Arbeitnehmerüberlassung - Überlassungshöchstdauer - Hilfs- oder Nebenbetrieb
Instanzenzug: ArbG Iserlohn Az: 1 Ca 751/21 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen) Az: 10 Sa 778/23 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen kraft Gesetzes ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen und die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger zu beschäftigen.
2Der Kläger war seit dem auf Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrags vom als Leiharbeitnehmer bei der T GmbH angestellt. Sein Arbeitsverhältnis ging am im Wege eines Betriebsübergangs auf die A GmbH über. Der Kläger wurde bis zum an die G AG und nach einem Betriebsteilübergang auf die Beklagte ab dem an diese überlassen. Dabei wurde er durchgängig bis zum auf demselben Arbeitsplatz als Lagerarbeiter eingesetzt.
3Grundlage für den Einsatz bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin war ua. der zwischen der T GmbH und der G AG H, der G AG L und der G KG geschlossene Mastervertrag vom 5./. Dieser wurde von einem zwischen der A GmbH sowie der G AG H, der G AG L und der G KG abgeschlossenen Mastervertrag vom abgelöst, der seinerseits im November 2020 erneuert wurde. Der Kläger ist in der Anlage zum Rahmenvertrag zur Arbeitnehmerüberlassung vom namentlich erwähnt.
4Die Beklagte ist ebenso wie die G AG Mitglied im Verband der Metall- und Elektroindustrie NRW (Metall NRW). Der Kläger ist nicht Mitglied einer Gewerkschaft.
5Rückwirkend zum schlossen Metall NRW und die IG Metall, vertreten durch die Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen, den Tarifvertrag zur Leih-/Zeitarbeit für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens (TV LeiZ 2017), der ua. folgende Regelungen enthält:
6§ 1 des Einheitlichen Manteltarifvertrags lautet auszugsweise:
7Am einigten sich die Tarifvertragsparteien auf den Tarifvertrag zur Leih-/Zeitarbeit für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens (TV LeiZ 2018), der zum in Kraft trat und ua. in den §§ 1 bis 3 die bisherigen Regelungen des TV LeiZ 2017 ihrem wesentlichen Regelungsgehalt nach übernahm.
8Anlässlich des Betriebsteilübergangs von der G AG auf die Beklagte schlossen Metall NRW und IG Metall, vertreten durch die Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen, unter dem einen Überleitungstarifvertrag Logistik für die G AG, die G GmbH sowie die Beklagte. Darin heißt es auszugsweise:
9Die Beklagte vereinbarte zudem mit dem Betriebsrat am Standort H am die „Betriebsvereinbarung Nr. 235 zum Einsatz von Leiharbeitnehmern/innen im Logistikzentrum H“, die zum in Kraft trat und in der es ua. heißt:
10Mit seiner am beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Feststellung, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht, und seine Beschäftigung als Lagerarbeiter begehrt. Er hat die Auffassung vertreten, zwischen den Parteien sei wegen Überschreitens der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen. Er sei für elf Jahre und damit nicht nur vorübergehend auf demselben Arbeitsplatz beschäftigt worden. Ein Überschreiten der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer sei nicht durch kollektivrechtliche Normen gerechtfertigt. Der TV LeiZ, der Überleitungstarifvertrag Logistik und die Betriebsvereinbarung Nr. 235 fänden keine Anwendung. Es fehle an einem Tarifvertrag der Einsatzbranche, der eine vom Gesetz abweichende höhere Überlassungsdauer zulasse. Die Beklagte falle nicht in den Geltungsbereich des TV LeiZ. Sie unterhalte insbesondere keinen Hilfs- bzw. Nebenbetrieb im Tarifsinne. Da der Tarifvertrag nicht anwendbar sei, gelte dies auch für die darauf beruhende Betriebsvereinbarung Nr. 235. Zudem habe die Beklagte ihre sich aus § 1 Abs. 1 Satz 5 und Satz 6 AÜG ergebenden Pflichten zur Kennzeichnung und Offenlegung der Arbeitnehmerüberlassung verletzt. Selbst wenn die Beklagte seine Tätigkeiten inzwischen anderweitig vergeben haben sollte, sei sie verpflichtet, ihn zu beschäftigen.
