Instanzenzug: LG Oldenburg (Oldenburg) Az: 6 KLs 11/24 jug
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt und die Einziehung von 999,1 g 2C-B-Tabletten (5.286 Stück), 5 g Marihuana und 2.028 g Ketamin angeordnet. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten dringen mit der Sachbeschwerde durch, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist. Der insoweit auf die Rügen der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten Revision der Staatsanwaltschaft gegen den Teilfreispruch bleibt hingegen der Erfolg versagt.
I.
2Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
31. Der Angeklagte wurde Anfang 2023 von einem Bekannten angesprochen, ob er Ketamin für diesen besorgen könne. Er entschloss sich aufgrund entsprechender Kontakte, in den Niederlanden 2 kg Ketamin für 4.000 €/kg zu erwerben und dieses später für den doppelten Einkaufspreis weiterzuverkaufen. Kurz vor der Fahrt in die Niederlande hatte er sich zudem gegenüber dem Bekannten bereit erklärt, 1 kg 2C-B-Tabletten (Bromdimethoxyphenethylamin) zu beschaffen. Für den Erwerb des 2C-B hatte der Angeklagte 5.000 € Bargeld erhalten und sollte als Lohn später weitere 1.000 € bekommen.
4Der gesondert Verfolgte M. hatte bei dem Angeklagten Schulden und sollte beim Erwerb und Transport unterstützend behilflich sein; als Lohn sollten seine Schulden um 1.000 € reduziert werden. Er organisierte auf Wunsch des Angeklagten den gesondert Verfolgten B. als Fahrer. Dieser erklärte sich bereit, für einen Lohn von 800 € ein zweites Fahrzeug zu führen, in dem die Substanzen transportiert werden sollten. Am Nachmittag des fuhren der Angeklagte und die gesondert Verfolgten in die Niederlande. Nach Erwerb des Ketamins und des 2C-B verstaute der gesondert Verfolgte M. die Substanzen in einem Karton in dem von dem gesondert Verfolgten B. geführten Fahrzeug. Um 23.00 Uhr traten die Beteiligten in zwei Fahrzeugen die Rückfahrt nach Deutschland an. An der letzten Ausfahrt vor der Grenze verließen sie die Autobahn.
5Die Polizei unterzog die Fahrzeuge sodann in O. um 23.32 Uhr einer Kontrolle, fand in dem von dem gesondert Verfolgten B. geführten Fahrzeug 2.028 g Ketamin, 999,1 g 2C-B (5.286 Tabletten) sowie 5 g Marihuana und stellte die Substanzen sicher.
62. Das Landgericht hat diesen Sachverhalt nicht als versuchte Einfuhr von Betäubungsmitteln gewertet. Die Einlassung des Angeklagten, er und die gesondert Verfolgten hätten vor dem Grenzübertritt noch in den Niederlanden übernachten wollen, sei nicht zu widerlegen. Eine Strafbarkeit wegen Verbrechensverabredung nach § 30 Abs. 2 StGB scheide aus, weil die gesondert Verfolgten hinsichtlich der geplanten Tat nicht als Mittäter, sondern lediglich als Gehilfen zu qualifizieren seien.
73. Das Landgericht hat den Angeklagten zudem aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, soweit ihm mit der Anklageschrift vorgeworfen worden war, in drei weiteren Fällen mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben. In der Sache war ihm zur Last gelegt worden, dem gesondert Verfolgten M. in seiner Wohnung am 50 g Kokain, am 100 g Kokain und am mindestens 200 g Kokain verkauft zu haben.
8Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, er habe nicht mit Kokain gehandelt und der gesondert Verfolgte M. habe das Kokain nicht von ihm gekauft; vielmehr habe der im selben Wohnblock wohnhafte P. diesem die Betäubungsmittel veräußert. Das Landgericht hat sich insoweit nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit von einer Tatbeteiligung des Angeklagten überzeugt.
II.
91. Revision der Staatsanwaltschaft gegen die Verurteilung
10a) Auf die Revision der Staatsanwaltschaft ist die Verurteilung des Angeklagten aufzuheben.
11aa) Der Schuldspruch hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand, soweit die Strafkammer hinsichtlich des Ketamins eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Handeltreibens mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nach § 95 Abs. 1 Nr. 4 AMG angenommen hat.
12Die Feststellungen des Landgerichts verhalten sich nicht zu der stofflichen Form des Ketamins, so dass der Senat nicht prüfen kann, ob das Ketamin dem Arzneimittelgesetz (AMG) oder dem Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG) unterfällt. Eine Einordnung ist erforderlich, da gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 NpSG das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz auf Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1, 2, 3a und 4 Satz 1 AMG nicht anwendbar ist.
