Instanzenzug: LG Essen Az: 22 Ks 12/23
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung, mit gefährlicher Körperverletzung und mit Ausübung der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren und neun Monaten verurteilt. Zudem hat es die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung vorbehalten und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Hiergegen richtet sich die auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel erzielt mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
I.
2Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.
31. Die Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) erschöpft sich in einer unzulässigen Beanstandung der Aktenwidrigkeit der Urteilsgründe. Die Revision macht in erster Linie geltend, dem Nebenkläger und einem Anwohnerzeugen hätten bestimmte Vorhalte aus früheren Vernehmungen gemacht und Nachfragen zur Flucht des Nebenklägers vom Tatort gestellt werden müssen. Insofern weist der Generalbundesanwalt zu Recht darauf hin, dass die für das Revisionsgericht nicht rekonstruierbaren Zeugenaussagen in der Hauptverhandlung solche Vorhalte oder Nachfragen womöglich entbehrlich machten – oder diese erfolgt sind – und in der Folge eine Erörterung in den Urteilsgründen, die nicht der Dokumentation der Beweisaufnahme dienen, unterbleiben konnte (vgl. Rn. 24 ff.). Aus den Urteilsgründen ergibt sich hier keine Unzulänglichkeit der Beweisausschöpfung, was allein einer Aufklärungsrüge wegen eines nicht ausgeschöpften Zeugenbeweises im Ausnahmefall zum Erfolg verhelfen könnte (vgl. Rn. 25; Beschluss vom – 1 StR 19/89 Rn. 6; Urteil vom – 1 StR 157/62, BGHSt 17, 351, 352 f.; Becker in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 364; Sättele in SSW-StPO, 5. Aufl., § 244 Rn. 78; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 244 Rn. 103 mwN). Vor diesem Hintergrund ist auch nicht dargetan, dass sich der Strafkammer die Notwendigkeit der weiteren von dem Revisionsführer vermissten Beweiserhebungen aufdrängen musste.
42. Ebenso wenig dringt die Rüge durch, die Angaben des Angeklagten in seiner Beschuldigtenvernehmung seien mangels audiovisueller Aufzeichnung gemäß § 136 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 StPO unverwertbar. Der Senat kann offenlassen, ob dies bereits deshalb von vornherein ausscheidet, weil es sich bei der Norm um eine bloße Ordnungsvorschrift handelt (vgl. BT-Drucks. 18/11277 S. 27; Diemer in KK-StPO, 9. Aufl., § 136 Rn. 25d). Ein Beweisverwertungsverbot könnte im Ergebnis allenfalls bei einem bewussten Verstoß oder einem objektiv willkürlichen Vorgehen durch die Strafverfolgungsbehörden in Betracht kommen (vgl. Gless in Löwe-Rosenberg, StPO, 28. Aufl., § 136 Rn. 75p; Weigend, StV 2019, 852, 857; Singelnstein/Derin, NJW 2017, 2646, 2649). Einen bewussten Rechtsverstoß behauptet auch die Revision nicht; darüber hinaus bestehen für ein objektiv willkürliches Verhalten der Vernehmungsbeamten keine durchgreifenden Anhaltspunkte. Der ordnungsgemäß belehrte Angeklagte befand sich aufgrund seiner unbelegten Behauptung, Übelkeit und Bauchschmerzen zu verspüren sowie Tabletten und Kokain zu sich genommen zu haben, in einem Krankenhaus. Dort knüpfte er seine Aussagebereitschaft zunächst an die Bedingung, zum Festnahmeort – einem Imbiss – gefahren zu werden, und reagierte aufbrausend auf deren Versagung. Dass er schließlich während des Zuwartens auf Laborergebnisse von polizeilichen Unterstützungskräften im Krankenhaus vernommen wurde, nachdem die Ermittler der Mordkommission es bereits wieder verlassen hatten und wegen Zweifeln an einem ernsthaften Sinneswandel des Angeklagten nicht eigens zurückkehren wollten, lässt das Unterbleiben einer Videoaufzeichnung in der Gesamtschau zumindest nicht objektiv willkürlich erscheinen. Denn auch in der Person des Beschuldigten liegende Umstände – wie sie hier in seiner wechselnden Aussagebereitschaft und Stimmung (bei zugleich fehlender Aufzeichnungsmöglichkeit vor Ort) zu sehen sind – können nach § 136 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 StPO der audiovisuellen Dokumentation entgegenstehen (vgl. hierzu auch BT-Drucks. 18/12785 S. 59).
