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BGH Beschluss v. - 2 StR 232/24

Leitsatz

Der Versuch der Ermittlungsbehörden, Zugang zu den auf einem Mobiltelefon eines Beschuldigten gespeicherten Daten durch zwangsweises Auflegen von dessen Finger auf den Fingerabdrucksensor zu erlangen, ist von § 81b Abs. 1 StPO in Verbindung mit §§ 94 ff. StPO als Ermächtigungsgrundlage jedenfalls dann gedeckt, wenn eine zuvor nach §§ 102, 105 Abs. 1 StPO richterlich angeordnete Durchsuchung gerade auch dem Auffinden von Mobiltelefonen dient und der beabsichtigte Datenzugriff trotz seiner Eingriffsintensität verhältnismäßig ist.

Gesetze: § 81b Abs 1 StPO, § 94 StPO, §§ 94ff StPO, § 102 StPO, § 105 Abs 1 StPO

Instanzenzug: Az: 103 KLs 12/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Verstoßes gegen das Berufsverbot in zwei Fällen, davon in einem Fall tateinheitlich mit Herstellen kinderpornographischer Schriften, sowie wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.

2Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3Der Angeklagte war bis 2017 in verschiedenen Kindertagesstätten als Erzieher tätig. Nachdem er im Rahmen seiner Betreuertätigkeit den unbekleideten Genitalbereich eines zweijährigen Mädchens gefilmt hatte, wurden am bei ihm anlässlich einer Wohnungsdurchsuchung mindestens eine kinderpornographische Videodatei und 2.316 kinderpornographische Fotodateien auf verschiedenen Speichermedien aufgefunden. Das Landgericht München I verurteilte den Angeklagten aufgrund dessen am wegen Herstellens kinderpornographischer Schriften in Tateinheit mit Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen und mit Besitz kinderpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Zugleich sprach es gegen den Angeklagten ein lebenslanges Verbot aus, als Sozialarbeiter, Sozialpädagoge, Erzieher, Pfleger und Betreuer von Kindern und Jugendlichen tätig zu sein. Das Urteil ist am in Rechtskraft erwachsen.

4Im Jahr 2020 beschloss der Angeklagte, die aufgrund der COVID-19-Pandemie erfolgte Schließung von Kindertagesstätten und Kindergärten auszunutzen, um entgegen dem Berufsverbot als privater Babysitter tätig zu werden. Deshalb meldete er sich über verschiedene Internetportale auf von Eltern geschaltete Inserate und wurde bis zum für insgesamt acht Familien als Betreuer von minderjährigen Kindern tätig. Hierfür erhielt er eine Entlohnung von insgesamt 2.189,50 Euro (Fall II.1 der Urteilsgründe).

5Anlässlich eines Termins, an dem der Angeklagte die Betreuung der Zwillingstöchter der Familie E. übernahm, fertigte er von den beiden vollständig unbekleideten, bäuchlings in einer mit nur wenig Wasser befüllten Badewanne liegenden Mädchen Lichtbilder an sowie eine Bildserie von einem der Mädchen, das im Bereich des Unterkörpers nur mit einer Unterhose und Socken bekleidet war. Außerdem fertigte der Angeklagte eine Serie von mehreren Bildern, die eines der Mädchen beim An- oder Ausziehen der Unterhose zeigt, wobei die Kamera von unten nach oben zwischen die Beine des Mädchens gerichtet war. Auf den Bildern ist das unbekleidete Gesäß zu sehen. Diese Bilder speicherte der Angeklagte teilweise auf seinem Smartphone LG G5 SE, im Übrigen auf seinem Smartphone Google Pixel 4a (Fall II.2 der Urteilsgründe).

6Der Angeklagte speicherte auf einer Festplatte des Herstellers Seagate frühestens seit dem bis zum eine Videodatei und 383 Bilddateien, die kinderpornographische Inhalte aufwiesen. Die – im Urteil näher beschriebenen – Video- und Bilddateien stellen zum Teil schwere sexuelle Missbrauchshandlungen an verschiedenen Kindern dar.

7Auf einem Tower-PC des Herstellers Fujitsu speicherte der Angeklagte zwischen dem und dem zudem zwei Fotos eines augenscheinlich siebenjährigen Jungen, der mit einer Art Hotpants und einem darüber gezogenen rosafarbenen Slip bekleidet ist. Dazu trägt er farblich passende Schmetterlingsflügel und einen Hut. Auf einem der Lichtbilder hebt der in einer Rückenbeuge stehende Junge die Arme. Auf einem anderen Foto fasst der Junge mit beiden Händen an die Hutkrempe (Fall II.3 der Urteilsgründe).

8Die Strafkammer hat das Verhalten des Angeklagten im Fall II.1 der Urteilsgründe als einen Verstoß gegen das Berufsverbot gemäß § 145c StGB gewertet. Im Fall II.2. der Urteilsgründe ist sie von einem weiteren Verstoß gegen das Berufsverbot ausgegangen, der in Tateinheit mit dem Herstellen kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB (in der bis zum geltenden Fassung) stehe. Hinsichtlich des Falles II.3 der Urteilsgründe hat die Strafkammer den Angeklagten wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 3 StGB (in der bis zum geltenden Fassung) verurteilt.

9Zurecht weist die Revision auf ein möglicherweise bestehendes Verfahrenshindernis hin, mit der Folge, dass die Verurteilung des Angeklagten im Fall II.3 der Urteilsgründe keinen Bestand haben kann. Soweit der Verurteilung die Bilder und das Video auf der Festpatte Seagate zugrunde liegen, kann der Senat nicht ausschließen, dass diese schon Gegenstand der vorangegangenen Verurteilung des Landgerichts München I vom waren und insoweit Strafklageverbrauch eingetreten ist.

10Die Strafkammer hat es als erwiesen angesehen, dass der Angeklagte zwischen dem und dem im Besitz der Festplatte Seagate war. Die Speicherung der verfahrensgegenständlichen kinderpornographischen Bilder und des Videos erfolgte „frühestens seit dem “. Die Dateien wurden zu einem nicht aufklärbaren Zeitpunkt vor dem gelöscht. Der Angeklagte war ausweislich der Urteilsgründe aber „jedenfalls im Jahr 2017 in Besitz der auf der Festplatte Seagate (…) gespeicherten Bilder und des Videos“.

