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BGH Urteil v. - 1 StR 293/24

Instanzenzug: LG München II Az: 1 JKLs 44 Js 20625/21 jug

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in vier Fällen (Fälle B. I. 1. bis 4. der Urteilsgründe) sowie wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln und mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz eines verbotenen Gegenstandes (Fall B. I. 5. der Urteilsgründe) zu einer „Einheitsjugendstrafe“ von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Von den weiteren Tatvorwürfen, u.a. der Vergewaltigung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung, sowie der versuchten Nötigung jeweils zum Nachteil der Nebenklägerin H.            (Fälle L. I. 1., 2. und 4. der Urteilsgründe), hat es ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer auf Verfahrens- und Sachbeanstandungen gestützten Revision gegen diese Teilfreisprüche. Der Senat hat das Verfahren mit Zustimmung des Generalbundesanwalts im Fall B. I. 5. der Urteilsgründe gemäß § 154a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 StPO auf den Vorwurf des bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis in Tateinheit mit Besitz eines verbotenen Gegenstandes (Springmesser) beschränkt. Soweit der Angeklagte verurteilt worden ist, führt das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) zur Änderung des Schuldspruchs; im Übrigen ist es unbegründet.

I.

21. Soweit für das Revisionsverfahren relevant, legt die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage dem Angeklagten Folgendes zur Last:

3a) Nach Beendigung ihrer Beziehung im Januar 2020 habe der Angeklagte zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Dezember 2020 die Nebenklägerin unter einem Vorwand an der Wohnanschrift ihrer Mutter aufgesucht. Nachdem es ihr zunächst noch gelungen sei, die Annäherungen des Angeklagten körperlich und verbal abzuwehren, sei sie bei dem Versuch, sich dem Angeklagten zu entziehen, gestürzt, wobei sie sich an ihrem linken Handgelenk verletzt habe. Obwohl sie gegenüber dem Angeklagten ihren entgegenstehenden Willen mehrfach geäußert und diesen auch durch Gegenwehr zum Ausdruck gebracht habe, habe er ihre verletzte Hand fixiert, ihre und seine Unterbekleidung heruntergezogen, ihre Beine auseinander- und nach vorne gedrückt und sei schließlich vaginal in sie eingedrungen. Den Geschlechtsverkehr habe er bis zum Samenerguss ausgeübt (Ziffer 2. der Anklageschrift; Fall L. I. 1. der Urteilsgründe).

4b) Um die Nebenklägerin zu einem weiteren Treffen zu bewegen, habe der Angeklagte ihr am gedroht, einen ihrer Freunde, den Zeugen            P.        , zusammenzuschlagen, wenn sie sich nicht mit ihm treffen würde. Dieser Aufforderung sei die Geschädigte nicht nachgekommen (Ziffer 3. der Anklageschrift; Fall L. I. 2. der Urteilsgründe).

5c) Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt vor dem habe die Nebenklägerin den Angeklagten, der sich in der Wohnung des zur Tatzeit in seinem Schlafzimmer schlafenden Zeugen            K.      aufgehalten habe, besucht. Nachdem der Angeklagte Kokain konsumiert habe, habe er versucht, die Nebenklägerin zu küssen, und ihren Körper gestreichelt. Ihrer Aufforderung, die körperlichen Annäherungen zu unterlassen, sei der Angeklagte nicht nachgekommen. Vielmehr habe er die auf dem Sofa sitzende Nebenklägerin durch Druck gegen ihre Brust in Rückenlage gebracht. Während er mit einer Hand weiter ihren Brustkorb fixiert habe, habe er zunächst der Nebenklägerin ihre Shorts ausgezogen, ihre Bikinihose zur Seite geschoben, seine Unterbekleidung heruntergezogen und ihre Oberschenkel auseinandergedrückt. Sodann habe er sich auf die Geschädigte gelegt und sei trotz des von der ihr geäußerten entgegenstehenden Willens vaginal in sie eingedrungen. Bezüglich des Betäubungsmitteldelikts hat das Landgericht die Strafverfolgung nach § 154a StPO beschränkt (Ziffer 5. der Anklageschrift; Fall L. I. 4. der Urteilsgründe).

