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BGH Urteil v. - XII ZR 15/23

Leitsatz

Zur Berechnung des Schadensersatzanspruchs des Eisenbahnverkehrsunternehmens gegen das Eisenbahninfrastrukturunternehmen wegen Vermögensschäden aufgrund verspäteter Bereitstellung von Zugtrassen für den Schienenpersonennahverkehr.

Gesetze: § 536a BGB, § 19 GWB

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 2 U 88/21 Urteilvorgehend LG Frankfurt Az: 2-08 O 318/19

Tatbestand

1Die Parteien streiten um Schadensersatz aus einem Vertrag über die Benutzung von Zugtrassen für den Schienenpersonennahverkehr.

2Die Klägerin erbrachte als Eisenbahnverkehrsunternehmen Verkehrsleistungen im öffentlichen Schienenpersonennahverkehr auf der Grundlage eines mit dem Regionalverband Großraum B.                    und dem Land S.                     (Streithelfer) geschlossenen Verkehrsvertrages. Die Beklagte ist die zur D.              AG umfirmierte frühere D.   N.      AG, die als Eisenbahninfrastrukturunternehmen die Schienenwege betreibt und den Eisenbahnverkehrsunternehmen einzelne Zugtrassen zur Nutzung überlässt. Die Bedingungen des Netzzugangs einschließlich der Entgeltgrundsätze legt die Beklagte in ihren Schienennetz-Benutzungsbedingungen (SNB) fest.

3Die Parteien schlossen einen Grundsatz-Infrastrukturnutzungsvertrag (Grundsatz-INV) mit einer Laufzeit vom bis zum . Nach § 2 Nr. 1 Grundsatz-INV hatte die Beklagte die in den SNB aufgeführten Pflichtleistungen sowie gegebenenfalls Zusatz- und Nebenleistungen für die Klägerin zu erbringen, für die diese entsprechende Entgelte zu entrichten hatte. Durch Abschluss von Einzelnutzungsverträgen (ENV) bestellte die Klägerin bei der Beklagten Zugtrassen zu bestimmten, vorher gemeinsam abgestimmten Trassenzeiten zum Zwecke der Erbringung der Verkehrsleistungen gemäß dem von ihr zu erfüllenden Verkehrsvertrag.

4Unter Ziffer 6.2.3.1 SNB 2017 (gültig ab ) ist ein Anreizsystem zur Verringerung von Störungen vereinbart, das beiden Vertragsparteien in Form von leistungsabhängigen Entgeltbestandteilen Anreize zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit des Schienennetzes bietet. Als anreizrelevant werden dabei 20 % der im Rahmen des Netzfahrplans zugewiesenen Zugtrassen ausgewählt, anhand derer ein Pünktlichkeitswert bezogen auf alle Unterwegshalte errechnet, die jahresbezogene Pünktlichkeit mit dem Jahrespünktlichkeitsziel verglichen und bei Abweichungen außerhalb der Bandbreite entsprechende Anreizentgelte ausgekehrt werden (Ziffern 6.2.3.1.2, 6.2.3.1.3 SNB).

5Die Erfassung von nach dem Anreizsystem relevanten Zugverspätungen erfolgt gemäß Ziffer 6.2.3.1.1 SNB in Verbindung mit der Richtlinie 420.9001 in der ab geltenden Fassung (im Folgenden: Kodierungsrichtlinie) unter Registrierung der jeweiligen Verspätungsursachen nach einer festgelegten Kodierungslogik. Mit den Kodierungen wird die jeweilige Störquelle entweder der Zuständigkeit des Betreibers der Schienenwege oder der Zuständigkeit des Eisenbahnverkehrsunternehmens zugeordnet, andernfalls, wenn beides nicht zutrifft, als „externe Einflüsse“ oder als „sekundäre Ursachen“ erfasst.

6Die Rubrik „externe Einflüsse“ enthält die Kodierungen:

- Code 80: Externe Einflüsse bei externen EIU

- Code 81: Anordnung NLZ - Streik

- Code 82: Anordnung NLZ - Witterung

- Code 83: Schmierfilm

- Code 84: Behörden

- Code 85: Fremdeinwirkung

7Der Rubrik „sekundäre Ursachen“ unterfallen die Kodierungen:

- Code 90: Gefährliche Ereignisse

- Code 91: Zugfolge - wegen Vorrang anderer Züge

- Code 92: Zugfolge - betroffener Zug war verspätet

- Code 93: Wende

- Code 94: Anschluss

- Code 95: Flügeln

8In dem von der Beklagten bereitgestellten „LeiDis-System“ werden die Verspätungen und Zugausfälle dokumentiert. Dabei werden bestimmte Daten (Messpunkt, Datum, Zugnummer, Art der Trasse, Soll-Ankunft, Soll-Abfahrt, Delta-Anfahrt, Delta-Abfahrt, Soll-Gleis, Ist-Gleis) von Mitarbeitern der Klägerin eingepflegt, während die Beklagte die kodierten Verspätungsursachen bereitstellt, die von Fahrdienstleitern der Beklagten eingetragen und von Mitarbeitern der Klägerin in ein Tabellenblatt eingespeist werden.

9Als „Verspätung“ definiert ist die Differenz zwischen einer im Fahrplan festgelegten Zeit (Soll-Zeit) und der erst später eintretenden Ist-Zeit. Als „Zusatzverspätung“ bezeichnet wird eine zwischen zwei benachbarten Fahrtzeitmesspunkten entstehende, d.h. hinzukommende Verspätung. Eine Verspätungskodierung erfolgt bei einer Zusatzverspätung von mindestens 90 Sekunden jeweils unter Zuweisung einer Primär- oder Sekundärkodierung. Primärkodierungen sind Störungen in Bezug auf Anlagen, Fahrzeuge oder Prozesse; als Sekundärkodierungen werden solche Ereignisse bezeichnet, die nicht einer Primärkodierung zugeordnet werden können.

10Verantwortlich für die Erstkodierungen ist der Fahrdienstleiter, der die Informationen durch Anzeigen der technischen Anlagen, eigene Wahrnehmungen sowie Kommunikation im Rahmen seiner Fahrdienstleiteraufgaben bearbeitet. Anschließend erfolgt eine Feinkodierung durch den zuständigen Mitarbeiter der Betriebszentrale anhand von Beispielvorgaben. Etwa erlaubt der Code 82 „Anordnung NLZ - Witterung“ folgende Feinkodierungen:

- Bahnsteig nicht von Schnee und Eis geräumt

- Beschädigung an Bahnübergangsanlagen durch Sturmeinwirkung

- Blitzschlag

- Eiszapfenbildung/-entfernung an Bauwerken

- Gleisunter-/überspülung

- kritische Wettersituation (Sturmwarnung)

- Reifbildung an Bahnübergangsanlagen

- Schnee auf Schrankenbäumen

- Teilweise oder vollständige Einstellung des Bahnbetriebes wegen starker Unwetter

- Vegetation im Fahrweg durch Witterung

- Vereisung der Oberleitung

- Video-Überwachung an technischen Anlagen durch Witterung beeinträchtigt

- Weichen wegen Schnee keine Endlage

- Witterungsbedingte Türstörung Wagen/Triebzug

- Witterungsbedingte Störung Fahrzeugtechnik

- Sonstiges - Witterung.

