Suchen
BVerfG Urteil v. - 2 BvR 829/24

Stattgebender Kammerbeschluss: Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen strafrechtliche Verurteilung in Abwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers - Verletzung des Anspruchs auf effektive Verteidigung, auf ein faires Verfahren sowie auf effektiven Rechtsschutz

Gesetze: Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 140 Abs 2 StPO, § 244 Abs 2 StPO, § 329 Abs 2 S 1 StPO, § 344 Abs 2 S 2 StPO

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 1 ORs 23/24 Beschlussvorgehend LG Frankfurt Az: 5/20 NBs - 6440 Js 208126/22 (31/23) Urteilvorgehend Az: 2 BvR 829/24 Einstweilige Anordnungvorgehend Az: 2 BvR 829/24 Einstweilige Anordnung

Gründe

I.

1Die Verfassungsbeschwerde betrifft die strafrechtliche Verurteilung des Beschwerdeführers in seiner Abwesenheit sowie in Abwesenheit seines Verteidigers in der Berufungshauptverhandlung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren.

21. Am verurteilte das Amtsgericht Frankfurt am Main den Beschwerdeführer wegen Körperverletzung und Bedrohung zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 10 Euro. Am verurteilte das Amtsgericht Frankfurt am Main - Außenstelle Höchst -den Beschwerdeführer wegen versuchter Nötigung in einem besonders schweren Fall zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 40 Euro.

3Mit einem weiteren Urteil vom verurteilte das Amtsgericht Frankfurt am Main den Beschwerdeführer wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dieses Urteil wurde am rechtskräftig und die ausgeurteilte Strafe später bei der Gesamtstrafenbildung einbezogen.

42. Der Beschwerdeführer legte sowohl gegen das Urteil vom als auch gegen das Urteil vom Berufung ein, wobei er die Berufung im letzteren Fall auf die Rechtsfolgen und dabei auf die Tagessatzhöhe beschränkte. Auch die Staatsanwaltschaft legte gegen das Urteil vom Berufung ein. Ihr gegen das Urteil vom eingelegtes Rechtsmittel nahm die Staatsanwaltschaft später zurück.

5Am erklärte der Verteidiger auf telefonische Nachfrage des Vorsitzenden Richters der am Landgericht für die Berufung des Beschwerdeführers zuständigen kleinen Strafkammer, dass sich der Beschwerdeführer in der Türkei befinde und wegen einer Beinverletzung flugunfähig sei. Er habe den Mandanten ersucht, ihm ein ärztliches Attest zu übermitteln. Zum Hauptverhandlungstermin werde dieser aber nicht erscheinen.Der Verteidiger gab zudem an, dass er den Hauptverhandlungstermin deshalb ebenfalls nicht wahrnehmen werde.Er sei terminlich nun bereits anderweitig gebunden. Der Kammervorsitzende wies den Verteidiger in dem Telefongespräch auf die Möglichkeit eines Vorgehens nach § 329 StPO hin.

6Noch am Abend des reiste der Beschwerdeführer über den Frankfurter Flughafen wieder nach Deutschland ein.

73. Im Termin zur Berufungshauptverhandlung am erschienen weder der Beschwerdeführer noch sein Verteidiger. Das Landgericht verwarf die Berufungen des Beschwerdeführers mit gesondertem Urteil und verhandelte nur noch zu der Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil vom .

8Mit Urteil vom fasste das Landgericht Frankfurt am Main das auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin neu und verurteilte den Beschwerdeführer wegen Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten in Tateinheit mit versuchter Nötigung in Tateinheit mit Bedrohung unter Einbeziehung einer durch Strafbefehl vom verhängten Geldstrafe von 90 Tagessätzen sowie einer durch das Amtsgericht Frankfurt am Main mit Urteil vom verhängten und zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von zehn Monaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren. Hinsichtlich der Tat, die Gegenstand des Berufungsverfahrens gewesen war, hatte die Kammer eine Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten für tat- und schuldangemessen befunden. Die ausgeurteilte Gesamtfreiheitsstrafe setzte sie nicht zur Bewährung aus, da sie keine positive Sozialprognose habe sehen können.

94. Am reichte der ursprüngliche Verteidiger ein ärztliches Attest vom ein. Die ausstellende Ärztin stufte den Beschwerdeführer danach vom 13. bis zum als vernehmungsunfähig erkrankt ein. Umfangreiche Nachermittlungen des Kammervorsitzenden im Nachgang zur Berufungshauptverhandlung ergaben, dass der Beschwerdeführer persönlich am gegen 11:45 Uhr im Bürgeramt Frankfurt am Main, Stadtteil Höchst, vorgesprochen hatte, um seine neue Meldeadresse eintragen zu lassen.

105. Der Beschwerdeführer legte gegen das auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin ergangene Urteil Revision ein. Die Generalstaatsanwaltschaft sah die von ihm insoweit erhobenen Verfahrensrügen, mit denen er die Verurteilung in seiner Abwesenheit und ohne Mitwirkung eines notwendigen Verteidigers beanstandet hatte, als nicht ausreichend begründet und damit als unzulässig an. Mit Beschluss vom verwarf das Oberlandesgericht Frankfurt am Main die Revision als offensichtlich unbegründet, weil die Überprüfung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben habe. Eine weitere Begründung enthält der Beschluss nicht.

116. Die mit Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom verhängte und mittlerweile in der Vollstreckung befindliche Freiheitsstrafe wurde durch einstweilige Anordnung der Kammer vom , verlängert durch Beschluss vom , ausgesetzt. Der Beschwerdeführer wurde am aus der Haft entlassen.

II.

12Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main, das auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin ergangen ist, und gegen den die Revision verwerfenden Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main.