6d) Darüber hinaus lag dem Angeklagten zur Last, zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Februar oder März 2021 auf einer Parkbank mit der Nebenklägerin gegen deren Willen Vaginalverkehr ohne Samenerguss vollzogen zu haben (Ziffer 4. der Anklageschrift). Insoweit hat das Landgericht das Verfahren nach § 154 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 1 StPO im Hinblick auf die übrigen Tatvorwürfe eingestellt (Fall L. I. 3. der Urteilsgründe).

72. Demgegenüber hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte und die Nebenklägerin nach Beendigung ihrer Beziehung ab April 2020 noch gelegentlichen Kontakt pflegten. Neben dem einvernehmlichen Geschlechtsverkehr an dem Geburtstag der Nebenklägerin im November 2020 kam es zwischen dieser und dem Angeklagten zu nicht näher feststellbaren weiteren sexuellen Kontakten, u.a. im Wintergarten des Wohnanwesens der Mutter der Nebenklägerin und am in der Wohnung des Zeugen            K.      . Ob die sexuellen Handlungen gegen den Willen der Nebenklägerin ausgeübt wurden, vermochte das Landgericht nicht festzustellen.

83. Das Landgericht konnte sich keine Überzeugung davon bilden, dass der Angeklagte die ihm zur Last gelegten Taten begangen hat. Der Angeklagte hat sämtliche Tatvorwürfe bestritten. Zum eigentlichen Tatgeschehen bestand eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation. Das Landgericht hat die Angaben der Nebenklägerin nicht für geeignet gehalten, sich die Überzeugung von der Richtigkeit der gegen den Angeklagten erhobenen Tatvorwürfe zu verschaffen. Zwar ist die als Sachverständige gehörte Diplom-Psychologin Dr. L.       in ihrem aussagepsychologischen Gutachten zu dem Ergebnis gelangt, dass mit Ausnahme des nach § 154 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 1 StPO eingestellten Tatvorwurfs die Angaben der Nebenklägerin mit der erforderlichen Sicherheit als erlebnisgestützt bewertet werden können. Das Landgericht hat jedoch eine von diesem Gutachten abweichende eigene Beurteilung der Aussagekonstanz und der sich daraus für die Glaubhaftigkeit der Nebenklägerin ergebenden Folgerungen vorgenommen. Hierbei hat es insbesondere die erstmals in der Hauptverhandlung erfolgten Angaben der Nebenklägerin, wonach sie den Angeklagten unmittelbar vor der Vergewaltigung im Dezember 2020 ohne Veranlassung durch diesen oral befriedigt habe, gewürdigt. Zudem hat das Landgericht bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Nebenklägerin deren Ausführungen zu den in der Hauptverhandlung in Augenschein genommenen Videos berücksichtigt, die einen Zeitstempel vom aufweisen und zu denen das Landgericht die Überzeugung gewonnen hat, dass sie die Nebenklägerin zeigen, wie sie erst an diesem Tag den – ihren Angaben zufolge seit dem Beziehungsende einzigen – Oralverkehr an dem Angeklagten ausübt.

II.

9Das zulässig und wirksam auf die Teilfreisprüche des Angeklagten von den Tatvorwürfen zum Nachteil der Nebenklägerin H.           beschränkte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.

101. Die Verfahrensbeanstandung dringt nicht durch.

11Die Rüge, das Landgericht habe § 261 StPO verletzt, weil es die in der Hauptverhandlung in Augenschein genommenen Videoaufzeichnungen vom unzutreffend gewürdigt habe, ist unzulässig. Über das Ergebnis eines Augenscheins hat allein der Tatrichter zu befinden. Eine Überprüfung ist dem Revisionsgericht auch bei einer entsprechenden Verfahrensrüge mit Blick auf das Rekonstruktionsverbot entzogen (vgl. BGH, Beschlüsse vom  – 4 StR 489/18 und vom  – 1 StR 605/13 Rn. 49).

122. Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge deckt keinen Rechtsfehler auf; die die Freisprüche tragende Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.

13a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Insbesondere ist es ihm verwehrt, die Beweiswürdigung des Tatrichters durch seine eigene zu ersetzen. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich somit darauf, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind (st. Rspr.; vgl. nur Rn. 9).

14In den Fällen, in denen – wie hier – „Aussage gegen Aussage“ steht, ist eine besonders sorgfältige Gesamtwürdigung aller Umstände durch das Tatgericht vorzunehmen. Erforderlich sind vor allem eine sorgfältige Inhaltsanalyse, eine möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage, eine Bewertung des feststellbaren Aussagemotivs sowie eine Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben (st. Rspr.; vgl. etwa Rn. 7 mwN).

15b) Dem wird das angefochtene Urteil gerecht.

16aa) Das Landgericht hat die Aussagen der Nebenklägerin in den Urteilsgründen umfassend dargestellt, einer kritischen Würdigung unterzogen und sie mit anderen Indizien in eine Gesamtwürdigung einbezogen. Es konnte dabei maßgeblich u.a. darauf abstellen, dass sich in der Aussage der Nebenklägerin, insbesondere im Hinblick auf die dem Angeklagten in Ziffer 2. der Anklageschrift zur Last gelegte Tat, relevante, sowohl das Kern- als auch das Randgeschehen betreffende Inkonstanzen fanden und die Ausführungen der Nebenklägerin in Widerspruch zu den in der Hauptverhandlung in Augenschein genommenen Videoaufzeichnungen stehen.

17(1) Die Konstanzanalyse als wesentliches methodisches Element der Aussageanalyse bezieht sich insbesondere auf aussageübergreifende Qualitätsmerkmale, die sich aus dem Vergleich von Angaben über denselben Sachverhalt zu unterschiedlichen Zeitpunkten ergeben. Falls ein Zeuge mehrfach vernommen worden ist, ist ein Aussagevergleich in Bezug auf Übereinstimmungen, Widersprüche, Ergänzungen und Auslassungen vorzunehmen. Da auch bei erlebnisbasierten Aussagen eine völlige Aussagekonstanz bei Befragungen zu verschiedenen Zeitpunkten nicht zu erwarten ist, müssen aufgetretene Inkonstanzen auf ihre gedächtnispsychologische Plausibilität hin bewertet werden. Dabei stellt nicht jede Inkonstanz einen Hinweis auf mangelnde Glaubhaftigkeit der Angaben insgesamt dar. Vielmehr können vor allem Gedächtnisunsicherheiten eine hinreichende Erklärung für festgestellte Abweichungen darstellen. Die Konstanz einer Aussage ist allerdings dann nicht mehr gegeben, wenn die Angaben der Auskunftsperson zum Kernbereich des Tatgeschehens in verschiedenen Vernehmungen signifikant voneinander abweichen und es sich hierbei um ein wenig vergessensanfälliges Erleben handelt, sodass darauf bezogene Erinnerungs- oder Wahrnehmungsfehler nicht mehr ohne weiteres erklärbar sind (vgl. Rn. 7 mwN).

18(a) Die Nebenklägerin hatte bezogen auf das Geschehen unmittelbar vor der angeblichen Vergewaltigung im Dezember 2020 (Ziffer 2. der Anklageschrift) erstmals in der Hauptverhandlung und damit abweichend von ihren früheren Aussagen bekundet, dass sie an dem Angeklagten freiwillig den Oralverkehr ausgeübt habe, da sie ihm habe helfen wollen, seinen sexuellen Druck abzubauen. Sie habe auch bemerkt, dass der Angeklagte sie hierbei mit seiner Handykamera gefilmt habe. Den Oralverkehr habe sie unterbrochen und nicht wieder aufgenommen, als der Angeklagte einen Anruf erhalten habe. Dies sei das einzige Mal gewesen, dass sie nach Beendigung der Beziehung den Oralverkehr an dem Angeklagten vollzogen habe; auch habe der Angeklagte sie nach ihrer Wahrnehmung währenddessen nur einmal gefilmt.

