Instanzenzug: Anwaltsgerichtshof Hamm Az: 1 AGH 2/24 Urteil
Gründe
I.
1Die Klägerin ist seit dem im Bezirk der Beklagten als Rechtsanwältin zugelassen. Mit Bescheid vom , zugestellt am , widerrief die Beklagte die Zulassung der Klägerin wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO). Die dagegen gerichtete Klage hat der Anwaltsgerichtshof abgewiesen. Nunmehr beantragt die Klägerin die Zulassung der Berufung.
II.
2Der Zulassungsantrag hat in der Sache keinen Erfolg. Ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO ist nicht gegeben (vgl. § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Es kann dahinstehen, ob der Zulassungsantrag form- und fristgerecht eingereicht worden ist. Die Zulässigkeit eines Rechtsmittels kann offenbleiben, wenn zwischen seiner Verwerfung als unzulässig und seiner Zurückweisung als unbegründet weder hinsichtlich der Rechtskraftwirkung noch hinsichtlich der Anfechtbarkeit der Rechtsmittelentscheidung Unterschiede bestehen oder das Rechtsmittelgericht formell rechtskräftig abschließend auf die Unbegründetheit der Berufung erkennen kann, ohne dass schutzwürdige Interessen der Parteien entgegenstehen (Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 34/22, NJW-RR 2024, 867 Rn. 7 mwN). Diese Voraussetzung liegt im Streitfall hinsichtlich des Antrags der Klägerin auf Zulassung der Berufung vor.
3Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird. Zweifel an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen füllen den Zulassungsgrund dann nicht aus, wenn sie nicht die Richtigkeit des Ergebnisses erfassen (Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 12/24, juris Rn. 4 mwN). Dem Anwaltsgerichtshof ist auch kein Verfahrensfehler unterlaufen, auf dem das Urteil beruhen kann (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Insbesondere beruht die Entscheidung nicht auf einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG).
41. Soweit die Klägerin geltend macht, dass sie weder Post von der Beklagten noch vom Anwaltsgerichtshof erhalten und daher auch keine Klage eingereicht habe und dass ihr Kollege F. (im Folgenden F.) ohne ihre Kenntnis die Post angenommen und die Sache bearbeitet habe, kann dies keinen Zulassungsgrund begründen.
5a) Der Bescheid der Beklagten ist der Klägerin nach den Feststellungen des Anwaltsgerichtshofs am zugestellt worden. Ladungen zum Termin vor dem Anwaltsgerichtshof sind der Klägerin gemäß Postzustellungsurkunden am und am durch Einlegung in den zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten zugestellt worden. Das Urteil des Anwaltsgerichtshofs ist gemäß Postzustellungsurkunde am ebenfalls durch Einlegung in den zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten zugestellt worden. Die Klägerin wendet sich auch nicht gegen den Zugang der Post, sondern beruft sich nur darauf, dass F. diese an sich genommen habe, ohne ihr etwas davon zu sagen. Dies ändert aber an der Wirksamkeit der Zustellung nichts. Die Schreiben sind in den Verantwortungsbereich der Klägerin gelangt. Sie muss dementsprechend auch das Risiko tragen, dass Personen, die ebenfalls dem Briefkasten Post entnehmen konnten, an sie gerichtete Schreiben ihr vorenthalten (vgl. , juris Rn. 6). Dass die Klägerin im Widerrufsverfahren und im Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof nach ihren Angaben keine Stellung nehmen konnte, ist somit weder der Beklagten noch dem Anwaltsgerichtshof anzulasten. Eine Verletzung des Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs scheidet daher aus.
6b) Soweit die Klägerin unter Vorlage einer Erklärung von F. anführt, dass die Klage durch F. ohne ihr Wissen eingereicht worden sei, steht dies in Widerspruch dazu, dass sowohl die Klage zum Anwaltsgerichtshof als auch der Antrag auf Zulassung der Berufung aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach der Klägerin versandt worden sind.
