Tarifvertragsparteien sind bei der Setzung von Tarifnormen grds an allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) gebunden - allerdings Begrenzung der richterlichen Kontrolldichte durch Gestaltungsspielraum der Tarifpartner - Tarifautonomie zudem bei der Bestimmung der Rechtsfolgen gleichheitswidriger Tarifnormen zu berücksichtigen - hier: erfolgreiche Verfassungsbeschwerden bzgl Zuschlagsvergütungen für Nachtschichtarbeit - Sondervotum zur Begründung
Leitsatz
1. Die Tarifautonomie umfasst auch die rechtsverbindliche Wirkung der Tarifverträge in den tarifgebundenen Individualarbeitsverhältnissen. Diese verbindliche Wirkung erweitert und gefährdet die individuelle Freiheit der Tarifgebundenen. Das Koalitionsgrundrecht schützt die Mitglieder der Tarifvertragsparteien vor den mit der verbindlichen Wirkung verbundenen Freiheitsgefährdungen, indem die Tarifvertragsparteien jedenfalls den allgemeinen Gleichheitssatz bei der Tarifnormsetzung grundsätzlich zu achten haben.
2. a) Die Bindung an den allgemeinen Gleichheitssatz erfordert zugleich, den Zweck der Tarifautonomie, eine grundsätzlich autonome Aushandlung der Tarifregelungen zu ermöglichen, und den damit einhergehenden Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen; dies begrenzt die richterliche Kontrolldichte.
b) Wie weit die Gestaltungsspielräume der Tarifvertragsparteien im Einzelnen reichen, ist insbesondere abhängig von Regelungsgegenstand, Komplexität der Materie, den betroffenen Grundrechten sowie Art und Gewicht der Auswirkungen für die Tarifgebundenen.
c) Die Spielräume der Tarifvertragsparteien sind im Ausgangspunkt umso weiter, je näher die geregelten Sachverhalte am Kernbereich von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen liegen.
d) Die Spielräume sind insbesondere dann enger, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Minderheiten betroffen sind und diese oder spezifische Gruppeninteressen systematisch vernachlässigt wurden.
3. Bei Tarifnormen, deren Gehalte im Kernbereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen liegen und bei denen spezifische Schutzbedarfe nicht erkennbar sind, ist die gerichtliche Kontrolle am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG angesichts der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Spielräume der Tarifvertragsparteien auf eine Willkürkontrolle beschränkt.
4. Bei der Bestimmung der Rechtsfolgen gleichheitswidriger Tarifnormen müssen die Gerichte die Koalitionsfreiheit der Tarifvertragsparteien und insbesondere deren Spielräume in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beachten. Dieser grundrechtliche Spielraum setzt sich bei der Tarifnormsetzung im Falle verschiedener Möglichkeiten zur Beseitigung der Ungleichbehandlung als grundsätzlich primäre Korrekturkompetenz fort. Die erforderliche partielle Neuordnung der Arbeits- und Wirtschaftsbeziehungen zur Beseitigung einer Unvereinbarkeit von Tarifnormen mit der Verfassung ist auch im Rahmen der Rechtsfolgenbestimmung im Individualprozess im Ausgangspunkt den Tarifpartnern als ursprünglichen Normgebern zu überlassen.
Gesetze: Art 3 Abs 1 GG, Art 9 Abs 3 S 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 6 Abs 5 ArbZG, § 4 Abs 1 S 1 TVG, § 9 TVG, § 66 Abs 1 ZPO
Instanzenzug: Az: 10 AZR 335/20 Urteilvorgehend Az: 14 Ca 201/19 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamburg Az: 1 Sa 10/20 Urteilvorgehend Az: 10 AZR 600/20 Urteilvorgehend ArbG Mönchengladbach Az: 6 Ca 2361/19 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf Az: 13 Sa 292/20 Urteil
Gründe
A.
