BGH Beschluss v. - 2 StR 39/23

Einlegung einer Revision unter Beachtung der Formvorschriften bei Übermittlung über besonderes elektronisches Anwaltspostfach

Gesetze: § 23 Abs 3 S 5 RAVPV, § 24 RAVPV, § 26 Abs 1 RAVPV, § 32a Abs 3 Alt 2 StPO, § 32a Abs 4 S 1 Nr 2 StPO, § 346 Abs 2 StPO

Instanzenzug: LG Gießen Az: 5 Ks - 403 Js 24143/20

Gründe

I.

1Das Landgericht Gießen hat den Angeklagten durch Urteil vom in Anwesenheit der Nebenklägerin freigesprochen. Dagegen hat diese mit einem am per Telefax eingegangenen Schriftsatz ihres anwaltlichen Vertreters, Rechtsanwalt     Kl.   , Revision eingelegt. Das Landgericht hat das Rechtsmittel durch Beschluss vom als unzulässig verworfen, weil die Form des § 32d Satz 2 StPO in der Frist zur Einlegung der Revision gemäß § 341 StPO nicht gewahrt wurde.

2Der Beschluss ist Rechtsanwalt     Kl.   am zugegangen. Am gleichen Tag hat dieser durch Übermittlung im besonderen elektronischen Anwaltspostfach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Revisionseinlegung auf diesem Wege nachgeholt. Den Wiedereinsetzungsantrag hat er damit begründet, er habe am mit der Nebenklägerin die Einlegung der Rechtsmitteleinlegung besprochen, am Folgetag den Rechtsmittelschriftsatz der Kanzleiangestellten S.    diktiert und ihr die Anweisung erteilt, den Schriftsatz durch Übermittlung im besonderen elektronischen Anwaltspostfach und durch Telefax an das Landgericht zu übersenden. Sendeberichte habe diese am nächsten Tag dem ebenfalls in der Kanzlei tätigen Rechtsanwalt P.    Kl.    zur Kontrolle vorlegen sollen. Er selbst sei am zu einer Reise aufgebrochen. Erst nach Zugang des Revisionsverwerfungsbeschlusses der Strafkammer sei erkannt worden, dass die Rechtsmittelschrift nicht im besonderen elektronischen Anwaltspostfach übermittelt wurde. Da er im Home-Office arbeite und die Kanzlei nur zur Wahrnehmung von Besprechungsterminen aufsuche, habe er die Angestellte S.   gebeten, seine beA-Karte und den PIN in ihrem Schreibtisch zu verwahren; diese wäre daher in der Lage gewesen, den Übermittlungsauftrag auszuführen.

II.

3Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bleibt ohne Erfolg.

41. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann unabhängig von einer Beanstandung des Revisionsverwerfungsbeschlusses gemäß § 346 Abs. 2 StPO beantragt werden (vgl. Senat, Beschluss vom - 2 StR 129/17, NStZ-RR 2017, 285, 286).

52. Ein Wiedereinsetzungsgrund liegt aber nicht vor.

6a) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 44 Satz 1 StPO). Das ist hier nicht der Fall. Der Nebenklägerin ist, anders als einem Angeklagten bei der Verteidigung gegen einen Schuld- und Rechtsfolgenausspruch, auch das Verschulden ihres anwaltlichen Vertreters zuzurechnen (vgl. Senat, Beschluss vom - 2 StR 221/81, BGHSt 30, 309, 310). Dieser hat hier eine fristwahrende Übersendung der Rechtsmittelschrift in der Form des § 32d Satz 2 StPO versäumt, ohne für ausreichende Abhilfemöglichkeiten zu sorgen. Die Übergabe seiner beA-Karte und der zugehörigen PIN an die Kanzleiangestellte zu deren Verwendung war dazu nicht geeignet.

7b) Die einfache Signatur der Rechtsmittelschrift setzt die persönliche Versendung durch die den Schriftsatz verantwortende Person voraus (vgl. Senat, Beschluss vom - 2 StR 162/22, BeckRS 2023, 12429). Nach § 24 der Rechtsanwaltsverzeichnis- und -postfachverordnung (RAVPN) können andere Personen als der bevollmächtigte Rechtsanwalt, insbesondere Kanzleimitarbeiter, sich nur mit einem ihnen selbst zugeordneten Zertifikat und der zugehörigen Zertifikats-PIN in einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach anmelden. Das ist hier nicht geschehen.

8c) Die Überlassung des eigenen Zertifikats des Rechtsanwalts an die Kanzleimitarbeiterin ist nicht zulässig. Nach § 26 Abs. 1 RAVPN darf der Inhaber eines für ihn erzeugten Zertifikates dieses keiner anderen Person überlassen; er hat auch die zugehörige PIN geheim zu halten. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die einfache Signatur von der den Schriftsatz verantwortenden Person stammt. Eine Überlassung des Zertifikats an eine nicht angemeldete Person würde es einem Unbefugten ermöglichen, anwaltliche Schriftsätze eigenmächtig zu erstellen oder abzuändern, um sie dann mit einer einfachen Signatur des Rechtsanwalts zu versenden.

9d) Bei einer Übermittlung über das besondere elektronische Anwaltspostfach muss die Übertragung in das Postfach dieses Verteidigers oder Rechtsanwalts erfolgen und dieser - also nicht etwa ein Kanzleimitarbeiter - der tatsächliche Versender sein (vgl. , BeckRS 2022, 11872). Die Verordnung über die Rechtsanwaltsverzeichnisse und die besonderen elektronischen Anwaltspostfächer bestimmt, dass das Recht, nicht qualifiziert-elektronisch signierte Dokumente alternativ formwahrend über das besondere elektronische Anwaltspostfach zu versenden, nicht auf Dritte übertragen werden darf (§ 23 Abs. 3 Satz 5 RAVPV); denn das Vertrauen in die Authentizität der mit einfacher Signatur übermittelten elektronischen Dokumente stützt sich auf die Erwartung, dass dieser sichere elektronische Übermittlungsweg ausschließlich von den Inhabern des Anwaltspostfachs selbst genutzt wird und die das Dokument einfach signierende Person mit der des Versenders übereinstimmt. Ist das nicht der Fall, werden die Formerfordernisse nach § 32a Abs. 3 Var. 2, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 StPO nicht gewahrt (vgl. Senat, Beschluss vom - 2 StR 162/22).

10e) Durch Überlassung der anwaltlichen Zertifizierung an die Kanzleiangestellte hat Rechtsanwalt       Kl.   dieser keine Möglichkeit zur wirksamen Übersendung der Rechtsmittelschrift auf einem sicheren Übermittlungsweg eröffnet. Daher ist das Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag nicht geeignet, eine auch vom anwaltlichen Bevollmächtigten der Nebenklägerin nicht verschuldete Versäumung der Frist zur formgerechten Einlegung der Revision darzulegen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:200623B2STR39.23.0

Fundstelle(n):
wistra 2023 S. 3 Nr. 11
wistra 2023 S. 519 Nr. 12
KAAAJ-48793