111. Ausgehend hiervon erscheint es zumindest möglich, dass der Angeklagte schon im März 2017 das nämliche kinderpornographische Material auf der Festplatte Seagate gespeichert hatte. Deren Besitz wäre von der Verurteilung des Landgerichts München I vom umfasst, da es sich – da keine selbstständigen Erwerbs- und Verschaffungstaten festgestellt sind – um dieselbe prozessuale Tat handeln würde wie jene, die dem Urteil des Landgerichts München I vom zugrunde liegt (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 335/18, Rn. 3; vom – 3 StR 264/19, NStZ-RR 2020, 172, 174, und vom – 5 StR 294/22, NStZ 2023, 97 f.).

122. Aus der vom Senat freibeweislich zur Kenntnis genommenen Anklage der Staatsanwaltschaft München I vom (453 Js 125356/17) ergibt sich nichts Gegenteiliges. Vielmehr weist diese in der Beweismittelliste eine Festplatte Seagate als asservierten Gegenstand aus, welche – was das entsprechende Sicherstellungsprotokoll, lfd. Nr. 36, belegt – bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten am beschlagnahmt wurde. Ob und welche kinderpornographischen Dateien auf dieser Festplatte gespeichert waren, lässt sich den dem Senat vorliegenden Akten nicht entnehmen. Der Senat kann deshalb weder überprüfen, ob es sich bei der im Münchener Verfahren asservierten Festplatte um dieselbe Festplatte wie im hiesigen Verfahren handelt, noch, welche Dateien zum Zeitpunkt der Durchsuchung im Münchener Verfahren darauf gespeichert waren.

133. Soweit der Generalbundesanwalt zutreffend darauf hinweist, dass das Urteil des Landgerichts München I vom eine Zäsur darstellt und ein im Anschluss erfolgter Besitz selbst dann eine neue prozessuale Tat darstellen würde, wenn es sich um dieselben Bilder handelte, die der Angeklagte bereits zuvor besessen hatte (vgl. , Rn. 22 mwN), ändert dies an dem potentiell bestehenden Verfahrenshindernis nichts. Denn die Strafkammer konnte nicht ausschließen, dass kinderpornographische Bilder nur Anfang des Jahres 2017 und damit vor der Durchsuchung in dem in München geführten Verfahren gespeichert waren. Ob nach Erlass des Urteils des Landgerichts München I Bilder auf der Festplatte Seagate gespeichert waren, ließ sich gerade nicht aufklären.

14Auf die weiteren, auf dem Tower-PC des Herstellers Fujitsu gespeicherten Fotos von dem Jungen mit den Schmetterlingsflügeln kann die Verurteilung des Angeklagten im Fall II.3 der Urteilsgründe nicht gestützt werden. Eine unnatürlich geschlechtsbetonte Körperhaltung des Kindes im Sinne des § 184b Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b StGB erfordert eine Darstellung, die offenkundig ein altersunangemessenes und sexuell anbietendes Verhalten zeigt. Maßgeblich ist die Zielsetzung, die für einen objektiven Betrachter ohne eigene pädophile Neigung erkennbar sein muss (vgl. , BGHR StGB § 184b Abs. 1 Kinderpornographische Schrift 1 Rn. 5 mwN; LK-StGB/Nestler, 13. Aufl., § 184b Rn. 16). Durch die Art der Körperhaltung – unter Umständen verbunden mit aufreizender Bekleidung und Accessoires – muss die unnatürliche Geschlechtsbezogenheit auch für einen solchen Betrachter eindeutig zum Ausdruck kommen (vgl. MüKo-StGB/Hörnle, 4. Aufl., § 184b Rn. 19). Ausgehend von diesem rechtlichen Maßstab ist die Schwelle zur Kinderpornographie hier noch nicht überschritten.

15Der Senat hebt daher die Verurteilung des Angeklagten im Fall II.3 der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) auf und weist die Sache zur Prüfung eines Verfahrenshindernisses an das Landgericht zurück (vgl. , StraFo 2019, 17, 19; Beschlüsse vom – 2 StR 458/00, BGHSt 46, 307, 309 f., und vom – 4 StR 76/15, NStZ-RR 2016, 42 f. mwN).

16Die den Fall II.2 der Urteilsgründe betreffende Verfahrensrüge, mit der die Revision ein Verwertungsverbot hinsichtlich der auf den Mobiltelefonen des Angeklagten gespeicherten Bilder geltend macht, dringt nicht durch.

17Ihr liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

18Aufgrund des gegen den Angeklagten bestehenden Verdachtes eines Verstoßes gegen das Berufsverbot gemäß § 145c StGB ordnete der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Köln auf Antrag der Staatsanwaltschaft am gemäß §§ 102, 105 Abs. 1 StPO die Durchsuchung der Wohnräume des Angeklagten einschließlich seiner Person an. Diese sollte unter anderem dem Auffinden von Mobiltelefonen dienen, da zu erwarten sei, dass darüber Zugriff auf Onlineportale, die der Anbahnung von Betreuungsverhältnissen dienten, genommen werde.

19Bei der sodann am erfolgten Durchsuchung fanden die Polizeibeamten zwei Mobiltelefone. Da der Angeklagte nicht bereit war, die Mobiltelefone freiwillig zu entsperren, ordnete ein Polizeibeamter an, dass der rechte Zeigefinger des Angeklagten durch unmittelbaren Zwang auf den Fingerabdrucksensor der Mobiltelefone gelegt werden solle, um die Sperre aufzuheben. Die Maßnahme wurde entsprechend der Anordnung umgesetzt und die entsperrten Mobiltelefone wurden an den bei der Durchsuchung anwesenden Datensicherer übergeben. Im Anschluss erklärte der telefonisch kontaktierte Verteidiger des Angeklagten, dass „sein Mandant keine Angaben zum Sachverhalt machen wolle und er ansonsten ebenfalls gegen jegliche Maßnahme sei“. Bei der nachfolgenden Auswertung der sichergestellten Mobiltelefone des Angeklagten wurde jenes kinderpornographische Material gefunden, welches später zur Verurteilung im Fall II.2 der Urteilsgründe führte.