13Grundsätzlich kann Ketamin dem Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz oder dem Arzneimittelgesetz unterfallen. So wird von der in der Anlage zum NpSG unter Nummer 6 aufgeführten Stoffgruppe der Arylcyclohexylamine auch Ketamin erfasst (vgl. Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., Vor NpSG Rn. 12b; BeckOK BtMG/Bohnen, 24. Ed., NpSG § 2 Rn. 20b; , juris Rn. 21 ff.; Beschluss vom - 5 StR 631/23, juris Rn. 6; siehe auch BR-Drucks. 403/21 S. 27). Zudem ist Ketamin in Anlage 1 der Verordnung über die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln (AMVV) aufgeführt. Bei der rechtlichen Einordnung wird unter anderem zu beachten sein, dass die Begründung der Arzneimitteleigenschaft eines Stoffes mit dem Argument, dieser sei nach der Verkehrsanschauung (vgl. hierzu und zum europarechtlichen Arzneimittelbegriff insgesamt , GRUR 2008, 271 mwN) einzelner Kreise dazu bestimmt, den seelischen Zustand in Form eines Rausches zu beeinflussen (vgl. , BGHSt 54, 243 Rn. 15; Beschluss vom - 5 StR 463/10, NStZ 2011, 583), nicht in Betracht kommt, sondern nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union bei einem Arzneimittel die Beeinflussung der physiologischen Funktionen in einer Zuträglichkeit für die menschliche Gesundheit liegen muss (s. u.a., NStZ 2014, 461; , StV 2017, 326 Rn. 9).
14Vor diesem Hintergrund hat der Schuldspruch wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz keinen Bestand. Die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer mag erwägen, sich für die erforderliche Einordnung des Ketamins der Hilfe eines Sachverständigen zu bedienen.
15bb) Die Aufhebung der Verurteilung wegen Handeltreibens mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln erfasst auch die an sich rechtsfehlerfreie Verurteilung nach § 29a BtMG wegen des Erwerbs der 2C-B-Tabletten, da beide Tatbestände tateinheitlich verwirklicht wurden.
16cc) Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat überdies darauf hin, dass die (bisher) getroffenen Feststellungen auch eine tateinheitliche Verurteilung wegen Verabredung zu einem Verbrechen (§ 30 Abs. 2 StGB) tragen.
17Der Angeklagte und der gesondert Verfolgte B. verabredeten sich zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG) und damit zur Begehung eines Verbrechens. Voraussetzung einer solchen Verbrechensverabredung nach § 30 Abs. 2 StGB ist, dass eine Willenseinigung von jedenfalls zwei zur Tatbegehung entschlossenen Personen zustande gekommen ist, an der Verwirklichung eines hinreichend konkretisierten Verbrechens mittäterschaftlich mitzuwirken (vgl. nur , BGHSt 62, 96 Rn. 9 mwN).
18Diese Voraussetzungen sind bezogen auf die 2C-B-Tabletten erfüllt. Selbst wenn nicht vorgesehen war, dass der Angeklagte selbst das Fahrzeug führt, in dem die sichergestellten 2C-B-Tabletten transportiert werden sollten, hätte er sich - bei Durchführung der Tat wie geplant - wegen täterschaftlicher Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gemacht. Denn er hatte nicht nur das Geschäft abgewickelt und somit ein erhebliches Eigeninteresse am Gelingen der Tat, sondern auch den Transport organisiert. Überdies bestimmte er die Fahrtroute und wollte Einfluss auf den Einfuhrvorgang nehmen (vgl. dazu , juris Rn. 17 mwN). Dass der gesondert Verfolgte B. Täter und - entgegen den Ausführungen des Landgerichts - nicht nur Gehilfe der Einfuhrtat sein sollte, folgt daraus, dass dieser allein das Fahrzeug mit den verbotenen Substanzen über die niederländisch-deutsche Grenze führen sollte, während der Angeklagte und der gesondert Verfolgte M. die Fahrt in einem gesonderten Fahrzeug begleiten sollten.
19Die Verabredung bezog sich auf ein Verbrechen nach § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG. Dem steht nicht entgegen, dass die Strafkammer keine näheren Feststellungen zu dem Wirkstoffgehalt der 2C-B-Tabletten getroffen, sondern lediglich ausgeführt hat, die nicht geringe Menge sei mindestens etwa um das 28-fache überschritten. Im Hinblick auf die hohe Anzahl der Tabletten von 5.286 mit einem Gesamtgewicht von 999,1 g besteht angesichts der schon bei einem Gramm Wirkstoffgehalt beginnenden nicht geringen Menge (vgl. , NJW 2022, 3372 Rn. 4) kein Zweifel, dass der Grenzwert vorliegend erreicht wurde (vgl. , juris Rn. 8; Urteil vom - 5 StR 343/22, juris Rn. 17).
