Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensberücksichtigung und -berechnung - Einnahmen aus dem Betrieb der Photovoltaikanlage - Einspeisevergütung - Vermögen - Einkommen
Gesetze: § 11 Abs 1 S 1 SGB 2, § 11b Abs 2 S 1 SGB 2, § 11b Abs 3 SGB 2, § 12 SGB 2, § 15 EStG, § 6 Abs 1 Nr 1 AlgIIV 2008, Art 3 Abs 1 GG
Instanzenzug: SG Dresden Az: S 16 AS 3753/16 Gerichtsbescheidvorgehend Sächsisches Landessozialgericht Az: L 4 AS 834/17 Urteil
Tatbestand
1Die Beteiligten streiten zuletzt noch über die Berücksichtigung von Einnahmen aus dem Betrieb einer Photovoltaikanlage (PV-Anlage) im Dezember 2011.
2Der Kläger und die Klägerin sind Miteigentümer eines Eigenheims und betreiben eine PV-Anlage. Der Netzbetreiber zahlte an den Kläger monatliche Abschläge auf die Einspeisevergütung. Im Dezember 2011 betrug die Höhe des Abschlags 235 Euro. Das Finanzamt setzte hierfür Einkünfte aus Gewerbebetrieb fest. Der Kläger zahlte die Umsatzsteuer für das Jahr 2011 erst im Februar 2012 an das Finanzamt.
3Das beklagte Jobcenter bewilligte den Klägern vorläufig Arbeitslosengeld II (Alg II) unter anderem für Dezember 2011 (zuletzt mit Bescheid vom ). Ein gegen die Berücksichtigung der Einspeisevergütung als Einkommen gerichtetes Widerspruchsverfahren blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom ). Das SG hat die auf höhere Leistungen gerichtete und zunächst noch die Monate August bis Dezember 2011 umfassende Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom ). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom ). Die Klage sei unbegründet. Die vorläufig erfolgten Bewilligungen würden inzwischen kraft Gesetzes als abschließend festgesetzt gelten. Bei der Einspeisevergütung handele es sich um zu berücksichtigendes Einkommen. Die Situation sei vergleichbar mit Kapitalvermögen, mit dem Zinserträge erwirtschaftet werden. Von den Einnahmen aus der PV-Anlage sei nur die Versicherungspauschale iHv 30 Euro und kein Erwerbstätigenfreibetrag abzusetzen. Insbesondere fehle es an dem Einsatz von Arbeitskraft. Unerheblich sei insoweit, dass die Einspeisevergütung steuerlich als Einnahme aus Gewerbebetrieb gelte.
4Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügen die Kläger eine Verletzung der §§ 11, 11b und 12 SGB II sowie von Art 3 Abs 1 GG. Das LSG habe bei der Berücksichtigung der Einspeisevergütung als Einkommen nicht beachtet, dass sie ebenso wie die PV-Anlage als Vermögen geschützt sei. Die PV-Anlage unterliege der Abnutzung. Dem werde im Bilanz- und Steuerrecht durch die Möglichkeit Rechnung getragen, den Sachwert abzuschreiben. Dies müsse auch für das SGB II gelten, weil die Einkommensberücksichtigung ansonsten in geschütztes Vermögen eingreife. Die Einspeisevergütung könne nicht behandelt werden wie eine Zinseinnahme. Sollte das Sozialrecht bei der Berücksichtigung der Einspeisevergütung vom Steuerrecht abweichen, verletze dies Art 3 Abs 1 GG. Dem Betroffenen sei es nicht zuzumuten, Mittel für den Lebensunterhalt einzusetzen, die er ggf zur Begleichung seiner Steuerschulden benötige. Hierin liege auch eine Benachteiligung Selbständiger gegenüber abhängig Beschäftigten. Jedenfalls handele es sich bei der Einspeisevergütung um Einkommen aus Erwerbstätigkeit, weshalb entsprechende Freibeträge zu berücksichtigen seien. Auch insoweit würden Selbständige schlechter behandelt, ohne dass hierfür ein sachlicher Grund ersichtlich sei.
5Die Kläger beantragen,das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheids vom in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom zu verurteilen, ihnen für den Monat Dezember 2011 Arbeitslosengeld II ohne Anrechnung von Einnahmen aus dem Betrieb der Photovoltaikanlage zu gewähren.