7Wird ein Schriftsatz gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 55a Abs. 1 VwGO als elektronisches Dokument bei Gericht eingereicht, muss er nach § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 55a Abs. 3 Satz 1 VwGO mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von ihr (mindestens einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 55a Abs. 4 VwGO) eingereicht werden. Bei lediglich einfach signierten Dokumenten - wie hier -, die aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach übermittelt werden, ist dazu eine Versendung durch die Person erforderlich, die den Schriftsatz einfach signiert und damit verantwortet (BVerwG, NVwZ 2022, 649 Rn. 5 mwN). Die erforderliche eigenhändige Versendung aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach wird durch den vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis (vHN) dokumentiert (BVerwG, aaO Rn. 6). Er wird bei der Versendung eines elektronischen Dokuments aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach angebracht, wenn dessen Inhaber zur Übermittlung des Dokuments mit seiner persönlichen Kennung bei dem Verzeichnisdienst angemeldet war. In diesem Fall erscheint beim Eingang der Nachricht (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 55a Abs. 5 Satz 1 VwGO) im Transfervermerk gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 173 Satz 1 VwGO i.V.m § 298 Abs. 2 ZPO in der Zeile "Informationen zum Übermittlungsweg" der Eintrag "Sicherer Übermittlungsweg aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach" (BVerwG, aaO Rn. 7). Dies ist hier bei der Klage und dem Antrag auf Zulassung der Berufung der Fall. Vor diesem Hintergrund ist der Anwaltsgerichtshof zu Recht davon ausgegangen, dass die Klage zulässig erhoben worden ist.
8Die Klägerin führt nicht aus, wie F. es geschafft haben soll, sich mit ihrer Kennung anzumelden. Die Verordnung über die Rechtsanwaltsverzeichnisse und die besonderen elektronischen Anwaltspostfächer (RAVPV) bestimmt, dass das Recht, nicht qualifiziert-elektronisch signierte Dokumente alternativ formwahrend über das besondere elektronische Anwaltspostfach zu versenden, nicht auf Dritte übertragen werden darf (§ 23 Abs. 3 Satz 5 RAVPV); denn das Vertrauen in die Authentizität der mit einfacher Signatur übermittelten elektronischen Dokumente stützt sich auf die Erwartung, dass dieser sichere elektronische Übermittlungsweg ausschließlich von den Inhabern des Anwaltspostfachs selbst genutzt wird und die das Dokument einfach signierende Person mit der des Versenders übereinstimmt (, wistra 2023, 519 Rn. 9). Nach § 26 Abs. 1 RAVPV darf der Inhaber eines für ihn erzeugten Zertifikates dieses keiner anderen Person überlassen; er hat auch die zugehörige PIN geheim zu halten.
92. Nach den Feststellungen des Anwaltsgerichtshofs wurde die Klägerin als Gesamtschuldnerin mit ihren beiden Kollegen F. und S. durch Versäumnisurteil des Landgerichts Aachen vom zur Rückzahlung von Fremdgeldern in Höhe von 175.255,59 € nebst Zinsen verurteilt. Der gegen das Versäumnisurteil eingelegte Einspruch wurde mit Urteil des Landgerichts Aachen vom als unzulässig verworfen. Klägerin des Verfahrens vor dem Landgericht Aachen war eine GmbH mit gemeinnütziger Ausrichtung (im Folgenden: R. ). Der Anwaltsgerichtshof ging davon aus, dass diese Forderung im Zeitpunkt des Widerrufsbescheids noch nicht beglichen war, und dass daher ein Vermögensverfall der Klägerin vorlag. Auch insoweit zeigt die Klägerin keinen Zulassungsgrund auf.
10a) Soweit die Klägerin geltend macht, es handele sich um Schulden, die der mittlerweile aus der Kanzlei ausgeschiedene Kollege S. verursacht habe, und das Verfahren der R. gegen die Kanzlei sei ihr nicht bekannt gewesen, ist dies bereits deshalb unerheblich, weil für den Widerruf nicht entscheidend ist, aus welchen Gründen der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist und ob er dies verschuldet hat oder nicht (vgl. Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 16/24, juris Rn. 26 mwN).
11b) Selbst wenn die Klägerin und F. - wie die Klägerin angibt - mit der Gläubigerin R. eine Vereinbarung geschlossen hätten und monatliche Raten in Höhe von 1.500 € an diese leisteten, ändert dies nichts an dem von dem Anwaltsgerichtshof festgestellten Vermögensverfall zum Zeitpunkt des Widerrufs der Zulassung.
12aa) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Feststellung der Widerrufsvoraussetzungen ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats der Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens; spätere Entwicklungen sind erst in einem etwaigen Wiederzulassungsverfahren zu berücksichtigen (Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 16/24, juris Rn. 23 mwN).
