Suchen
BGH Beschluss v. - 6 StR 338/24

Instanzenzug: LG Stade Az: 301 KLs 4/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten J.            wegen schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung sowie wegen Anstiftung zum sexuellen Missbrauch von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Angeklagte H.              hat es wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Gegen dieses Urteil richten sich die jeweils auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen beider Angeklagten. Das Rechtsmittel der Angeklagten H.             hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Die Revision des Angeklagten J.           hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

21. Nach den zu Fall II.1 der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen nahmen die beiden Angeklagten, die ihren Lebensunterhalt auch durch den Verkauf selbstproduzierter Sexvideos finanzierten, am mit einer unbekannt gebliebenen Person namens „Mary“ unter Einsatz eines Mobiltelefons einen Pornofilm auf. Nachdem „Mary“ zu dem Treffen ein etwa zweieinhalb Jahre altes Kleinkind mitgebracht hatte, fasste der Angeklagte J.           spontan den Entschluss, dieses in das ursprünglich mit den Beteiligten verabredete „sexuelle Geschehen“ einzubeziehen; ihm kam es bei den Videoaufnahmen gerade darauf an, dass die Frauen den Geschlechtsverkehr vor dem Kind vollzogen. Er wies die Angeklagte H.           , die eine Augenbinde trug, an, mit „Mary“ den Oralverkehr zu vollziehen, und rief dadurch bei ihr den entsprechenden Tatentschluss hervor. Dem kam die Angeklagte H.             nach. Währenddessen saß das Kleinkind auf einem Bett hinter den Frauen und nahm den Geschlechtsverkehr visuell und akustisch wahr. Der Angeklagte filmte das etwa neunminütige Geschehen und schwenkte zweimal auf das Kind, das einmal in die Kamera schaute.

32. Die Verurteilung der Angeklagten H.            wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB aF (Fall II.1 der Urteilsgründe) hat keinen Bestand. Die den Feststellungen zugrundeliegende Beweiswürdigung begegnet durchgreifenden sachlich-rechtlichen Bedenken (vgl. zum Prüfungsmaßstab etwa , NJW 2023, 89 Rn. 17 f.).

4a) Für die Annahme einer sexuellen Handlung vor einem Kind ist über deren Wahrnehmung durch das Kind hinaus erforderlich, dass der Täter es so in das sexuelle Geschehen einbezieht, dass für ihn die Wahrnehmung der sexuellen Handlung durch das Kind von handlungsleitender Bedeutung ist (st. Rspr.; vgl. , BGHSt 49, 376, 381; vom – 4 StR 699/10, NStZ 2011, 633; vom – 2 StR 261/15, Rn. 5; Beschlüsse vom – 1 StR 79/14, BGHSt 60, 44, Rn. 19; vom – 4 StR 216/22, NStZ-RR 2023, 110; offen gelassen von BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 370/12, NStZ 2013, 278; vom – 3 StR 427/18, NStZ 2019, 203).

5b) Dies wird durch die insoweit lückenhafte Beweiswürdigung nicht tragfähig belegt.

6aa) Das Landgericht hat seine Überzeugung in erster Linie auf einen vom Angeklagten J.           bei der Angeklagten H.            hervorgerufenen Tatentschluss gestützt, der seiner eigenen Motivation entsprochen habe. Dass die Wahrnehmung durch das Kind für den Angeklagten J.            von handlungsleitender Bedeutung war, hat die Strafkammer insbesondere daraus geschlossen, dass er zweimal mit der Kamera auf das Kleinkind schwenkte. Zudem hätten beide Angeklagte durch die Aufnahmen des Kindes die „Attraktivität des Videos“ erhöhen wollen, um damit höhere Verkaufserlöse zu erzielen.

7bb) Diese Würdigung entbehrt einer Auseinandersetzung mit Urteilsfeststellungen, die der festgestellten Motivation der Angeklagten entgegenstehen könnten. Hiernach nahm die Angeklagte an „Mary“ allein die bereits zuvor zwischen den Beteiligten verabredeten sexuellen Handlungen vor; der Angeklagte J.            filmte das Geschehen, wie ebenfalls vorab vereinbart. Eine ausdrückliche Abrede der Beteiligten über die Einbeziehung des Kleinkindes hat das Landgericht nicht festgestellt. Schon vor diesem Hintergrund wäre eine Auseinandersetzung mit der Einlassung der Angeklagten geboten gewesen, nach der das Kleinkind von seiner Mutter überraschend zu den Filmaufnahmen mitgebracht worden sei. Das gilt erst recht mit Blick auf den Umstand, dass das wiederholte Schwenken der Kamera auf das Kleinkind weder mit der Angeklagten H.           abgesprochen noch für sie wahrnehmbar war, weil sie nach den Urteilsfeststellungen eine Augenbinde trug.

8c) Auf diesem Rechtsfehler beruht die Verurteilung der Angeklagten H.          (§ 337 Abs. 1 StPO). Da der Senat nicht auszuschließen vermag, dass ein neues Tatgericht insoweit tragfähige Feststellungen treffen wird, bedarf die Sache in diesem Umfang neuer Verhandlung und Entscheidung.

92. Die Revision des Angeklagten J.            erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg. Seine Verurteilung im Fall II.1 der Urteilsgründe hat schon deshalb keinen Bestand, weil die Aufhebung des Schuldspruchs hinsichtlich der Angeklagten H.           seiner Verurteilung wegen Anstiftung zum sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB aF i.V.m. § 26 StGB die Grundlage entzieht; ein täterschaftliches Handeln kommt nicht in Betracht, weil es sich um ein eigenhändiges Delikt handelt (vgl. , Rn. 20). Dies zieht die Aufhebung der hierfür verhängten Einzelstrafe und der Gesamtstrafe nach sich.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:051124B6STR338.24.0

Fundstelle(n):
CAAAJ-88957