6Der Beklagte beantragt,die Revisionen zurückzuweisen.
7Bei der mit dem Betrieb der PV-Anlage erzielten Einspeisevergütung handele es sich um Einkommen, bei dem kein Erwerbstätigenfreibetrag zu berücksichtigen sei. Die Erwerbstätigenfreibeträge im SGB II dienten dem Anreiz, die eigene Arbeitskraft zur Bestreitung des Lebensunterhalts einzusetzen. Im Vordergrund der Einnahmeerzielung stehe vorliegend - trotz eines gewissen Arbeits- und Verwaltungsaufwands - nicht der Einsatz der eigenen Arbeitskraft, sondern der Einsatz eigenen Vermögens.
Gründe
8Die zulässigen Revisionen der Kläger sind unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat ihre Berufungen zu Recht zurückgewiesen. Bei der Einspeisevergütung handelt es sich grundsicherungsrechtlich um Einkommen, von dem weder Beträge für Abschreibungen noch Freibeträge für Einkommen aus Erwerbstätigkeit abzuziehen sind.
91. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind neben den vorinstanzlichen Entscheidungen (noch) der Bescheid vom in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom (§ 95 SGG) sowie die Gewährung von Leistungen für Dezember 2011. Der im laufenden Widerspruchsverfahren ergangene Bescheid vom hat die zuvor ergangenen und die Leistungsansprüche im Dezember 2011 regelnden Bescheide vollständig ersetzt (§ 86 SGG), die sich mangels weitergehender rechtlicher Wirkungen insoweit erledigt haben (§ 39 Abs 2 SGB X; vgl nur - SozR 4-4200 § 22 Nr 78 RdNr 9). Die übrigen, ursprünglich ebenfalls umstrittenen Monate August bis November 2011 sind nicht mehr Gegenstand des Verfahrens; insofern haben die Beteiligten im Revisionsverfahren einen Unterwerfungsvergleich geschlossen. Die zunächst vorläufig bewilligten Leistungen gelten seit dem als abschließend festgesetzt (§ 80 Abs 2 Nr 1 SGB II idF des 9. SGB II-ÄndG vom , BGBl I 1824, iVm § 41a Abs 5 Satz 1 SGB II).
102. Zutreffend verfolgen die Kläger ihr Rechtsschutzziel mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG), weil sie höhere Leistungen geltend machen als sie ihnen gegenüber als abschließend festgesetzt gelten (vgl zum Rechtsschutz gegen abschließende Entscheidungen zusammenfassend Kemper in Luik/Harich, SGB II, 6. Aufl 2024, § 41a RdNr 55). Die Leistungsanträge richten sich zulässigerweise auf den Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs 1 Satz 1 SGG). Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Grundurteils im Höhenstreit in Abgrenzung zu einer unzulässigen Elementenfeststellungsklage ist eine so umfassende Aufklärung zu Grund und Höhe des Anspruchs, dass mit Wahrscheinlichkeit von einer höheren Leistung ausgegangen werden kann, wenn der Begründung der Klage gefolgt wird (stRspr; vgl nur - BSGE 127, 214 = SozR 4-4200 § 22 Nr 101, RdNr 12 mwN). Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt, weil die Kläger Anspruch auf höhere Leistungen haben, wenn ihrem Vorbringen zur Nichtberücksichtigung der Einspeisevergütung als Einkommen gefolgt wird.
113. Rechtsgrundlage des geltend gemachten höheren Anspruchs auf Alg II sind §§ 19 ff, §§ 7 ff SGB II (in der im Dezember 2011 geltenden Fassung).
12Es kann dahinstehen, ob die Kläger im streitigen Zeitraum zum leistungsberechtigten Personenkreis iS des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II gehörten. Offenbleiben kann insbesondere die Frage, ob es sich bei der einige Jahre vor dem Streitzeitraum mit erheblichen finanziellen Mitteln - nach Angaben der Kläger zu einem Bruttopreis von 85 085 Euro - angeschafften PV-Anlage um einen verwertbaren Vermögensgegenstand handelt, der von den Klägern vorrangig vor der Inanspruchnahme öffentlicher Mittel für den eigenen Lebensunterhalt einzusetzen war (§ 19 Abs 3 Satz 1 iVm § 12 Abs 1 SGB II idF der Bekanntmachung vom , BGBl I 850). Die Kläger gehen davon aus, die Anlage sei deswegen nicht als Vermögen zu berücksichtigen, weil sie für die Altersvorsorge des Klägers bestimmt sei (§ 12 Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB II). Es fehlen aber bereits Feststellungen zu der Frage, ob der Kläger von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit war. Dahinstehen kann ferner, ob die Anlage als Bestandteil eines selbst genutzten Hausgrundstücks von angemessener Größe nicht als Vermögen zu berücksichtigen ist (§ 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II).