20Am ersten Hauptverhandlungstag widersprach der Verteidiger des Angeklagten der Erhebung und Verwertung dieser Beweise und führte zur Begründung aus, dass für die Entschlüsselung der beiden Mobiltelefone durch polizeiliche Zwangsmaßnahmen keine Rechtsgrundlage existiere und der Angeklagte dadurch in seiner Selbstbelastungsfreiheit sowie in seinem Recht auf ein faires Strafverfahren und auf informationelle Selbstbestimmung verletzt worden sei. Insbesondere könne – was im Verwertungswiderspruch näher begründet wurde – § 81b StPO nicht als Rechtsgrundlage für die Entsperrung des Mobiltelefons herangezogen werden.

21Die Staatsanwaltschaft nahm zu dem Verwertungswiderspruch Stellung: das Handeln der Polizeibeamten sei von § 81b Abs. 1 StPO gedeckt gewesen, die spätere Beschlagnahme der Daten auf den Mobiltelefonen richte sich nach § 94 Abs. 2 StPO, die Selbstbelastungsfreiheit des Angeklagten sei nicht betroffen, da diese nicht vor dem Erdulden von Zwangsmaßnahmen schütze.

22Im Hauptverhandlungstermin vom ordnete der Vorsitzende die Inaugenscheinnahme der auf den Mobiltelefonen gefundenen Lichtbilder an. Diese Anordnung bestätigte die Strafkammer mit Beschluss vom unter Bezug auf die im Verwertungswiderspruch aufgeführten Gesichtspunkte. Die Lichtbilder wurden sodann in Augenschein genommen. Die Strafkammer hat sie der Verurteilung des Angeklagten im Fall II.2 der Urteilsgründe zu Grunde gelegt.

23Die Revision rügt die Verletzung des § 261 StPO. Die auf den Mobiltelefonen gespeicherten Daten unterlägen einem Beweisverwertungsverbot. Für das durch Anwendung unmittelbaren Zwangs mittels einfacher körperlicher Gewalt von einem Polizeibeamten vorgenommene Führen des Fingers des Revisionsführers auf den Fingerabdrucksensor der Mobiltelefone fehle es an einer Ermächtigungsgrundlage, die Maßnahme sei daher rechtswidrig. Sie stelle außerdem einen Verstoß gegen den Grundsatz eines fairen Strafverfahrens dar und verletze den Revisionsführer in seiner Selbstbelastungsfreiheit. Obwohl der Revisionsführer mit dieser Maßnahme und der Sicherstellung der Mobiltelefone nicht einverstanden war, sei schließlich auch kein Beschlagnahmebeschluss ergangen.

24Die Rüge hat keinen Erfolg.

251. Soweit die Revision ihre Rüge darauf stützt, dass eine der Durchsuchung nachfolgende richterliche Beschlagnahmeanordnung nach § 94 Abs. 2, § 98 Abs. 2 Satz 1 StPO fehle, kann sie nicht durchdringen. Denn abgesehen davon, dass es ein Verwertungsverbot regelmäßig nicht zu begründen vermag, wenn die richterliche Bestätigung der Beschlagnahme nicht oder nicht rechtzeitig herbeigeführt wurde (LR-StPO/Menges, 27. Aufl., § 98 Rn. 77) und die Sichtung der Daten auf einem Mobiltelefon von § 110 StPO gedeckt war, hat der Revisionsführer das Fehlen einer solchen Anordnung nicht in der Hauptverhandlung beanstandet. Der Verwertungswiderspruch verhält sich hierzu gerade nicht. Damit bestand auch für das Tatgericht keine Veranlassung, dem nunmehr behaupteten, sich nicht auf das Entsperren der Mobiltelefone, sondern auf die nachfolgende Beschlagnahme der darauf befindlichen Daten beziehenden Verfahrensfehler nachzugehen und zu prüfen, ob es ihn – was ihm ohne weiteres möglich gewesen wäre – heile. Die Strafkammer wurde mit der Anklageerhebung gemäß § 98 Abs. 2 Satz 3 iVm § 162 Abs. 3 Satz 1 StPO als mit der Sache befasstes Gericht für ermittlungsrichterliche Maßnahmen und damit auch für Beschlagnahmeanordnungen nach § 98 Abs. 2 Satz 1 StPO zuständig. Die Beschlagnahmeanordnung hätte demnach in der Hauptverhandlung durch das Tatgericht erfolgen können; deren Voraussetzungen lagen unzweifelhaft vor.

262. Auch soweit die Revision ihre Annahme eines Verwertungsverbots auf das Entsperren der Mobiltelefone gegen den Willen des Angeklagten durch Auflegen eines Fingers auf den Gerätesensor stützt, bleibt ihr der Erfolg versagt.

27a) Die Beweismittelgewinnung war rechtmäßig.

28Zwar unterfällt der Versuch der Ermittlungsbehörden, Zugang zu auf einem Mobiltelefon gespeicherten personenbezogenen Daten zu erlangen, dem Anwendungsbereich der Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates (ABl. L 119 S. 89; im Folgenden RL 2016/680/EU); der einwilligungslose Zugriff auf ein Mobiltelefon mit dem Ziel, für die Zwecke strafrechtlicher Ermittlungen Zugang zu den darauf gespeicherten Daten zu erlangen, stellt einen schwerwiegenden oder sogar besonders schwerwiegenden Eingriff in das Recht des Beschuldigten auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 GG) sowie in die von Art. 7 und 8 GRC (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens bzw. Recht auf Schutz personenbezogener Daten) verbürgten Grundrechte dar. Dies steht indes dem zwangsweisen Entsperren eines Mobiltelefons mittels Fingerabdruck nicht grundsätzlich entgegen (nachfolgend aa und bb). Der Versuch der Ermittlungsbehörden, auf diese Weise Zugang zu den auf einem Mobiltelefon eines Beschuldigten gespeicherten Daten zu erlangen, findet in § 81b Abs. 1 StPO in Verbindung mit §§ 94 ff. StPO die erforderliche gesetzliche Ermächtigungsgrundlage (nachfolgend cc) und ist hiervon jedenfalls dann gedeckt, wenn – wie hier – eine zuvor nach §§ 102, 105 Abs. 1 StPO richterlich angeordnete Durchsuchung gerade auch dem Auffinden von Mobiltelefonen dient (nachfolgend dd) und der beabsichtigte Datenzugriff trotz seiner Eingriffsintensität verhältnismäßig ist (nachfolgend ee).

31bb) Auch der Umstand, dass das zwangsweise Führen des Fingers auf den Fingerabdrucksensor eines Mobiltelefons, um Zugriff auf die darauf befindlichen Daten zu erlangen, eine Maßnahme von besonderer Eingriffsintensität ist, steht ihrer Zulässigkeit nicht grundsätzlich entgegen.

