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BVerfG Beschluss v. - 2 BvE 7/23

Zu den Anforderungen an die Begründung einer Organklage wegen Verletzung des parlamentarischen Frage- und Informationsrechts - hier: erfolgloser Antrag im Organstreitverfahren bzgl der Verweigerung einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage - behauptete Verletzung von Art 38 Abs 1 S 2 GG nicht substantiiert dargelegt

Gesetze: Art 38 Abs 1 S 2 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 63 BVerfGG, § 64 Abs 1 BVerfGG

Gründe

A.

1Das Organstreitverfahren betrifft eine schriftliche Einzelfrage des Antragstellers an die Antragsgegnerin zu den meldeberechtigten Stellen für schutzbedürftige afghanische Staatsangehörige im Rahmen der Anordnung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat gemäß § 23 Abs. 2, Abs. 3 in Verbindung mit § 24 AufenthG zur Aufnahme von besonders gefährdeten afghanischen Staatsangehörigen aus Afghanistan vom (Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan).

I.

21. Der Antragsteller stellte als Abgeordneter des 20. Deutschen Bundestages am eine schriftliche Einzelfrage an die Antragsgegnerin. Darin bat er um Auflistung aller meldeberechtigten Stellen im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms Afghanistan und um Auskunft darüber, wer diese ausgewählt habe.

32. Mit Antwortschreiben vom erläuterte die Antragsgegnerin, dass sie - mithilfe der Koordination und Unterstützung der "Koordinierungsstelle der zivilgesellschaftlichen Organisationen" - in einem strukturierten Prozess die meldeberechtigten Stellen bestimme. Hinsichtlich der vom Antragsteller begehrten Liste der meldeberechtigten Stellen verwies die Antragsgegnerin auf ihre Antwort zu einer vorherigen Anfrage. Darin hatte sie unter anderem ausgeführt, dass die meldeberechtigten Stellen "aus Gründen der Sicherheit Wert darauf [legten], nicht öffentlich benannt zu werden" (vgl. BTDrucks 20/4631, S. 41).

43. Mit Schreiben vom 17. und beanstandete der Antragsteller die Ablehnung der Herausgabe der begehrten Liste und verlangte deren Hinterlegung in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages.

54. Mit ergänzendem Antwortschreiben vom entgegnete die Antragsgegnerin, dass auch eine Hinterlegung in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages nicht möglich sei. Die weit überwiegende Anzahl der meldeberechtigten Stellen lege "aus Gründen der fortgesetzten Arbeitsfähigkeit und Sicherheit vor dem Hintergrund der schwierigen Sicherheitslage in Afghanistan" nachdrücklich Wert darauf, nicht benannt zu werden. Bei Gefahr einer Bekanntgabe sei zu erwarten, dass sie von einer fortgesetzten Mitwirkung absehen würden, um Risiken für die eigene Organisation und womöglich auch für das Leben einzelner Mitarbeiter zu verhindern. Dies wiederum würde die weitere Umsetzung des Bundesaufnahmeprogramms Afghanistan nachhaltig beeinträchtigen, da aufgrund der Lage in Afghanistan die Expertise geeigneter zivilgesellschaftlicher Organisationen vonnöten sei.

6Vor diesem Hintergrund überwögen das Staatswohl und die zu schützenden Grundrechte Dritter hier deutlich das parlamentarische Informationsrecht. Auch wenn bei einer Hinterlegung in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages ein nur geringfügiges Risiko des Bekanntwerdens bestehe, könne noch nicht einmal dieses hingenommen werden. Im Übrigen gebe es ohnehin keine abgeschlossene Liste aller meldeberechtigten Stellen. Bei der Aufnahme und auch der etwaigen Beendigung einer Zusammenarbeit mit diesen Stellen handele es sich um einen dynamischen, nicht abgeschlossenen Prozess.

II.

7Mit seinem am eingegangenen Antrag im Organstreitverfahren begehrt der Antragsteller die Feststellung, dass er dadurch in seinen Rechten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt worden sei, dass die Antragsgegnerin seine Einzelfrage nicht vollständig beantwortet habe.

8Zur Begründung führt der Antragsteller aus, dass sein Informationsinteresse das Geheimhaltungsinteresse der Antragsgegnerin überwiege, deren Gründe für die Geheimhaltungsbedürftigkeit überdies unzureichend seien. Die verfassungsrechtlichen Grenzen des parlamentarischen Informations- und Fragerechts - einschließlich des Ablehnungsgrunds der Belange des Staatswohls - seien unter Berücksichtigung seiner Bedeutung im Verfassungsgefüge zu beantworten. Auch die detaillierten Regelungen zur Wahrung von Dienstgeheimnissen in der Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestages seien zu berücksichtigen. Eine Berufung auf das Staatswohl komme in aller Regel nicht in Betracht, wenn beiderseits wirksame Vorkehrungen gegen das Bekanntwerden von Dienstgeheimnissen getroffen worden seien. Das verfassungsmäßige Frage- und Informationsrecht des Deutschen Bundestages und die damit verbundene Auskunftspflicht der Bundesregierung stellten eine hinreichende Grundlage für einen in der Auskunftserteilung liegenden Grundrechtseingriff dar. Die Abwägung der konkret betroffenen Belange sei vom Bundesverfassungsgericht zu überprüfen. Jedenfalls genüge es nicht, wenn die Bundesregierung sich pauschal auf einen der verfassungsrechtlichen Gründe für die Ablehnung eines Informationsersuchens berufe. Vielmehr habe sie das Vorliegen eines solchen Grundes substantiiert darzulegen.