13Die Kläger haben jedenfalls keinen Anspruch auf höheres Alg II wegen der Nichtberücksichtigung der Einspeisevergütung. Bei ihr handelt es sich um zu berücksichtigendes Einkommen (4.). Es sind keine Absetzungen über die bereits vom Beklagten berücksichtigte Versicherungspauschale hinaus vorzunehmen (5.). Hierin liegt entgegen der Ansicht der Kläger keine Verletzung von Verfassungsrecht (6.).
144. Bei der an den Kläger - offensichtlich auf der Grundlage des Erneuerbare-Energien-Gesetzes - gezahlten Einspeisevergütung handelt es sich um zu berücksichtigendes Einkommen. Als Einkommen zu berücksichtigen sind Einnahmen in Geld oder Geldeswert abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten Einnahmen (§ 11 Abs 1 Satz 1 SGB II idF der Bekanntmachung vom , BGBl I 850). Bei der Einspeisevergütung handelt es sich um eine Einnahme in Geld. Ein gesetzlicher Ausnahmetatbestand, wonach bestimmte Einnahmen nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind (§ 11a SGB II idF der Bekanntmachung vom , BGBl I 850; § 1 Alg II-V idF vom , BGBl I 1175), ist nicht einschlägig.
15Die Ansicht der Kläger, jedenfalls ein Teil der Zuflüsse aus dem Betrieb der PV-Anlage sei nicht als Einkommen, sondern als Vermögen iS des § 12 SGB II anzusehen, findet im Gesetz keine Stütze. Die Kläger begründen dies damit, ihre Anlage unterliege der Abnutzung, ua weil sich ihre Leistungsfähigkeit mit der Zeit verringere. Das Steuerrecht trage diesem Umstand mit dem Instrument der Abschreibung Rechnung. Durch die Berücksichtigung der Einspeisevergütung in voller Höhe als Einkommen werde deshalb widerrechtlich der Vermögensbestand in Anspruch genommen.
16Dies überzeugt nicht. Unabhängig von der - hier offengelassenen - Frage, ob es sich bei der PV-Anlage überhaupt um einen im Anwendungsbereich des SGB II geschützten Vermögensgegenstand handelt, fehlt es an einem rechtlichen Anknüpfungspunkt, jedenfalls einen Teil der Einspeisevergütung aufgrund des bei Gebrauchsgütern typischerweise auftretenden Werteverlustes grundsicherungsrechtlich als Vermögen zu behandeln. Die Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen erfolgt im SGB II allein anhand eines zeitlichen Bezugspunktes, nämlich grundsätzlich anhand der Antragstellung (stRspr seit - SozR 4-4200 § 11 Nr 17 RdNr 23; zuletzt zB - RdNr 17, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen). Darüber hinaus ist es jedem Vermögensgegenstand immanent, dass sein Wert steigen kann (hierzu zuletzt - zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen - zum Verkauf von Fondsanteilen) oder sein Wert im Laufe der Zeit - zB durch Abnutzung - sinkt. Der durch die Abnutzung eingetretene Wertverlust wird ausschließlich innerhalb der Regelungen über die Berücksichtigung von Vermögen berücksichtigt, indem die PV-Anlage - vorausgesetzt, sie ist nicht gegenständlich zB als Bestandteil des Eigenheims geschützt - im Streitzeitraum mit einem geringeren Verkehrswert zu berücksichtigen ist als im Zeitpunkt ihrer Anschaffung (vgl zur Berücksichtigung des Vermögens mit seinem Verkehrswert, dem für die Bewertung maßgeblichen Zeitpunkt und der Berücksichtigung wesentlicher Änderungen § 12 Abs 4 SGB II idF der Bekanntmachung vom , BGBl I 850). An der Einordnung der Einspeisevergütung als Einkommen ändert dies nichts.