13Er rügt im Wesentlichen die Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG sowie seines Rechts auf effektive Verteidigung als Ausprägung des Anspruchs auf ein faires Verfahren. Er macht geltend, er sei in Abwesenheit zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren ohne Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung verurteilt worden, ohne dass an der Berufungshauptverhandlung ein Verteidiger mitgewirkt habe. Es sei rechtsfehlerhaft ohne den Beschwerdeführer und seinen Verteidiger verhandelt worden.

14Im Einzelnen führt der Beschwerdeführer nach Darstellung des Verfahrensgangs aus, schon die fehlende Mitwirkung eines Verteidigers führe zu einer Rechtsverletzung, da ein Fall der notwendigen Verteidigung vorgelegen habe. Das Recht auf ein faires Verfahren verlange, dass das Strafverfahren in einer Weise geführt werde, die es dem Angeklagten erlaube, zur Wahrung seiner Rechte effektiv auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens einzuwirken. Von entscheidender Bedeutung sei - auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte -, dass der Angeklagte angemessen verteidigt werde. Dies gelte für die erste Instanz ebenso wie für die Berufungsinstanz. Vorliegend sei dieses Recht auf effektive Verteidigung verletzt worden, da in der Berufungshauptverhandlung eine umfassende Beweisaufnahme stattgefunden und die Staatsanwaltschaft ein Plädoyer gehalten habe. Dem Mangel sei nicht durch Bestellung eines Pflichtverteidigers abgeholfen worden.

15Darüber hinaus sei das Recht auf ein faires Verfahren auch durch die Verurteilung in Abwesenheit des Beschwerdeführers verletzt worden. Das Landgericht habe die gesetzlichen Voraussetzungen des § 329 Abs. 2 StPO, mit denen verfassungsrechtliche Vorgaben umgesetzt würden, missachtet. Die Anwesenheit des Beschwerdeführers sei erforderlich gewesen. In den Fällen, in denen die Erteilung eines Hinweises nötig sei, müsse grundsätzlich hiervon ausgegangen werden. Auch sei die Entscheidung, die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung auszusetzen, ohne Anhörung des Beschwerdeführers getroffen worden. Schon wegen der Erhöhung einer der bei der Gesamtstrafenbildung zu berücksichtigenden Strafe wäre dies erforderlich gewesen, zumal erstmals der Anwendungsbereich des § 56 Abs. 2 StGB eröffnet gewesen sei.

III.

161. Das Hessische Ministerium für Justiz und für den Rechtsstaat hat von einer Äußerung abgesehen. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat zum Verfahren Stellung genommen.

17a) Der Generalbundesanwalt hält die Verfassungsbeschwerde für zulässig. Insbesondere sei der Rechtsweg gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ordnungsgemäß erschöpft. Das Oberlandesgericht habe sich mit seinem Beschluss die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft zu eigen gemacht. Diese seien hinsichtlich der Anforderungen an die Zulässigkeit der Verfahrensrüge des Beschwerdeführers jedoch überzogen und überspannten die Anforderungen an die Begründung der Verfahrensrüge gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.

18Unter anderem seien entgegen der Meinung der Generalstaatsanwaltschaft die ausführliche Wiedergabe der staatsanwaltlichen Berufungsbegründung sowie die Wiedergabe der Terminsladungen des Beschwerdeführers und seines Verteidigers und ihrer Zustellnachweise entbehrlich gewesen. Der Beschwerdeführer habe seine Verfahrensrügen hierauf nicht gestützt und zu keinem Zeitpunkt behauptet, er oder sein Verteidiger wären nicht ordnungsgemäß geladen worden.

19Die von der Generalstaatsanwaltschaft vermisste Darstellung der Beweisaufnahme wäre nur dann erforderlich gewesen, wenn sich die Revision auf die Erforderlichkeit der Anwesenheit des Beschwerdeführers oder seines Verteidigers zur Gewährung rechtlichen Gehörs zu Einzelheiten der Beweisaufnahme, zu ihrer Komplexität oder zu der rechtlichen Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme gestützt hätte. Die fehlende Wiedergabe eines Urteils, auf das die landgerichtlichen Entscheidungsgründe Bezug genommen hätten, sei unschädlich. Soweit der Beschwerdeführer deswegen den Vorwurf einer "Täter-Opfer-Umkehr" erhoben habe, sei für die Beurteilung des Erfolgs der Verfahrensrüge eine stichhaltige Überprüfung dieses Vorwurfs nicht erforderlich gewesen.

20Soweit die Generalstaatsanwaltschaft die unzulässig verkürzte Darstellung der landgerichtlichen Erwägungen zu der Relevanz der Clanzugehörigkeit des Beschwerdeführers für seine Tatmotivation rügt, verkenne sie, dass die Urteilsgründe aufgrund der erhobenen Sachrüge vom Revisionsgericht ohnehin von Amts wegen geprüft würden.

21b) Der Generalbundesanwalt hält die Verfassungsbeschwerde auch für begründet. Das Recht des Beschwerdeführers auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG sei verletzt worden, indem das Landgericht die Berufungshauptverhandlung in Abwesenheit des Beschwerdeführers sowie seines Verteidigers durchgeführt habe, ohne dem Beschwerdeführer einen anderen Verteidiger als Pflichtverteidiger gemäß § 145 Abs. 1 Satz 1 StPO zu bestellen.