B.

9Der Antrag im Organstreitverfahren ist unzulässig. Der Antragsteller hat entgegen § 64 Abs. 1, § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG nicht hinreichend dargelegt, dass er durch die Antwort der Antragsgegnerin auf seine Einzelfrage vom in seinen Rechten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt sein könnte.

I.

10Für die Zulässigkeit eines Organstreitverfahrens erforderlich, aber auch ausreichend ist es, dass die von dem Antragsteller gemäß § 64 Abs. 1 BVerfGG behauptete Verletzung oder unmittelbare Gefährdung seiner verfassungsmäßigen Rechte unter Beachtung der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäbe nach dem vorgetragenen Sachverhalt möglich erscheint (vgl. BVerfGE 138, 256 <259 Rn. 6>; 140, 1 <21 f. Rn. 58>; 151, 191 <199 Rn. 22>; 166, 93 <146 Rn. 146>; stRspr). Dabei ist gemäß § 64 Abs. 2 BVerfGG im Antrag die Bestimmung des Grundgesetzes zu bezeichnen, gegen die durch die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners verstoßen wird. Weiter ist gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG substantiiert darzulegen, dass ausgehend von der benannten Verfassungsbestimmung die Möglichkeit der behaupteten Rechtsverletzung besteht (vgl. BVerfGE 24, 252 <258>; 134, 141 <195 Rn. 161>; 166, 93 <146 Rn. 146>). Denn auch im Organstreit ist eine über die bloße Bezeichnung der Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 64 Abs. 1 und Abs. 2 BVerfGG hinausgehende nähere Substantiierung der Begründung der behaupteten Rechtsverletzung erforderlich (vgl. Barczak, in: ders., BVerfGG, 2018, § 64 Rn. 42; siehe auch BVerfGE 24, 252 <258>; 134, 141 <195 Rn. 161>).

II.

11Nach diesen Maßstäben fehlt es im vorliegenden Fall an der hinreichenden Darlegung der Möglichkeit einer Verletzung des Antragstellers in seinen Rechten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG.

12Das Vorbringen des Antragstellers erschöpft sich in der Wiedergabe vom Bundesverfassungsgericht entwickelter Maßstäbe zu möglichen, der Beantwortung einer Anfrage aus dem Parlament entgegenstehenden Geheimhaltungsinteressen sowie der Verpflichtung der Antragsgegnerin, das parlamentarische Auskunfts- und Informationsinteresse mit derartigen Geheimhaltungsinteressen - auch unter Berücksichtigung der Möglichkeit einer Beantwortung unter den Bedingungen der Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestages - abzuwägen und die etwaige Ablehnung eines Informationsersuchens zu begründen.

13Der Antragsteller hat davon abgesehen, die genannten Maßstäbe auf die Beantwortung seiner Einzelfrage vom anzuwenden und sich mit den Ausführungen der Antragsgegnerin vom 5. April und inhaltlich auseinanderzusetzen. Insbesondere geht er nicht darauf ein, dass sich die Antragsgegnerin auf grundsätzlich anerkannte Gründe für die Verweigerung einer (vollständigen) Fragebeantwortung berufen hat, nämlich auf das Staatswohl (vgl. hierzu BVerfGE 156, 270 <299 f. Rn. 90 ff.>; 165, 167 <188 ff. Rn. 63 ff.>) mit Blick auf die Fortsetzung des Bundesaufnahmeprogramms Afghanistan und auf Grundrechte Dritter (vgl. hierzu BVerfGE 147, 50 <142 Rn. 236 und 145 f. Rn. 244 f.> m.w.N.), nämlich der meldeberechtigten Stellen und ihrer Mitarbeitenden. Der Antragsteller erläutert nicht, ob und gegebenenfalls weshalb seiner Ansicht nach diese Verweigerungsgründe nicht einschlägig sein oder jedenfalls die Geheimhaltung der erfragten meldeberechtigten Stellen nicht rechtfertigen können sollten. Daher ist ausgehend von seinem Vortrag die Möglichkeit der behaupteten Rechtsverletzung nicht hinreichend erkennbar.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2025:es20250408.2bve000723

Fundstelle(n):
RAAAJ-90542