11Der Klägerin war die Möglichkeit eingeräumt, innerhalb von drei Tagen nach Erhalt des Stundennachweises ein Korrekturverfahren zu der jeweiligen Erfassung durch Umkodierungsanträge anzustoßen. Sämtlichen Umkodierungsanträgen der Klägerin wurde seitens der Beklagten stattgegeben.

12Aufgrund der angefallenen Verspätungen wurden der Klägerin sog. Anreizentgelte ausgekehrt und Minderungen auf Grundlage von Ziffer 6.2.5.7. SNB vorgenommen.

13In dem von ihr zu erfüllenden Verkehrsvertrag hatte sich die Klägerin ihrerseits zur Einhaltung fester Fahrpläne verpflichtet. Das von ihr zu beanspruchende Leistungsentgelt sollte sich nach dem verringerten Wert der Leistung ermäßigen, wenn sie gegen Bestimmungen des Vertrags, insbesondere die vereinbarten Qualitätskriterien, verstieß. Danach war der Auftraggeber befugt, unbeschadet der gesetzlichen Minderungs- und Schadensersatzregelungen Abzüge vom Entgelt für Schlechtleistungen vorzunehmen. Als solche definiert waren insbesondere Zugverspätungen von über 300 Sekunden, sofern diese nicht auf Anschlussgewährungen beruhten. Wurde der geforderte Pünktlichkeitsgrad von 95 % innerhalb des jeweils kalendermonatlichen Bewertungszeitraums nicht erreicht, erfolgte pro hierzu fehlendem Zehntelprozent eine Minderung des Leistungsentgelts für diese Linie um 0,2 %. Der Umfang der jeweiligen Überschreitungen der sog. Scheideschwelle von 300 Sekunden war für die Ermittlung des Pünktlichkeitsgrades und der darauf beruhenden Entgeltkürzung unerheblich. Die Kürzung sollte maximal bis zu einem Pünktlichkeitsgrad von 85 % erfolgen und war insgesamt, einschließlich Abzügen für anderweitig anfallende Vertragsstrafen, auf 16 % des vom Auftraggeber zu zahlenden Entgelts begrenzt. Aufgrund dieser Regelung wurde ein Teil der von der Klägerin zu beanspruchenden Vergütung wegen eingetretener Verspätungen gekürzt.

14Mit der Klage verlangt die Klägerin den Ersatz der durch ihre Auftraggeber vorgenommenen Kürzungen für die Jahre 2016 und 2017 von der Beklagten, soweit die Kürzungen in Höhe von 562.065,42 € auf Verspätungen beruhen, die ihrer Auffassung nach dem Verantwortungsbereich der Beklagten zuzuordnen seien.

15Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 61.256,62 € teilweise stattgegeben, bemessen nach dem Anteil, inwieweit Verspätungen von mehr als 90 Sekunden nach bestimmten Codes der Kodierungsrichtlinie dem Zuständigkeitsbereich des Betreibers der Schienenwege zugeordnet seien. Hinsichtlich der übrigen Verspätungen hat es die Klage abgewiesen, weil diese nicht im Zuständigkeitsbereich der Beklagten lägen. Das Oberlandesgericht hat die Berufungen beider Parteien zurückgewiesen. Hiergegen richten sich die vom Oberlandesgericht zugelassenen Revisionen beider Parteien.

Gründe

16Beide Revisionen haben keinen Erfolg.

I.

17Das Oberlandesgericht hat seine in RdTW 2023, 196 veröffentlichte Entscheidung wie folgt begründet:

18Die Beklagte hafte auf Schadensersatz aus § 536 a Abs. 1 BGB. Die Vorschrift sei anwendbar, weil es sich bei dem zwischen der Klägerin und der Beklagten abgeschlossenen Vertrag über die Nutzung der Schienenwege um einen Mietvertrag handle. Die Beklagte sei vertraglich verpflichtet gewesen, der Klägerin zu den in den Einzelnutzungsverträgen jeweils genannten Zeitpunkten bzw. Zeiträumen die Zugtrassen zu überlassen. Nach den Regelungen der SNB seien die im Fahrplan angegebenen Zeiten verbindlich, insbesondere die Abfahrtszeiten am Zuganfangsbahnhof.

19Die Gebrauchsüberlassung der Trassen zu den vertraglich vereinbarten Trassenzeiten durch die Beklagte an die Klägerin sei teilweise mangelhaft gewesen, soweit Verspätungen von jeweils mindestens 90 Sekunden im LeiDis-System erfasst worden seien und die Verspätungsursache nach den entsprechenden Kodierungsrichtlinien dem Betreiber der Schienenwege und damit dem Verantwortungs- und Obhutsbereich der Beklagten zugeordnet werden könne. Das Kodierungssystem stelle eine wesentliche Beweiserleichterung für die Klägerin dar, da die Beklagte, die die Erfassung vornehme, eine aus der Kodierung abgeleitete, ihr zuzurechnende Verspätungsursache nicht mehr durch einfaches Bestreiten entkräften könne und die kodierten Verspätungsursachen auch nicht substanziiert widerlegt habe.

20Soweit die Beklagte einwende, Verspätungen im Schienenverkehr seien systemimmanent, sei dem dadurch Rechnung getragen, dass diese als Minderungsgrund erst ab einer Verspätung von sechs Minuten zum Tragen kämen (Ziffer 6.2.5.7.3 der jeweiligen SNB), so dass ab dieser Verspätungsdauer kein unerheblicher Mangel vorliege (§ 536 Abs. 1 Satz 3 BGB). Für den Schadensersatzanspruch nach § 536 a Abs. 1 BGB komme es hingegen nur auf den vorliegenden Mangel, nicht auf dessen Erheblichkeit an, so dass auch Verspätungen von weniger als sechs Minuten, die auf Störungen aus dem Verantwortungsbereich der Beklagten beruhten, einen Mangel der Mietsache Bahntrasse darstellten und einen Schadensersatzanspruch begründen könnte. Demgemäß habe das Landgericht zu Recht solche Verspätungen als Pflichtverletzungen gewertet, die mindestens 90 Sekunden betragen hätten und mit den Ziffern 10, 12, 14, 18, 19, 21, 23, 24, 25, 29, 30, 31, 32 und 46 kodiert worden seien, weil diese Störungsursachen nach Ziffer 5 der Kodierungsrichtlinie dem Verantwortungsbereich des Betreibers der Schienenwege zugewiesen seien.

21Weitere Pflichtverletzungen der Beklagten seien nicht feststellbar. Soweit die Klägerin einen weitergehenden Schadensersatz aus Kodierungen für „externe Einflüsse“, insbesondere dem Code 82 „Anordnung NLZ - Witterung“ herleite, sei diese Kodierung weder dem Betreiber der Schienenwege noch dem Eisenbahnverkehrsunternehmen zugeordnet. Infolge der fehlenden Zuordnung zum Verantwortungs- und Obhutsbereich der Beklagten ergebe sich keine Beweiserleichterung für eine schuldhafte Schlechterfüllung durch sie. In diesen Fällen obliege es nach den allgemeinen Regeln der Darlegungslast der Klägerin, eine über die externe Verspätungsursache wie etwa den Witterungseinfluss hinausgehende Pflichtverletzung der Beklagten in jedem einzelnen Fall konkret aufzuzeigen, was nicht geschehen sei. Daher schieden auch Schadensersatzansprüche im Hinblick auf sog. sekundäre Verspätungsursachen aus.