20b) Der Senat sieht vor dem Hintergrund der Aufhebung der Verurteilung davon ab, gemäß dem Antrag des Generalbundesanwalts die Einziehung von fünf Gramm Marihuana von der Verfolgung auszunehmen.
212. Revision des Angeklagten gegen die Verurteilung
22Auf die Revision des Angeklagten ist die Verurteilung aus den unter 1. a) aa) und bb) genannten Gründen ebenfalls aufzuheben.
23Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch die Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten rechtsfehlerhaft ist, weil das Landgericht den angenommenen Wirkstoffgehalt der 2C-B-Tabletten nicht tragfähig belegt hat. Solches wäre jedoch erforderlich gewesen, weil das Unrecht einer Betäubungsmittelstraftat und die Schuld des Täters maßgeblich durch Wirkstoffgehalt und Wirkstoffmenge bestimmt werden, weshalb hierzu regelmäßig konkrete Feststellungen zu treffen sind (st. Rspr.; vgl. etwa , StV 2013, 703 Rn. 4).
III.
Revision der Staatsanwaltschaft gegen den Teilfreispruch
241. Die hinsichtlich des Teilfreispruchs erhobene Verfahrensrüge ist zulässig, jedoch nicht begründet.
25Die Staatsanwaltschaft beanstandet eine Verletzung des § 261 StPO, weil das Landgericht ein in die Hauptverhandlung eingeführtes Gutachten nach § 81a StPO und einen Vermerk vom in den Urteilsgründen nicht gewürdigt habe, obwohl deren Inhalte für den Schuldspruch von Bedeutung gewesen seien (sog. Ausschöpfungsrüge nach § 261 StPO, vgl. , juris Rn. 11 f.; MüKoStPO/Bartel, 2. Aufl., § 261 Rn. 427).
26a) Die Rüge ist zulässig erhoben im Sinne von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die Revisionsführerin hat mit der Revisionsbegründung - wie erforderlich - beide Dokumente vorgelegt.
27b) § 261 StPO verlangt eine erschöpfende Würdigung der in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise. Auch wenn das Gericht nicht gehalten ist, auf jedes Vorbringen einzugehen und jeden erhobenen Beweis im Urteil zu behandeln, muss es unter Würdigung der dafür und dagegen sprechenden relevanten Beweise und Überlegungen lückenlos darlegen, was für die Bildung seiner Überzeugung maßgebend war. Umstände, welche geeignet sind, die Entscheidung zu beeinflussen, dürfen nicht stillschweigend übergangen werden (vgl. LR/Sander, StPO, 27. Aufl., § 261 Rn. 74 mwN).
28c) Das Landgericht hat sich in der Beweiswürdigung mit dem Vermerk vom und der darin enthaltenen Information, dass es tatzeitrelevante telefonische Kommunikation zwischen dem gesondert Verfolgten M. und dem Angeklagten gab, auseinandergesetzt, daraus jedoch andere Schlüsse gezogen als die Revisionsführerin. Das ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Der aus dem Gutachten über Untersuchungsergebnisse nach § 81a StPO ersichtliche Umstand, dass der Angeklagte gelegentlich Kokain konsumierte, mag zwar für einen Eigenkonsum des Angeklagten relevant gewesen sein, ist jedoch mit Blick auf ein dem Angeklagten vorgeworfenes Handeltreiben mit Kokain hier nicht erörterungsbedürftig gewesen.
292. In der Sache enthält die Beweiswürdigung des Landgerichts hinsichtlich der dem Angeklagten zur Last gelegten Taten keinen Rechtsfehler zu dessen Gunsten.
30Spricht das Tatgericht einen Angeklagten frei, weil es auf der Grundlage einer Gesamtbewertung aller Umstände des Einzelfalls Zweifel an der Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so hat das Revisionsgericht dies grundsätzlich hinzunehmen; denn die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatgericht übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob ihm bei der Beweiswürdigung ein Rechtsfehler unterlaufen ist. Dies ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder einen gesicherten Erfahrungssatz verstößt oder erkennen lässt, dass das Tatgericht überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Überzeugung gestellt hat. Liegt ein Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näherliegend gewesen wäre. Gleichermaßen Sache des Tatgerichts ist es, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen be- und entlastenden Indizien zu bewerten (st. Rspr.; vgl. etwa , NJW 2023, 89 Rn. 17).
31Daran gemessen ist die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht zu beanstanden. Es hat entgegen dem Revisionsvorbringen insbesondere weder die Einlassung des Angeklagten rechtsfehlerhaft gewürdigt noch überzogene Anforderungen an eine Verurteilung gestellt. Eine relevante Lücke liegt ebenfalls nicht vor.
Schäfer Paul Hohoff
Anstötz Voigt
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:281124U3STR219.24.0
Fundstelle(n):
RAAAJ-85770