175. Von der an den Kläger ausgezahlten Einspeisevergütung ist allein die sog Versicherungspauschale iHv 30 Euro abzusetzen (§ 6 Abs 1 Nr 1 Alg II-V idF vom , BGBl I 1175). Weder handelt es sich bei dem inzwischen eingetretenen Wertverlust - entsprechend der steuerrechtlichen Möglichkeit der Abschreibung langlebiger Wirtschaftsgüter - um eine mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgabe (§ 11b Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB II idF der Bekanntmachung vom , BGBl I 850, hierzu sogleich unter a), noch handelt es sich bei der mit der PV-Anlage erzielten Einspeisevergütung um ein "Einkommen aus Erwerbstätigkeit", bei dem ein entsprechender weiterer Freibetrag zu berücksichtigen ist (§ 11b Abs 2 Satz 1 iVm Abs 3 Satz 1 und Satz 2 Nr 1 SGB II idF der Bekanntmachung vom , BGBl I 850, hierzu sogleich unter b). Weitere Ausgaben hat das LSG nicht festgestellt und machen die Kläger nicht geltend. Insbesondere haben sie im Streitzeitraum keine Umsatzsteuer an das Finanzamt gezahlt (vgl hierzu - BSGE 114, 136 = SozR 4-4200 § 11 Nr 64, RdNr 28 ff; vgl zum maßgeblichen Monatsprinzip im Hinblick auf Absetzungen vom Einkommen nur - SozR 4-4200 § 11b Nr 15 RdNr 24 mwN).
18a) Die steuerrechtlich im Wege der Abschreibung zu berücksichtigende Abnutzung der Anlage ist grundsicherungsrechtlich keine mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgabe, die vom Einkommen abzusetzen ist. Der durch die Abnutzung eintretende Wertverlust mindert - wie dargelegt - den Verkehrswert des Vermögens, stellt aber keine darüber hinausgehende Abzugsposition bei der Berücksichtigung von Einkommen dar. Grundsicherungsrecht einerseits und Einkommensteuerrecht andererseits sind insoweit nicht vergleichbar. Dies folgt schon daraus, dass im SGB II grundsätzlich sowohl Einkommen als auch Vermögen vorrangig für den Lebensunterhalt einzusetzen sind, sodass die Abnutzung nicht doppelt - zum einen beim Einkommen, zum anderen beim Vermögen - berücksichtigt werden kann.
19Im Übrigen ist Folge des im SGB II geltenden Zuflussprinzips, dass bei der Ermittlung des Einkommens einerseits nur im Bewilligungszeitraum tatsächlich erzielte Einnahmen berücksichtigt und andererseits nur in diesem Zeitraum tatsächlich erbrachte Aufwendungen abgesetzt werden können (vgl nur - BSGE 114, 136 = SozR 4-4200 § 11 Nr 64, RdNr 31; zuletzt - SozR 4-4200 § 11b Nr 15 RdNr 24). Dies greift die Alg II-V insoweit auf, als die Bewertung von Vermögen und die Berechnung des Einkommens gerade "ohne Rücksicht auf steuerrechtliche Vorschriften" erfolgen (vgl etwa § 3 Abs 2 Alg II-V idF vom , BGBl I 453; § 8 Alg II-V; vgl hierzu nur - BSGE 120, 242 = SozR 4-4200 § 11 Nr 75, RdNr 22 ff zur Unzulässigkeit eines horizontalen Verlustausgleichs). Um solche tatsächlichen Aufwendungen handelt es sich bei steuerrechtlichen Abschreibungen nicht. Es entspricht deshalb allgemeiner Ansicht, dass sie - als lediglich "fiktive Werbungskosten" - vom Einkommen nicht abgesetzt werden können (Geiger in LPK-SGB II, 8. Aufl 2023, § 11b RdNr 16; Hannes, Bürgergeld-V, 2. Aufl 2023, § 3 RdNr 26 und § 8 RdNr 4; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 11b RdNr 241, Stand September 2021; Lange in Luik/Harich, SGB II, 6. Aufl 2024, § 13 RdNr 56; Meißner in GK-SGB II, § 11b RdNr 102, Stand August 2023; Söhngen in jurisPK-SGB II, 5. Aufl 2020, § 11 RdNr 83; Striebinger in BeckOGK-SGB II, § 11b RdNr 34, Stand August 2021; vgl auch Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen zu §§ 11 - 11b SGB II S 5, Stand sowie bereits Begründung des Entwurfs des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit zur Alg II-V 2005 zu § 5, veröffentlicht auf www.bmas.de unter "Bürgergeld-Verordnung").