22Der Schadensersatzanspruch aus § 536 a BGB umfasse auch Mangelfolgeschäden. Infolge der von der Beklagten verschuldeten Pflichtverletzungen sei der Klägerin ein Schaden in Form der von ihren Auftraggebern vorgenommenen Abzüge vom Leistungsentgelt aus dem Verkehrsvertrag entstanden, dessen Höhe das Landgericht zutreffend errechnet habe. Die Gesamtsumme der ins Verhältnis gesetzten Minderungsbeträge in der Zeit von Januar 2016 bis Dezember 2017 ergebe die geltend gemachte Schadenssumme von 61.256,62 €.

23Der Anspruch scheitere auch nicht daran, dass die Regelungen des Verkehrsvertrages zu den Abzügen für Schlechtleistungen wegen Verstoßes gegen das Verbot einer marktbeherrschenden Stellung (§ 19 GWB) nach § 134 BGB nichtig wären und die Klägerin sich hierauf bereits im Vergabeverfahren der Verkehrsleistungen, jedenfalls aber bei der Endabrechnung hätte berufen können. Selbst wenn der Streithelfer auf dem ausgeschriebenen Markt des Landes Sachsen-Anhalt für den Schienenpersonennahverkehr marktbeherrschend sei, fehle es jedenfalls an der missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung durch ihn als Auftraggeber der Verkehrsleistungen. Denn alle Verkehrsverträge sähen entsprechende Vergütungsabzüge vor, die auch ein anerkennenswertes Ziel verfolgten, so dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass die streitgegenständliche Abzugsregelung ohne eine marktbeherrschende Stellung des Streithelfers bei wirksamem Wettbewerb nicht vereinbart worden wäre. Auch verstoße der Verkehrsvertrag nicht gegen die rechtlichen Vorgaben für Allgemeine Geschäftsbedingungen. Schließlich stehe der Geltendmachung des Schadens nicht der Einwand der Treuwidrigkeit entgegen.

II.

24Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.

251. Zutreffend und in Übereinstimmung mit der Senatsrechtsprechung hat das Oberlandesgericht den zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag als Mietvertrag qualifiziert.

26a) Gemäß § 535 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB wird der Vermieter durch den Mietvertrag verpflichtet, dem Mieter den Gebrauch der Mietsache während der Mietzeit zu gewähren. Ist der vertragsgemäße Gebrauch nur ein beschränkter, richtet er sich zum Beispiel - wie hier - nur auf eine gelegentliche, dem jeweiligen Bedarf angepasste Nutzung, entfällt damit noch nicht das für die Miete erforderliche Element der Gebrauchsgewährung. Entscheidend hängt die rechtliche Qualifizierung eines Vertrags, bei dem eine Vertragspartei neben der entgeltlichen Überlassung einer Sache, hier des Schienennetzes, weitere Leistungen zu erbringen hat, von der Ausgestaltung der Vertragsbeziehung im Einzelfall ab. Maßgeblich ist dabei, welche der Leistungen dem Vertrag das Gepräge geben (Senatsurteil BGHZ 228, 353 = MDR 2021, 937 Rn. 13 ff.).

27Gemessen hieran ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht den zwischen den Parteien geschlossenen Grundsatz-INV als Mietvertrag eingeordnet hat. § 1 Nr. 2 Grundsatz-INV stellt auf den Begriff der "Nutzung" ab und gibt daher dem Vertrag das entsprechende mietvertragliche Gepräge. Der Grundsatz-INV verweist in § 1 Nr. 3 auf die jeweils abzuschließenden Einzelnutzungsverträge. In diesen sind die jeweiligen Zeiten, zu denen der in diesem Vertrag genannte Zug zu verkehren hat, aufgeführt. Damit steht diese Regelung in Einklang mit § 2 Nr. 1 EIBV (ab : § 1 Abs. 20 ERegG), wonach "Zugtrasse" denjenigen Anteil der Schienenwegkapazität eines Betreibers der Schienenwege bezeichnet, der erforderlich ist, damit ein Zug zu einer bestimmten Zeit zwischen zwei Orten verkehren kann. Danach war die Beklagte nach den eingegangenen Vertragsbeziehungen verpflichtet, der Klägerin zu den in den Einzelnutzungsverträgen jeweils genannten Zeitpunkten bzw. Zeiträumen die Zugtrassen zur Benutzung zu überlassen (vgl. Senatsurteil BGHZ 228, 353 = MDR 2021, 937 Rn. 16 ff.).

28b) Dass der Vertrag auch mit Rechtsbindungswillen für die rechtzeitige Bereitstellung und Befahrbarkeit der Trassen eingegangen ist, ergibt sich schon daraus, dass in Ziffer 6.2.5.7 der SNB eine Entgeltminderung vereinbart ist, wenn infolge des nicht vertragsgemäßen Zustands der Schienenwege die erbrachte Leistung nicht unwesentlich von der geschuldeten abweicht, was in Ziffer 6.2.5.7.1 der jeweiligen SNB als „Mangel“ definiert wird. Diese vertragliche Regelung setzte den bei Vertragsschluss geltenden § 21 Abs. 6 Satz 2 EIBV um, wonach die zu vereinbarenden Entgelte bei solchen Umständen zu mindern sind. In den nachfolgenden Einzelregelungen der SNB wird der Mangel dahingehend konkretisiert, dass es wegen bestimmter Unzulänglichkeiten der Schienenwege bezüglich der Steuerungs- und Sicherungssysteme, der Stromversorgung oder personell-betrieblicher Mängel zu sechs oder mehr Zusatzverspätungsminuten komme. Daraus ergibt sich, dass Inhalt der Leistungspflicht - und damit zugleich vom Rechtsbindungswillen umfasst - auch die rechtzeitige Bereitstellung und Befahrbarkeit der Trasse ist (vgl. Senatsurteil BGHZ 228, 353 = MDR 2021, 937 Rn. 23).

29Soweit Verspätungen im Schienenverkehr systemimmanent sind, ist dem bereits im Datenmodell des Kodierungssystems insoweit Rechnung getragen, als diese erst ab dem Schwellenwert einer Ankunftsverspätung von größer als 5:59 Minuten zum Tragen kommen (Ziffer 6.2.3.1.2 SNB). Gleichermaßen besteht ein definitionsgemäßer Mangel erst ab einer Verspätung von sechs Minuten (Ziffer 6.2.5.7.3 SNB). Sollten die Ursachen für die Verspätungen von Dritten, nicht im Vertrag involvierten Personen herrühren, wird das ebenfalls in Ziffer 6.2.3.1.2 SNB hinreichend berücksichtigt. Danach sind nur diejenigen Zusatzverspätungsminuten relevant, die sich entweder durch den Betreiber des Schienennetzes (Beklagte) oder durch das betreffende Eisenbahnverkehrsunternehmen (Klägerin) beeinflussen lassen (vgl. Senatsurteil BGHZ 228, 353 = MDR 2021, 937 Rn. 24).

