BGH Beschluss v. - 2 StR 49/23

Beweisverbot nach unterlassener Pflichtverteidigerbestellung; Bestand einer Adhäsionsentscheidung ohne Geltendmachung eines bezifferten Anspruchs

Gesetze: § 140 Abs 1 Nr 4 StPO, § 141 Abs 2 StPO, § 141a S 1 StPO, § 304 ZPO

Instanzenzug: LG Limburg Az: 2 Js 56397/20 - 5 KLs

Gründe

1Das Landgericht hat die Angeklagten A.   , C.   , E.   und B.   wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung und wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu Gesamtfreiheitsstrafen von acht Jahren (Angeklagter A.   ), sechs Jahren und neun Monaten (Angeklagte C.    und E.   ) und vier Jahren und sechs Monaten (Angeklagter B.   ), sowie den Angeklagten R.   wegen Beihilfe zum erpresserischen Menschenraubs und zur tateinheitlich begangenen schweren räuberischen Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Gegenüber den Angeklagten A.    , E.   und B.   hat es zudem eine Einziehungsentscheidung getroffen. Weiterhin hat es alle Angeklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an den Adhäsions- und Nebenkläger 10.000 Euro nebst im Einzelnen festgesetzter Zinsen zu zahlen und festgestellt, dass sie „dem Grunde nach verpflichtet sind, dem Neben- und Adhäsionskläger ein Schmerzensgeld zu zahlen.“

2Gegen dieses Urteil wenden sich die Beschwerdeführer mit ihren auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen; mit Ausnahme des Angeklagten E.   rügen sie zudem die Verletzung formellen Rechts. Die Rechtsmittel haben in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

31. Den Verfahrensrügen bleibt aus den vom Generalbundesanwalt dargelegten Gründen der Erfolg versagt. Näherer Erörterung bedarf nur die Rüge der Angeklagten R.   , A.   , C.   und B.   , die Angaben des als Beschuldigten vernommenen B.   seien unverwertbar, weil ihm entgegen § 141a Satz 1, § 141 Abs. 2, § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmungen am kein Pflichtverteidiger bestellt worden war. Sie greift im Ergebnis nicht durch.

4Zwar ist dem Mitangeklagten B.   im Rahmen seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung entgegen § 141a Satz 1, § 141 Abs. 2, § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO kein Pflichtverteidiger bestellt worden; auch greifen die Ausnahmetatbestände gemäß § 141a Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 StPO nicht. Daraus aber folgt – entgegen der Ansicht der Revisionen – kein Verwertungsverbot.

5Nach dem Willen des Gesetzgebers führt ein Verstoß gegen die genannten Vorschriften nicht automatisch zu einem Verwertungsverbot. Vielmehr gelangen die allgemeinen Grundsätze zur Anwendung, wonach anhand der Umstände des Einzelfalls unter Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte und der widerstreitenden Interessen zu entscheiden ist. Ein Verwertungsverbot ist nur bei schwerwiegenden, bewussten oder objektiv willkürlichen Rechtsverstößen anzunehmen, bei denen grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind (BT-Drucks. 19/13829, S. 39; vgl. auch Meyer/Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 141a Rn. 11). Eine solche Fallkonstellation liegt hier jedoch nicht vor.

6Das Landgericht hat in seinem den Widerspruch gegen die Verwertung zurückweisenden Beschluss zutreffend in den Blick genommen, dass das staatliche Verfolgungs- und Aufklärungsinteresse – wie hier – bei einem Delikt schwerer Kriminalität besonders hoch ist, die Beschuldigtenvernehmung nicht unter bewusster Umgehung des § 141a StPO durchgeführt wurde, sondern die seit dem geltende Neuregelung lediglich aufgrund eines Versehens nicht zur Anwendung gelangte, weil die beteiligten Ermittlungsbeamten irrtümlich davon ausgingen, dass eine Vernehmung eines unverteidigten Beschuldigten weiterhin zulässig sei, wenn dieser Beschuldigte hiermit einverstanden sei, und damit der festgestellte Verstoß von geringerem Gewicht ist.

72. Die Schuld- und Strafaussprüche halten auch unter Berücksichtigung des jeweiligen Revisionsvorbringens rechtlicher Nachprüfung stand.

83. Die Adhäsionsentscheidung hat keinen Bestand, soweit das Landgericht festgestellt hat, dass die Angeklagten dem Grunde nach verpflichtet sind, dem Neben- und Adhäsionskläger ein Schmerzensgeld zu zahlen.

9Denn der Erlass eines Grundurteils setzt nach § 304 ZPO die Geltendmachung eines bezifferten Anspruches voraus (vgl. , NStZ 2021, 225 mwN). Einen solchen Antrag hat der Neben- und Adhäsionskläger nicht gestellt. Hinsichtlich künftig aus der urteilsgegenständlichen Tat entstehender immaterieller Schäden hat der Neben- und Adhäsionskläger indes einen Feststellungsantrag geltend gemacht, über den nicht durch Grundurteil, sondern allenfalls durch Feststellungsurteil entschieden werden konnte (vgl. , NStZ 2021, 225; Urteil vom ‒ XII ZR 77/06, NJW 2009, 2814, 2815).

10Eine Änderung in einen Feststellungsausspruch durch den Senat kommt nicht in Betracht. Denn ein solcher bedarf einer – gegebenenfalls kurzen – Begründung mit Blick auf die Umstände des Einzelfalls, soweit sich das Feststellungsinteresse – wie hier – nicht ohne Weiteres aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt (vgl. , juris Rn. 4 mwN). Daran fehlt es hier.

11Der Ausspruch über die Feststellung, dass die Angeklagten dem Grunde nach verpflichtet sind, dem Neben- und Adhäsionskläger ein Schmerzensgeld zu zahlen, ist daher aufzuheben und diesbezüglich von einer Entscheidung abzusehen (§ 406 Abs. 3 Satz 3 StPO). Eine Zurückverweisung der Sache nur zur teilweisen Erneuerung des Adhäsionsverfahrens scheidet aus (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 471/11, BGHR StPO § 406 Grundurteil 6 Rn. 4, und vom – 2 StR 106/87, BGHR StPO § 405 Feststellungsmangel 1).

124. Angesichts des geringen Erfolgs der Revision ist es nicht unbillig, die Angeklagten jeweils mit den gesamten Kosten ihrer Rechtsmittel und den notwendigen Auslagen des Nebenklägers zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO). Gleiches gilt für die durch das Adhäsionsverfahren entstandenen Kosten und notwendigen Auslagen des Adhäsionsklägers (§ 472a Abs. 2 StPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:071223B2STR49.23.0

Fundstelle(n):
OAAAJ-59342