20b) Von der Einspeisevergütung sind keine Erwerbstätigenfreibeträge abzusetzen. Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, "die erwerbstätig sind", ist ein monatlicher Grundfreibetrag von 100 Euro (§ 11b Abs 2 Satz 1 SGB II) sowie ein weiterer Freibetrag vom "Einkommen aus Erwerbstätigkeit" abzusetzen, der abhängig von der Höhe der Einnahme ist (§ 11b Abs 3 Satz 1 und 2 SGB II). Bei der vom Kläger erzielten Einspeisevergütung handelt es sich aber nicht um Einkommen aus Erwerbstätigkeit im Sinne dieser Freibetragsregelungen.
21aa) Das SGB II setzt den Begriff des "Einkommens aus Erwerbstätigkeit" voraus, definiert ihn aber nicht. Nach der Rechtsprechung des BSG verwendet das SGB II den Begriff der Erwerbstätigkeit bereichsspezifisch. Ein Gleichklang mit dem sozialversicherungsrechtlichen Begriff des Arbeitsentgelts (§ 14 SGB IV) besteht nicht. Vielmehr kann der Erwerbstätigenfreibetrag nur vom Erwerbseinkommen im engeren Sinne abgesetzt werden ( - SozR 4-4200 § 30 Nr 2 RdNr 13 f zu § 30 SGB II in der bis zum geltenden Fassung). Auf den arbeits- oder steuerrechtlichen Status kommt es gerade nicht an (Mues in Estelmann, SGB II, § 11b RdNr 93, Stand Oktober 2022). Soweit andere Sozialleistungssysteme den Begriff des "Einkommens aus Erwerbstätigkeit" - teilweise entgegen dem natürlichen Wortsinn ( - SozR 4-7837 § 2 Nr 21 RdNr 26) - anhand der Vorschriften zur Ermittlung der steuerlichen Einkünfte gesetzlich definieren, ist dies auf das SGB II nicht übertragbar (vgl zur Behandlung laufender Einnahmen aus dem Betrieb einer PV-Anlage im Elterngeldrecht insoweit - BSGE 121, 222 = SozR 4-7837 § 2b Nr 1, RdNr 21 mwN; vgl zur steuerrechtlichen Einordnung der Einspeisevergütung sogleich unter cc).
22Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass die Alg II-V bei der Unterscheidung der Einkommensarten teilweise noch - anders als bei der Berechnung des Einkommens im Übrigen - an Begriffe des Steuerrechts ( - BSGE 114, 136 = SozR 4-4200 § 11 Nr 64, RdNr 20) einschließlich des Begriffs des Gewerbetriebs gemäß § 15 Abs 2 Satz 1 EStG anknüpft ( - SozR 4-4200 § 9 Nr 14 RdNr 19; Hannes, Bürgergeld-V, 2. Aufl 2023, § 3 RdNr 10). Für die Frage, ob es sich um "Einkommen aus Erwerbstätigkeit" iS von § 11b SGB II handelt, ist die Kategorisierung nach der Alg II-V aber schon aus Gründen der Normenhierarchie und der begrenzten Verordnungsermächtigung (vgl § 13 SGB II) nicht vorgreiflich (Lange in Luik/Harich, SGB II, 6. Aufl 2024, § 13 RdNr 51; nicht problematisiert in - BSGE 114, 136 = SozR 4-4200 § 11 Nr 64, RdNr 42). Ob das Einkommen "aus […] Gewerbebetrieb" (§ 3 Abs 1 Satz 1 Alg II-V) wiederum nur Einnahmen aus solchen Tätigkeiten erfasst, die zugleich eine Erwerbstätigkeit im Sinne des SGB II darstellen (Lange in Luik/Harich, SGB II, 6. Aufl 2024, § 13 RdNr 51), kann vorliegend offenbleiben.