32(1) Die besondere Eingriffsintensität folgt allerdings nicht schon aus dem Vorgang selbst. Die Maßnahme geht nach ihrem äußeren Erscheinungsbild und dem damit verbundenen Eingriff in die körperliche Sphäre des Beschuldigten für sich genommen nicht mit erheblichen Belastungen einher. Dass der Körper des Beschuldigten dadurch, dass sein Finger als „Schlüssel“ zur Entsperrung des Mobiltelefons verwendet wird, zum Mittel der Überführung werden kann, verletzt – entgegen der Auffassung der Revision – auch nicht die Selbstbelastungsfreiheit des Beschuldigten, da diese lediglich vor der aktiven Mitwirkung an der eigenen Überführung, nicht aber vor dem Dulden von Ermittlungsmaßnahmen schützt (vgl. , BVerfGE 56, 37, 42; , BGHSt 34, 39, 45 f., und vom – 1 StR 364/03, BGHSt 49, 56, 57 f.; Neuhaus, StV 2020, 489, 491; Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 193, 199; Bäumerich, NJW 2017, 2718, 2721; Nadeborn/Irscheid, StraFo 2019, 274, 275).

33(2) Der einwilligungslose Zugriff auf die auf einem Mobiltelefon gespeicherten Daten stellt aber einen schwerwiegenden oder sogar besonders schwerwiegenden Eingriff in das Recht des Beschuldigten auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 GG) sowie in die auch von Art. 7 und 8 GRC verbürgten Grundrechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens beziehungsweise auf Schutz personenbezogener Daten dar. Zwar erfolgt der Zugriff bei zwangsweisem Entsperren des Mobiltelefons mittels Fingerabdruck als offene Maßnahme, was es dem Beschuldigten ermöglicht, diesem entgegenzutreten und – etwa durch die Anrufung von Gerichten –zu überwachen (vgl. dazu , BVerfGE 124, 43, 62, 65 f.; vgl. auch Neuhaus, StV 2020, 489 f.). Allerdings befindet sich im Speicher von Mobiltelefonen regelmäßig eine Vielzahl an vertraulichen und höchstpersönlichen Daten, etwa in Form von Kommunikation, Lichtbildern, Videoaufnahmen, Notizen oder Kalendereinträgen, die bei dem Zugriff auf ein Mobiltelefon potentiell der Kenntnisnahme der Ermittlungsbehörden unterliegen. Der Zugang auf solche auf einem Mobiltelefon gespeicherte Daten kann detaillierte Informationen über die persönlichen Verhältnisse und die Lebensführung eines Beschuldigten eröffnen oder genaue Schlüsse auf politische, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen zulassen. Der staatliche Zugriff auf einen solchen umfassenden Datenbestand ist folglich mit dem Risiko verbunden, dass die erhobenen Daten in einer Gesamtschau weitreichende Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Betroffenen bis hin zu einer Bildung von Verhaltens- und Kommunikationsprofilen ermöglichen (, 1 BvR 595/07, BVerfGE 120, 274, 323).

35cc) Gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die zwangsweise Entsperrung eines biometrisch gesperrten Mobiltelefons mit dem Finger der beschuldigten Person ist § 81b Abs. 1 StPO in Verbindung mit §§ 94 ff. StPO (vgl. ; LG Ravensburg, Beschluss vom – 2 Qs 9/23 jug., NStZ 2023, 446; AG Baden-Baden, Beschluss vom – 9 Gs 982/19; Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 193 ff.; Neuhaus, StV 2020, 489 ff.; Bäumerich, NJW 2017, 2718, 2720 ff.; Dölker/Müller-Peltzer in Taeger, Internet der Dinge, DSRITB 2015, 863, 873 f.; MüKo-StPO/Trück, 2. Aufl., § 81b Rn. 8; BeckOK-StPO/Goers, 54. Ed., § 81b Rn. 4.1). Den dies ablehnenden Stimmen in der Literatur (vgl. Momsen, DRiZ 2018, 140, 141 f.; Horn, Kriminalistik 2019, 641 ff.; Grzesiek/Zühlke, StV-S 2021, 117, 118 ff.; Tillmann, NStZ 2023, 447; Horter, NStZ 2023, 447 f.; Nicolai, StV-S 2023, 148 ff.; Hecken/Ziegler, jurisPR-ITR 10/2023 Anm. 5; MAH Strafverteidigung/Schlothauer, 3. Aufl., § 3 Rn. 171; kritisch auch: SSW-StPO/Bosch, 5. Aufl., § 81b Rn. 7 mwN), die einwenden, eine solche Maßnahme sei mit den in § 81b Abs. 1 StPO ausdrücklich genannten und vom Gesetzgeber in den Blick genommenen Maßnahmen nicht vergleichbar, die hier gegebene Eingriffsintensität erfordere eine speziellere Ermächtigungsgrundlage, vermag der Senat nicht zu folgen.

36(1) Das Auflegen des Fingers eines Beschuldigten auf den Sensor des Mobiltelefons ist vom Wortlaut des § 81b Abs. 1 StPO umfasst. Danach dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit dies für Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens oder für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist.

37Es kann dahinstehen, ob das Führen des Fingers auf den Sensor des Mobiltelefons bereits eine Aufnahme von Fingerabdrücken im Sinne des § 81b Abs. 1 StPO darstellt (vgl. Bäumerich, NJW 2017, 2718, 2721). Die Maßnahme erweist sich nämlich jedenfalls als „ähnliche Maßnahme“ im Sinne der Norm. Hierzu zählen solche, die der Feststellung der körperlichen Beschaffenheit eines Beschuldigten dienen (vgl. , BGHSt 34, 39, 44 f.; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 81b Rn. 8; BeckOK-StPO/Goers, 54. Ed., § 81b Rn. 4). Eine solche Feststellung äußerer, dauerhafter Körpermerkmale erfolgt bei der Entsperrung eines Mobiltelefons mittels biometrischer Daten durch den Sensor des Smartphones (Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 193, 195; Neuhaus, StV 2020, 489, 491; aA Hecken/Ziegler, jurisPR-ITR 10/2023 Anm. 5; Nicolai, StV-S 2023, 148, 149). Denn dieser gleicht die Merkmale des Fingers mit jenen Merkmalen ab, die – gleichsam einem Schlüssel – im Gerätespeicher hinterlegt sind.