22aa) Eine Verhandlung in Abwesenheit des Verteidigers sei − unabhängig von der Frage des Vorliegens der Voraussetzungen des § 329 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 StPO − nicht zulässig, wenn ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliege. Dies habe sich vorliegend gemäß § 140 Abs. 2 StPO aus der zu erwartenden Verhängung einer Gesamtfreiheitsstrafe von über einem Jahr ergeben. Das Landgericht habe deshalb auch bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen von § 329 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 StPO nicht in Abwesenheit eines Verteidigers verhandeln dürfen.

23bb) Die Voraussetzungen des § 329 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 StPO hätten aber ohnehin nicht vorgelegen, da die Anwesenheit des Beschwerdeführers unabhängig von der Frage einer genügenden Entschuldigung erforderlich im Sinne von § 329 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 StPO gewesen sei. Denn das Landgericht habe die Vollstreckung der erstmalig mit der Berufungsentscheidung verhängten Freiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt, was dem Gericht in Anbetracht der gemäß § 56 Abs. 2 StGB erforderlichen Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit regelmäßig abverlange, sich einen unmittelbaren Eindruck des Angeklagten und seiner Persönlichkeit zu verschaffen. Auch sei auf die Möglichkeit einer Gesamtstrafenbildung im Berufungsurteil nicht hingewiesen worden und gegenüber der erstinstanzlich verhängten Geldstrafe von 150 Tagessätzen (entspricht fünf Monaten Freiheitsstrafe, § 54 Abs. 3 StGB) eine deutlich höhere Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten als Einzelstrafe ausgeurteilt worden, was ebenfalls die Anwesenheit des Beschwerdeführers habe erforderlich werden lassen.

242. Zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts hat der Beschwerdeführer keine Stellung genommen.

253. Die Ermittlungsakten des Ausgangsverfahrens (vier Aktenbände) haben der Kammer vorgelegen.

IV.

26Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b, § 93b Satz 1 BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden; die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

271. Die fristgerecht erhobene Verfassungsbeschwerde ist zulässig und genügt insbesondere dem in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommenden Gebot der Subsidiarität (vgl. BVerfGE 81, 22 <27>; stRspr).

28a) Nach dem Grundsatz der Subsidiarität soll der gerügte Grundrechtsverstoß nach Möglichkeit schon im fachgerichtlichen Verfahren beseitigt werden (vgl. BVerfGE 63, 77 <78>). Der Beschwerdeführer muss deshalb von den fachgerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten in einer Weise Gebrauch machen, die gewährleistet, dass sich das Fachgericht mit seinem Vorbringen sachlich auseinandersetzt (vgl. BVerfGE 91, 93 <107>). Dies ist dann nicht der Fall, wenn die Verfahrensrüge des Beschwerdeführers nicht den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt und daher als unzulässig angesehen wurde (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 49/09 -, Rn. 8; vgl. auch BVerfGK 16, 409 <409>). Die verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Vorschrift des § 344 Abs. 2 StPO soll das Revisionsgericht davor bewahren, von Amts wegen die Einhaltung prozessualer Vorschriften durch den Tatrichter prüfen zu müssen; es soll schon anhand der Revisionsbegründung die Schlüssigkeit einer Verfahrensrüge beurteilen können (vgl. BVerfG <Vorprüfungsentscheid>, Beschluss vom - 2 BvR 1350/84 -, NJW 1985, S. 125 <126>; BVerfGE 63, 45 <70>; 112, 185 <211 f.>). Das Rechtsstaatsgebot verbietet den Gerichten aber insoweit, bei Auslegung und Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen von Voraussetzungen abhängig zu machen, die unerfüllbar oder unzumutbar sind oder den Zugang in einer Weise erschweren, die aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. BVerfGE 112, 185 <208> m.w.N.).

29b) Der Beschwerdeführer hat durch seinen Revisionsvortrag zur Verfahrensrüge in einer Weise von fachgerichtlichem Rechtsschutz Gebrauch gemacht, die gewährleistet, dass sich das Revisionsgericht im vorliegenden Fall mit seinem Vorbringen sachlich auseinandersetzt. Das Oberlandesgericht hat hingegen die sich aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ergebenden Anforderungen an die Begründung einer Verfahrensrüge überspannt.

30aa) Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Beteiligtenvorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Zudem setzt eine Verwerfung der Revision durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO einen zu begründenden Antrag der Staatsanwaltschaft voraus, der dem Revisionsführer mit den Gründen mitzuteilen ist (§ 349 Abs. 3 StPO). Ergänzt das Revisionsgericht diesen Antrag der Staatsanwaltschaft nicht und fehlt es − wie hier − an einer eigenen Begründung der Revisionsentscheidung, kann davon ausgegangen werden, dass sich das Revisionsgericht die Rechtsauffassung der Generalstaatsanwaltschaft zu eigen gemacht hat (vgl. BVerfGK 5, 269 <285 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 792/11 -, Rn. 17). Dies gilt auch, wenn das Revisionsgericht eine Verfahrensrüge, zum Beispiel wegen Begründungsmängeln, gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO für unzulässig erachtet, wegen der gleichzeitig erhobenen Sachrüge aber eine materiell-rechtliche Prüfung vornehmen muss und die Revision nur insgesamt gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verwerfen kann (vgl. Knauer/Kudlich, in: Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2024, § 349 Rn. 10).