302. Wie der Senat für einen vergleichbaren Fall ebenfalls bereits entschieden hat, ist der von den Parteien geschlossene Mietvertrag nicht dahin auszulegen, dass neben den Minderungsansprüchen Ansprüche auf Schadensersatz für Vermögensschäden - sei es aus § 536 a BGB oder aus § 280 BGB - ausgeschlossen sind (vgl. Senatsurteil BGHZ 228, 353 = MDR 2021, 937 Rn. 26 ff.). Auch durch die Regelungen der jeweiligen SNB sind Ansprüche auf Schadensersatz nicht ausgeschlossen (vgl. Senatsurteil BGHZ 228, 353 = MDR 2021, 937 Rn. 30 ff.), zumal ein solcher Ausschluss den Vorgaben des § 307 iVm § 310 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht standhielte (vgl. Senatsurteil BGHZ 228, 353 = MDR 2021, 937 Rn. 41 ff.).

31Über die eingeklagten Schadensersatzansprüche kann der Senat entscheiden, ohne das Verfahren, wie von der Beklagten gefordert, bis zu einer Entscheidung der Bundesnetzagentur auszusetzen.

32a) Zwar sind diedurch das Eisenbahnregulierungsrecht öffentlich-rechtlich überformt . Dieses ist unionsrechtlich vorgesehen durch Art. 55, 56 der Richtlinie 2012/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums (zuvor: Art. 30 der Richtlinie 2001/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn und die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur in der durch die Richtlinie 2007/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom geänderten Fassung). Zu den Regulierungszielen gehört auch die Sicherstellung eines nicht diskriminierenden Zugangs zu der Infrastruktur unter den Bedingungen eines fairen Wettbewerbs (Art. 102 AEUV, vgl.  - WuW 2022, 672 Rn. 59, 68 - ODEG).

33aa) Nach der Auslegung dieser Vorschriften durch den Europäischen Gerichtshof besteht für die Verfolgung der regulatorischen Ziele grundsätzlich eine ausschließliche Zuständigkeit der Regulierungsstelle ( - EuZW 2018, 74 Rn. 86 - CTL Logistics;  - WuW 2022, 672 Rn. 60 - ODEG) und steht es den Zivilgerichten deshalb nicht zu, die Entgelte für die Nutzung von Infrastruktur im Einzelfall unabhängig von der Überwachung durch die Regulierungsstelle auf Billigkeit zu überprüfen ( - EuZW 2018, 74 Rn. 103 - CTL Logistics).

34Die Zivilgerichte bleiben jedoch zuständig für Entscheidungen über Schadensersatz wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung durch das Infrastrukturunternehmen, weil andernfalls die volle Wirksamkeit des im primären Unionsrecht verankerten Art. 102 AEUV beeinträchtigt wäre ( - WuW 2022, 672 Rn. 47 f. - ODEG). Da die Herstellung eines nicht diskriminierenden Zugangs zu der Infrastruktur unter den Bedingungen eines fairen Wettbewerbs aber zugleich zu den von der Regulierungsstelle zu überwachenden Regulierungszielen gehört, sind die nationalen Gerichte zwecks Wahrung einer effektiven Missbrauchskontrolle zur loyalen Zusammenarbeit mit der zuständigen Regulierungsstelle verpflichtet und müssen deren Entscheidungen berücksichtigen ( - WuW 2022, 672 Rn. 88 - ODEG). Prozedural kann dieses Berücksichtigungsgebot das Abwarten einer Vorabentscheidung oder Vorabstellungnahme der Regulierungsstelle erfordern (vgl.  - NZKart 2024, 45).

35bb) Im vorliegenden Fall geht es jedoch weder um eine Überprüfung der Entgelte für die Nutzung von Infrastruktur auf Billigkeit noch um Schadensersatz wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung, sondern um den Ersatz eingetretener Vermögensschäden bei dem Eisenbahnverkehrsunternehmen aufgrund mangelhafter Leistungserbringung durch das Infrastrukturunternehmen. Zwar hat der Europäische Gerichtshof ausgeführt, dass der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nicht nur in der Preisbildung oder der Festlegung von Vertragsbedingungen beim Vertragsschluss liegen kann, sondern auch in den Modalitäten einer zu beanspruchenden Rückzahlung bereits geleisteter Entgelte ( - WuW 2022, 672 Rn. 70 mwN - ODEG). Insofern könnten sich im Hinblick auf mögliche Schadensersatzansprüche unterschiedliche Zugangsbedingungen für Eisenbahnverkehrsunternehmen ergeben, wenn der Eintritt eines Mangelfolgeschadens und dessen Höhe jeweils von den Bedingungen des mit dem Auftraggeber der Verkehrsleistung geschlossenen Verkehrsvertrages abhängen. Diese möglichen Unterschiede betreffen aber weder die Preisbildung noch beruhen sie auf einer Ausnutzung der Marktstellung des Infrastrukturunternehmens, sondern sie gründen in den Bedingungen der jeweils bestehenden Verkehrsverträge, auf die das Infrastrukturunternehmen keinen Einfluss hat. Der geltend gemachte Schadensersatz ist darauf gerichtet, den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre (§ 249 Abs. 1 BGB). Es sollen die Bedingungen des Vertrages für das Eisenbahnverkehrsunternehmen so zur Geltung gebracht werden, als habe das Infrastrukturunternehmen die von ihm versprochene Leistung vereinbarungsgemäß erbracht. Dies führt nicht zu einer Besserstellung des Eisenbahnverkehrsunternehmens gegenüber anderen Bewerbern, sondern nur zu einer Kompensation ihm andernfalls entstehender Nachteile. Hierdurch werden die Regulierungsziele nicht beeinträchtigt, sondern sogar gestärkt.

36b) Damit steht im Einklang, dass die Bundesnetzagentur als nationale Regulierungsstelle in Bezug auf Mangelfolgeschäden in der hier vorliegenden Konstellation bereits grundsätzlich dahin Stellung genommen hat, die Zuerkennung von Schadensersatzansprüchen bedeute keinen Umstand, der neben dem Anreizsystem eine ungewollte Überkompensation darstelle. Der Geschädigte solle wirtschaftlich so gestellt werden, wie er stünde, wenn der zum Schadensersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Sofern aus Sicht der Verkehrsinfrastrukturunternehmen durch ein obligatorisches Strafversprechen eines Zugangsberechtigten im Ergebnis eine unbillige Schadensverlagerung auf sie erfolge, obliege es ihnen, dem Schadensersatzverlangen des Zugangsberechtigten im Einzelfall zivilrechtlich entgegenzutreten (vgl. Beschluss der 10. Beschlusskammer der Bundesnetzagentur vom - BK10-18-0014 E - S. 44, abzurufen unter www.bundesnetzagentur.de). Durch ihren Verweis auf das zivilrechtliche Entgegentreten hat die Bundesnetzagentur ein regulatorisches Bedürfnis für eine eigene Einflussnahme auf Entscheidungen der Zivilgerichte über den Ersatz des Vermögensschadens hinreichend verneint. Dem Gebot der loyalen Zusammenarbeit mit der Regulierungsstelle ist dadurch genügt.

374. Zutreffend sind die Instanzgerichte außerdem davon ausgegangen, dass der Klägerin durch die verspätete Bereitstellung von Zugtrassen, die teilweise die Beklagte zu vertreten hat, ein Schaden in Form von Entgeltkürzungen aus dem Verkehrsvertrag entstanden ist. Auch die vorgenommene Schadensschätzung ist rechtlich nicht zu beanstanden.