II.
5Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat eine Verfahrensbeschränkung und hierdurch bedingte Schuldspruchänderung zur Folge.
61. Der Senat hat die von der Strafkammer bejahte Gesetzesverletzung der schweren Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB mit Zustimmung des Generalbundesanwalts nach § 154a Abs. 2 StPO aus prozessökonomischen Gründen von der Verfolgung ausgenommen. Nach den Feststellungen des Landgerichts erscheint hier fraglich, ob mit dem durch den ersten Schuss geschädigten Zeigefinger des Nebenklägers ein wichtiges Glied des Körpers dauernd gebrauchsunfähig geworden ist (vgl. zu den Anforderungen Rn. 9 f.; Urteil vom – 4 StR 522/06, BGHSt 51, 252, 257 mwN; Urteil vom – 5 StR 278/90 Rn. 9).
72. Der Senat hat nach Maßgabe der vorgenommenen Verfahrensbeschränkung den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO geändert. Dessen Nachprüfung auf die Sachrüge hat im Übrigen auch unter Berücksichtigung der Ausführungen in der Revisionsbegründung und in der Gegenerklärung der Verteidigung keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
83. a) Der Strafausspruch bleibt von der Schuldspruchänderung unberührt. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht ohne die Annahme einer schweren Körperverletzung, die es als tateinheitlich verwirklichtes Delikt berücksichtigt hat, eine mildere Strafe verhängt hätte. Die von der Strafkammer vorgenommene Strafzumessung gründet nicht zugleich auf einer Körperverletzung mittels einer Waffe gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Dem liegt ersichtlich die Annahme zugrunde, dass diese Tatvariante – anders als der vom Landgericht bejahte § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB – von einer schweren Körperverletzung verdrängt wird (so Rn. 11 f.; s. ferner , BGHSt 21, 194, 195 mwN; krit. ; Beschluss vom – 4 StR 646/16). Ohne die Bejahung eines solchen Delikts hätte das Landgericht die Tatvariante des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB ebenfalls herangezogen, durch die erst der Einsatz der – besonders gefährlichen – Kriegswaffe zum Ausdruck kommt. Zugleich hätte die Strafkammer über die Verwirklichung auch dieser Tatvariante hinaus die festgestellten tatbedingten (Dauer-)Schäden bei dem Nebenkläger berücksichtigen können. Für die Strafhöhe stand ferner der versuchte Mord, der den anwendbaren Strafrahmen bestimmt, im Vordergrund. Dass die im Vergleich zu § 224 Abs. 1 StGB um ein halbes Jahr erhöhte Mindeststrafe des § 226 Abs. 1 StGB Einfluss auf die Strafbemessung hatte, ist nach alldem auszuschließen.
9b) Der Maßregelausspruch kann ebenfalls bestehen bleiben. Die vorbehaltene Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung, die das Landgericht rechtsfehlerfrei begründet hat, hängt nach den Urteilsgründen ebenso wenig vom Eintritt der schweren Folge im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB ab.
III.
10Angesichts des geringfügigen Erfolgs der Revision ist es nicht unbillig, dem Angeklagten die gesamten Kosten seines Rechtsmittels sowie die dem Nebenkläger hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen (§ 473 Abs. 4 StPO).
Quentin Sturm Maatsch
Scheuß Marks
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:120325B4STR329.24.0
Fundstelle(n):
UAAAJ-89401