11Der Kläger hat - soweit für die Revision von Bedeutung - beantragt,
12Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klagabweisungsantrags angeführt, der Kläger habe versäumt, seinen Feststellungsanspruch rechtzeitig klageweise geltend zu machen. § 17 Satz 1 TzBfG sei insoweit entsprechend anzuwenden. Der Kläger sei nicht über die zulässige Überlassungsdauer hinaus überlassen worden. Die Einsatzzeit vor dem bei der G AG sei aufgrund der Übergangsvorschrift des § 19 Abs. 2 AÜG nicht zu berücksichtigen. Auch die weitere Einsatzzeit bis zum sei nicht beachtlich. Sie, die Beklagte, sei mit der ursprünglichen Entleiherin, der G AG, nicht - wie dies § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG voraussetze - personenidentisch. Der Kläger sei erst seit dem bei ihr eingesetzt worden. Da das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht zu ihr, sondern zur Verleiherin bestanden habe, werde es nicht vom Betriebsteilübergang erfasst.
13Der TV LeiZ finde Anwendung, da sie Mitglied bei Metall NRW sei und der TV LeiZ außerdem im Überleitungstarifvertrag Logistik ausdrücklich erwähnt werde. Sie unterhalte einen Hilfs- bzw. Nebenbetrieb der G AG, in dem die Warenannahme und Einlagerung von G-Artikeln sowie die Kommissionierung und Verpackung entweder durch andere G-Werke oder durch externe Lieferanten erfolge. In diesem Bereich sei die IG Metall tarifzuständig.
14Soweit der Kläger einen Verstoß gegen die Konkretisierungspflicht des § 1 Abs. 1 Satz 5 und Satz 6 AÜG rüge, sei dies unbeachtlich, da nicht kumulativ gegen die Offenlegungspflicht verstoßen worden sei.
15Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und festgestellt, dass zwischen den Parteien seit dem ein Arbeitsverhältnis besteht. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten und unter Zurückweisung der Anschlussberufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren in vollem Umfang weiter.
Gründe
16Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage auf die Berufung der Beklagten zu Unrecht insgesamt abgewiesen. Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Arbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass zwischen den Parteien nach § 9 Abs. 1 Nr. 1b iVm. § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist. Die Revision ist auch begründet, soweit das Landesarbeitsgericht die Anschlussberufung des Klägers zurückgewiesen hat. Mit der gegebenen Begründung durfte es den Beschäftigungsanspruch nicht ablehnen. Mangels tatrichterlicher Feststellungen kann der Senat hierüber nicht abschließend befinden. Das angefochtene Urteil ist deshalb insoweit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
17A. Die Revision ist zulässig. Ihre Begründung entspricht den Anforderungen des § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO. Sie setzt sich in gebotener Weise (vgl. dazu - Rn. 13) mit den Urteilsgründen des angefochtenen Urteils auseinander. Dies gilt - entgegen der Ansicht der Beklagten - auch, soweit der Kläger der Beklagten abspricht, einen Neben- bzw. Hilfsbetrieb zu unterhalten und geltend macht, für einen Verstoß gegen § 9 Abs. 1 Nr. 1a AÜG genüge es, dass die Konkretisierungspflicht verletzt worden sei.
18B. Die Revision ist begründet, soweit das Landesarbeitsgericht das Feststellungsbegehren des Klägers auf die Berufung der Beklagten abgewiesen hat.
19I. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die dreiwöchige Klagefrist nach § 17 Satz 1 TzBfG der vom Kläger begehrten Feststellung nicht entgegensteht. Die Vorschrift ist im Streitfall nicht anzuwenden, da der Kläger nicht die Unwirksamkeit einer Befristung geltend macht. Für eine analoge Anwendung der Norm fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke. Bei § 17 Satz 1 TzBfG handelt es sich um eine Ausnahmevorschrift, die über das Befristungsrecht hinaus keinen allgemeinen Regelungsplan verfolgt und deshalb nicht analog auf die Geltendmachung des Zustandekommens eines Arbeitsvertrags nach §§ 9, 10 AÜG anzuwenden ist. Eine dreiwöchige Klagefrist, gerechnet ab Überschreiten der Überlassungshöchstdauer, vertrüge sich auch systematisch nicht mit § 9 Abs. 1 Nr. 1b iVm. Abs. 2 AÜG. Danach kann der Leiharbeitnehmer die Unwirksamkeit seines Vertrags mit dem Verleiher verhindern, indem er schriftlich bis zum Ablauf eines Monats nach Überschreiten der zulässigen Überlassungshöchstdauer gegenüber dem Verleiher oder dem Entleiher erklärt, dass er an dem Arbeitsvertrag mit dem Verleiher festhält. Hätte das Überschreiten einer dreiwöchigen Klagefrist bereits die Wirksamkeit des Vertrags zwischen Leiharbeitnehmer und Verleiher zur Folge, nähme dies dem Leiharbeitnehmer die in § 9 Abs. 1 Nr. 1b iVm. Abs. 2 AÜG vorgesehene Möglichkeit, auch nach Ablauf dieser Frist über die Rechtsfolgen einer unzulässigen Überlassung zu entscheiden.
