegenden Feststellungen des Landgerichts beruhen auf einer rechtsfehlerhaften Grundlage. Die Beweiswürdigung hält – auch eingedenk des beschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. nur , StV 2017, 367, 368 mwN) – sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
9a) In Fällen, in denen – wie hier jedenfalls im Hinblick auf die dem Angeklagten zur Last gelegten Vergewaltigungen der Nebenklägerin – „Aussage gegen Aussage“ steht, ist eine besonders sorgfältige Gesamtwürdigung aller Umstände durch das Tatgericht vorzunehmen. Erforderlich sind vor allem eine gründliche Inhaltsanalyse, eine möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage, eine Bewertung des feststellbaren Aussagemotivs sowie eine Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben (st. Rspr.; vgl. , mwN). Weiter müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat, die die Entscheidung zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten beeinflussen können (, Rn. 7 mwN).
10b) Daran gemessen erweist sich die Beweiswürdigung der Strafkammer als rechtsfehlerhaft.
11Der Angeklagte hat sich zu den Tatvorwürfen nicht eingelassen. Die Strafkammer hat ihre Überzeugung von den oben dargestellten Taten – in den Fällen II.A.2.c. und II.A.2.d. der Urteilsgründe überwiegend – auf die Angaben der Nebenklägerin gestützt. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Zuschrift insoweit ausgeführt:
„Die Beweiswürdigung weist bereits in Bezug auf die Beurteilung der Konstanz der Aussagen der Nebenklägerin zum Tatgeschehen durchgreifende Lücken auf. So zieht das Landgericht hierfür allein die Angaben der Nebenklägerin bei einer durch die Zeugin KOK[']in […] durchgeführten ersten Befragung der Nebenklägerin heran […], obwohl eine plausible Konstanzanalyse einen umfassenden Vergleich aller Angaben der Nebenklägerin über denselben Sachverhalt zu unterschiedlichen Zeitpunkten erfordert hätte (vgl. , BGHSt 45, 164, 172). Die Revision beanstandet insoweit schon zu Recht, dass das Gericht den Inhalt des von der Zeugin zu den Erstangaben der Nebenklägerin angefertigten – auszugsweise in der Hauptverhandlung verlesenen – Berichts nicht mitgeteilt hat, weshalb die Erwägung der Kammer, dass die Erstangaben der Nebenklägerin gegenüber der Polizei ‚im Kerngeschehen‘ mit dem übereingestimmt hätten, was sie später in der Hauptverhandlung bekundet hat, nicht überprüfbar ist […]. Das Landgericht setzt sich im Übrigen lediglich mit einer Abweichung der Aussage der Nebenklägerin ‚bei der Polizei‘ zum Randgeschehen auseinander […], ohne dass klar ist, ob diese Abweichung sich aus dem Bericht oder aus weiteren Vernehmungen der Nebenklägerin im Ermittlungsverfahren ergibt. Dabei legen einzelne Passagen in den Urteilsgründen es nahe, dass es über die Erstbefragung durch KOK'in […] hinaus noch mindestens eine weitere polizeiliche Vernehmung der Nebenklägerin als Zeugin gegeben hat […], bei der diese sich zudem in weiteren Punkten abweichend zu ihrer Aussage in der Hauptverhandlung geäußert hat. So hat sie in der Hauptverhandlung hinsichtlich der Tat vom angegeben, dass sie sich danach, ‚anders als in der Anklageschrift dargestellt‘, nicht übergeben habe […], wobei die Kammer offenlässt, worauf die abweichende Darstellung […] zurückgeht. Gleiches gilt hinsichtlich der Aussage der Nebenklägerin, sie nehme nur an, dass der Angeklagte bei der Rückkehr von dem Treffen mit ihrem Exfreund die Tür verschlossen habe […]. Zwar führt die Kammer im Rahmen der rechtlichen Würdigung aus, die Zeugin habe sich trotz mehrfacher Nachfrage nicht mehr erinnern können; zugleich hält sie aber im Widerspruch dazu auch ein lediglich ‚psychisches Versperren‘ in dem Sinne für möglich, dass die Nebenklägerin nur gedacht habe, sie könne die Wohnung nicht verlassen […]. Mit einer solchen bloßen Vermutung der Nebenklägerin ist jedoch die – naheliegend auf eine Aussage der Nebenklägerin zurückgehende – Schilderung in der Anklageschrift, der Angeklagte habe die Wohnungstür abgeschlossen und den Schlüssel versteckt, als sie abends nach Hause wollte, und sie habe ihn vergeblich aufgefordert, die Tür aufzuschließen, nur schwerlich in Einklang zu bringen […]. Auch die Formulierung, die Nebenklägerin habe ‚klargestellt‘, dass der Angeklagte, als er – gemeint sein dürfte nach den Feststellungen bei der Tat am […] – ihr in die Haare am Hinterkopf gegriffen habe, nicht an diesen gezerrt, sondern sie so nur festgehalten [habe] […], deutet auf eine ursprünglich anderslautende Aussage hin. Da das Landgericht weder den Inhalt des Berichts zur Erstbefragung der Nebenklägerin noch sonst Einzelheiten zum Inhalt von Aussagen der Nebenklägerin im Ermittlungsverfahren mitgeteilt hat, lässt sich anhand der Urteilsgründe nicht überprüfen, ob es zu Recht davon ausgegangen ist, die Aussagen der Nebenklägerin zu den Taten seien zum Kerngeschehen konstant.