38Damit ist die Entsperrung eines Mobiltelefons mit dem Finger auch dem äußeren Anschein nach nicht von der von § 81b Abs. 1 StPO ausdrücklich gestatteten Aufnahme von Fingerabdrücken, die regelhaft zum Zwecke der Durchführung daktyloskopischer Vergleichsuntersuchungen erfolgt, zu unterscheiden. In beiden Fällen wird der Finger des Beschuldigten – ggf. unter Anwendung unmittelbaren Zwangs – auf eine Vorrichtung gepresst, um die Papillarlinien des Fingers festzustellen bzw. zu dokumentieren und mit zuvor gespeicherten Daten zu vergleichen.

39(2) Dass der Gesetzgeber Maßnahmen wie die hier in Rede stehende ersichtlich nicht im Blick hatte, als § 81b Abs. 1 StPO im Jahr 1933 bzw. 1950 (vgl. zur Gesetzeshistorie , BGHSt 34, 39, 44; SK-StPO/Rogall, 5. Aufl., § 81b Rn. 5) normiert wurde, vielmehr erkennungsdienstliche Zwecke im Vordergrund standen, steht der Anwendung der Norm auf die Entsperrung eines Mobiltelefons mittels des Fingers eines Beschuldigten nicht entgegen.

40(a) Auch nach seinem Sinn und Zweck ist § 81b Abs. 1 StPO nicht auf bestimmte erkennungsdienstliche Maßnahmen beschränkt. Vielmehr spricht die Norm in der ersten Alternative offen von der „Durchführung des Strafverfahrens“ als zulässigem Zweck (Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 193, 195; Neuhaus, StV 2020, 489, 490; Bäumerich, NJW 2017, 2718, 2721; aA Nadeborn/Irscheid, StraFo 2019, 274, 275; vgl. auch Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 81b Rn. 2). Damit sind auch solche Maßnahmen umfasst, die allgemein zum Beweis der Schuld oder Unschuld des Beschuldigten dienen (vgl. HK-GS/Neuhaus, StPO, 5. Aufl., § 81b Rn. 4; SSW-StPO/Bosch, 5. Aufl., § 81b Rn. 2; MüKo-StPO/Trück, 2. Aufl., § 81b Rn. 8). § 81b Abs. 1 StPO will durch die Aufnahme der „ähnlichen Maßnahmen“ in den Gesetzeswortlaut dem Gesetzesanwender einen weitreichenden, dem jeweiligen Stand der Technik im Rahmen neuer Entwicklungen angepassten Handlungsspielraum mit Blick auf die zulässigen Ermittlungsmöglichkeiten einräumen (vgl. LR-StPO/Krause, 27. Aufl., § 81b Rn. 12; Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 193, 195). Auch die Abnahme von Fingerabdrücken im Bereich der Daktyloskopie erfolgt seit langem regelhaft in digitaler Weise (vgl. SK-StPO/Rogall, 5. Aufl., § 81b Rn. 47), obwohl dies bei der ursprünglichen Normierung technisch noch nicht möglich war und die Eingriffsintensität sich dadurch eingedenk weitergehender Speichermöglichkeiten vertieft hat. Dass strafprozessuale Eingriffsbefugnisse auch auf Maßnahmen angewendet werden, die nach dem Stand der Technik zum Zeitpunkt der jeweiligen Normierung noch nicht denkbar waren, ist überdies keine Besonderheit der hier in Rede stehenden Maßnahme, sondern auch mit Blick auf andere Normen von der Rechtsprechung gebilligte Praxis (vgl. etwa , BVerfGE 124, 43, 60 f. zur Beschlagnahme von Daten nach § 94 StPO, obwohl die Beschlagnahmevorschriften ursprünglich nur auf körperliche Gegenstände zugeschnitten waren).

41(b) Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der mit dem Gesetz zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe vom (BGBl. I 2015, Nr. 31) eingeführten gesetzlichen Überschrift des § 81b StPO. Anliegen des Gesetzgebers war es zwar auch zu verhindern, dass selbsterstellte Überschriften in Kommentaren die gesetzgeberische Intention und den Regelungsgehalt unzutreffend wiedergeben (vgl. BR-Drucks. 491/14, S. 81). Weder der Gesetzesbegründung noch der Verschlagwortung in der gesetzlichen Überschrift auf den Hauptanwendungsfall der Norm lässt sich aber entnehmen, dass der Gesetzgeber die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 81b Abs. 1 Alt. 1 StPO bei Gelegenheit der Einführung der gesetzlichen Überschrift verändern wollte. Dazu hätte er sich naheliegend in der Gesetzesbegründung verhalten, was aber gerade nicht geschehen ist.

43(a) Das Auslesen des Mobiltelefons als Ziel der Entsperrung ist eine dem Entsperren nachfolgende Maßnahme, die selbstständig an den für sie geltenden Regeln gemessen werden kann (vgl. Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 193, 195 f.; Neuhaus, StV 2020, 489, 491). Mit Blick auf diesen Vorgang bestehen bei einer Entsperrung des Mobiltelefons gegen den Willen des Beschuldigten durch zwangsweises Auflegen seines Fingers keine Besonderheiten. Es handelt sich – sobald das Mobiltelefon entsperrt ist – um den klassischen Zugriff auf ein Mobiltelefon und die dort gespeicherten Daten.

44(b) Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass die auf Mobiltelefonen gespeicherten Daten gemäß § 94 Abs. 1 StPO beschlagnahmefähig sind (vgl. , BVerfGE 113, 29, 50 ff.; BGH, Beschlüsse vom – AK 13/19, Rn. 9, und vom – StB 47/23, Rn. 6 ff.; KK-StPO/Greven, 9. Aufl., § 94 Rn. 4; KK-StPO/Henrichs/Weingast, 9. Aufl., § 110 Rn. 8 ff., und SK-StPO/Wohlers/Singelnstein, 6. Aufl., § 94 Rn. 26 f.; kritisch dazu El-Ghazi, Beschlagnahme und Auswertung von Handys, Laptops & Co – Sind beim offenen Zugriff auf Datenträger die Persönlichkeitsrechte angemessen geschützt?, Verhandlungen des 74. Deutschen Juristentages Stuttgart 2024, Bd. 1, Gutachten C; El-Ghazi, NJW-Beil 2024, 46 ff., Grzesiek/Zühlke, StV-S 2021, 117, 121 f.; Greco, StV 2024, 276, 278; Knauer/Schmorl, AnwBl 2024, 252, 253 f.; Hiéramente, StV 2024, 611 ff.; SSW-StPO/Eschelbach, 5. Aufl., § 94 Rn. 8 ff.). Die regelhaft vor der Beschlagnahme erfolgende Durchsicht der auf einem Mobiltelefon gespeicherten Daten kann im Einklang damit auf § 110 StPO gestützt werden (vgl. nur , BVerfGE 115, 166, 198 f.; Beschluss vom – 2 BvR 1027/02, BVerfGE 113, 29, 33 f.; , Rn. 19 ff.). Dies hat in der Neufassung des § 110 Abs. 3 Satz 1 StPO Bestätigung gefunden, die hinsichtlich der Zulässigkeit einer Durchsicht von elektronischen Speichermedien nur der Klarstellung diente (vgl. auch BT-Drucks. 19/27654, S. 74).

