Zivilrecht | Werbeaktionen für verschreibungspflichtige Arzneimittel (EuGH)
Die Mitgliedstaaten dürfen
Werbeaktionen für den Bezug unbestimmter verschreibungspflichtiger Arzneimittel
in Gestalt von Preisnachlässen oder Zahlungen in Höhe eines genauen Betrags
erlauben ().
Hintergrund: Im Zuge einer vollständigen Harmonisierung des Bereichs der Arzneimittelwerbung sieht die Richtlinie 2001/83 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel zum einen vor, dass die Mitgliedstaaten die Öffentlichkeitswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel verbieten. Zum anderen kann für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel unter bestimmten Bedingungen und Beschränkungen Öffentlichkeitswerbung erfolgen.
Allerdings fällt nicht jede Werbeaktion für unbestimmte Arzneimittel automatisch in den Anwendungsbereich der Richtlinie. Ihre Anwendbarkeit setzt voraus, dass eine solche Aktion darauf abzielt, die ärztliche Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln zu fördern. Ist dies nicht der Fall, findet die Richtlinie keine Anwendung.
Sachverhalt und Verfahrensverlauf: DocMorris, eine niederländische Versandapotheke, führte seit dem Jahr 2012 verschiedene Werbeaktionen für den Bezug verschreibungspflichtiger Arzneimittel durch, die auf Kunden in Deutschland abzielten. Es handelte sich zum einen um Preisnachlässe und Zahlungen in Höhe eines genauen Betrags für die Bestellung unbestimmter verschreibungspflichtiger Arzneimittel und zum anderen um eine Prämie über einen Betrag zwischen 2,50 Euro und 20 Euro, die zu einer Zahlung führte, deren genaue Höhe jedoch im Vorhinein nicht ersichtlich war. Überdies bot DocMorris für den Bezug verschreibungspflichtiger Arzneimittel Gutscheine für nachfolgende Bestellungen weiterer Produkte an, nämlich für Bestellungen nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel sowie von Gesundheits- und Pflegeprodukten.
Auf Antrag der Apothekerkammer Nordrhein erließ das Landgericht Köln einstweilige Verfügungen, mit denen die Werbeaktionen von DocMorris untersagt wurden. Da jedoch die meisten dieser einstweiligen Verfügungen in der Folge aufgehoben wurden, begehrt DocMorris vor den deutschen Gerichten von der Apothekerkammer Schadensersatz in Höhe von ca. 18,5 Mio. Euro. Nach Ansicht von DocMorris waren die einstweiligen Verfügungen von Anfang an ungerechtfertigt.
Der deutsche BGH hat dem EuGH folgende Frage vorgelegt:
Ist das deutsche Recht, das die Werbeaktionen unter Verwendung von Preisnachlässen und Zahlungen in Höhe eines bestimmten Betrags erlaubt, während es die anderen Werbeaktionen verbietet, mit der Richtlinie 2001/83 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (in der durch die Richtlinie 2011/62/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. geänderten Fassung) vereinbar?
Die Richter des EuGH beantworten die Frage wie folgt:
Die Richtlinie ist auf Werbeaktionen für den Bezug unbestimmter verschreibungspflichtiger Arzneimittel in Gestalt von Preisnachlässen oder Zahlungen in Höhe eines genauen Betrags oder in Gestalt einer Prämie, deren genaue Höhe im Vorhinein nicht ersichtlich ist, nicht anwendbar.
Solche Werbeaktionen beziehen sich tatsächlich nur auf die Entscheidung für die Apotheke und fördern nicht den Verbrauch solcher Arzneimittel. Wenn ein Kunde ein Rezept erhält, bleibt ihm im Hinblick auf das verschreibungspflichtige Arzneimittel nämlich nur noch die Entscheidung für die Apotheke, bei der er es bezieht.
Die Richtlinie verwehrt es daher nicht, dass solche Werbeaktionen in Gestalt eines bestimmten oder auf bestimmte Art zu berechnenden Geldbetrags nach deutschem Recht erlaubt sind.
Allerdings darf ein Mitgliedstaat Werbeaktionen für den Bezug unbestimmter verschreibungspflichtiger Arzneimittel, mit denen eine Prämie angeboten wird, deren genaue Höhe für den Kunden im Vorhinein nicht ersichtlich ist, auf der Grundlage anderer unionsrechtlicher Bestimmungen aus Verbraucherschutzgründen verbieten, was Deutschland offenbar getan hat. Mit einem solchen Verbot kann nämlich verhindert werden, dass die Verbraucher die Höhe der Prämie überschätzen.
In Bezug auf Gutscheine für nachfolgende Bestellungen nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel sowie von Gesundheits- und Pflegeprodukten ist die Richtlinie anwendbar, soweit solche Gutscheine den Verbrauch nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel fördern.
Daher steht die Richtlinie einem Verbot solcher Werbeaktionen im nationalen Recht nicht entgegen. Da sich ein Verbraucher zwischen dem Kauf nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel und dem Kauf anderer Produkte – wie von Gesundheits- und Pflegeprodukten – entscheiden kann, stellen solche Gutscheine nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel diesen anderen Produkten gleich und lenken den Verbraucher so von einer sachlichen Prüfung der Frage ab, ob die Einnahme dieser Arzneimittel erforderlich ist.
Mit einem Vorabentscheidungsersuchen haben die Gerichte der Mitgliedstaaten die Möglichkeit, dem Gerichtshof im Rahmen eines Rechtsstreits, über den sie zu entscheiden haben, Fragen betreffend die Auslegung des Unionsrechts oder die Gültigkeit einer Handlung der Union vorzulegen. Der Gerichtshof entscheidet dabei nicht den beim nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit. Dieser ist unter Zugrundelegung der Entscheidung des Gerichtshofs vom nationalen Gericht zu entscheiden. Die Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, wenn diese über vergleichbare Fragen zu befinden haben.
Der Volltext des Urteils ist auf der Webseite des EuGH zu finden.
Quelle: EuGH, Pressemitteilung v. (lb)
Fundstelle(n):
OAAAJ-86234