Instanzenzug: Anwaltsgerichtshof Rheinland-Pfalz Az: 1 AGH 4/23
Gründe
I.
1Der im Jahr 1967 geborene Kläger ist seit April 1999 im Bezirk der Beklagten zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Bescheid vom widerrief die Beklagte seine Zulassung wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO). Dagegen hat der Kläger Klage zum Anwaltsgerichtshof erhoben.
2Am Morgen des auf den , 10.00 Uhr, bestimmten Termins zur mündlichen Verhandlung hat der Kläger sich telefonisch um 9.35 Uhr bei Gericht gemeldet und dem Vorsitzenden des Anwaltsgerichtshofs mitgeteilt, er könne wegen einer plötzlich aufgetretenen schweren Durchfallerkrankung nicht zum Termin erscheinen. Der Vorsitzende hat ihm daraufhin erklärt, dass eine telefonische Entschuldigung nicht ausreiche, die Verhandlung daher in Abwesenheit des Klägers durchgeführt, dem Kläger aber Gelegenheit gegeben werde, innerhalb einer Woche Entschuldigungsgründe nachzureichen. Am Schluss der anschließend in Abwesenheit des Klägers durchgeführten mündlichen Verhandlung hat der Anwaltsgerichtshof eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren beschlossen und dem Kläger aufgegeben, etwaige Verhinderungsgründe für sein Nichterscheinen bis zum mit entsprechenden Belegen darzulegen.
3Mit Schriftsatz vom hat der Kläger eine ärztliche "Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung" vom eingereicht, der zufolge er vom bis voraussichtlich arbeitsunfähig war. Als die Arbeitsunfähigkeit begründende Diagnose war der ICD-10-Code "K59.1" angegeben. In seinem Begleitschreiben hat der Kläger um einen Hinweis gebeten, sollte der vorgelegte Nachweis nicht ausreichen.
4Der Anwaltsgerichtshof hat mit Beschluss vom eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung abgelehnt und die Klage mit dem Kläger am zugestelltem Urteil abgewiesen.
5Der Kläger beantragt nunmehr die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.
II.
6Der nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Zulassungsantrag hat in der Sache keinen Erfolg. Ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO ist nicht gegeben (vgl. § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
71. Dem Anwaltsgerichtshof ist entgegen der Ansicht des Klägers kein Verfahrensfehler unterlaufen, auf dem sein Urteil beruhen kann (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).
8Der Anwaltsgerichtshof hat weder mit der mündlichen Verhandlung in Abwesenheit des Klägers trotz dessen - sinngemäß als Verlegungsantrag zu verstehenden - Mitteilung seiner Erkrankung noch mit der Ablehnung einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach Vorlage des ärztlichen Attests den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.
9a) Nach § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 102 Abs. 2 VwGO ist die Durchführung der mündlichen Verhandlung und die Entscheidung in Abwesenheit eines Beteiligten zulässig, wenn in der Ladung - wie hier - auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist. Zwar kann die Ablehnung eines Verlegungsantrags gleichwohl den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzen, wenn die Terminverlegung gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 173 Abs. 1 VwGO, § 227 Abs. 1 ZPO aus erheblichen Gründen geboten ist (vgl. BVerwG, NJW 1991, 2097; Beschlüsse vom - 2 B 69/16, Buchholz 235.1 § 52 BDG Nr. 8 Rn. 8 und vom - 2 B 38/21, Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 56 Rn. 29; jeweils mwN). Ein solcher "erheblicher Grund" kann auch in der unerwarteten Erkrankung eines sich selbst vertretenden Beteiligten liegen, die durch entsprechende ärztliche Bescheinigung nachgewiesen ist (vgl. BVerwG, ZOV 2020, 118 Rn. 6 mwN). Eine Terminverlegung ist aber nur dann geboten, wenn diese Erkrankung so schwer ist, dass sie auch die Verhandlungsunfähigkeit des Beteiligten begründet, d.h. eine Wahrnehmung des Termins von ihm krankheitsbedingt nicht erwartet werden kann (vgl. BFH, Beschlüsse vom - VIII B 144/11, BFH/NV 2013, 240 Rn. 10 und vom1. August 2014 - V S 16/14 (PKH), BFH/NV 2014, 1768 Rn. 20). Diese Voraussetzung hat der Beteiligte gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 173 VwGO, § 227 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen.
