Arbeitsrecht | Sonderkündigungsschutz für schwangere Arbeitnehmerinnen - nachträgliche Klagezulassung (BAG)
Erlangt eine Arbeitnehmerin
schuldlos erst nach Ablauf der Klagefrist des
§ 4 Satz 1
KSchG Kenntnis von einer beim Zugang des
Kündigungsschreibens bereits bestehenden Schwangerschaft, ist die verspätete
Kündigungsschutzklage auf ihren Antrag gemäß
§ 5 Abs. 1
Satz 2 KSchG nachträglich zuzulassen
().
Hintergrund: Gemäß § 4 Satz 1 und 4 KSchG muss der Arbeitnehmer innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, wenn der Arbeitnehmer geltend machen will, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.
Laut § 5 Abs. 1 Satz 2 ist die Klage auf Antrag nachträglich zuzulassen, wenn eine Frau von ihrer Schwangerschaft aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund erst nach Ablauf der Frist des § 4 Satz 1 Kenntnis erlangt.
Sachverhalt: Die Klägerin ist bei der Beklagten beschäftigt. Diese kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum . Das Kündigungsschreiben ging der Klägerin am zu. Am führte die Klägerin einen Schwangerschaftstest mit einem positiven Ergebnis durch. Sie bemühte sich sofort um einen Termin beim Frauenarzt, den sie aber erst für den erhielt. Am hat die Klägerin eine Kündigungsschutzklage anhängig gemacht und deren nachträgliche Zulassung beantragt. Am reichte sie ein ärztliches Zeugnis beim Arbeitsgericht ein, das eine bei ihr am festgestellte Schwangerschaft in der „ca. 7 + 1 Schwangerschaftswoche“ bestätigte. Ihr Mutterpass wies als voraussichtlichen Geburtstermin den aus. Danach hatte die Schwangerschaft am begonnen (Rückrechnung vom mutmaßlichen Tag der Entbindung um 280 Tage).
Die Klägerin meinte, die Kündigungsschutzklage sei gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG nachträglich zuzulassen. Die Beklagte vertrat die Auffassung, die Vorschrift sei nicht einschlägig. Die Klägerin habe durch den positiven Test binnen der offenen Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG Kenntnis von der Schwangerschaft erlangt. Beide Vorinstanzen gaben der Kündigungsschutzklage statt.
Die Revision der Beklagten hatte vor dem 2. Senat des BAG keinen Erfolg:
Die streitbefangene Kündigung ist wegen Verstoßes gegen das Kündigungsverbot aus § 17 Abs. 1 Nr. 1 MuSchG unwirksam.
Das Gegenteil wird nicht nach § 7 Halbs. 1 KSchG fingiert. Zwar hat die Klägerin mit der Klageerhebung am die am abgelaufene Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG nicht gewahrt. Diese Frist ist zwar mit dem Zugang des Kündigungsschreibens angelaufen. Der Fristbeginn richtete sich nicht nach § 4 Satz 4 KSchG, denn die Beklagte hatte im Kündigungszeitpunkt keine Kenntnis von der seinerzeit bereits bestandenen Schwangerschaft der Klägerin.
Die verspätet erhobene Klage war jedoch gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG nachträglich zuzulassen. Die Klägerin hat aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund erst mit der frühestmöglichen frauenärztlichen Untersuchung am positive Kenntnis davon erlangt, dass sie bei Zugang der Kündigung am schwanger war. Der etwas mehr als zwei Wochen danach durchgeführte Schwangerschaftstest vom konnte ihr diese Kenntnis nicht vermitteln.
In der vom Senat vorgenommenen Auslegung genügt das bestehende System der §§ 4, 5 KSchG und des § 17 Abs. 1 MuSchG den Vorgaben der Richtlinie 92/85/EWG, wie sie der Gerichtshof der Europäischen Union in der Sache „Haus Jacobus“ (; s. hierzu Jesgarzewski, NWB 47/2024 Seite 3266) herausgearbeitet hat.
Quelle: BAG, Pressemitteilung v. 3.4.2025 (lb)
Fundstelle(n):
EAAAJ-89146