20II. Im Übrigen ist das Landesarbeitsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass das Feststellungsbegehren des Klägers zulässig ist. Es ist hinreichend bestimmt.
211. Ein Arbeitnehmer kann mit der allgemeinen Feststellungsklage das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zu einem Entleiher auf Grundlage der Vorschriften des AÜG geltend machen ( - Rn. 36, BAGE 178, 75). Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche besondere Feststellungsinteresse besteht auch, soweit der Feststellungsantrag auf die Vergangenheit gerichtet ist, da sich aus dem durch den Kläger behaupteten Arbeitsverhältnis Rechtsfolgen für die Gegenwart und Zukunft, insbesondere mögliche Ansprüche auf Vergütung, ergeben können (vgl. - Rn. 16, BAGE 179, 235; - 9 AZR 228/21 - Rn. 14, BAGE 177, 298).
222. Der Feststellungsantrag genügt den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Er bezeichnet die Arbeitsvertragsparteien und den Beschäftigungsbeginn. Aus dem Gesamtkontext des Klagevortrags ergibt sich zudem die Art der Arbeitsleistung („als Lagerarbeiter mit Entsorgungs- und Reinigungstätigkeiten sowie dem Beladen von LKW per Stapler“) sowie der Umfang der Beschäftigung in Vollzeit.
23III. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerhaft verneint, dass zwischen den Parteien gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1b iVm. § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist.
241. Zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer kommt nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zustande, wenn der Arbeitsvertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer nach § 9 AÜG unwirksam ist. Dies ist nach § 9 Abs. 1 Nr. 1b AÜG bei einem Überschreiten der nach § 1 Abs. 1b AÜG zulässigen Höchstdauer der Fall, es sei denn, der Arbeitnehmer gibt eine sog. Festhaltenserklärung ab. Nach § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG darf der Verleiher denselben Leiharbeitnehmer grundsätzlich nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate demselben Entleiher überlassen. § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG gestattet den Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche, durch Tarifvertrag eine von § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG abweichende Überlassungshöchstdauer festzulegen. Abweichungen können auch aufgrund eines Tarifvertrags von Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche getroffenen Betriebs- oder Dienstvereinbarungen geregelt werden (§ 1 Abs. 1b Satz 5 AÜG).
252. Zwischen den Parteien wurde nach § 9 Abs. 1 iVm. § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG wegen Verstoßes gegen § 1 Abs. 1b AÜG spätestens am , dh. nach Ablauf von 18 Monaten ab dem Betriebsteilübergang vom , ein Arbeitsverhältnis begründet.
26a) Da es dem Kläger um die Feststellung eines Arbeitsverhältnisses „erst“ ab dem geht, kommt es nicht darauf an, ob die Überlassungshöchstdauer mit dem Betriebsteilübergang neu zu laufen begann. Zu dem Zeitpunkt, ab dem der Kläger das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses festgestellt wissen will (), war die gesetzliche Frist von 18 Monaten abgelaufen. Dies gilt unabhängig davon, ob für den Beginn der Berechnung auf den Betriebsteilübergang () oder einen früheren Zeitpunkt abgestellt wird.
27b) Die Überlassungshöchstdauer ist weder tarifvertraglich noch in einer aufgrund eines Tarifvertrags getroffenen Betriebsvereinbarung wirksam verlängert worden. Dem steht entgegen, dass der Geltungsbereich der TVe LeiZ 2017 und 2018 die Beklagte nicht erfasst. Sie unterhält keinen Hilfs- oder Nebenbetrieb im tarifvertraglichen Sinne.