10Wird ein Terminverlegungsantrag - wie hier - erst kurz vor dem anberaumten Termin gestellt und mit einer plötzlichen Erkrankung begründet, muss der Beteiligte zur Glaubhaftmachung nach ständiger Rechtsprechung des Senats die Gründe für die Verhinderung so angeben und untermauern, dass das Gericht die Frage seiner Verhandlungsfähigkeit selbst zu beurteilen vermag (vgl. Senat, Beschlüsse vom - AnwZ (Brfg) 15/11, juris Rn. 12; vom - AnwZ (Brfg) 43/14, juris Rn. 5; vom - AnwZ (Brfg) 41/17, juris Rn. 16 und vom - AnwZ (Brfg) 38/20, ZInsO 2021, 1437 Rn. 29). Ein zu diesem Zweck vorgelegtes ärztliches Attest muss daher die Verhandlungsunfähigkeit substantiiert, eindeutig und nachvollziehbar beschreiben und sich zu Art und Schwere der Erkrankung äußern, um dem Gericht die Beurteilung der Reise- und Verhandlungsfähigkeit des Beteiligten zu ermöglichen (vgl. Senat, Beschlüsse vom - AnwZ (Brfg) 41/17, juris Rn. 16 und vom - AnwZ (Brfg) 38/20, ZInsO 2021, 1437 Rn. 30 f.; siehe auch , BFH/NV 2023, 983 Rn. 6 mwN). Betrifft das Verfahren einen Zulassungswiderruf wegen Vermögensverfalls, sind wegen der durch den Vermögensverfall indizierten Gefährdung der Interessen der rechtsuchenden Mandanten strenge Anforderungen an den Verhinderungsgrund und dessen Glaubhaftmachung zu stellen (vgl. Senat, Beschlüsse vom - AnwZ (Brfg) 15/11, juris Rn. 12; vom - AnwZ (Brfg) 43/14, juris Rn. 5; vom - AnwZ (Brfg) 41/17, juris Rn. 16 und vom - AnwZ (Brfg) 38/20, ZInsO 2021, 1437 Rn. 27).
11b) Diesen Anforderungen genügte das Vorbringen des Klägers nicht. Weder seine eigene telefonische Schilderung seiner Erkrankung gegenüber dem Vorsitzenden des Anwaltsgerichtshofs noch die von ihm nachgereichte "Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung" reichten aus, um den Anwaltsgerichtshof in die Lage zu versetzen, die Reise- und Verhandlungsfähigkeit des Klägers am Terminstag verlässlich selbst zu beurteilen. "Arbeitsunfähigkeit" ist nicht ohne Weiteres mit Verhandlungsunfähigkeit gleichzusetzen (vgl. , NJW-RR 2024, 62 Rn. 19) und die alleinige Angabe eines ICD-10-Codes ersetzt nicht per se die erforderliche eindeutige und nachvollziehbare ärztliche Beschreibung der Erkrankung des Beteiligten. Hier ließ auch die (vom Anwaltsgerichthof selbst ermittelte) Bedeutung des Codes "K59.1" - "funktionelle Diarrhoe, d.h. mehr als 3 x täglich Stuhlgang ohne hierfür aufgefundene körperliche Ursache"- keinerlei Rückschlüsse auf die Schwere der Erkrankung im konkreten Fall und das Maß einer daraus evtl.resultierenden Beeinträchtigung der Reise- und Verhandlungsunfähigkeit des Klägers am Verhandlungstag zu. Hierzu hätte es genauerer Angaben des attestierenden Arztes bedurft.
12c) Eine zulassungsrelevante Gehörsverletzung ergibt sich auch nicht daraus, dass der Anwaltsgerichtshof dem Kläger vor der Ablehnung seines Antrags auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung und Abweisung der Klage keinen Hinweis erteilt und keine Gelegenheit zur Vorlage einer detaillierteren ärztlichen Bescheinigung gegeben hat. Ein solcher Hinweis war entgegen der Ansicht des Klägers auch nach § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 86 Abs. 1, Abs. 3 VwGO nicht geboten, weil die Anforderungen an die Darlegung einer krankheitsbedingten Verhandlungsunfähigkeit gemäß § 227 Abs. 1 ZPO einem Rechtsanwalt auch ohne gerichtlichen Hinweis bekannt sein müssen. Hinzu kommt, dass der Kläger mit der Begründung seines Zulassungsantrags keine weitere ärztliche Bescheinigung eingereicht hat. Damit würde es selbst bei der Annahme einer Hinweispflichtverletzung durch den Anwaltsgerichtshof an der gebotenen Darlegung ihrer Entscheidungserheblichkeit fehlen.
132. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht.
14Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. Senat, Beschlüsse vom - AnwZ (Brfg) 34/23, juris Rn. 8 und vom - AnwZ (Brfg) 43/23, NJW-RR 2024, 989 Rn. 6 mwN). Entsprechende Zweifel hat der Kläger mit seinem Zulassungsantrag nicht dargetan.
15Soweit der Kläger auch hier geltend macht, der Anwaltsgerichtshof habe nicht in seiner Abwesenheit verhandeln dürfen, zumindest aber die mündliche Verhandlung wiedereröffnen müssen, die im Ergebnis zu einer anderen Entscheidung in der Sache hätte führen können, dringt er damit aus den oben genannten Gründe nicht durch. Eine Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör durch die Verhandlung und Entscheidung in seiner Abwesenheit liegt nicht vor.