31bb) Da das Oberlandesgericht gemäß § 349 Abs. 2 StPO durch nicht näher begründeten Beschluss entschieden hat, hat es sich die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft zu eigen gemacht. Diese gehen jedoch von Darlegungspflichten aus, die über das hinausgehen, was vorliegend für die Erhebung von gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zulässiger Verfahrensrügen erforderlich war. Vielmehr hat der Beschwerdeführer die für seinen auf § 338 Nr. 5 in Verbindung mit § 140 Abs. 2 sowie § 329 Abs. 2 StPO gestützten Revisionsvortrag entscheidenden Tatsachen mitgeteilt. Dies beinhaltet hier insbesondere die Darstellung des Verfahrensgangs, die Darlegung des Umstands, dass ein Fall notwendiger Verteidigung vorgelegen habe, sowie die Tatsache, dass weder der Beschwerdeführer noch ein (notwendiger) Verteidiger in der Hauptverhandlung vom zugegen war. Die von der Generalstaatsanwaltschaft behaupteten und sich vom Oberlandesgericht zu eigen gemachten Begründungsmängel waren für die vom Beschwerdeführer erhobenen Verfahrensrügen nicht entscheidungserheblich.

322. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht auf effektive Verteidigung als Ausprägung des Anspruchs auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG (a) sowie in seinem Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG (b). Der Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main verletzt den Beschwerdeführer außerdem in seinem aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG folgenden Anspruch auf wirksamen Rechtsschutz (c).

33a) Der Beschwerdeführer ist in seinem Recht auf effektive Verteidigung als Ausprägung des Anspruchs auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt, weil über die Berufung der Staatsanwaltschaft in Abwesenheit eines Verteidigers in der Sache verhandelt wurde, obwohl ein Fall der notwendigen Verteidigung vorlag.

34aa) (1) Das Recht auf ein faires Verfahren hat seine Wurzeln im Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Freiheitsrechten und Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 57, 250 <274 f.>; 122, 248 <271>; 130, 1 <25>) und gehört zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens (vgl. BVerfGE 38, 105 <111>; 46, 202 <210>). Als unverzichtbares Element der Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens gewährleistet es dem Beschuldigten, prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde wahrnehmen und Übergriffe der staatlichen Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können (vgl. BVerfGE 38, 105 <111>; 122, 248 <271 f.>). An ihm ist die Ausgestaltung des Strafprozesses zu messen, wenn und soweit keine spezielle verfassungsrechtliche Gewährleistung existiert (vgl. BVerfGE 57, 250 <274 f.>; 122, 248 <271>; 130, 1 <25>). Keinesfalls darf der Beschuldigte nur Objekt des Verfahrens sein; ihm muss vielmehr die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen (vgl. BVerfGE 26, 66 <71>; 46, 202 <210>; 133, 168 <200 Rn. 58>; stRspr). Das Recht auf ein faires Verfahren umfasst auch das Recht des Beschuldigten, sich im Strafverfahren von einem gewählten Anwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen (vgl. BVerfGE 34, 293 <302>; 38, 105 <111 f.>).

35Die Bestimmung der verfahrensrechtlichen Befugnisse und Hilfestellungen, die dem Beschuldigten nach dem Grundsatz des fairen Verfahrens im Einzelnen einzuräumen und die Festlegung, wie diese auszugestalten sind, ist in erster Linie dem Gesetzgeber und sodann − in den vom Gesetz gezogenen Grenzen − den Gerichten bei der ihnen obliegenden Rechtsauslegung und -anwendung aufgegeben. Die Grundrechte des Angeklagten setzen dem Ermessensspielraum des Tatrichters verfassungsrechtliche Grenzen, wozu insbesondere das Recht auf ein rechtsstaatliches, faires Verfahren gehört (vgl. BVerfGK 12, 33 <34>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 932/02 -, Rn. 26). Die Verkennung des Schutzgehalts einer verletzten Verfahrensnorm kann zu einem Eingriff in das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren führen (vgl. BVerfGK 9, 174 <188 f.>; 17, 319 <328>). Eine Verletzung liegt allerdings erst dann vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht - auch in seiner Auslegung und Anwendung durch die Fachgerichte - ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde (vgl. BVerfGE 57, 250 <276>; 64, 135 <145 f.>; 122, 248 <272>; 133, 168 <200 Rn. 59>).

36(2) Die Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO) über die notwendige Bestellung eines Verteidigers und dessen Mitwirkung im Strafverfahren sind Konkretisierungen des Rechtsstaatsprinzips des Grundgesetzes in seiner Ausgestaltung als Gebot fairer Verfahrensführung (vgl. BVerfGE 46, 202 <210>; 63, 380 <391>; 70, 297 <323>). Durch § 140 Abs. 2 StPO wird sichergestellt, dass dem Beschuldigten ein Verteidiger beigeordnet wird, wenn wegen der Schwere der Tat, der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann. Ob ein Verteidiger beizuordnen ist, hat der Richter auf Antrag oder von Amts wegen während der gesamten Verfahrensdauer zu prüfen (vgl. BVerfGE 56, 185 <186>).

37Eine Regelung dazu, ab welchem konkret zu erwartenden Strafmaß es geboten ist, wegen der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge (§ 140 Abs. 2 StPO) einen Fall notwendiger Verteidigung anzunehmen, hat der Gesetzgeber nicht getroffen. Notwendig ist deshalb stets eine Bewertung der Strafmaßerwartung im konkreten Fall durch das Gericht. Dabei geht die inzwischen verfestigte oberlandesgerichtliche Rechtsprechung seit einiger Zeit davon aus, dass in der Regel - auch im Falle einer Gesamtstrafenbildung - ab der Erwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt (vgl. -, juris, Rn. 5 ff. und 9; OLG Naumburg, Urteil vom - 2 Ss 65/13 -, juris, Rn. 6; -, juris, Rn. 8 ff.; Beschluss vom - 2 Ws 139/23 -, juris, Rn. 14). Ein starrer Schematismus soll damit aber nicht verbunden sein, sodass es einer Prüfung im Einzelfall bedürfe, ob andere Verfahren und die Erwartung späterer Gesamtstrafenbildung das Gewicht des abzuurteilenden Falles tatsächlich so erhöhen, dass die Mitwirkung eines Verteidigers geboten sei (vgl. -, juris, Rn. 14; -, juris, Rn. 7).