28aa) Zum fachlichen Geltungsbereich gehören nach den manteltariflichen Vorschriften, auf die die TVe LeiZ 2017 und 2018 hinsichtlich ihres Geltungsbereichs verweisen, Betriebe der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie (Wärme-, Klima-, Lüftungs- und Gesundheitstechnik) sowie in Verbindung damit der kunststoffverarbeitenden Industrie einschließlich der Hilfs- und Nebenbetriebe und der Montagestellen, wenn der Arbeitgeber einem Mitgliedsverband des Verbands Metall NRW (Verband der Metall- und Elektro-Industrie Nordrhein-Westfalen e.V.) angehört.
29bb) In ständiger Rechtsprechung ist es für Hilfs- oder Nebenbetriebe - wobei diese beiden Begriffe deckungsgleich sind ( - BAGE 55, 154) - kennzeichnend, dass von ihnen Leistungen erbracht werden, die dem arbeitstechnischen Zweck des Hauptbetriebs dienen ( -). Die Begriffe werden heute im Gesetz nicht mehr verwendet, sind aber in einigen Tarifverträgen weiterhin gebräuchlich (vgl. zur Historie - Rn. 23 f., BAGE 158, 205; MHdB ArbR/Temming 6. Aufl. § 24 Rn. 25 f.). Im Unterschied zu einem Betriebsteil verfolgt ein Hilfs- oder Nebenbetrieb einen anderen arbeitstechnischen Zweck als ein Hauptbetrieb. Er wird dennoch nach Maßgabe der Tarifverträge dem Wirtschaftszweig des Hauptbetriebs zugeordnet, wenn er nach seinen ausschließlichen oder überwiegenden Tätigkeiten dazu bestimmt ist, für den arbeitstechnischen Zweck des Hauptbetriebs eine Hilfeleistung zu erbringen. Als Hilfs- oder Nebenbetriebe werden deshalb, wenn es um einen Tarifvertrag für einen industriellen Wirtschaftszweig geht, solche angesehen, die den Fertigungsprozess eines Hauptbetriebs unterstützen, weil dort Tätigkeiten am Produkt eines Betriebs der genannten Wirtschaftszweige zum Zwecke seiner Herstellung, Verbesserung, Reparatur, Ergänzung oder Zusammenfügung vorgenommen werden (vgl. - Rn. 27, 30). Für die Einordnung als Hilfs- oder Nebenbetrieb ist nicht entscheidend, wo die Unterstützungsleistungen erbracht werden.
30cc) Nach diesen auf den Streitfall übertragbaren Maßstäben liegt hier kein Hilfs- oder Nebenbetrieb vor. Die Tätigkeiten im Betrieb der Beklagten setzen erst nach der Herstellung der Produkte an. Um einen Nebenbetrieb kann es sich aber lediglich dann handeln, wenn der Fertigungsprozess selbst unterstützt wird. Soweit das Landesarbeitsgericht meint, bei den Tätigkeiten, die sich der Fertigung unmittelbar anschlössen, handele es sich noch um die Unterstützung der eigentlichen Produktion, hält dies einer revisionsrechtlichen Kontrolle nicht stand.
31(1) Aus den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ergibt sich, dass es sich bei den Tätigkeiten im Betrieb der Beklagten um solche handelt, die - wenn auch unmittelbar - nach der Herstellung der Produkte erfolgen. Um einen Nebenbetrieb handelt es sich aber lediglich dann, wenn der Fertigungsprozess selbst unterstützt wird. Ist das Produkt bereits vollständig hergestellt, ist der Fertigungsprozess abgeschlossen, sodass dann kein Raum mehr für Nebenbetriebe ist, die diesen Fertigungsprozess noch unterstützen könnten.