16Die Feststellung des Anwaltsgerichtshofs, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf der Zulassung des Klägers wegen Vermögensverfalls gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO im Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufsbescheids erfüllt waren, wird durch das Vorbringen des Klägers im Zulassungsantrag nicht ernstlich in Frage gestellt. Der Kläger macht insoweit lediglich pauschal geltend, dass er bei Wiederaufnahme der mündlichen Verhandlung die Möglichkeit gehabt hätte, "weitere Sachaufklärung zu betreiben und unter anderem eventuelle mögliche Unstimmigkeiten zwischen den vorgelegten Dokumenten und möglicherweise noch offenen Fragen zur Überschuldungssituation zu klären." Konkrete schlüssige Einwände gegen die Begründung der angefochtenen Entscheidung ergeben sich daraus nicht.
173. Die Rechtssache hat entgegen der Ansicht des Klägers auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 3 BRAO).
18Der Kläger hält die Vereinbarkeit von § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG für klärungsbedürftig. Konkret beanstandet er, die bestehende Regelung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO sei unverhältnismäßig, weil die ihr zugrundeliegende pauschale Schlussfolgerung, bei Vorliegen eines Vermögensverfalls bestehe die konkrete Gefahr, dass der Rechtsanwalt Mandantengelder zur Begleichung eigener Verbindlichkeiten verwende, für sich genommen und ohne belastbare Indizien im konkreten Einzelfall kein tragfähiges Argument für den massiven Eingriff in die Berufsfreiheit durch den Widerruf der Zulassung darstelle. Damit genüge die geltende Regelung auch nicht der nach der Rechtsprechung des Senats gebotenen Differenzierung danach, ob im konkreten Einzelfall tatsächlich von einer Gefährdung der Interessen Rechtsuchender aufgrund des Vermögensverfalls auszugehen sei.
19Auch damit dringt der Kläger nicht durch. Die von ihm aufgeworfene Frage ist in der Rechtsprechung des Senats bereits geklärt. Danach begegnet die Regelung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO auch insoweit verfassungsrechtlich keinen Bedenken. Der vom Kläger für erforderlich gehaltenen Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. § 80BVerfGG bedarf es daher nicht.
20Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist die in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zum Ausdruck kommende Wertung des Gesetzgebers, dass mit dem Vermögensverfall eines Rechtsanwalts grundsätzlich eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden verbunden ist (vgl. Senat, Beschlüsse vom - AnwZ (Brfg) 65/18, juris Rn. 7; vom - AnwZ (Brfg) 21/23, ZInsO 2023, 2388 Rn. 6 und vom - AnwZ (Brfg) 29/24, juris Rn. 25), dadurch gerechtfertigt, dass das Risiko eines Zugriffs von Gläubigern auf Fremdgelder bei einem in Vermögensverfall befindlichen Rechtsanwalt - auch völlig unabhängig von dessen eigenem Verhalten - regelmäßig erheblich höher ist als bei einem Rechtsanwalt mit geordneten Einkommens- und Vermögensverhältnissen (siehe zuletzt Senat, Beschlüsse vom - AnwZ (Brfg) 43/21, juris Rn. 8 und vom - AnwZ (Brfg) 22/22, ZInsO 2023, 612 Rn. 23 f.).
21Entgegen der Auffassung des Klägers ermöglicht § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO auch die nach der Senatsrechtsprechung im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG gebotene Differenzierung im Einzelfall, da die Vorschrift gerade nicht im Sinne eines Automatismus zu verstehen ist, d.h. die Gefährdung der Mandanteninteressen danach nicht zwangsläufig schon aus dem Vorliegen eines Vermögensverfalls folgt, sondern ausdrücklich ("es sei denn") die Feststellung ermöglicht, dass eine Gefährdung der Rechtsuchenden im konkreten Fall aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise ausgeschlossen ist (vgl. Senat, Beschlüsse vom - AnwZ (Brfg) 65/18, juris Rn. 7; vom - AnwZ (Brfg) 21/23, ZInsO 2023, 2388 Rn. 6 und vom - AnwZ (Brfg) 29/24, juris Rn. 25; siehe auch FG Hamburg, ZInsO 2025, 370, 375 zu § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG).
22Dass dies nach der gesetzlichen Wertung nur in seltenen Ausnahmefällen anzunehmen ist und den Rechtsanwalt hierfür die Feststellungslast trifft (vgl. Senat, Beschlüsse vom - AnwZ (Brfg) 65/18, juris Rn. 7; vom - AnwZ (Brfg) 21/23, ZInsO 2023, 2388 Rn. 6 und vom - AnwZ (Brfg) 29/24, juris Rn. 25), ist trotz des erheblichen Eingriffs, den der Widerruf der Zulassung in die Berufsfreiheit des betroffenen Rechtsanwalts darstellt, in Anbetracht des besonderen Gewichts, das dem Schutz der Interessen der Rechtsuchenden insbesondere auch im Interesse der Allgemeinheit an einer funktionierenden Rechtspflege zukommt, nicht unverhältnismäßig.
234. Weitere Zulassungsgründe werden vom Kläger nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich.
III.
24Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.
Guhling Remmert Grüneberg
Lauer Schmittmann
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:240325BANWZ.BRFG.48.24.0
Fundstelle(n):
SAAAJ-90238