38§ 140 Abs. 2 StPO wirkt sich auch auf das Berufungsverfahren aus. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (zu § 329 StPO a.F.) ist dem Wortlaut des § 329 StPO eine Beschränkung des Berufungsgerichts dahin, dass es die Strafe gegen den unentschuldigt ausgebliebenen Angeklagten bei der Verhandlung über die Berufung der Staatsanwaltschaft nur in einer bestimmten, von §§ 232 oder 233 StPO abhängigen Höhe aussprechen dürfte, nicht zu entnehmen (vgl. BGHSt 17, 391 <394>). Davon unberührt bleibt jedoch die Frage, ob zur Sache ohne den notwendigen Verteidiger verhandelt werden darf. Geht es um die Berufung des Angeklagten, wird eine Verwerfung wegen seiner Säumnis nicht in jedem Fall durch die Abwesenheit eines Pflichtverteidigers gehindert (vgl. 5St RR 245/98 -, juris, Rn. 16; (4) 1 Ss 357/00 (189/00) -, juris, Rn. 3). Es ist in der neueren obergerichtlichen Rechtsprechung aber anerkannt, dass − bei einer Berufung des Angeklagten − die fehlende Ladung des Verteidigers (vgl. 1St RR 30/01 -, juris, Rn. 12), dessen fehlende Bestellung (vgl.Brandenburgisches -, juris, Rn. 23) oder dessen krankheitsbedingte Verhinderung in Fällen notwendiger Verteidigung (vgl. III-1 RVs 114/16 -, juris, Rn. 5) dazu führt, dass eine Verwerfung der Berufung nach § 329 Abs. 1 StPO nicht in Betracht kommt. Insoweit ist kein Grund ersichtlich, die Berufung der Staatsanwaltschaft anders zu behandeln.

39bb) Nach diesen Maßstäben verletzen die angegriffenen Entscheidungen den Beschwerdeführerin seinem Recht auf effektive Verteidigung als Ausprägung des Anspruchs auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, weil rechtsstaatlich zwingende Folgerungen von den Fachgerichten nicht gezogen worden sind. Da ein Fall der notwendigen Verteidigung vorlag (1) und der Beschwerdeführer nicht ausreichend verteidigt war (2), durfte die Berufungshauptverhandlung in Abwesenheit eines ordnungsgemäß bestellten Pflichtverteidigers nicht durchgeführt werden.

40(1) Zum Zeitpunkt der Verhandlung über die Berufung der Staatsanwaltschaft am war wegen der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge von einem Fall der notwendigen Verteidigung auszugehen. Mit der durch Strafbefehl vom verhängten Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen sowie mit der durch Urteil vom rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe von zehn Monaten lagen zwei gemäß § 55 Abs. 1 StGB einbeziehungsfähige Strafen vor. Schon allein wegen der zehnmonatigen Freiheitsstrafe war damit zu rechnen, dass eine auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin noch zu bestimmende Einzelstrafe zu der Bildung einer Gesamtstrafe von über einem Jahr Freiheitsstrafe führen würde.

41(2) Dennoch war der Beschwerdeführer in der Berufungshauptverhandlung nicht ordnungsgemäß verteidigt. Der ursprüngliche Verteidiger des Beschwerdeführers war nicht zum Hauptverhandlungstermin erschienen. Der Umstand, dass er bereits vorab erklärt hatte, nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen zu wollen, und sich einen anderen Termin auf den Zeitpunkt der Hauptverhandlung am gelegt hatte, ändert nichts daran, dass der Beschwerdeführer damit nicht ordnungsgemäß verteidigt war, als über das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft in der Sache verhandelt wurde. Zwar soll weder dem Beschwerdeführer noch seinem Verteidiger die Möglichkeit eingeräumt werden, das Strafverfahren in unzulässiger Weise zu verschleppen.Allerdings entzieht sich die Bestellung eines Pflichtverteidigers in den Fällen einer notwendigen Verteidigung in der Hauptverhandlung der Dispositionsbefugnis der Beteiligten, auch des Beschuldigten und seines Verteidigers.

42Für die Situation, dass im Falle einer notwendigen Verteidigung kein Verteidiger erscheint, enthält die Strafprozessordnung Vorgaben für das weitere prozessuale Vorgehen. Das Landgericht hätte demnach − unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen einer Abwesenheitsverhandlung gemäß § 329 Abs. 2 StPO − dem Beschwerdeführer gemäß § 145 Abs. 1 Satz 1 StPO einen anderen Verteidiger bestellen müssen, um sich wenigstens grundsätzlich die Möglichkeit einer Hauptverhandlung gemäß § 329 Abs. 2 Satz 1 Alternative 1 StPO zu erhalten, oder die Verhandlung gemäß § 145 Abs. 1 Satz 2 StPO aussetzen müssen.

43cc) Das Oberlandesgericht hat den Verfassungsverstoß durch seine Revisionsentscheidung fortgesetzt. Auch das Oberlandesgericht hat verkannt, dass ein Fall der notwendigen Verteidigung vorlag und die Berufungshauptverhandlung vorliegend nicht ohne Mitwirkung eines Verteidigers hätte durchgeführt werden dürfen, indem es die Revision des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen hat.

44b) Darüber hinaus ist der Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt. Das Recht auf ein faires Verfahren umfasst auch das Recht des Angeklagten, in der Hauptverhandlung anwesend zu sein und sich selbst zu verteidigen (vgl. BVerfGE 41, 246 <249>). Das Landgericht ging zu Unrecht davon aus, dass die Voraussetzungen einer Abwesenheitsverhandlung gemäß § 329 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 StPO vorlagen.