45(c) §§ 94 ff. StPO und §§ 102 ff. StPO genügen den verfassungsrechtlichen und den sich aus der RL 2016/680/EU ergebenden Anforderungen hinsichtlich der Sicherstellung und Beschlagnahme von Datenträgern und den hierauf gespeicherten Daten.

46(aa) Für den vom Datenzugriff Betroffenen ist hinreichend erkennbar, dass die §§ 94 ff. StPO die Sicherstellung und Beschlagnahme des Datenträgers und der hierauf gespeicherten Daten ermöglichen (, BVerfGE 113, 29, 51). Die strafprozessualen Beschlagnahmeregelungen genügen der insbesondere für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung geltenden Vorgabe, wonach der Gesetzgeber den Verwendungszweck der erhobenen Daten bereichsspezifisch und präzise bestimmen muss; der den Datenzugriff begrenzende Verwendungszweck ist unter Beachtung des Normzusammenhangs, in welchen die §§ 94 ff. StPO eingebettet sind (vgl. § 152 Abs. 2, § 155 Abs. 1, §§ 160, 170, 244 Abs. 2, § 264 StPO), hinreichend präzise vorgegeben (st. Rspr. des BVerfG; vgl. nur , BVerfGE 115, 166, 191; Beschluss vom – 2 BvR 1027/02, BVerfGE 113, 29, 51). Die Ermittlungsmethoden der Strafprozessordnung sind zwar im Hinblick auf die Datenerhebung und den Datenumfang weit gefasst. Normimmanent stehen die jeweiligen Eingriffsgrundlagen aber unter einer strengen Begrenzung auf den Ermittlungszweck; darüber hinaus setzt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dem staatlichen Handeln Grenzen. Eine weitergehende Eingrenzung der Eingriffsbefugnisse ist wegen der Vielgestaltigkeit möglicher Sachverhalte von Verfassungs wegen nicht geboten (, BVerfGE 113, 29, 51).

47Strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen sind nur zulässig, soweit dies zur Vorbereitung der anstehenden Entscheidungen im Hinblick auf die in Frage stehende Straftat nötig ist; auf die Ermittlung anderer Lebenssachverhalte und Verhältnisse erstrecken sich die Eingriffsermächtigungen nicht (BVerfG, aaO, BVerfGE 113, 29, 52). Mit dieser strengen Begrenzung sämtlicher Ermittlungen und damit auch der Datengewinnung, -erhebung und -verarbeitung auf den Zweck der Aufklärung der verfahrensgegenständlichen Tat begrenzt die Strafprozessordnung die Eingriffe in das Recht an den eigenen Daten grundsätzlich auf diejenigen, die für die Strafverfolgung im konkreten Anlassfall von Bedeutung sind.

48Darüber hinaus ist der auf §§ 94 ff., §§ 102 ff. StPO gestützte staatliche Zugriff auf Datenträger durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt (vgl. nur BVerfG, Beschlüsse vom – 2 BvR 1027/02, BVerfGE 113, 29, 51 ff., und vom – 2 BvR 902/06, BVerfGE 124, 43, 61 ff.). Bei der Abwägung (vgl. auch Nr. 73a RiStBV) sind einerseits das staatliche Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung (die Sicherung des Rechtsfriedens durch Strafrecht, die Aufklärung von Straftaten, die Ermittlung des Täters, die Feststellung seiner Schuld und seine Bestrafung wie auch der Freispruch des Unschuldigen sind seit jeher staatliche Kernaufgaben), andererseits die geschützten Rechtsgüter der von der Maßnahme Betroffenen gegenüber zu stellen. Hierbei ist der besonderen Eingriffsintensität beim Zugriff auf ein Mobiltelefon Rechnung zu tragen. Die Schwere der Straftat, die Gegenstand der Ermittlungen ist, stellt dabei einen zentralen Parameter dar. Maßgebend ist, wie sich das Gewicht der Straftat im Einzelfall darstellt. Bestimmende Gesichtspunkte sind daneben der Grad des Tatverdachtes und die potentielle Beweisbedeutung der auf dem Mobiltelefon vermuteten Daten. In Betracht zu ziehen ist auch, ob die in Rede stehenden Straftaten mittels eines Mobiltelefons begangen oder angebahnt wurden. Denn wenn der Beschuldigte bewusst ein Medium als Tatmittel seiner strafbaren Handlung einsetzt, muss er es eher hinnehmen, dass sich die Strafverfolgungsbehörden des darauf befindlichen Datenbestandes bedienen (vgl. , 2 BvR 1189/05, NJW 2006, 3197, 3198 Rn. 17; vgl. auch Bäumerich, NJW 2017, 2718, 2722). Steht die zu ermittelnde Straftat in keinem Bezug zum Mobiltelefon und/oder den darauf zu vermutenden Daten oder ist der mittels zwangsweise herbeigeführtem Fingerabdruck erlangte Datenzugriff aus anderen Gründen unter Berücksichtigung der Schwere der Straftat und der Erfordernisse der Untersuchung nicht gerechtfertigt, ist er nach der Strafprozessordnung unzulässig.