23Erwerbstätig im Sinne der Freibetragsregelung des SGB II ist nach der Rechtsprechung des BSG und unter Fortführung sozialhilferechtlicher Grundsätze vielmehr nur jemand, der - unter Einsatz und Verwertung seiner Arbeitskraft - eine wirtschaftlich verwertbare Leistung gegen Entgelt erbringt, um damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen ( - BSGE 123, 287 = SozR 4-4200 § 21 Nr 27, RdNr 25 mwN; vgl zuletzt - SozR 4-4200 § 11 Nr 92 RdNr 18; ferner - SozR 4-4200 § 11 Nr 40 RdNr 21 zur Vorläuferregelung im BSHG; vgl zur Rechtsprechung des BSG zuletzt Pattar SGb 2024, 743, 746 f). Das hierfür erforderliche Austauschverhältnis grenzt Einnahmen aus Erwerbstätigkeit von solchen Einnahmen ab, bei denen es - im Sinne eines "mühelosen Einkommens" (vgl hierzu Schmidt/Lange in Luik/Harich, SGB II, 6. Aufl 2024, § 11b RdNr 34 sowie bereits - BSGE 93, 51 = SozR 4-4100 § 115 Nr 1, juris RdNr 27) - an einer hinreichenden Verbindung zu selbständiger oder nichtselbständiger Arbeit fehlt (für eine hinreichende Verbindung beim Insolvenzgeld - SozR 4-4200 § 11 Nr 22 RdNr 19; beim Kurzarbeitergeld - SozR 4-4200 § 30 Nr 2 RdNr 12 ff; bei der einem Reservisten gewährten Mindestleistung - SozR 4-4200 § 11 Nr 92 RdNr 16 ff; abgelehnt hingegen beim Krankengeld - SozR 4-4200 § 11 Nr 40 RdNr 15 ff - anders RdNr 23 ff zur Entgeltfortzahlung des Arbeitgebers; beim Ausbildungsgeld - SozR 4-4200 § 27 Nr 2 RdNr 30 ff; beim Übergangsgeld - BSGE 123, 287 = SozR 4-4200 § 21 Nr 27, RdNr 23 ff).
24Bestandteil des die Erwerbstätigkeit prägenden Austauschverhältnisses ist zudem die Fremdnützigkeit der Arbeit, die gegen Entgelt geleistet wird ( - SozR 4-4200 § 11a Nr 5 RdNr 17; AS 75/20 R - BSGE 134, 247 = SozR 4-4200 § 11a Nr 7, RdNr 20; vgl auch - BSGE 108, 116 = SozR 4-4200 § 16 Nr 7, RdNr 17). Die Verwaltung eigenen Vermögens erfolgt demgegenüber nicht fremdnützig, sondern eigennützig. Sie ist - auch wenn hiermit Einkommen erzielt wird, das die Hilfebedürftigkeit verringert oder sogar beseitigt - keine Erwerbstätigkeit im Sinne des SGB II. Wer sein Kapital zinsbringend anlegt oder seine Eigentumswohnung vermietet, generiert hiermit kein "Einkommen aus Erwerbstätigkeit", auch wenn er für diese Tätigkeit notwendigerweise Zeit aufwenden muss (vgl zur fehlenden Absetzbarkeit des Erwerbstätigenfreibetrags bei Zinseinnahmen - SozR 4-4200 § 11 Nr 16 RdNr 33).
25Diese im Begriff der "Erwerbstätigkeit" liegenden Einschränkungen sind Ausdruck des Zwecks, den der Gesetzgeber mit den Erwerbstätigenfreibeträgen verfolgt: Das SGB II misst der Aufnahme oder Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit (vgl § 1 Abs 2 Satz 2 und Satz 4 Nr 1 SGB II) und der Eingliederung in Arbeit (§ 1 Abs 3 Nr 2, § 2 Abs 1 Satz 2, § 3 Abs 1 und 2, §§ 14 ff SGB II) unter Einsatz der Arbeitskraft der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person (§ 2 Abs 2 Satz 2 SGB II) maßgebliche Bedeutung bei der Vermeidung oder Beseitigung der Hilfebedürftigkeit zu. Der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist insoweit die Aufgabe zugewiesen, Anreize zur Aufnahme und Ausübung einer Erwerbstätigkeit zu schaffen und aufrechtzuerhalten (§ 1 Abs 2 Satz 4 Nr 5 SGB II). Dem dienen die Erwerbstätigenfreibeträge, die hierfür einen finanziellen Anreiz bieten ("Arbeitsanreiz": BT-Drucks 15/1516 S 59; BT-Drucks 15/5446 S 5; zu den gesetzlichen Zwecken ausführlich nur - SozR 4-4200 § 11a Nr 5 RdNr 21 mwN). Gefördert wird gerade nicht jede - stets erwartete - Erzielung von Einkommen zur Deckung existenzsichernder Bedarfe, sondern nur solches Einkommen, für dessen Erzielung es nach Einschätzung des Gesetzgebers spezifischer Anreize bedarf, weil es mit (fremdnütziger) Arbeit verbunden ist.