45aa) (1) Das Strafrecht beruht auf dem Schuldgrundsatz, welcher in der Garantie der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen sowie im Rechtsstaatsprinzip verankert ist und den gesamten Bereich staatlichen Strafens beherrscht (vgl. BVerfGE 140, 317 <343 Rn. 53> m.w.N.).Jede Strafe setzt Schuld voraus und das mit dem Vorwurf sozialethischen Fehlverhaltens verbundene Unwerturteil berührt den Betroffenen in seinem in der Menschenwürde wurzelnden Wert- und Achtungsanspruch. Die Verurteilung zu einer Strafe ohne Feststellung der individuellen Vorwerfbarkeit wäre deshalb mit der Garantie der Menschenwürde und dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar (vgl. BVerfGE 133, 168 <198 Rn. 54>; 140, 317 <343 f. Rn. 54> m.w.N.). Das materielle Schuldprinzip lässt sich dabei ohne die Ermittlung des wahren Sachverhalts nicht verwirklichen. Sie ist deshalb ein zentrales Anliegen des Strafprozesses.Dessen Aufgabe ist es, das Prinzip zu sichern, dass keine Strafe ohne Schuld verhängt werden darf, und entsprechende verfahrensrechtliche Vorkehrungen bereitzustellen (vgl. BVerfGE 140, 317 <345 Rn. 57> m.w.N.).

46Ziel und Aufgabe des Strafverfahrens ist es, die dem Täter und der Tat angemessene Strafe auszusprechen (vgl. BVerfGE 140, 317 <345 Rn. 58>). Dies kann regelmäßig nur dann erfolgen, wenn die Persönlichkeit des Täters umfassend berücksichtigt worden ist, da ansonsten keine der Würde des Angeklagten angemessene Strafe verhängt werden kann. Grundsätzlich muss das zur Verurteilung berufene Gericht in öffentlicher Hauptverhandlung in Anwesenheit des Angeklagten einen Einblick in seine Persönlichkeit, seine Beweggründe, seine Sicht der Tat, des Opfers und der Tatumstände erhalten (vgl. BVerfGE 140, 317 <346 Rn. 58>). Der rechtsstaatliche Auftrag bezieht sich dabei nicht nur auf die Aufklärung des äußeren Tatgeschehens, sondern erfasst wegen des Schuldprinzips alle Merkmale, die für die Beurteilung der strafrechtlichen Schuld und für die Strafzumessung von Bedeutung sind (vgl. BVerfGE 80, 367 <378>; BVerfGK 14, 20 <25>).Hierzu gehören auch die Persönlichkeit des Tatverdächtigen, sein Vorleben und sein Verhalten nach der Tat, die zum Gegenstand strafrechtlicher Untersuchung und Erörterung gemacht werden müssen (vgl. BVerfGE 80, 367 <378>).

47(2) Gleichzeitig fordert das Rechtsstaatsprinzip die Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege (vgl. BVerfGE 33, 367 <383>; 39, 156 <163>). Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt das Interesse der Allgemeinheit an der Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege hervorgehoben, ohne die Gerechtigkeit nicht durchgesetzt werden kann (vgl. BVerfGE 33, 367 <383>; 38, 105 <115 f.>; 38, 312 <321>; 39, 156 <163>; 41, 246 <250>). Der Rechtsstaat kann sich nur verwirklichen, wenn sichergestellt ist, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten Bestrafung zugeführt werden (vgl. BVerfGE 46, 214 <222>).

48Im Interesse der funktionstüchtigen Strafrechtspflege gibt es Ausnahmen von dem Grundsatz, dass ohne den Angeklagten nicht verhandelt wird. Eine solche statuiert § 329 Abs. 2 StPO für das Berufungsverfahren. Denn es verstieße gegen die Interessen der Strafrechtspflege, wenn die Entscheidung darüber, ob ein Strafverfahren einzuleiten und durchzuführen ist, von der Mitwirkungsbereitschaft des Angeklagten abhängig gemacht würde (vgl. BTDrucks 18/3562, S. 50; siehe auch BGHSt 17, 391 <395>). Für die Durchführung einer Berufungshauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten wird dabei in § 329 Abs. 2 Satz 1 StPO gefordert, dass die Anwesenheit des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung nicht erforderlich sein darf. Weiterhin differenziert die Vorschrift danach, ob der abwesende Angeklagte durch einen Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht vertreten wird (§ 329 Abs. 2 Satz 1 Alternative 1 StPO) oder seine Abwesenheit im Fall der Verhandlung auf eine Berufung der Staatsanwaltschaft hin nicht genügend entschuldigt ist (§ 329 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 StPO).