38die einzelnen Verspätungsursachen hinreichend substantiiert dargelegt. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass sich die Vorinstanzen auf von der Klägerin als Anlage eingereichte Tabellen gestützt haben, ohne dass diese schriftsätzlich weiter aufbereitet waren. Eine Aufnahme des Tabellenwerks in einen Schriftsatz hätte weder den Erkenntniswert erhöht noch die Übersichtlichkeit verbessert. Auch für die Beklagte war die Auswertung der Tabellen nicht unzumutbar. Denn sie verfügt nicht nur über die von der Klägerin eingereichten Tabellen, sondern - als eigenständige Erkenntnisgrundlage - auch über die von ihr selbst vorgenommenen Verspätungskodierungen, wie sie seinerzeit der Klägerin mitgeteilt und den Ausgleichszahlungen aus dem Anreizsystem zugrunde gelegt wurden. Der Beklagten hätte es daher oblegen, eventuelle Unstimmigkeiten der vom Landgericht getroffenen Feststellungen anhand ihrer eigenen Aufzeichnungen konkret aufzuzeigen, wie es jedoch nicht einmal exemplarisch erfolgt ist.

39b) Die der Klage zugrunde gelegte und von den Instanzgerichten auch angewendete Art der Schadensberechnung, wonach die verspätungsbedingten Entgeltkürzungen aus dem Verkehrsvertrag anteilig von der Beklagten nach der Quote der in ihrem Verantwortungsbereich liegenden Verspätungsursachen zu erstatten sind, liegt im Rahmen des nach § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO Zulässigen. Es ist bereits in dem Nutzungsvertrag selbst angelegt, ausgewählte 20 % der Zugtrassen repräsentativ heranzuziehen, um aus ihnen Rückschlüsse auf die Gesamtabweichung von den Pünktlichkeitszielen und deren Ursachen zu ziehen sowie daran rechtliche Folgen wie Anreizentgelte und Minderungsbeträge zu knüpfen. Dem wird es gerecht, die als anreizrelevant ausgewählten Zugtrassen repräsentativ auch für die Berechnung einer Haftungsquote für den Schadensersatz heranzuziehen.

40Daher haben die Tatgerichte im Rahmen der Schadensberechnung - anders als die Revision der Beklagten geltend macht - nicht etwa zu Unrecht sämtliche Verspätungen bereits ab einer (Zusatz-)Verspätungsdauer von 90 Sekunden als grundsätzlich relevant angesehen. Zwar sind in die Berechnung der Verursachungsanteile auch solche Störungen einbezogen, die für sich genommen keine Rechtsgutverletzung bei dem Eisenbahnverkehrsunternehmen bewirkt haben. Denn nach dem Vergütungssystem des zwischen der Klägerin und ihrem Auftraggeber geschlossenen Verkehrsvertrages konnten nur Verspätung von über 300 Sekunden zu Abzügen vom Entgelt für Schlechtleistungen führen, so dass Verspätungskodierungen von bis zu fünf Minuten, die sich auch mit weiteren von der Beklagten zu vertretenden Zusatzverspätungen nicht zu einer Gesamtverspätung von mehr als fünf Minuten aufsummierten, nicht für sich genommen haftungsrelevant sind.

41Hierauf kommt es im Rahmen der vom Oberlandesgericht durchgeführten Schadensschätzung nach § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO aber nicht an. Denn die (Zusatz-)Verspätungen ab bereits 90 Sekunden wurden nicht herangezogen, um in einem konkreten Verspätungsfall eine haftungsbegründende Kausalität herzuleiten, sondern es wurden sämtliche angefallenen (Zusatz-)Verspätungen lediglich in eine Relation zueinander gestellt, um Verantwortungsanteile an dem gesamten Verspätungsaufkommen zu errechnen. Ein solches Vorgehen liegt nicht außerhalb der nach § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO zulässigen Überzeugungsbildung.

42Aufgrund ihrer Heranziehung lediglich als Hilfsgröße für die Berechnung von Verantwortungsanteilen stellt sich auch nicht die vom Oberlandesgericht angeführte Zulassungsfrage, ob mangelbedingte Schadensersatzansprüche gemäß § 536 a Abs. 1 BGB eine erhebliche Minderung der Tauglichkeit im Sinne des § 536 Abs. 1 Satz 3 BGB voraussetzen. Ebenso wenig stellt sich die von der Revision der Beklagten aufgeworfene Frage, ob die Klägerin bereits bei Vertragsschluss mit der Beklagten Verspätungen von geringerem Ausmaß als systemimmanente Gegebenheit erkannt und im Sinne des § 536 b Satz 1 BGB als unabänderliche Situation und vorgegebene Beschaffenheit der Mietsache hingenommen hat (vgl. dazu Senatsurteil BGHZ 203, 148 = NZM 2015, 84 Rn. 29).

43c) Es ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden, dass die Instanzgerichte auf Grundlage der danach berücksichtigten Verspätungskodierungen eine Verantwortlichkeit der Beklagten angenommen haben, soweit für die Störfälle Kodierungen vorgenommen worden sind, die dem Zuständigkeitsbereich des Betreibers der Schienenwege, also der Beklagten, zugeordnet sind. Zwar werden diese durch Anhang VI Nr. 2 lit. c der Richtlinie 2012/34/EU vorgegebenen Kodierungen für Zwecke des Anreizsystems und gegebenenfalls noch für Zwecke einer Minderung nach Ziffer 6.2.5.7 SNB vorgenommen, nicht jedoch mit dem Ziel der Anknüpfung einer Schadensersatzregelung nach § 536 a BGB, weshalb sie insoweit auch nicht als bindendes Anerkenntnis einer zu Schadensersatz führenden Pflichtverletzung aufzufassen sind. Der Senat hat jedoch bereits darauf hingewiesen, dass die Darlegung einer objektiven Pflichtwidrigkeit des Eisenbahninfrastrukturunternehmens oft nur schwer möglich ist, und dem dadurch Rechnung getragen werden kann, dass den Eisenbahnverkehrsunternehmen eine Erleichterung der ihnen obliegenden Darlegungs- und Beweislast nach den von der Rechtsprechung zum Beweis negativer Tatsachen entwickelten Grundsätzen zuteilwird (Senatsurteil BGHZ 228, 353 = MDR 2021, 937 Rn. 59). Insofern begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, wenn das Tatgericht die von der Beklagten in das LeiDis-System eingestellten Störfälle nebst deren kodierten Ursachen, gegebenenfalls berichtigt aufgrund eines von der Klägerin angestrengten Korrekturverfahrens, als Indiz für die Verantwortlichkeit der Beklagten gelten lässt. Die von den Instanzgerichten getroffene Annahme, dass die mit den Verspätungscodes 10, 12, 14, 18, 19, 21, 23, 24, 25, 29, 30, 31, 32 und 46 erfassten Störungen eine derartige Indizwirkung entfalten, lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Die Revision zeigt auch nicht auf, dass konkreter Sachvortrag der Beklagten übergangen wäre, welcher die von den Kodierungen ausgehende Indizwirkung im Einzelfall entkräftet hätte.