19(b) Vor diesem Hintergrund ist es nicht rechtsfehlerhaft, dass sich die Strafkammer nach einer Darstellung der Entstehung der Aussage und einer ausführlichen Würdigung der Auffälligkeiten im Aussageverhalten der Nebenklägerin keine hinreichende Überzeugung zu bilden vermochte, dass der Angeklagte die Tat begangen hatte. Die Abweichung in den Schilderungen hinsichtlich des der Vergewaltigung unmittelbar vorausgehenden Ereignisses durch die Nebenklägerin, für die sie nach der rechtsfehlerfreien Einschätzung des Landgerichts keine plausible Erklärung geben konnte, ist als körpernahes Geschehen (vgl. Rn. 8 mwN), das sowohl zeitlich als auch situativ eng mit dem Kernbereich des Tatvorwurfs verknüpft ist, auch nicht lediglich ein vergessensanfälliges Detail eines Randgeschehens.

20(2) Darüber hinaus stützt sich das Landgericht auf den Widerspruch zwischen den Angaben der Nebenklägerin zu Zeitpunkt sowie Art und Weise des von ihr geschilderten – nach der Beendigung ihrer Beziehung zum Angeklagten einmaligen – Oralverkehrs im (angeblich) Dezember 2020 einerseits und den Videoaufzeichnungen mit Zeitstempel vom andererseits, zu denen das Landgericht durch einen revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Schluss die Überzeugung gewonnen hat, dass sie die Nebenklägerin beim Oralverkehr mit dem Angeklagten zeigen. Hiergegen ist nichts zu erinnern.

21bb) Ferner begegnet die Schlussfolgerung des Landgerichts, nicht nur die Angaben der Nebenklägerin zum Tatvorwurf gemäß Ziffer 2. der Anklageschrift, sondern sämtliche ihrer Angaben könnten nicht mit der erforderlichen Sicherheit als erlebnisbasiert bewertet werden, keinen rechtlichen Bedenken. Denn das Landgericht vermochte keine außerhalb der Zeugenaussage liegenden gewichtigen Gründe (vgl. BGH, Beschlüsse vom  – 1 StR 162/21 Rn. 7 und vom – 1 StR 270/19 Rn. 8) festzustellen, die es ihm ermöglichten, der Zeugenaussage im Übrigen zu glauben.

22cc) Auch die Würdigung der Ergebnisse des aussagepsychologischen Gutachtens – dessen wesentliche Anknüpfungstatsachen das Landgericht ausreichend wiedergibt (vgl. Rn. 22) – lässt keine Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten erkennen.

23Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht eine eigene Beurteilung der Aussagekonstanz einschließlich des Widerspruchs zwischen der Aussage der Nebenklägerin und dem Augenscheinsbeweis sowie der sich daraus für die Glaubhaftigkeit der Nebenklägerin ergebenden Folgerungen vorgenommen hat und dabei, abgesehen von dem nach § 154 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 1 StPO eingestellten Tatvorwurf, von dem Gutachten der Sachverständigen abgewichen ist. Denn die gutachterlichen Ausführungen stellen lediglich eine Grundlage der eigenen richterlichen Überzeugungsbildung dar (§ 261 StPO; vgl. Rn. 10). Die Urteilsgründe belegen, dass sich das Landgericht mit den Ausführungen der Sachverständigen umfassend auseinandergesetzt und seine von deren Auffassung abweichende Ansicht tragfähig belegt hat.