49(bb) Auch die RL 2016/680/EU fordert nicht, wie der Europäische Gerichtshof klargestellt hat, dass der Zugang zu auf einem Mobiltelefon gespeicherten Daten nur zur Bekämpfung bestimmter, schwerer Kriminalität zugelassen wird; andernfalls wären die Ermittlungsbefugnisse der zuständigen Behörden im Sinne der RL 2016/680/EU in Bezug auf Straftaten im Allgemeinen eingeschränkt, woraus sich in Anbetracht der Bedeutung, die solche Daten für strafrechtliche Ermittlungen haben können, eine erhöhte Gefahr der Straflosigkeit solcher Taten ergäbe (EuGH (Große Kammer), Urteil vom – C-548/21, NVwZ 2025, 321, 325 Rn. 97). Eine derartige Einschränkung würde den Besonderheiten der Aufgaben der Behörden im Sinne des Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie – namentlich der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung, einschließlich des Schutzes vor und der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit – nicht gerecht (EuGH, aaO, Rn. 97).

51dd) Im Lichte der RL 2016/680/EU und mit Blick auf die besondere Eingriffsintensität erfordert der Zugang zu den auf einem Mobiltelefon gespeicherten personenbezogenen Daten – außer in hinreichend begründeten Eilfällen – eine vorherige Kontrolle durch ein Gericht, um zu gewährleisten, dass der den Datenzugriff begrenzende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall durch eine Gewichtung aller relevanten Gesichtspunkte gewahrt wird (EuGH (Große Kammer), Urteil vom – C-548/21, NVwZ 2025, 321, 325 Rn. 102, 104). Dies wird durch eine nach §§ 102, 105 Abs. 1 StPO – bei hinreichendem Tatverdacht und unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit – richterlich angeordnete Durchsuchung gewährleistet, die gerade auch dem Auffinden von Mobiltelefonen dient.

52(1) Die Sicherstellung von Mobiltelefonen erfolgt regelmäßig im Rahmen von Durchsuchungsmaßnahmen. Dies wird auch der Hauptanwendungsfall der Entsperrung eines Mobiltelefons durch Auflegen des Fingers nach § 81b Abs. 1 StPO sein, da – sofern der Beschuldigte bei der Durchsuchungsmaßnahme zugegen ist – die Maßnahme einen schnellen Zugriff auf das Mobiltelefon ermöglicht. Diese Durchsuchungen unterliegen nach nationalem Recht dem Richtervorbehalt aus § 105 Abs. 1 StPO, wobei im Durchsuchungsbeschluss auch die zu suchenden Beweismittel möglichst konkret zu bezeichnen sind (vgl. , WM 2020, 1701, 1703 Rn. 28; KK-StPO/Henrichs/Weingast, 9. Aufl., § 105 Rn. 4). Damit unterliegt die Frage, ob Mobiltelefone bzw. die auf diesen befindlichen Daten zu Beweiszwecken benötigt werden, im Falle der gerichtlich angeordneten Durchsuchung der vorherigen Prüfung durch den (Ermittlungs-)Richter.

53Dieser prüft bereits bei Erlass des Durchsuchungsbeschlusses, aufgrund welcher konkreten Beweismittel ein Tatverdacht gegen eine Person besteht und mit Blick auf welche potentiellen Beweismittel die Durchsuchung erfolgen soll. Ihm ist die Prüfung der Verhältnismäßigkeit überantwortet, und das Ergebnis der Prüfung ist in dem Durchsuchungsbeschluss gemäß §§ 102, 105 Abs. 1 StPO zu dokumentieren. Daraus muss hervorgehen, dass die zur Aufklärung der Straftat erforderlichen Beweismittel gerade (auch) auf Mobiltelefonen vermutet werden und dass unter Berücksichtigung der Schwere der Straftat und der Erfordernisse der Untersuchung ein Zugang zum Inhalt der Kommunikationen oder zu sensiblen Daten auf einem Mobiltelefon unter Beachtung des damit verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in Beschuldigtenrechte gerechtfertigt ist. Dadurch wird zugleich den Durchsuchungsbeamten eine entsprechende Richtlinie für die Vollstreckung des Durchsuchungsbeschlusses vorgegeben (vgl. , Rn. 10); die Sicherstellung von Mobiltelefonen und der auf diesen gespeicherten Daten ist im Voraus richterlich gebilligt. Andernfalls wird eine den Datenzugriff auf Mobiltelefone erst ermöglichende Durchsuchungsanordnung verweigert.

54(2) Ausgehend hiervon ist das verfahrensgegenständliche Vorgehen der Polizeibeamten rechtlich nicht zu beanstanden.

55(a) Das Amtsgericht Köln hatte die Durchsuchung der Wohnräume und der Person des Angeklagten mit Beschluss vom gemäß §§ 102, 105 Abs. 1 StPO angeordnet. Ausweislich des Durchsuchungsbeschlusses sollte die Maßnahme dem Auffinden elektronischer Speichermedien wie Mobiltelefonen dienen. Aus den Beschlussgründen ergibt sich, dass der Ermittlungsrichter die Maßnahme mit Blick auf den Umstand, dass der Angeklagte die Betreuungsverhältnisse über Onlineportale angebahnt hatte und die Erforschung des Sachverhaltes deshalb auf andere Weise wesentlich erschwert war, als gerechtfertigt erachtete.

56(b) Dass der Durchsuchungsbeschluss nicht ausdrücklich eine Maßnahme nach § 81b Abs. 2 StPO vorsah, ist unschädlich. Denn mit der Entscheidung, dass die Durchsuchung dem Auffinden von Mobiltelefonen bzw. der auf diesen gespeicherten Daten dienen solle, billigte der Ermittlungsrichter den Zugriff auf das Mobiltelefon. Ob der Zugriff dann ohne Weiteres oder unter Aufhebung einer numerischen oder einer biometrischen Verschlüsselung erfolgen konnte bzw. auf welche Weise diese vorzunehmen war, war nicht von entscheidender Relevanz.

57ee) Die Maßnahme war hier auch verhältnismäßig.

58Gegen den Angeklagten bestand der begründete Verdacht des Verstoßes gegen ein hier der Abwehr von Gefahren für Kinder und damit besonders schutzbedürftigen Personen dienendes Berufsverbot nach § 145c StGB. Dieses war ihm im Rahmen seiner Verurteilung wegen Herstellens kinderpornographischer Schriften, Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen und Besitzes kinderpornographischer Schriften auferlegt worden. Es bestanden zureichende konkrete Anhaltspunkte, dass es zu mehreren verbotswidrigen Kontaktaufnahmen durch den Angeklagten gekommen war und diese – wie im Durchsuchungsbeschluss ausgeführt – mittels elektronischer Medien begangen worden waren. Bei dieser Verdachtslage war das zwangsweise Entsperren der Mobiltelefone des Angeklagten – auch eingedenk der damit verbundenen Eingriffsintensität – gerechtfertigt.