32(2) Daran ändert sich auch nichts durch den Umstand, dass die Tätigkeiten im Betrieb der Beklagten innerhalb der Produktionsstätte stattfinden. Der Ort der Tätigkeit ist allein nicht relevant für die Beurteilung, ob es sich um einen Nebenbetrieb handelt. So bleibt etwa ein Reinigungsunternehmen, das die Betriebsräume reinigt und dementsprechend in der Betriebsstätte tätig ist, dennoch ein Unternehmen der Gebäudereinigungsbranche und wird nicht zu einem Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie. Der Ort der Tätigkeit kann zwar indiziell auf eine Produktionsnähe deuten. Ist der Tätigkeitsort mit der Produktionsstätte identisch, liegt es grundsätzlich näher, die Tätigkeit noch dem Produktionsprozess zuzuordnen. Entscheidend ist aber, ob es um eine Leistung am noch unfertigen Produkt geht oder die Fertigung bereits vollständig abgeschlossen ist. Ist Letzteres der Fall, sind die räumlichen Gegebenheiten unbedeutend.
33(3) Auch der bloße Umstand, dass das Produkt ohne Verpackung nicht versendet werden könnte, führt nicht dazu, dass die Verpackung noch zur Fertigung des - an sich bereits fertigen - Produkts gehören würde. Dieses Verständnis führt - anders als das Landesarbeitsgericht meint - nicht zu einer künstlichen Aufspaltung der Arbeitsvorgänge. Vielmehr bildet die Fertigstellung des Produkts eine deutlich klarere die Beendigung des Fertigungsprozesses und damit den Geltungsbereich des Tarifvertrags kennzeichnende Trennlinie als die vom Landesarbeitsgericht angestellte Gesamtbetrachtung, bei der die örtlichen Begebenheiten und ähnliches zu berücksichtigen wären.
34(4) Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass ein Betrieb „Zentrale mit Logistik und Lager“ in einem anderen tarifvertraglichen Kontext als Hilfs- und Nebenbetrieb anzusehen sein kann. Soweit das - 1 AZR 65/17 - Rn. 20, BAGE 161, 305) einen Hilfs- und Nebenbetrieb angenommen hat, ging es um eine andere Branche, nämlich den Einzelhandel, und damit auch um ein anderes Tarifwerk. Die dort getroffene Wertung ist auf den Streitfall nicht übertragbar. Der Einzelhandel unterscheidet sich von der Metall- und Elektroindustrie dadurch, dass ein wesentlich anderer arbeitstechnischer Zweck verfolgt wird. Es geht im Unterschied zu Industriebetrieben nicht um die Herstellung von Produkten, sondern um den Vertrieb von Waren. Daher kann es bei einzelhandelsbezogenen Tarifverträgen für die Frage, unter welchen Voraussetzungen Unterstützungsleistungen einen Betrieb zum Hilfs- oder Nebenbetrieb qualifizieren, auch nicht darauf ankommen, ob die Tätigkeiten vor oder nach Abschluss des Produktionsprozesses anknüpfen. Vielmehr ist entscheidend, ob eine Hilfeleistung für den Vertrieb von Waren erbracht wird.
35dd) Die fehlende Anwendbarkeit des TV LeiZ auf die Beklagte hat zur Folge, dass auch die „Betriebsvereinbarung Nr. 235 zum Einsatz von Leiharbeitnehmern/innen im Logistikzentrum H“ die Überlassungshöchstdauer des Klägers nicht wirksam auf 48 Monate festgelegt hat. Es fehlt an einem ermächtigenden Tarifvertrag der Einsatzbranche iSd. § 1 Abs. 1b Satz 5 AÜG, der eine Abweichung von der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer zuließe. Nr. 11 der Betriebsvereinbarung nennt als Regelungsbasis den TV LeiZ 2017. Dieser erfasst die Beklagte nach seinem tarifvertraglichen Geltungsbereich jedoch nicht.
363. Es kann dahinstehen, ob ein Arbeitsverhältnis auch nach § 9 Abs. 1 Nr. 1a iVm. § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG zustande gekommen ist. Der Senat hat nicht zu klären, ob § 1 Abs. 1 Satz 5 und Satz 6 AÜG auf das Arbeitsverhältnis anwendbar sind, obwohl das Arbeitsverhältnis des Klägers bereits seit dem bestand und damit zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Formvorschriften, die erst mit Wirkung zum nachträglich ins Gesetz eingefügt wurden (vgl. das Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze vom , BGBl. 2017 I S. 258). Es bedarf auch keiner Klärung, ob das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen hat, dass die Unwirksamkeitsfolge nur eintritt, wenn ein kumulativer Verstoß gegen die Offenbarungs- und Konkretisierungspflichten vorliege (zuletzt offengelassen - Rn. 16).
