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BSG Beschluss v. - B 5 R 26/10 BH

Gründe

1Mit Urteil vom hat es das LSG Sachsen-Anhalt im Überprüfungsverfahren abgelehnt, die Verfolgungszeit des Klägers vom bis der Qualifikationsgruppe 2 der Anlage 13 zum SGB VI zuzuordnen und ihm höhere Regelaltersrente zu gewähren.

2Unter Bezugnahme auf diese Entscheidung hat der Kläger mit Schreiben vom innerhalb der Rechtsmittelfrist (§ 160a Abs 1 Satz 2 SGG) beim BSG privatschriftlich "Klage" erhoben und gleichzeitig beantragt, ihm "für diese Klage" Prozesskostenhilfe (PKH) zu bewilligen und Rechtsanwältin B. beizuordnen.

3Diese Eingabe fasst der Senat als Antrag auf Gewährung von PKH zum Zwecke der Beiordnung einer Rechtsanwältin für das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision im og Urteil des LSG auf. Denn das BSG, an das sich der Kläger ausdrücklich gewandt hat, ist als Rechtsmittelgericht (§ 39 Abs 1 SGG) für Klagen grundsätzlich unzuständig, und es liegt keiner der Ausnahmefälle vor, in denen es ausnahmsweise im ersten und letzten Rechtszug abschließend entscheidet (§ 39 Abs 2 SGG). Dass der Kläger - anstelle der Klage - gleichzeitig auch Nichtzulassungsbeschwerde einlegen wollte, ist nicht anzunehmen, weil dieses Rechtsmittel nur durch einen beim BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) wirksam eingelegt werden kann, dessen Beiordnung der Kläger mit der Eingabe gerade begehrt.

4Der Antrag auf PKH und Beiordnung einer Rechtsanwältin ist abzulehnen.

5Die Nichtzulassungsbeschwerde bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Satz 1, § 121 Abs 1 ZPO). Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers erfolgreich zu begründen.

7Solche Zulassungsgründe sind nach Prüfung des Streitstoffs nicht ersichtlich.

81. Es ist nicht erkennbar, dass eine Zulassung der Revision gegen das von dem Kläger angegriffene Urteil auf § 160 Abs 2 Nr 1 SGG gestützt werden könnte. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat. Die Frage muss außerdem klärungsbedürftig sein. Das ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn die Antwort darauf von vornherein praktisch außer Zweifel steht oder die Frage bereits höchstrichterlich entschieden ist (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70). Rechtsfragen, die in diesem Sinne grundsätzliche Bedeutung haben könnten, sind nicht ersichtlich.

9Das LSG stützt seine Entscheidung tragend darauf, dass der Inhalt der Bescheinigung nach § 22 des Gesetzes über den Ausgleich beruflicher Benachteiligungen für Opfer politischer Verfolgung im Beitrittsgebiet (Berufliches Rehabilitierungsgesetz - BerRehaG) vom (BGBl I 1625) für die Beklagte und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit bindend sei. Obgleich das BSG diese Rechtsfrage noch nicht entschieden hat, ist sie nicht klärungsbedürftig, weil die Antwort von vornherein praktisch außer Zweifel steht (vgl dazu BSGE 40, 40, 42 = SozR 1500 § 160a Nr 4; BSGE 40, 158, 159 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 7 RdNr 8). Denn nach § 22 Abs 3 BerRehaG sind die für die Ausführung des Zweiten bis Vierten Abschnitts und des § 60 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zuständigen Behörden an die in der Bescheinigung enthaltenen Feststellungen gebunden. Für die Ausführung des Vierten Abschnitts, der den "Ausgleich von Nachteilen in der Rentenversicherung" regelt, sind die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zuständig. Sie berechnen die Renten von Verfolgten iS des § 1 BerRehaG nach den allgemein anzuwendenden rentenrechtlichen Vorschriften des SGB VI und berücksichtigen dabei ergänzend die Vorschriften des Vierten Abschnitts (§ 10 Satz 1 BerRehaG). Die Qualifikationsgruppe nach Anlage 13, den Bereich nach Anlage 14 zum SGB VI und die jeweilige Beschäftigung oder Tätigkeit stellt allein die zuständige Rehabilitierungsbehörde (§ 17 Abs 2 BerRehaG) durch Verwaltungsakt in der Rehabilitierungsbescheinigung fest (§ 17 Abs 1, § 22 Abs 1 Nr 6 iVm Abs 3 BerRehaG).