59b) Ohnehin ergäbe sich aus der zwangsweisen Entsperrung kein Beweisverwertungsverbot.

60aa) Dem Strafverfahrensrecht ist ein allgemein geltender Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich ziehe, fremd. Vielmehr ist die Frage nach gefestigter Rechtsprechung jeweils nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Verbots und des Gewichts des Verstoßes, unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden (vgl. , BGHSt 44, 243, 249; Beschluss vom – 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 219 f.). Auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf Wahrheitserforschung um jeden Preis gerichtet ist, schränkt ein Beweisverwertungsverbot eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts ein, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind. Daran gemessen bedeutet ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (, aaO; Beschluss vom – StB 8/90, BGHSt 37, 30, 32).

61bb) Hiervon ausgehend wären die auf dem Mobiltelefon gespeicherten Lichtbilder auch dann verwertbar, wenn § 81b Abs. 1, §§ 94 ff. StPO zu Maßnahmen wie der hier in Rede stehenden nicht ermächtigen würde. Für die Durchsicht des Mobiltelefons und die spätere Beschlagnahme der Dateien war mit § 110 Abs. 1 und 3, § 94 StPO eine gesetzliche Grundlage vorhanden. Der Ermittlungsrichter hatte die Durchsuchung gerade zum Zwecke des Auffindens mobiler Datenträger angeordnet. Der Entsperrvorgang wahrte – wie dargelegt – ungeachtet seiner Eingriffsintensität die Verhältnismäßigkeit. Ein schwerwiegender, bewusster oder objektiv willkürlicher Rechtsverstoß ist nicht zu besorgen (vgl. zur unterbliebenen Pflichtverteidigerbestellung nach § 141a Satz 1, § 141 Abs. 2, § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO auch , NStZ-RR 2024, 124), zumal Instanzrechtsprechung und Literatur die vorgenommene Maßnahme als ohne Weiteres von § 81b Abs. 1 StPO gedeckt angesehen hatten (s.o.).

62Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Prüfung des Urteils führt in den nach Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten im Fall II.3 der Urteilsgründe (oben B.) verbleibenden Fällen II.1 und II.2 der Urteilsgründe zu einer Änderung des Schuldspruchs, der Aufhebung der in diesen Fällen verhängten Einzelstrafen und des Gesamtstrafenausspruchs.

63Zwar ist die rechtliche Würdigung der Taten des Angeklagten als Verstoß gegen das Berufsverbot gemäß § 145c StGB und als Herstellen kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB aF für sich genommen rechtsfehlerfrei. Indes hält die konkurrenzrechtliche Bewertung der Fälle II.1 und II.2 der Urteilsgründe als realkonkurrierende Einzeltaten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

641. Mehrere Verstöße gegen das Berufsverbot stellen nur eine Tat im materiell-rechtlichen Sinne dar (vgl. BeckOK-StGB/Stoll, 64. Ed., § 145c Rn. 14). Dem Tatbestandsmerkmal des „Ausübens“ ist ein Dauerelement immanent, welches dazu führt, dass jedes Ausüben einer Tätigkeit im Rahmen der Berufsausübung Teil der Tatbestandserfüllung ist und die Tat erst beendet ist, wenn die verbotene Berufsausübung eingestellt wird (vgl. zu § 99 StGB , BGHR StGB § 99 Ausüben 1, und vom – 3 StR 525/96, BGHSt 43, 1, 4 ff.). Das ist der Fall, wenn die verbotene Berufsausübung aufgegeben oder für eine Zeitspanne unterbrochen wird, die sich von gewöhnlichen Unterbrechungen wesentlich unterscheidet (vgl. LK-StGB/Krehl, 13. Aufl., § 145c Rn. 28). Damit sind – wie die Strafkammer zutreffend erkannt hat – die im Fall II.1 der Urteilsgründe dargestellten Betreuungsleistungen für alle acht Familien als einheitliche Tat im Sinne des § 145c StGB zu werten.

652. Demgegenüber erweist sich die Annahme der Strafkammer im Fall II.2 der Urteilsgründe, bei der Betreuung der Kinder der Familie E. und der Herstellung kinderpornographischer Lichtbilder im Kontext mit einer solchen Betreuung handele es sich um eine eigenständige Straftat, als durchgreifend rechtsfehlerbehaftet.

66Alleine aus dem Umstand, dass bei Gelegenheit einer Betreuungshandlung kinderpornographische Lichtbilder hergestellt wurden (§ 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB aF), folgt nicht, dass der Tat ein eigenständiges Gewicht zukommt. Vielmehr sind hier die allgemeinen Grundsätze der Tateinheit nach § 52 StGB anzuwenden. Verklammerungsgrundsätze, die die Strafkammer möglicherweise herangezogen hat, sind demgegenüber nicht anzuwenden, da neben dem Verstoß gegen das Berufsverbot nur eine weitere Straftat – das Herstellen kinderpornographischer Schriften – begangen wurde (anders in , NStZ 1991, 549, 550). Die Möglichkeit einer Tateinheit durch Verklammerung besteht aber nur dann, wenn die Ausführungshandlungen zweier oder mehrerer an sich getrennt verwirklichter Delikte zwar nicht miteinander, wohl aber mit der Ausführungshandlung eines dritten Tatbestandes (teil-)identisch sind.

673. Der Senat schließt aus, dass noch Feststellungen getroffen werden könnten, die die Annahme von Tatmehrheit tragen, und ändert in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO den Schuldspruch in den Fällen II.1 und Fall II.2 der Urteilsgründe dahin ab, dass der Angeklagte nur wegen eines Verstoßes gegen das Berufsverbot in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Schriften gemäß §§ 145c, 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB aF, § 52 StGB schuldig ist. § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen, da sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

68Die Schuldspruchänderung zieht die Aufhebung auch der Einzelstrafen zu den Fällen II.1 und II.2 der Urteilsgründe nach sich. Dem Gesamtstrafenausspruch ist die Grundlage entzogen. Der Senat hebt die zum Strafausspruch getroffenen Feststellungen mit auf, um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:130325B2STR232.24.0

Fundstelle(n):
OAAAJ-91502