37C. Die Revision hat auch Erfolg, soweit das Landesarbeitsgericht die Anschlussberufung des Klägers zurückgewiesen hat. Mit der gegebenen Begründung durfte es den Beschäftigungsantrag nicht abweisen.
38I. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht von der Zulässigkeit der Anschlussberufung ausgegangen. Der Kläger hat sich in der Berufungsbegründung hinreichend mit dem arbeitsgerichtlichen Urteil auseinandergesetzt (§ 524 Abs. 3 Satz 2 iVm. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO).
39II. Das Landesarbeitsgericht hat - nach seinem rechtlichen Ansatz konsequent - angenommen, der Kläger habe keinen Anspruch auf Beschäftigung als Lagerarbeiter. Da es bereits das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses verneint hat, lag aus seiner Sicht eine wesentliche Voraussetzung für den Beschäftigungsanspruch nicht vor.
401. Der Arbeitnehmer hat im bestehenden Arbeitsverhältnis grundsätzlich einen Anspruch auf vertragsgemäße tatsächliche Beschäftigung. Rechtsgrundlage des allgemeinen Beschäftigungsanspruchs sind §§ 611a, 613 BGB in Verbindung mit der Generalklausel des § 242 BGB, die durch die Wertentscheidungen der Art. 1 und Art. 2 GG zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht ausgefüllt wird. Der Arbeitnehmer soll - als Ausdruck und in Achtung seiner Persönlichkeit und seines Entfaltungsrechts - tatsächlich arbeiten können. Korrespondierend mit dem Beschäftigungsanspruch ist der Arbeitgeber zur vertragsgemäßen Beschäftigung verpflichtet, wenn der Arbeitnehmer diese verlangt. Allerdings setzt der Beschäftigungsanspruch neben einer arbeitsvertraglichen Verbindung der Parteien voraus, dass das Interesse des Arbeitnehmers an seiner Beschäftigung das des Arbeitgebers an seiner Nichtbeschäftigung überwiegt ( - Rn. 33). Der Beschäftigungsanspruch ist gemäß § 275 Abs. 1 BGB ausgeschlossen, wenn die Beschäftigung dem Arbeitgeber tatsächlich unmöglich geworden ist (vgl. - Rn. 17 ff. mwN).
412. Das Landesarbeitsgericht durfte nicht offenlassen, ob der Beklagten die Beschäftigung des Klägers tatsächlich unmöglich geworden ist. Zwischen den Parteien besteht - anders als vom Landesarbeitsgericht angenommen - ein Arbeitsverhältnis. Es kommt demzufolge darauf an, ob das Interesse der Beklagten an der Nichtbeschäftigung des Klägers sein Beschäftigungsinteresse überwiegt. Daher ist relevant, ob die vom Kläger verrichteten Arbeiten anderweitig vergeben wurden und infolgedessen die Beschäftigungsmöglichkeit entfallen ist.
42III. Hinsichtlich des Beschäftigungsanspruchs ist der Rechtsstreit nicht zur Entscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO). Auf Grundlage der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist der Senat nicht in der Lage, darüber abschließend zu befinden.
43IV. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung über den Beschäftigungsanspruch an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Im fortgesetzten Berufungsverfahren wird das Landesarbeitsgericht dem Vortrag der Beklagten zur Unmöglichkeit der Beschäftigung des Klägers als Lagerarbeiter nachzugehen haben. Es hat dabei insbesondere zu klären, ob die Beklagte - wie von ihr behauptet - die bisherigen Aufgaben des Klägers auf ein Fremdunternehmen übertragen hat und was daraus konkret für die Beschäftigungsmöglichkeit folgt. Klärungsbedürftig wäre ggf. auch, ob anderweitige Möglichkeiten der Beschäftigung des Klägers als Lagerarbeiter bestehen.
44D. Die Entscheidung über die Kostentragungspflicht - auch im Hinblick auf die Kosten des Revisionsverfahrens - hat das Landesarbeitsgericht zu treffen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2024:011024.U.9AZR270.23.0
Fundstelle(n):
RAAAJ-85838