44d) Ebenso wenig trifft auf Rechtsbedenken, dass die Instanzgerichte denjenigen Störungen, die ihrer Kodierung nach als externe Einflüsse oder als sekundäre Ursachen erfasst worden sind, keine entsprechende Indizwirkung zugeschrieben haben. Denn in Bezug auf diese Kodierungen steht eine Verantwortungszuständigkeit der Beklagten als Betreiberin der Schienenwege, welche ihre Haftung begründen könnte, gerade nicht fest. Zwar werden beispielsweise mit dem Code 82 „Anordnung NLZ - Witterung“ neben unvermeidbaren Einflüssen auch Störungen erfasst, die einen Verantwortungszusammenhang im Zuständigkeitsbereich der Beklagten haben können, etwa wenn sie auf mangelnden Vorkehrungen vor wetterbedingten Störungen oder auf deren nicht rechtzeitiger Beseitigung beruhen. Es ist aber rechtlich unbedenklich, wenn das Tatgericht davon ausgeht, dass die Beklagte ihren Mitwirkungspflichten bei der Ursachenermittlung durch Vornahme der jeweiligen Kodierungen genügt hat.

45Entgegen der klägerischen Revision ergibt sich auch nicht aus der vertraglich übernommenen, durch § 2 Nr. 1 EIBV bzw. § 1 Abs. 20 ERegG näher definierten Hauptleistungspflicht der Beklagten, dass eine Pflichtverletzung immer dann vorliegt, wenn sie die Schienenwege - aus welchen Gründen auch immer - nicht rechtzeitig zur Durchfahrt bereitstellt. Denn nach § 536 a Abs. 1 BGB haftet der Vermieter nur für einen Mangel, der bereits bei Vertragsschluss vorhanden ist oder der später wegen eines Umstands entsteht, den er zu vertreten hat, oder wenn er mit der Beseitigung eines Mangels in Verzug kommt. Da hier nur Mängel in Rede stehen, die bei Vertragsschluss noch nicht vorhanden waren, lag es an der Klägerin darzulegen und zu beweisen, dass die Mängel jeweils wegen eines von § 536 a Abs. 1 BGB erfassten Umstands entstanden sind.

46Allerdings bestimmt § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB eine Beweislastumkehr, soweit es um das Vertretenmüssen der Pflichtverletzung geht. Die Grenze dieser Beweislastumkehr, die nicht nur das Verschulden im engeren Sinne, sondern auch die (objektive) Pflichtverletzung ergreift, ist nach der Rechtsprechung des Senats danach zu bestimmen, in wessen Obhuts- und Gefahrenbereich die Schadensursache lag (Senatsurteil vom - XII ZR 148/06 - NJW 2009, 142 Rn. 15 mwN). Durch die Erhebung von Verspätungskodierungen für das Anreizsystem werden Zuordnungen von Obhuts- und Gefahrenbereichen getroffen, indem diejenigen Störungen identifiziert werden, auf die die Beklagte als Betreiberin der Schienenwege tatsächlichen Einfluss ausübt oder zumindest entsprechende Einwirkungsmöglichkeiten hat. Auch wenn die Klägerin auf mögliche Ungenauigkeiten und Unschärfen des auf den Massenverkehr zugeschnittenen Erfassungssystems hinweist, entlastet es sie nicht von der Darlegung, dass eine im LeiDis-System vermerkte und von ihr nicht im Wege des Korrekturverfahrens beanstandete Kodierung den Sachverhalt im Einzelfall unzutreffend oder ungenau darstellt oder aus sonstigen Gründen eine abweichende Zuordnung des Obhuts- und Gefahrenbereiches angezeigt wäre. Konkret gehaltenen, auf den Einzelfall bezogenen Sachvortrag insoweit zeigt ihre Revision nicht auf.

47e) Die Revision der Klägerin ist auch nicht begründet, soweit die Instanzgerichte außer Betracht gelassen haben, Verspätungen mit den Kodierungen für sekundäre Ursachen nach Code 91 (Zugfolge - wegen Vorrang anderer Züge) und nach Code 92 (Zugfolge - betroffener Zug war verspätet) als haftungsrelevant anzusehen.

48aa) Mit Code 91 kodiert werden Zusatzverspätungen durch Zugfolge, wenn der betroffene Zug wegen Verspätung eines anderen Zuges aus seiner Trasse verdrängt wird. Dabei ist die verursachende Zugnummer anzugeben. Code 92 wird vergeben für Zusatzverspätungen durch Zugfolge, wenn sich der betroffene Zug auf Grund eigener Verspätung weiter verspätet, wobei ebenfalls die verursachende Zugnummer anzugeben ist. In beiden Fällen beruht die als „sekundäre Ursache“ kodierte Zusatzverspätung darauf, dass es infolge einer zuvor eingetretenen Primärursache zu einer punktuellen Störung kam, die den Zugverkehr aus dem Takt geraten ließ, als Folgewirkung angrenzenden Streckennetz zu einer planwidrigen Verdichtung der Zugfolge führte und dadurch (weitere) KodierungsrichtlinieZugfolgeregelung“)Zugfolgeverspätung als zurechenbarer Folgeschaden in Betracht.

49Jedoch erlaubt die Kodierung mit dem Code 91 (Zugfolge - wegen Vorrang anderer Züge) selbst unter Hinzuziehung der vorgesehenen Feinkodierungen keine klare Zuordnung der Primärursache und der Verantwortlichkeit für diese. Es bleibt vielmehr offen, ob die Primärursache von dem Schienennetzbetreiber oder von einem anderen Verkehrsunternehmen zu vertreten ist oder eine äußere Ursache hat. Auch trifft die Beklagte im Rahmen der von der Klägerin gewählten Art der Schadensberechnung für Störungen nach diesem Code keine

50bb) Handelt es sich um Sekundärstörungen mit dem Code 92 (Zugfolge - betroffener Zug war verspätet), gilt das Gleiche. Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Zugfolgeverspätung insoweit ohnehin in einer Primärstörung begründet liegt, die den konkreten Zug selbst betraf, und daher davon auszugehen ist, dass das Eisenbahnverkehrsunternehmen ausreichende Kenntnis von der Ursache der Primärverspätung des eigenen Zuges hat.

515. Der Einwand der Beklagten, der Anspruch der Klägerin scheitere daran, dass die Klauseln des Verkehrsvertrages über die Abzüge vom Entgelt für Schlechtleistungen wegen des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung durch die Auftraggeber der Klägerin (§ 19 GWB) insoweit gemäß § 134 BGB nichtig seien, greift nicht durch. Dabei kann dahinstehen, ob die auftraggebenden Verkehrsträger trotz ihrer Eigenschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts und trotz Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben als Behörde dem funktionalen Unternehmerbegriff der §§ 18, 19 GWB unterfallen (vgl. BGHZ 199, 1 = NZKart 2014, 31 Rn. 52 mwN - VBL-Gegenwert I; BGHZ 205, 354 = NJW 2016, 74 Rn. 37 - Einspeiseentgelt I). Denn jedenfalls fehlt es - eine der Beklagten günstige Marktabgrenzung revisionsrechtlich unterstellt - an der missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung durch die Auftraggeber der Klägerin.

52a) Sie ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten insbesondere nicht daraus, dass die getroffenen Regelungen des als Werkvertrag anzusehenden Verkehrsvertrages in Verbindung mit den vereinbarten Qualitätsstandards einer Inhaltskontrolle nach den §§ 307 ff. BGB nicht standhielten und davon auszugehen sei, dass die Aufgabenträger die darin enthaltenen Kürzungsregelungen nur unter Ausnutzung einer Monopolstellung einseitig durchsetzen konnten. Zwar kann die Verwendung unzulässiger Allgemeiner Geschäftsbedingungen durch marktbeherrschende Unternehmen grundsätzlich einen Missbrauch im Sinne von § 19 GWB darstellen. Das gilt insbesondere dann, wenn die Vereinbarung der unwirksamen Klausel Ausfluss der Marktmacht oder einer großen Machtüberlegenheit des Verwenders ist (BGHZ 199, 1 = NZKart 2014, 31 Rn. 65 - VBL-Gegenwert I). Eine unzulässige Klauselverwendung durch die Auftraggeber der Klägerin kann indessen nicht festgestellt werden. Insbesondere halten die Regelungen über Abzüge vom Entgelt für Schlechtleistungen, die Anwendbarkeit von AGB-Recht als der Beklagten günstig unterstellt, einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB stand.