49(3) Der Wortlaut von § 329 Abs. 2 Satz 1 StPO "Soweit die Anwesenheit des Angeklagten nicht erforderlich ist, […]" verpflichtet das Gericht dabei stets zu der entsprechenden Prüfung (BTDrucks 18/3562, S. 74) und soll klarstellen, dass die Durchführung der Berufungshauptverhandlung in Abwesenheit nicht den gesetzlichen Regelfall darstellt (vgl. die Begründung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz hinsichtlich der insoweit erfolgten Änderung des Wortlauts gegenüber dem Entwurf der Bundesregierung, BTDrucks 18/5254, S. 2, 5 f.). Die Verhandlung in Abwesenheit soll in der Berufungshauptverhandlung nur möglich sein, wenn die gerichtliche Aufklärungspflicht oder andere Gründe nicht entgegenstehen (vgl. BTDrucks 18/3562, S. 73). Gründe, welche die Anwesenheit des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung erforderlich werden lassen, sollen nach der Gesetzesbegründung vorliegen, wenn es zum Beispiel auf den unmittelbaren persönlichen Eindruck des Gerichts von der Person des Angeklagten ankommt, was grundsätzlich bei der Frage einer Strafaussetzung zur Bewährung der Fall sei; aber selbst in diesem Fall soll eine Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten möglich sein, wenn das Berufungsgericht seine Anwesenheit nicht für Zwecke einer besseren Beurteilung der für die Entscheidung über eine Strafaussetzung maßgeblichen Tatsachen für erforderlich hält (vgl. BTDrucks 18/3562, S. 73). Auch wenn der Gesetzgeber davon abgesehen hat, die Anwesenheit des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung von einer konkret zu erwartenden Strafhöhe abhängig zu machen, kann eine erhebliche Straferwartung gleichwohl geeignet sein, die Anwesenheit des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung erforderlich werden zu lassen (vgl. BTDrucks 18/3562, S. 74).

50(4) Ob die Berufungshauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt werden kann, bestimmt sich in erster Linie nach der gerichtlichen Aufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO (vgl. BTDrucks 18/3562, S. 73; HansOLG Hamburg, Beschluss vom - 2 Ss 99/82 -, StV 1982, S. 558; Beschluss vom - 1 Rev 57/16 -, juris, Rn. 16; -, juris, Rn. 33; Quentin, in: Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2024, § 329 Rn. 76, 80; Paul, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. 2023, § 329 Rn. 11b). Wenn die dem Berufungsgericht obliegende Aufklärungspflicht zu einer erneuten Anhörung des Angeklagten oder dazu drängt, sich einen auf persönlicher Beobachtung beruhenden Eindruck zu verschaffen, wird die Anwesenheit des Angeklagten erforderlich sein und in der Regel nicht ohne ihn verhandelt werden können (vgl. BGHSt 17, 391 <398>). Dies kommt regelmäßig in Betracht, wenn erstmals eine nicht zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe verhängt werden soll (vgl. BTDrucks 18/3562, S. 73;HansOLG Hamburg, Beschluss vom - 2 Ss 99/82 -, StV 1982, S. 558; -, juris, Rn. 33 f. m.w.N.; Paul, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. 2023, § 329 Rn. 11b). Auch wenn durch die Berufung eine andere Strafart oder eine deutlich höhere Strafe als in der ersten Instanz verhängt werden soll, wird die Anwesenheit des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung in der Regel erforderlich sein, um eine schuldangemessene Strafe auf Grundlage des persönlichen Eindrucks vom Angeklagten verhängen zu können (vgl. -, juris, Rn. 35 f.; Quentin, in: Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2024, § 329 Rn. 80 m.w.N.). Nur, falls von dem Erscheinen des Angeklagten eine weitere, dem Verfahren dienende Sachaufklärung nicht erwartet werden kann, ist das Gericht verpflichtet, ohne ihn zu verhandeln, da die mit der Erzwingung der Anwesenheit des Angeklagten in der Regel verbundene Verfahrensaussetzung dem Zweck der auf Verfahrensbeschleunigung ausgerichteten Vorschrift zuwiderlaufen würde (vgl. BTDrucks 18/3562, S. 73; -, NStZ 1987, S. 377; -, juris, Rn. 30).

51bb) Nach diesem Maßstab ist der Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt, weil die rechtsstaatlich zwingende Folgerung, dass die Anwesenheit des Beschwerdeführers in der Berufungshauptverhandlung erforderlich gewesen ist, durch die Fachgerichte nicht gezogen wurde.

52Das Landgericht hat sich in rechtsstaatswidriger Weise von dem das Strafrecht beherrschenden Grundsatz schuldangemessenen Strafens entfernt, indem es eine im Vergleich zur erstinstanzlichen Verurteilung höhere Strafe verhängt und die Strafart geändert hat, ohne sich einen persönlichen Eindruck von dem Beschwerdeführer zu verschaffen. Unter Berücksichtigung der § 329 StPO zugrundeliegenden verfassungsrechtlichen Wertungen hätte es bei der Beurteilung der Verfahrenslage zum Zeitpunkt der Verhandlung über die staatsanwaltliche Berufung zu dem rechtsstaatlich zwingenden Schluss gelangen müssen, dass die Anwesenheit des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung im Sinne von § 329 Abs. 2 Satz 1 StPO erforderlich war.

53Hinsichtlich der auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin zu verhängenden Einzelstrafe ging das Landgericht deutlich über die noch vom Amtsgericht ausgesprochene Geldstrafe in Höhe von 150 Tagessätzen hinaus und verurteilte den Beschwerdeführer insoweit erstmals zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Im Rahmen der Strafzumessung stellt das Landgericht unter anderem darauf ab, dass sich beim Beschwerdeführer deutlich Verhaltensmuster entwickelt hätten, die einer intensiveren spezialpräventiven Behandlung im Strafvollzug bedürften. Gerade spezialpräventive Erwägungen hätten aber erfordert, sich einen persönlichen Eindruck des Beschwerdeführers zu verschaffen. Hinsichtlich der Strafaussetzung zur Bewährung verneinte die Kammer eine positive Sozialprognose. Zwar möge es sein, dass nun erstmals Freiheitsstrafen gegen den Angeklagten verhängt worden seien. Das festgestellte Verhalten des Angeklagten und seine Haltung gegenüber Polizei und Justiz lasse jedoch den Eindruck eines tief in die Persönlichkeit des Beschwerdeführers eingeschliffenen kriminellen Verhaltens entstehen.