26bb) Bei Einnahmen aus einer PV-Anlage handelt es sich nach dem dargelegten Maßstab schon deshalb nicht um "Einkommen aus Erwerbstätigkeit", weil die von den Klägern hierfür aufgewandte Arbeitskraft allenfalls von untergeordneter Bedeutung ist (vgl - juris RdNr 25; Lange, jurisPR-SozR 5/2019 Anm 1; Mues in Estelmann, SGB II, § 11b RdNr 94, Stand Oktober 2022; Söhngen in jurisPK-SGB II, 5. Aufl 2020, § 11b RdNr 88; vgl auch - SozR 4-7837 § 2 Nr 21 RdNr 26 zur fehlenden persönlichen Arbeitsleistung beim Betreiben einer PV-Anlage). Darüber hinaus fehlt es an der Fremdnützigkeit der Tätigkeit (vgl Lange, jurisPR-SozR 5/2019 Anm 1). Die mit Hilfe der PV-Anlage erzielten Erträge sind vielmehr das Ergebnis einer privaten Vermögensverwaltung (König, NZS 2024, 832). Soweit der Kläger den mit seiner PV-Anlage erzeugten Strom nicht selbst verbraucht, sondern ihn in das öffentliche Stromnetz einspeist und hierfür vergütet wird, generiert er mit seinem Vermögen Erträge. Grundsicherungsrechtlich macht es keinen Unterschied, ob "die Früchte" des Vermögens in der Form kapitalisiert werden, dass einem Dritten die Möglichkeit der zeitlich begrenzten Nutzung gegen Entgelt überlassen wird (Vermietung) oder - wie hier - jemand für die Einspeisung dezentral erzeugten Stroms eine festgelegte Einspeisevergütung vom Netzbetreiber erhält. Die hiermit erzielten Einnahmen resultieren nicht aus einem wirtschaftlichen Austauschverhältnis der Leistung von fremdnütziger Arbeit gegen Entgelt.
27cc) Unerheblich ist - entgegen der Ansicht der Kläger - insoweit, dass der Betrieb einer PV-Anlage steuerrechtlich als unternehmerische Tätigkeit angesehen werden kann ( - BFHE 234, 564 = BStBl II 2012, 438 - juris RdNr 21 mwN). Im Steuerrecht erfordert ein Gewerbetrieb gemäß § 15 Abs 2 Satz 1 EStG (idF der Bekanntmachung vom , BGBl I 3366) eine selbständige, nachhaltige Betätigung, die mit der Absicht, Gewinne zu erzielen, unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt und keine land- und forstwirtschaftliche, freiberufliche oder andere selbständige Tätigkeit ist. Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Gewerbebetriebs ist nach der Rechtsprechung des BFH dabei, dass die Betätigung den Rahmen einer privaten Vermögensverwaltung überschreitet (stRspr; zB - BFHE 255, 12 = BStBl II 2017, 175 - juris RdNr 32 mwN; hierzu im Hinblick auf Einkünfte aus dem Betrieb von Blockheizkraftwerken - BFHE 260, 490 = BStBl II 2018, 630 - juris RdNr 61; vgl zu der Frage, wann die Grenze der privaten Vermögensverwaltung zum Gewerbebetrieb überschritten wird zB - BFHE 257, 35 = BStBl II 2017, 456 - juris RdNr 27 unter Bezugnahme auf den Beschluss des Großen Senats des - BFHE 197, 240 = BStBl II 2002, 291 - juris RdNr 29; vgl zur Maßgeblichkeit der Verkehrsanschauung für das "Bild des Gewerbebetriebs" nur - BFHE 257, 35 = BStBl II 2017, 456 - juris RdNr 28).