53aa) Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich nicht um ein unzulässiges verschuldensunabhängiges Vertragsstrafeversprechen, sondern um die Umsetzung des Äquivalenzgedankens, bei dem sich die Pünktlichkeit der Leistungserbringung in der Vergütungshöhe widerspiegelt. Soweit die Beklagte mit ihrer Revision darauf hinweist, an einer Stelle der mit dem Verkehrsvertrag in Bezug genommenen Qualitätsstandards sei die Rede davon, dass Verspätungen „als unpünktlich sanktioniert“ würden (Ziffer 3.1 Abs. 4 HG_4070_Qualitätsstandards), steht dem die Formulierung in § 10 Abs. 2 des eigentlichen Vertragstextes des Verkehrsvertrages gegenüber, wo zwischen „Vertragsstrafen“ einerseits und „Abzügen“ andererseits unterschieden ist, wobei die „Abzüge“ als Minderungsbeträge definiert sind, die der Minderleistung bzw. dem verminderten Wert der Leistung entsprechen. Dieser zweitgenannten Kategorie unterfallen auch die verspätungsbedingten Kürzungen.

54Letztlich kommt es darauf an, was nach dem Gegenstand des Vertrages inhaltlich gemeint ist. Bereits ohne besondere vertragliche Regelungen verletzt der Werkunternehmer bei jeder Werkleistung, die nicht zu dem geschuldeten Zeitpunkt erbracht wird, seine vertragliche Leistungspflicht. Zwar begründet der Verzug des Werkunternehmers nicht ohne weiteres einen Mangel des erstellten Werks, sondern ist im Gesetz eigenständig geregelt. Für eine verspätete Leistungserbringung hat der Schuldner nach den Regeln der §§ 286, 280 BGB einzustehen. Diese eigenständige Regelung schließt jedoch nicht aus, dass für die Eignung des Werks zum üblichen oder vereinbarten Gebrauch auch der Leistungszeitpunkt eine Rolle spielen kann. Ein Mangel setzt danach voraus, dass das Werk selbst infolge der Zeitverzögerung nicht die geschuldete Beschaffenheit aufweist (vgl.  Xa ZR 113/08 - NJW 2009, 2743 Rn. 16).

55Entscheidend ist damit, welche Bedeutung die Vertragsparteien hier einer zeitgerechten Erfüllung der Leistung beigemessen haben. Schon nach seiner Präambel diente der von der Klägerin geschlossene Verkehrsvertrag „der Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Zugverbindungen im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) als Aufgabe der allgemeinen Daseinsvorsorge“ und sollte „zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit und der Attraktivität des SPNV … beitragen“. Mit ihm wurde das Ziel verfolgt, die Leistungsfähigkeit und Attraktivität des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) zu sichern und zu verbessern und im öffentlichen Interesse einen attraktiven SPNV zu gewährleisten. Für die Akzeptanz des SPNV als Alternative zum motorisierten Individualverkehr (MIV) sei „neben einer attraktiven Angebotsausgestaltung vor allem auch ein hoher Qualitätsstandard bei der Pünktlichkeit und Anschlusssicherheit der Züge, den Reisezeiten, der Fahrgastinformation, dem Fahrgastkomfort, der Sauberkeit und der Sicherheit maßgeblich“. Insbesondere bei Unzuverlässigkeit der Beförderung in Form von mangelnder Pünktlichkeit und Anschlusssicherheit der Züge sinkt die Fahrgastzufriedenheit und mit ihr die Bereitschaft, vom SPNV Gebrauch zu machen und den festgelegten Preis zu entrichten. Um das Verkehrsangebot dementsprechend attraktiv zu gestalten, wurde die Sollbeschaffenheit der Leistung durch die in den Qualitätsstandards aufgeführten Qualitätsmerkmale festgelegt. Namentlich hatte sich die Klägerin gegenüber ihren Auftraggebern zur Einhaltung fester Fahrpläne verpflichtet. Dadurch wurde die zeitgerechte Erfüllung der Verkehrsleistungen als ein wesentliches Leistungsziel definiert und als wesentliches Beschaffenheitsmerkmal der geschuldeten Leistung vereinbart.

56bb) Unabhängig von den gesetzlichen Minderungs- und Schadensersatzregelungen ist daher ein im Sinne des § 307 BGB legitimes Interesse des Bestellers der Verkehrsleistungen anzuerkennen, über vertragliche Bonus- und Malusregelungen pekuniäre Anreize zur Einhaltung der bestellten Qualität zu setzen. Davon haben die Auftraggeber der Klägerin Gebrauch gemacht, indem sie Regelungen vorgegeben haben, nach denen sich das vom Leistungserbringer zu beanspruchende Entgelt nach dem verringerten Wert der Leistung ermäßigen sollte, wenn diese hinter den vertraglich vereinbarten Qualitätskriterien zurückbleibt. Dabei sind die wirtschaftlichen Interessen des Leistungserbringers in einen Ausgleich gebracht worden, indem ein Pünktlichkeitsgrad von 95 % als noch vertragsgemäß behandelt wurde (beeinträchtigt etwa durch Fahrgastverschulden oder behördliche Maßnahmen), Anschlussgewährungen generell von der Verspätungserfassung ausgenommen wurden, Entgeltkürzungen maximal bis zu einem Pünktlichkeitsgrad von 85 % erfolgen sollten und diese insgesamt, einschließlich Abzügen für anderweitig anfallende Vertragsstrafen, auf 16 % des vereinbarten Entgelts begrenzt waren. Dass darin eine unangemessene Benachteiligung entgegen den Geboten von Treu und Glauben läge, ist nicht ersichtlich. Die Regelung bedeutet ein vom Pünktlichkeitserfolg abhängiges Vergütungssystem im Sinne einer Entgeltregelung und nicht einer Verfallklausel. Sie erlaubt es dem Leistungserbringer, mit festen Einnahmen in Höhe von jeweils wenigstens 84 % des nominalen Entgelts zu kalkulieren und bei höheren Pünktlichkeitsgraden entsprechend höhere Einnahmen aus dem Verkehrsvertrag zu erzielen. Zusätzliche Einnahmen konnte die Klägerin von der Beklagten für Verspätungen erzielen, die in deren Zuständigkeitsbereich lagen und von dieser nach dem Anreizsystem der SNB auszugleichen waren, auch ohne dass es nach den Qualitätskriterien des Verkehrsvertrages zu Entgeltkürzungen bei der Klägerin kam.

