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BGH Beschluss v. - 4 StR 397/24

Instanzenzug: LG Traunstein Az: 5 Ks 610 Js 39601/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern unter unmenschlicher und lebensgefährdender Behandlung in Tateinheit mit Körperverletzung in drei Fällen, verbotenem Kraftfahrzeugrennen, vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und unerlaubter Einreise sowie wegen Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr zur Verdeckung einer Straftat zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem hat es dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, eine Sperre für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis von zwei Jahren und sechs Monaten angeordnet sowie eine Einziehungsentscheidung hinsichtlich eines Mobiltelefons getroffen. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Nach den Feststellungen des Landgerichts leistete der Angeklagte elf türkischen Staatsangehörigen Hilfe bei deren unerlaubter Einreise, indem er sie im Laderaum eines Kleintransporters Fiat Talento – in dem sich die Geschleusten über neun Stunden lang ohne Sitzplätze, völlig ungesichert und bei ungenügender Luftzufuhr befanden – über Österreich nach Deutschland verbrachte.

3a) Unmittelbar nach Grenzübertritt wurde er zur Durchführung einer Kontrolle von einem Zivilfahrzeug der Grenzpolizei überholt, die ihn durch das Anhaltesignal „Polizei, Bitte Folgen“ und zusätzliches Winken mit einer Anhaltekelle dazu bewegen wollte, in einer Einbuchtung zu halten. Stattdessen zog der Angeklagte sein Fahrzeug nach links und beschleunigte stark, um sich der Kontrolle zu entziehen. Mit einer Geschwindigkeit von bis zu 160 km/h fuhr er über Landstraßen bis zum Ortsgebiet von N.            , wo er mit mindestens 100 km/h weiterfuhr. In einer Linkskurve geriet sein Fahrzeug in eine instabile Lage, schaukelte stark und „drohte“ aus Sicht der nachfolgenden Polizeibeamten „zu kippen“. Nur mit Mühe gelang es dem Angeklagten, das Fahrzeug wieder zu stabilisieren. Kurz darauf überholte er in einer Rechtskurve einen Pkw, obwohl sich erkennbar Gegenverkehr näherte. Das entgegenkommende Fahrzeug musste deshalb stark abbremsen und wich in seiner Fahrtrichtung nach rechts in die Einfahrt eines Parkplatzes aus, um nach Einschätzung der nachfolgenden Polizeibeamten einen Zusammenstoß „gerade noch in letzter Sekunde“ zu vermeiden. Der Angeklagte nahm hierbei zumindest billigend in Kauf, sowohl die ungesichert im Laderaum sitzenden Geschleusten als auch den entgegenkommenden Verkehrsteilnehmer bei einem Unfall zu gefährden oder gar zu verletzen. Kurz danach bog er in eine Straße ein, bremste stark ab und kam zum Stillstand. Kurz darauf wurde er von dem Dienstfahrzeug überholt, das schräg mit einem Abstand von ca. 1,5 m vom Bordstein und ca. 5 m vor dem Kleintransporter anhielt.

4b) Der Angeklagte fasste nun den Entschluss, sich zur Verdeckung seines bisherigen Tuns erneut der Festnahme zu entziehen, und fuhr mit einer Geschwindigkeit zwischen 5 und 25 km/h über den Randstein des Gehwegs. Bei seinem Anfahren rechnete er zumindest damit, dass sich aufgrund der drohenden Festnahme die Beifahrertür des Dienstfahrzeugs öffnen würde. Hierzu kam es auch, jedoch konnte der Angeklagte auf das Aussteigen des Polizeibeamten, das er zum Zeitpunkt des Losfahrens nicht widerleglich noch nicht erkennen konnte, nicht mehr reagieren. Während er an dem Dienstfahrzeug mit einem Abstand von ca. 20 cm vorbeifuhr, erfasste er deshalb frontal dessen Beifahrertür, die hierdurch umgeklappt und bis zum Kotflügel des Dienstfahrzeugs gedrückt wurde. Nur durch einen schnellen Sprung zurück in das Dienstfahrzeug konnte sich der aussteigende Polizeibeamte vor einem Zusammenstoß retten. Der Zusammenstoß zwischen beiden Fahrzeugen war so stark, dass alle Geschleusten im Laderaum nach vorne geschleudert wurden; an dem Dienstfahrzeug entstand ein Sachschaden von etwa 14.000 €. Der Angeklagte setzte seine Fahrt fort, wurde jedoch von dem sofort nachfahrenden Dienstfahrzeug wenige Minuten später erneut überholt, als der Motor seines Fahrzeugs abstarb.

5Die gegen seine Verurteilung wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern gerichtete, in zulässiger Weise erhobene Verfahrensrüge des Angeklagten hat aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts Erfolg. Darin führt dieser aus:

„Es hätte eines Hinweises gemäß § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO bedurft, da das gewerbsmäßige Einschleusen von Ausländern einen Qualifikationstatbestand darstellt (vgl. , juris Rn. 2). Zwar hat der Angeklagte die äußeren Umstände der Gewerbsmäßigkeit seines Handelns erstmals in der Hauptverhandlung über eine von seiner Pflichtverteidigerin verlesenen und von ihm als zutreffend bestätigten Einlassung eingeräumt […]. Ein gerichtlicher Hinweis war trotz der eigenen Einlassung indes nicht entbehrlich (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 67. Auflage 2024, § 265 Rn 29). […] Angesichts des Umstandes, dass von der Strafkammer zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt worden ist, dass er im Tatkomplex 1 der Urteilsgründe ‚zwei Qualifikationstatbestände des § 96 Abs. 2 AufenthG‘ erfüllt hat […], kann nicht ausgeschlossen werden, dass die in diesem Falle verhängte Strafe auf dem Unterbleiben des Hinweises beruht […].“

6Dem tritt der Senat bei und hebt im Hinblick auf die angenommene Tateinheit mit den weiteren ausgeurteilten Delikten die Verurteilung im Tatkomplex 1 insgesamt auf (vgl. ‒ 4 StR 429/22 Rn. 28 mwN). Die zugehörigen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen werden von dem Rechtsfehler hingegen nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, sofern diese den bisherigen nicht widersprechen.