54In der Gesamtschau stellt die Kammer damit Strafzumessungs- und Prognoseerwägungen an, bei denen der Persönlichkeit des Angeklagten ein entscheidendes Gewicht zukommt. In Anbetracht der Erhöhung der Strafe gegenüber der erstinstanzlich ausgeurteilten sowie unter Berücksichtigung dessen, dass in der Berufungsinstanz erstmals die Strafaussetzung nach § 56 Abs. 1 StGB sowie insbesondere die Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 StGB zu prüfen waren, setzten die Erwägungen der Kammer eine persönliche Einvernahme des Angeklagten − unter anderem zu seiner Person − voraus. Die Urteilsgründe lassen nicht erkennen und es erschließt sich auch nicht, wie die Kammer die für die Frage der Strafaussetzung erforderliche Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Angeklagten hier vornehmen konnte, ohne sich einen unmittelbaren Eindruck von ihm verschafft zu haben.

55cc) Auch insoweit hat das Oberlandesgericht den Verfassungsverstoß durch seine Revisionsentscheidung fortgesetzt. Indem es die Revision des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen hat, hat es verkannt, dass die Voraussetzungen für eine Verhandlung in Abwesenheit des Beschwerdeführers nicht vorlagen, weil dessen Anwesenheit in der Berufungshauptverhandlung erforderlich war.

56dd) Darauf, ob aufgrund des von der Berufungskammer im Hinblick auf die Möglichkeit der Gesamtstrafenbildung erteilten Hinweises von der Erforderlichkeit der Anwesenheit des Angeklagten auszugehen war, kommt es vor diesem Hintergrund nicht an.

57c) Der Beschwerdeführer wurde außerdem in seinem aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG folgendem Anspruch auf wirksamen Rechtsschutz verletzt, indem das Oberlandesgericht die Begründungsanforderung an die Verfahrensrügen des Beschwerdeführers aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO überspannte.

58aa) (1) Die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Rechtsschutzgarantie gewährleistet nicht nur, dass überhaupt ein Rechtsweg zu den Gerichten offensteht. Ebenso wie Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, dessen Anwendungsbereich auf die vollziehende öffentliche Gewalt beschränkt ist (vgl. BVerfGE 15, 275 <280>; 49, 329 <340>; 65, 76 <90>; 107, 395 <403 ff.>), garantiert sie vielmehr auch die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 88, 118 <123>; 94, 166 <226>; stRspr). Die Rechtsschutzgarantie umfasst das Recht auf Zugang zu den Gerichten, eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands sowie eine verbindliche Entscheidung durch den Richter (vgl. BVerfGE 54, 277 <291>; 85, 337 <345>; 107, 395 <401>). Die Effektivität des Rechtsschutzes wird in erster Linie von den Prozessordnungen gesichert (vgl. BVerfGE 94, 166 <213>). Dabei kann der Gesetzgeber auch Regelungen treffen, die für ein Rechtsschutzbegehren besondere formelle Voraussetzungen aufstellen (vgl. BVerfGE 88, 118 <123 f.>; 101, 397 <408>). Die Rechtsschutzgarantie gilt nicht nur für den ersten Zugang zum Gericht, sondern für die Ausgestaltung des gesamten Verfahrens (vgl. BVerfGE 40, 272 <275>; 88, 118 <125>). Sie gewährleistet zwar keinen Anspruch auf einen Instanzenzug (vgl. BVerfGE 92, 365 <410>; stRspr). Wird dieser von den Prozessordnungen aber eröffnet, dann gebieten Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG wirksamen Rechtsschutz in allen von der Prozessordnung zur Verfügung gestellten Instanzen (vgl. BVerfGE 104, 220 <232> m.w.N.; stRspr).

59(2) Die Garantie effektiven Rechtsschutzes richtet sich auch an den die Verfahrensordnung anwendenden Richter (vgl. BVerfGE 97, 298 <315>). Das Gericht darf ein von der Verfahrensordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer "leer laufen" lassen (vgl. BVerfGE 78, 88 <99>; 96, 27 <39>). Das Rechtsstaatsgebot verbietet es dem Gericht, bei der Auslegung und Anwendung der verfahrensrechtlichen Vorschriften den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen von Voraussetzungen abhängig zu machen, die unerfüllbar oder unzumutbar sind oder den Zugang in einer Weise erschweren, die aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. BVerfGE 63, 45 <70 f.>; 74, 228 <234>; 77, 275 <284>; 78, 88 <99>).

60bb) Hiernach hat das Oberlandesgericht den Beschwerdeführer in seinem aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG folgenden Anspruch auf wirksamen Rechtsschutz verletzt. Das Oberlandesgericht hat die Zulässigkeitsanforderungen an die Verfahrensrügen des Beschwerdeführers überspannt. Hierdurch hat das Gericht dem Beschwerdeführer aus den bereits unter Rn. 29 ff. genannten Gründen den Zugang zum Revisionsgericht in einer Weise erschwert, die aus Sachgründen nicht zu rechtfertigen ist.

V.

611. Es war danach festzustellen, dass der Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom - 1 ORs 23/24 - und das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom - 5/20 NBs - 6440 Js 208126/22 (31/23) - den Beschwerdeführer in seinem Recht auf effektive Verteidigung als Ausprägung des Anspruchs auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG sowie in seinem Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG und der Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom - 1 ORs 23/24 - den Beschwerdeführer zudem in seinem aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG folgenden Anspruch auf wirksamen Rechtsschutz verletzen. Die Entscheidungen waren aufzuheben und an das Landgericht Frankfurt am Main zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).

622. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2025:rk20250327.2bvr082924

Fundstelle(n):
IAAAJ-90451