57Schließlich kommt im Falle von Entgeltkürzungen wegen Verspätungen von über fünf Minuten, die dem Zuständigkeitsbereich der Beklagten zuzuordnen sind, eine dies ausgleichende Kompensation im Wege von Schadensersatzansprüchen gegen die Beklagte in Betracht, wie mit dem vorliegenden Rechtsstreit geltend gemacht. Soweit eine mögliche „Durchreichung“ dieses Schadens an die Beklagte bereits zu den Erwägungen beim Abschluss des Verkehrsvertrages gehört haben sollte, läge darin entgegen der Ansicht der Beklagten weder ein missbräuchlicher Gedankengang (§ 242 BGB) noch eine Vereinbarung zulasten Dritter. Denn hinsichtlich der Kürzungsregelungen für Schlechtleistung hatte die Klägerin nur solche Konditionen vereinbart, die auch sie selbst trafen, wenn, wie in den ganz überwiegenden Fällen, eine Verspätung nicht dem Zuständigkeitsbereich der Beklagten zugeordnet und der Schaden somit nicht „durchgereicht“ werden konnte.

58b) Die Revision der Beklagten zeigt auch nicht hinreichend auf, dass die Bedingungen des Verkehrsvertrages von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden (§ 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB). Sie verkennt hierbei, dass die Nachfrage aller denkbaren Wettbewerber eines hypothetischen Wettbewerbs den gleichen Zielen einer effektiven Daseinsvorsorge (vgl. § 1 Abs. 1 RegG) verpflichtet wäre, wie sie hier durch das Niedersächsische Nahverkehrsgesetz (NNVG) vom (GVBl. 1995, 180) und durch das Gesetz über den öffentlichen Personennahverkehr im Land Sachsen-Anhalt (ÖPNVG LSA) vom (GVBl. 2012, 308) konkretisiert und öffentlich-rechtlich vorgegeben sind. An die öffentlich-rechtliche Zielsetzung der Bereitstellung eines Netzes von Verkehrsmitteln im Linienverkehr, die die Verkehrsnachfrage im ÖPNV effektiv befriedigen (vgl. BGHZ 166, 165 = NJW-RR 2006, 836 Rn. 24 - DB Regio/üstra), hätten alle Besteller als Wettbewerber ihre Vertragsgestaltung auszurichten und die Qualität der zu vergebenden Verkehrsleistungen sicherzustellen, etwa unter Anwendung der Europäischen Norm für den Nachweis der Servicequalität von Verkehrsunternehmen im öffentlichen Personenverkehr (DIN EN 13816).

59Insofern fehlt es bereits an Feststellungen zu geeignetem und ausreichend sicherem Vergleichsmaterial über abweichende Vertragsgestaltungen (vgl.  - GRUR 1987, 310, 311 - Glockenheide), die unter den Bedingungen eines wirksamen Wettbewerbs bei gleichzeitiger Beachtung der öffentlich-rechtlichen Zielvorgaben zustande gekommen wären. Das Oberlandesgericht hat hierzu nur festgestellt, dass sich das im Verkehrsvertrag vereinbarte System der Vergütungskürzung im marktüblichen Bereich bewegt. Soweit die Revision der Beklagten geltend macht, dass ein monopolfreier Vergleichsmarkt insoweit nicht zur Verfügung stehe, zeigt sie keine ausreichenden Anknüpfungspunkte auf, anhand derer ein Maß für hypothetische, im „Als-ob-Wettbewerb“ zustande kommende Vertragsbedingungen, etwa im Wege eines kostenbasierten Verfahrens der gesamtwirtschaftlichen Analyse (vgl. BGHSt 52, 1 = NJW 2007, 3792 Rn. 19 - Papiergroßhandel), bestimmt werden könnte.

606. Schließlich verletzt die Entscheidung des Oberlandesgerichts auch nicht die zu berücksichtigenden Grundsätze der Vorteilsausgleichung.

61Nach den von der Rechtsprechung im Bereich des Schadensersatzrechts entwickelten Grundsätzen der Vorteilsausgleichung sind dem Geschädigten in gewissem Umfang diejenigen Vorteile zuzurechnen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind. Es soll ein gerechter Ausgleich zwischen den bei einem Schadensfall widerstreitenden Interessen herbeigeführt werden. Der Geschädigte darf einerseits im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht bessergestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Andererseits sind nur diejenigen durch das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, also dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unangemessen entlastet (BGHZ 225, 316 = NJW 2020, 1962 Rn. 65 mwN).

62Danach ist im Zusammenhang mit den hier in Rede stehenden Schadensersatzansprüchen grundsätzlich zu prüfen, inwieweit ein festzustellender Schaden bereits durch anderweitige Ausgleichszahlungen der Beklagten kompensiert ist (Senatsurteil BGHZ 228, 353 = MDR 2021, 937 Rn. 61). Zu einer „Überkompensation“ zugunsten des Eisenbahnverkehrsunternehmens könnte es kommen, sofern dieses wegen einer konkreten Verspätung einerseits den Trassenpreis gegenüber dem Eisenbahninfrastrukturunternehmen (hier der Beklagten) mindern könnte, andererseits aber aus dem Verkehrsvertrag im wirtschaftlichen Ergebnis das ungeschmälerte Entgelt erhalten würde, wenn die - von dem Auftraggeber zurückbehaltene - Differenz im Wege des Schadensersatzes von dem Eisenbahninfrastrukturunternehmen zu leisten wäre. Bei der Berechnung des Schadensersatzes sind dann die aus demselben Anlass erfolgten Minderungen auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen (vgl. Senatsurteil BGHZ 228, 353 = MDR 2021, 937 Rn. 37).

63Die vom Landgericht hiergegen vorgebrachten Bedenken, mit denen es auf eine vermeintlich unterschiedliche Zielrichtung von Äquivalenzwiederherstellung und Kompensation einer Vermögenseinbuße abstellt, tragen nicht. Denn die Minderung sperrt zwar einen Anspruch aus § 536 a BGB nicht, sie kann sich aber auf die Schadensberechnung auswirken (Schmidt-Futterer/Lehmann-Richter Mietrecht 16. Aufl. § 536 a BGB Rn. 19). Ein von § 536 a BGB erfasster Mangelschaden ist daher grundsätzlich nur insoweit zu berücksichtigen, als er nicht bereits durch die verminderte Miete ausgeglichen wird (MünchKommBGB/Häublein 9. Aufl. § 536 a Rn. 1), es sich also um einen weitergehenden Schaden handelt (vgl. Günter in Guhling/Günter Gewerberaummiete 3. Aufl. § 536 a BGB Rn. 69). Im Zusammenhang mit der Bereitstellung von Trassen für den Schienenpersonenverkehr ist der Mangelbegriff durch eintretende Verspätungen nur deshalb ausnahmsweise erfüllt, weil die Leistung selbst infolge der Zeitverzögerung nicht die geschuldete Beschaffenheit aufweist. Die Einhaltung der Zeitvorgaben betrifft aber ein einheitliches Interesse, welches keine über die Vermögenseinbuße hinausgehende Kompensation erfordert. Die auf die geltend gemachten Verspätungen entfallenden Minderungsbeträge können daher grundsätzlich als Abzugsposten vom Schadensersatz zu berücksichtigen sein.

64Im vorliegenden Fall hat das Oberlandesgericht die Vorteilsausgleichung jedoch mit der Begründung abgelehnt, dass die Beklagte den konkreten Betrag, den sie aufgrund mängelbedingter Minderung der Miete an die Klägerin habe zurückzahlen müssen, nicht mitgeteilt habe. Verfahrensrügen hierzu erhebt die Revision der Beklagten nicht.

                                            

                                                  

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:020425UXIIZR15.23.0

Fundstelle(n):
DAAAJ-88961