7c) Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass sich der neue Tatrichter intensiver als bislang geschehen damit zu befassen haben wird, ob sich der Angeklagte wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b) StGB strafbar gemacht hat.

8aa) Nach der Rechtsprechung des Senats ist für die Feststellung einer in allen Tatvarianten des § 315c Abs. 1 StGB vorausgesetzten konkreten Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert zwar die Feststellung eines „Beinahe-Unfalls“ erforderlich, also eines Geschehens, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, es sei „noch einmal gut gegangen“. Eine solche wertende Einschätzung muss aber von Feststellungen getragen werden, nach denen die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt hat, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt wurde, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (vgl. Rn. 6 mwN).

9bb) Insoweit fehlt es für die Annahme, dass das in die Einfahrt eines Parkplatzes ausgewichene Fahrzeug konkret gefährdet war, an einer ausreichenden Tatsachengrundlage. Denn die Urteilsgründe verhalten sich weder zu den in diesem Moment gefahrenen Geschwindigkeiten noch zu der Intensität der zur Vermeidung einer Kollision vorgenommenen Bremsungen. Auch bleibt offen, in welchem Abstand zu dem Fahrzeug des Angeklagten das entgegenkommende Fahrzeug auswich und zum Stehen gebracht wurde.

10cc) Entsprechendes gilt für die Annahme, dass die Personen im Fahrzeug des Angeklagten konkret gefährdet waren, als das Fahrzeug zuvor in einer Linkskurve in eine instabile Lage geriet und es dem Angeklagten nur „mit Mühe“ gelang, das Fahrzeug wieder zu stabilisieren. Denn auf der Grundlage welcher Tatsachen – insbesondere des Kurvenradius und der konkreten Neigung des Fahrzeugs – die Befürchtung der nachfolgenden Polizeibeamten, es drohe umzukippen, trotz erfolgreicher stabilisierender Fahrmanöver des Angeklagten objektiv gerechtfertigt war, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Auch insoweit gilt, dass das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht ergänzende Feststellungen treffen kann, sofern diese den bisherigen nicht widersprechen.

112. Die nicht näher ausgeführte Sachrüge des Angeklagten hat teilweise ebenfalls Erfolg. Seine Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr nach §§ 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b) StGB unter Ziffer B. II. 3. der Urteilsgründe (Tatkomplex 2) ist nicht frei von Rechtsfehlern.

12a) Nach der Rechtsprechung des Senats wird ein vorschriftswidriges Verhalten im fließenden Verkehr von § 315b StGB nur erfasst, wenn ein Fahrzeugführer das von ihm gesteuerte Kraftfahrzeug in verkehrsfeindlicher Einstellung bewusst zweckwidrig einsetzt, er mithin in der Absicht handelt, den Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr zu „pervertieren“, und es ihm darauf ankommt, hierdurch in die Sicherheit des Straßenverkehrs einzugreifen. Ein vollendeter gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr erfordert zudem, dass durch den tatbestandsmäßigen Eingriff Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert konkret gefährdet werden. Bei Vorgängen im fließenden Verkehr muss zu einem bewusst zweckwidrigen Einsatz des Fahrzeugs in verkehrsfeindlicher Absicht ferner hinzukommen, dass das Fahrzeug mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz missbraucht wurde (st Rspr.; vgl. Rn. 9 mwN).

13b) Dass der Angeklagte im vorgenannten Sinne in der Absicht handelte, den Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr zu pervertieren, lässt sich den Urteilsgründen auch unter Berücksichtigung ihres Gesamtzusammenhangs nicht entnehmen. Nach den Feststellungen des Landgerichts fuhr der Angeklagte in einem Abstand von ca. 20 cm an dem Dienstfahrzeug vorbei, mit dem er ausschließlich deshalb kollidierte, weil sich – womit er freilich rechnete – die Beifahrertür öffnete. Damit belegen die Urteilsgründe zwar bedingten Schädigungsvorsatz des Angeklagten, schließen aber nicht aus, dass er bis zuletzt ein kollisionsfreies Passieren des Dienstfahrzeugs für möglich hielt und anstrebte, den Verkehrsvorgang also nicht für sein Fortkommen pervertierte (vgl. Rn. 12 mwN).

14c) Der Rechtsfehler bedingt auch die Aufhebung des für sich genommen rechtsfehlerfreien Schuldspruchs wegen tateinheitlicher Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel.

153. Die Aufhebung der Verurteilung im Tatkomplex 1 und des Schuldspruchs im Tatkomplex 2 führt zum Entfallen des gesamten Straf- und Maßregelausspruchs sowie der Einziehungsanordnung.

Quentin                         Maatsch                         Scheuß

               Tschakert                       Gödicke

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:280125B4STR397.24.0

Fundstelle(n):
OAAAJ-87887