10Hieran sind nicht nur die Rentenversicherungsträger (§ 22 Abs 3 BerRehaG), sondern auch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit gebunden. Denn in der höchstrichterlichen Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte ist einhellig anerkannt und damit nicht mehr klärungsbedürftig, dass die Gerichte aller Gerichtszweige die bereichsspezifischen Regelungen ressortfremder Verwaltungsakte grundsätzlich hinzunehmen haben, soweit ihnen nicht - anders als hier - ausnahmsweise die Kontrollkompetenz eingeräumt ist (sog Tatbestandswirkung von Verwaltungsakten, vgl beispielsweise BSGE 103, 243 = SozR 4-2500 § 95b Nr 2, RdNr 42 ff; BVerwG, NVwZ 1987, 496; BFHE 228, 295, RdNr 19; BGH, NVwZ-RR 2008, 154, 156; BGH, NJW 1998, 3055; BAG AP Nr 10 zu § 128 ZPO, jeweils mwN). Das Schrifttum bejaht ebenfalls die Tatbestandswirkung von Verwaltungsakten, die zu einer Bindung ressortfremder Behörden und Gerichte führt (Ruffert in Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl 2010, § 22 RdNr 22; Fichte in Fichte/Plagemann/Waschull, Sozialverwaltungsverfahrensrecht, 2008, § 3 RdNr 122; Henneke in Knack/Henneke, VwVfG, 9. Aufl 2010, Vor § 35 RdNr 32; Kirchhof, NJW 1985, 2977, 2982 f; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 11. Aufl 2010, § 43 RdNr 18 f; Roos in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, Vor § 39 RdNr 4; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl 2008, § 43 RdNr 142 "Beachtlichkeit"). Dass sich die Tatbestandswirkung der Rehabilitierungsbescheinigung für die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergibt (vgl dazu BSG SozR 1300 § 13 Nr 1; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 7 RdNr 8), ist unerheblich. Denn die Tatbestandswirkung eines Verwaltungsaktes tritt auch ohne gesetzliche Grundlage ein; erst deren Ausschluss erfordert eine explizite Regelung (vgl dazu BFHE 228, 295, 299 RdNr 20; BVerwGE 60, 111, 117). Einen gesetzlichen Ausschluss der Tatbestandswirkung sieht das BerRehaG jedoch nicht vor.

11Die Tatbestandswirkung eines Verwaltungsaktes ist Ausfluss von Art 20 Abs 3 GG (Kirchhof, aaO, 2983) und bezweckt, dass die Entscheidung über Rechtmäßigkeit und Bestand eines behördlichen Bescheids den dazu berufenen Spezialgerichten (hier: den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit) vorbehalten bleibt (BGH, NJW 1998, 3055, 3056; BFHE 228, 295, 299 RdNr 20).

122. Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) könnte ebenfalls nicht mit Erfolg geltend gemacht werden. Divergenz (Abweichung) bedeutet Widerspruch im Rechtssatz oder - anders ausgedrückt - das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die den miteinander zu vergleichenden Entscheidungen zu Grunde gelegt worden sind. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN). Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden.

133. Schließlich lässt sich auch kein Verfahrensmangel feststellen, der gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zulassung der Revision führen könnte. Nach Halbs 2 dieser Bestimmung kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ein derartiger Beweisantrag, den das Berufungsgericht unter Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) übergangen haben könnte, ist hier nicht ersichtlich. Auch im Übrigen sind keine Verfahrensmängel zu erkennen.

14Da dem Kläger somit keine PKH zu bewilligen ist, hat er nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO auch keinen Anspruch auf Beiordnung einer Rechtsanwältin.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2011:170111BB5R2610BH0

Fundstelle(n):
JAAAJ-88985