28Für die Frage, ob "Einkommen aus Erwerbstätigkeit" im Sinne der grundsicherungsrechtlichen Freibetragsregelungen vorliegt, ist die steuerrechtliche Einordnung - wie bereits dargelegt - unergiebig. Steuerrechtlich mag der Betreiber einer PV-Anlage unter bestimmten Umständen "dem Bild eines Händlers" entsprechen, wodurch die Grenze zur privaten Vermögensverwaltung überschritten wird. Im Hinblick auf den Sinn und Zweck der grundsicherungsrechtlichen Freibetragsregelung kann zwischen einer solchen Tätigkeit und typischen Formen privater Vermögensverwaltung wie Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung oder Zinseinnahmen grundsätzlich kein Unterschied bestehen. Eine Bindung an steuerrechtliche Wertungen hätte zudem zur Folge, dass die Berücksichtigung der Erwerbstätigenfreibeträge von der Beurteilung abhinge, ob "der Betrieb" nach seinem Wesen und der Art seiner Bewirtschaftung auf Dauer geeignet ist, einen Gewinn zu erwirtschaften oder ob er steuerrechtlich - zB aufgrund kontinuierlich sinkender Einspeisevergütungen - dem "Hobbybereich" zuzuordnen ist (vgl - KlimR 2023, 58 - juris RdNr 13 ff zum dauerhaft defizitären Betrieb einer PV-Anlage als idealistischer Beitrag zum Klimaschutz).
296. Grundrechte der Kläger stehen einer Berücksichtigung der Einspeisevergütung als Einkommen und der Nichtberücksichtigung der Erwerbstätigenfreibeträge nicht entgegen. Insbesondere ist das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG (hierzu grundlegend ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) nicht verletzt. Im Hinblick auf die Erwerbstätigenfreibeträge folgt dies bereits aus dem Umstand, dass ihnen keine existenzsichernde Funktion zukommt. Im Übrigen ist es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, die Inanspruchnahme sozialer Leistungen zur Sicherung der menschenwürdigen Existenz an den Nachranggrundsatz zu binden, also nur dann zur Verfügung zu stellen, wenn Menschen ihre Existenz nicht vorrangig selbst sichern können. Hierfür kann er ua regeln, welche aktuell verfügbaren Mittel aus Einkommen, Vermögen oder Zuwendungen Dritter vorrangig für den Lebensunterhalt einzusetzen sind (vgl nur - BVerfGE 152, 68 RdNr 123 ff mwN). Dies ist hier mit den gesetzlichen Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen (§§ 11 ff SGB II) erfolgt.
30Art 3 Abs 1 GG ist ebenfalls nicht verletzt. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die fehlende Absetzbarkeit der Erwerbstätigenfreibeträge von der Einspeisevergütung. Entgegen der Ansicht der Kläger wird Einkommen aus selbständiger und aus nichtselbständiger Arbeit nicht ungleich behandelt. Die Freibeträge werden vielmehr bei jeder Art von "Erwerbstätigkeit" berücksichtigt, um die es sich bei dem Betrieb der PV-Anlage aber - wie dargelegt - gerade nicht handelt. Soweit in den Begründungen der Entwürfe von SGB II-Änderungsgesetzen teilweise die Rede davon ist, die Neuregelung der Erwerbstätigenfreibeträge stärke "Anreize zur Aufnahme einer voll sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung" (so zB die vom LSG in Bezug genommene Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuchs, BT-Drucks 17/3404 S 95) folgt hieraus nichts anderes. Soweit die Kläger den vermeintlichen Verfassungsverstoß im Übrigen damit begründen, das Grundsicherungsrecht weiche bei der Behandlung der Einspeisevergütung vom Steuerrecht ab, greift dies ebenfalls nicht durch. Es besteht keine verfassungsrechtliche Vorgabe, wonach Steuerrecht und Sozialrecht Einnahmen identisch zu regeln haben. Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselben Rechtsfolgen knüpft und die er so als rechtlich gleich qualifiziert, solange er diese Auswahl sachgerecht trifft ( - BVerfGE 152, 274 RdNr 95 mwN). Vor diesem Hintergrund bleibt es dem Gesetzgeber unbenommen, im Hinblick auf die spezifischen Aufgaben des SGB II und des hierfür geltenden verfassungsrechtlichen Rahmens von den Regelungen des Einkommensteuerrechts abzuweichen, wie er es bei der Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen im SGB II getan hat.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2024:281124UB4AS1623R0
Fundstelle(n):
HAAAJ-88121