[…] Auch soweit die Strafkammer den Aussageverlauf als Beleg für die Erlebnisbasiertheit der Angaben der Nebenklägerin gewürdigt hat, ist die Überzeugungsbildung aufgrund der Lückenhaftigkeit der Ausführungen nicht nachvollziehbar. Demnach hat die Nebenklägerin zu Beginn ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung zunächst nur knappe Antworten gegeben und weniger konkrete Angaben gemacht. Die Kammer führt dazu in den Urteilsgründen aus, der Nebenklägerin sei erst im Lauf der mehrstündigen Befragung, nach einem (provozierten) Zusammenbruch, das Reden über die Beziehung und die Taten deutlich leichter gefallen. Die dann folgende Art des Berichts der Zeugin habe ein (emotionales) Wiedererleben gezeigt, dessen origineller Detailreichtum für die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin streite […]. Dabei geht […] [die Strafkammer] davon aus, das zunächst gezeigte Antwortverhalten der Nebenklägerin lasse sich plausibel damit erklären, dass die Zeugin wegen der Taten in Therapie gewesen sei und versucht habe, das Geschehen so weit wie möglich zu verarbeiten. […] Ob diese Erwägung tragfähig ist, lässt sich jedoch schon deshalb nicht beurteilen, weil mangels Darlegung früherer Aussagen der Nebenklägerin unklar ist, ob diese, soweit sie vor der therapeutischen Behandlung Angaben gemacht hat [...], die Taten anders als zu Beginn ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung bereits einmal konkret und detailliert geschildert hatte. In Bezug auf den Aussageverlauf hätte die Strafkammer sich im Übrigen mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob das zurückhaltende Aussageverhalten der Nebenklägerin zu Beginn der Vernehmung in der Hauptverhandlung nicht auch auf die gegen sie vorliegende Strafanzeige wegen falscher Verdächtigung zurückgehen könnte. […]
[…] Soweit die Kammer es als Realkennzeichen wertet, dass die Nebenklägerin Namen von Frauen genannt hat, die ähnliches wie sie mit dem Angeklagten erlebt haben sollen, und dass sie angegeben hat, einen Stick gefunden zu haben mit Fotos von Frauen, die der Angeklagte heimlich fotografiert haben soll […], lassen die Urteilsgründe Erörterungen dazu vermissen, ob diese Behauptungen durch weitere Beweiserhebungen bestätigt worden sind.
[…] Zudem hat die Strafkammer keine Gesamtwürdigung der gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage der Nebenklägerin sprechenden Gesichtspunkte vorgenommen, sondern diese jeweils nur isoliert gewürdigt […].
Diese Mängel der Beweiswürdigung bedingen nicht nur eine Aufhebung der Verurteilung wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, sondern des Urteils insgesamt. Denn der Senat wird nicht ausschließen können, dass das Landgericht bei einer rechtsfehlerfreien Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass deren Angaben insgesamt, mithin auch zu den behaupteten Körperverletzungen und der Freiheitsberaubung durch den Angeklagten, unglaubhaft sind. Zwar werden die weiteren Tatvorwürfe der Freiheitsberaubung und der Körperverletzung durch Textnachrichten […] sowie durch ein ärztliches Attest indiziell bestätigt […]. Abgesehen davon, dass die Strafkammer aber weder den genauen Inhalt der Textnachrichten […] noch den des Attests mitteilt, ergibt sich daraus aber auch nichts zum Ablauf der körperlichen Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin. Angesichts des von der Kammer festgestellten Inhalts des im Gewaltschutzverfahren zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin geschlossenen Vergleichs, […], der Tatsache, dass auch der Angeklagte nach der Reise nach Amsterdam Verletzungen aufwies […], und des Umstands, dass der Angeklagte seinerseits gegen die Nebenklägerin unter anderem wegen Körperverletzung Strafanzeige erstattet hat, könnte sich die Auseinandersetzung trotz der für die Richtigkeit ihrer Angaben sprechenden Indizien auch anders als von der Nebenklägerin angegeben dargestellt haben.“
12Dem schließt sich der Senat an.
133. Von dem Rechtsfehler sind die Feststellungen mitbetroffen, die insgesamt der Aufhebung unterliegen (§ 353 Abs. 2 StPO).
14Bestand hat das Urteil dagegen, soweit das Landgericht den Angeklagten wegen des Vorwurfs freigesprochen hat, die Nebenklägerin nach seiner Rückkehr in die Wohnung am der Freiheit beraubt zu haben. Aus dem landgerichtlichen Urteil ergibt sich nicht, dass eine am verübte Freiheitsberaubung und eine am begangene Vergewaltigung wegen einer teilweisen Überschneidung der Ausführungshandlungen in Tateinheit stünden. Der Freispruch beruht deshalb nicht auf dem Grundsatz, dass bei einem tatmehrheitlichen Anklagevorwurf, dem der Eröffnungsbeschluss folgt, freizusprechen ist, wenn
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:110325B2STR340.24.0
Fundstelle(n):
CAAAJ-91506