13Lassen Beweisanzeichen wie offene Forderungen, Titel und Vollstreckungshandlungen den Schluss auf einen Vermögensverfall zu, kann der betroffene Rechtsanwalt diesen Schluss nur dadurch entkräften, dass er umfassend darlegt, welche Forderungen im maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufsbescheids gegen ihn bestanden und wie er sie - bezogen auf diesen Zeitpunkt - zurückführen oder anderweitig regulieren wollte (Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 16/24, juris Rn. 20 mwN). Von einem Vermögensverfall kann in diesem Fall nur dann nicht mehr ausgegangen werden, wenn der Rechtsanwalt sich in Vergleichs- und Ratenzahlungsvereinbarungen mit seinen Gläubigern zur ratenweisen Tilgung seiner Verbindlichkeiten verpflichtet hat, diesen Ratenzahlungen nachkommt und währenddessen keine (weiteren) Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn eingeleitet werden (Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 12/24, juris Rn. 14). Außerdem bedarf es auch zur Entkräftung vorliegender Beweisanzeichen der Vorlage eines vollständigen und detaillierten Verzeichnisses der Gläubiger und Verbindlichkeiten und konkreten Darlegung nachhaltig geordneter Vermögens- und Einkommensverhältnisse (Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 12/24, aaO).
14bb) Die Klägerin hat zwar ein Schreiben von F. vom vorgelegt, in dem dieser gegenüber dem Prozessbevollmächtigten der R. angibt, drei Auszahlungen in Höhe von 50.000, 20.000 und nochmals 20.000 € veranlasst zu haben und sodann ab einen monatlichen Betrag von 1.500 € auf die Restschuld zu zahlen. Mit Schreiben vom hat der Prozessbevollmächtigte der R. das Zustandekommen des Vergleichs bestätigt mit der Maßgabe, dass die Zahlungseingänge zunächst auf die Kosten, dann auf die Zinsen und schließlich auf die Hauptforderung verrechnet werden sollten. Die Klägerin geht aber nicht darauf ein, in welcher Höhe die Forderung der R. zum Zeitpunkt des Widerrufsbescheids im Dezember 2023 noch bestand, und stellt nicht näher dar, ob bis dahin die Raten pünktlich und vollständig und ohne Einleitung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen bezahlt wurden.
15Dazu hätte jedoch schon deshalb Anlass bestanden, weil der gegen das Versäumnisurteil des Landgerichts Aachen vom eingelegte Einspruch mit Urteil des Landgerichts Aachen vom als unzulässig verworfen worden und somit der Titel erst nach der behaupteten teilweisen Erfüllung und der Ratenzahlungsvereinbarung rechtskräftig geworden ist. Der Anwaltsgerichtshof hat zudem ausgeführt, dass die Zulassungen der beiden Kollegen der Klägerin, die zusammen mit ihr als Gesamtschuldner vom Landgericht zur Zahlung verurteilt worden seien, bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerruf der Zulassung der Klägerin von der Beklagten widerrufen worden seien, so dass davon auszugehen sei, dass die titulierte Forderung zum maßgeblichen Zeitpunkt noch bestanden habe. Die Klägerin führt in ihrem Schriftsatz vom selbst aus, dass angesichts des ihr erst jetzt bekannt gewordenen Zulassungsverfahrens Verhandlungen mit Banken und Dritten aufgenommen worden seien, "um die Verbindlichkeiten vollständig zu tilgen", was ebenfalls Zweifel begründet, ob die Ratenzahlungen bis Dezember 2023 in der erforderlichen Weise erfolgt sind.
16c) Soweit die Klägerin mit Schriftsatz vom mitgeteilt hat, ihr sei zur Kenntnis gelangt, dass die Forderung der R. durch einen Dritten (Versicherung) vollständig beglichen worden sei und dass dies bereits Ende des letzten/Anfang diesen Jahres erfolgt sei, ändert dies nichts an der Beurteilung. Denn nach dem Vortrag der Klägerin ist die Erfüllung der Forderung erst nach dem Widerrufsbescheid erfolgt und kann somit erst für ein mögliches Wiederzulassungsverfahren Bedeutung haben.
17d) Zu der im Widerrufsbescheid aufgeführten Klage der Rechtsschutz-Versicherungs-AG mit dem Vorwurf, Fremdgelder nicht ausgekehrt zu haben, hat die Klägerin nur vorgebracht, dass die Angelegenheit "zwischenzeitlich" erledigt sei. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass dies schon zum Zeitpunkt des Widerrufsbescheids der Fall war.
III.
18Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.
Guhling Grüneberg Ettl
Lauer Schmittmann
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:240125BANWZ.BRFG.30.24.0
Fundstelle(n):
UAAAJ-86271