24dd) Soweit sich das Landgericht im Rahmen der Gesamtwürdigung nicht mit der Tatsache auseinandergesetzt hat, dass drei weitere Zeuginnen den Angeklagten mit gleichgelagerten Tatvorwürfen belastet haben, ist dies revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Angeklagte wurde hinsichtlich dieser Tatvorwürfe von dem Landgericht ebenfalls freigesprochen, weil die entsprechenden Aussagen der Zeuginnen nicht belastbar waren. Diese Teilfreisprüche greift die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision nicht an. Vor diesem Hintergrund erschließt sich schon nicht, inwieweit allein der Umstand gleichgelagerter Tatvorwürfe durch andere Geschädigte geeignet sein soll, die Bedenken des Landgerichts, die maßgeblich auf einer Inkonstanz der Aussage und einem Widerspruch derselben zu einem anderen Beweismittel basieren, hinsichtlich der Angaben der Nebenklägerin zu überwinden.

III.

251. Auch wenn die Revision diese nicht angreift, führt das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft – wie vom Generalbundesanwalt beantragt – mit Blick auf das zwischenzeitliche Inkrafttreten des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften vom (BGBl. I 2024 Nr. 109) zur Änderung der Schuldsprüche in den Fällen B. I. 1. bis 5. der Urteilsgründe.

26a) Weder die Rechtskraft des Schuldspruchs noch die Herausnahme aus dem Revisionsangriff der Staatsanwaltschaft schränken die Neubestimmung der Strafe ein. Wenn durch eine nachträgliche, gemäß § 2 Abs. 3 StGB i.V.m. § 354a StPO beachtliche Gesetzesänderung der Tatbestand der angewendeten Vorschrift nicht verändert, sondern nur die Strafdrohung gemildert worden ist, hat das Revisionsgericht dies zu berücksichtigen (vgl.  Rn. 9 mwN). Zwar ist die Revision der Staatsanwaltschaft wirksam auf die Teilfreisprüche des Angeklagten von den Tatvorwürfen zum Nachteil der Nebenklägerin H.            beschränkt, die teilweise Anfechtung des Schuldspruchs erfasst jedoch den gesamten Rechtsfolgenausspruch. Dies gilt jedenfalls, wenn ‒ wie hier ‒ eine Jugendstrafe verhängt worden ist (vgl. Rn. 20 und 23 mwN). Der Senat ändert deshalb in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 i.V.m. § 354a StPO den Schuldspruch, so dass darin klar zum Ausdruck kommt, auf welche Gesetze sich der Strafausspruch jetzt gründet (vgl. Rn. 9 mwN).

27b) Nach der Neuregelung unterfällt der Umgang mit Cannabis dem hier milderen Konsumcannabisgesetz. Das vom Landgericht zu den Fällen B. I. 1. bis 4. der Urteilsgründe festgestellte Tatgeschehen ist nun jeweils als Handeltreiben mit Cannabis (§ 2 Abs. 1 Nr. 4, § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 KCanG) zu würdigen. Im Fall B. I. 5. der Urteilsgründe hat sich der Angeklagte nach der Verfahrensbeschränkung nach § 154a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 StPO des bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis (§ 2 Abs. 1 Nr. 4, § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 4 Nr. 4 KCanG) strafbar gemacht. Soweit das Landgericht in dem zuletzt genannten Fall einen minder schweren Fall gemäß § 30a Abs. 3 BtMG bejaht hat, bildet § 34 Abs. 4 Nr. 4 KCanG gleichwohl das konkret mildere Recht. Der Tatbestand des bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 4 Nr. 4 KCanG) sieht einen Strafrahmen von Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren, in minder schweren Fällen zwischen drei Monaten und fünf Jahren vor.

28Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO ab. § 265 StPO steht nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

292. Die gesetzliche Neuregelung führt vorliegend nicht zur Aufhebung des Strafausspruchs.

30a) Das Landgericht hat gegenüber dem zur Tatzeit heranwachsenden Angeklagten gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG Jugendstrafrecht angewandt und unter Verweis auf seine erheblichen Erziehungs- und Persönlichkeitsmängel – seinen defizitären Umgang mit z.B. „seiner Impulsivität, seinen Aggressionsgefühlen und der Regelung von Konflikten“ (UA S. 47) –, die ohne vertiefte Aufarbeitung die Gefahr von weiteren Straftaten begründen, ohne Rechtsfehler das Vorliegen von schädlichen Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG angenommen.

31Die Jugendstrafe hat das Landgericht aus dem Strafrahmen gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1, § 105 Abs. 3 Satz 1 JGG entnommen. Bei deren Bemessung hat es sich maßgeblich am Erziehungsbedarf des Angeklagten orientiert (vgl. auch Rn. 11) und insoweit auf die nach wie vor vorhandenen erheblichen Charakter- und Erziehungsmängel des Angeklagten abgestellt, die sich neben dem festgestellten strafbewehrten Verhalten insbesondere im zwischenmenschlichen Bereich manifestieren. Für die Bemessung der Jugendstrafe hat das Landgericht den – ausdrücklich – „unabhängig von den allgemeinen Strafzumessungserwägungen“ (UA S. 50) für erforderlich gehaltenen erheblichen Nacherziehungsbedarf herangezogen; die für Erwachsene geltenden Strafrahmen hat es allein zur Einordnung des dem Angeklagten vorgeworfenen Unrechts erörtert. Mit dieser Maßgabe hat das Landgericht bei der Bemessung der konkreten Strafe berücksichtigt, dass nur eine ausreichend lange Gesamterziehung zusammen mit sozialpädagogischen Maßnahmen eine charakterliche Nachreifung der Persönlichkeit des Angeklagten bewirken kann. Dabei hat es darauf abgestellt, dass dieser sich selbst elementare Grundlagen des gesellschaftlichen Zusammenlebens noch aneignen muss, wie die Akzeptanz von Regeln und Grenzen sowie die Fähigkeit zu Kompromissen und dem Zurückstellen eigener Bedürfnisse. Die so festgestellten erzieherischen Defizite erstrecken sich „auf jeden Lebensbereich“ (UA S. 50). Auch während der gut neunzehnmonatigen Untersuchungshaft führten Regelverletzungen wiederholt zu disziplinarischen Sanktionen. Hiermit in Einklang ist das Landgericht bereits im Rahmen der Prüfung schädlicher Neigungen vom Erfordernis einer „längeren Gesamterziehung“ ausgegangen, nachdem der Angeklagte sich „der Erziehung in der Untersuchungshaft verweigert“ hatte (UA S. 47).

32b) Vor diesem Hintergrund kann der Senat ausschließen, dass sich der durch die Gesetzesänderung bedingte geänderte Schuldspruch auf den Strafausspruch ausgewirkt hat, auch soweit das Landgericht im Rahmen der Erörterung der für Erwachsene geltenden Strafrahmen – nach Bewertung einer Vielzahl potentiell strafmildernder Umstände – einen minder schweren Fall im Sinne des § 30a Abs. 3 BtMG als den geltenden Vergleichsmaßstab herangezogen und dabei zwei „einschlägige Vorahndungen“ (UA S. 49) berücksichtigt hat, die den Besitz jeweils einer Kleinmenge Cannabis betreffen und unter Anwendung des Konsumcannabisgesetzes (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a KCanG) teilweise nicht mehr strafbar wären. Die im Einzelnen am Erziehungsgedanken ausgerichtete Zumessung der Jugendstrafe wäre nicht geringer ausgefallen, wenn das Landgericht den für die Zumessung von Freiheitsstrafe nach Erwachsenenrecht geltenden Strafrahmen am minder schweren Fall des § 34 Abs. 4 KCanG ausgerichtet hätte.

Jäger                         Fischer                         Bär

             Munk                     Welnhofer-Zeitler

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:181224U1STR293.24.0

Fundstelle(n):
JAAAJ-86266