1Die Verfassungsbeschwerden wenden sich gegen zwei Urteile des Bundesarbeitsgerichts. Dieses hat die beschwerdeführenden Arbeitgeberinnen zur Zahlung höherer als tarifvertraglich vereinbarter Zuschläge an die in Nachtschichtarbeit beschäftigten Kläger der Ausgangsverfahren verurteilt. Die jeweiligen Zuschlagsregelungen für (regelmäßige) Nachtschichtarbeit in den anwendbaren Tarifverträgen seien angesichts der jeweils höheren Zuschlagsvergütungen für unregelmäßige Nachtarbeit mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Rechtsfolge hieraus sei eine "Anpassung nach oben" dergestalt, dass für die benachteiligte Nachtschichtarbeit rückwirkend die Nachtarbeitszuschläge zu zahlen seien. Im Verfahren zu I. hat das Bundesarbeitsgericht zudem festgestellt, dass die beschwerdeführende Arbeitgeberin verpflichtet ist, an den Kläger auch künftig für Nachtschichtarbeit Zuschläge nach Maßgabe der tarifvertraglichen Nachtarbeitszuschlagsregelungen zu zahlen. Die Beschwerdeführenden sind die an den Ausgangsverfahren beteiligten Arbeitgeberinnen (Beschwerdeführerinnen zu I. 1. und II. 1.) sowie die an den Ausgangsverfahren unbeteiligten tarifschließenden Arbeitgeberverbände (Beschwerdeführer zu I. 2. und II. 2.). Die Verfassungsbeschwerden betreffen insbesondere die Frage, ob Tarifvertragsparteien als Vereinigungen im Sinne des Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG beim Abschluss von Tarifverträgen an Art. 3 Abs. 1 GG gebunden sind.
I.
21.Tarifverträge bilden in der geltenden Wirtschaftsordnung eine zentrale Rechtsquelle des Arbeitsrechts (vgl. BVerfGE 18, 18 <26>; 55, 7 <8>). Sie werden zwischen Tarifvertragsparteien unter Rückgriff auf allgemeine zivilrechtliche Regelungen (§§ 145 ff. BGB) im Rahmen eines autonomen Verfahrens mit dem Ziel vereinbart, strukturelle Verhandlungsdefizite der abhängig Beschäftigten durch den kollektiven Verhandlungsprozess auszugleichen und hierdurch angemessene Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen hervorzubringen (vgl. Frieling, in: Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, 2. Aufl. 2022, § 1 TVG Rn. 13; Nebe, in: Däubler, TVG, 5. Aufl. 2022, § 1 Rn. 40; Klumpp, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 3, 5. Aufl. 2022, § 243 Rn. 1; Thüsing, in: Wiedemann, TVG, 9. Aufl. 2023, § 1 Rn. 1; Franzen, in: ErfK, 24. Aufl. 2024, § 1 TVG Rn. 20, 23).
3Tarifverträge sind regelmäßig durch eine doppelte Ausrichtung geprägt. Im schuldrechtlichen Teil können sie die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien als Vertragspartner zueinander regeln. Im normativen Teil enthalten sie Rechtsnormen über den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen von nicht am Vertragsschluss beteiligten Dritten sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen (§ 1 Abs. 1 des Tarifvertragsgesetzes <TVG> in der Fassung vom <BGBl I S. 1323>, zuletzt geändert durch Art. 8 des Gesetzes zu sozialen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie <Sozialschutz-Paket II> vom <BGBl I S. 1055>).
4Die Rechtsnormen eines Tarifvertrages über den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen gelten unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits Tarifgebundenen, die unter seinen Geltungsbereich fallen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Die Tarifinhalte gelten danach automatisch und unabhängig von einem Willensakt oder einer Kenntnisnahme der tarifgebundenen Normunterworfenen (vgl. Löwisch/Rieble, TVG, 4. Aufl. 2017, § 4 Rn. 29). Die Arbeitsvertragsparteien, die Mitglieder der Tarifvertragsparteien sind, müssen die tariflichen Regelungen weder vereinbaren noch von der Geltung der Bestimmungen wissen (vgl. Franzen, in: ErfK, 24. Aufl. 2024, § 4 TVG Rn. 1; Deinert/Wenckebach, in: Däubler, TVG, 5. Aufl. 2022, § 4 Rn. 502 m.w.N.). Die tarifgebundenen und vom Geltungsbereich des Tarifvertrags erfassten Arbeitsvertragsparteien dürfen vorbehaltlich des § 4 Abs. 3 TVG von den Tarifbestimmungen grundsätzlich nicht abweichen (vgl. Franzen, in: ErfK, 24. Aufl. 2024, § 4 TVG Rn. 2).
52.Der Abschluss von Tarifverträgen ist wesentlicher Zweck der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionen (vgl. BVerfGE 92, 365 <395>; 94, 268 <283>; 103, 293 <304 ff.>; 116, 202 <219>; 146, 71 <114 f. Rn. 131 f.>; 148, 296 <344 Rn. 116>). Der Schutzgehalt der Koalitionsfreiheit schließt den Bestand und die Anwendung abgeschlossener Tarifverträge ein. Die Vereinigungen sollen nach dem Willen des Grundgesetzes bei der tariflichen Normsetzung im Wege kollektiv ausgeübter Privatautonomie frei sein (vgl. BVerfGE 44, 322 <341> m.w.N.; 50, 290 <367>; 84, 212 <224>; 146, 71 <114 f. Rn. 131, 119 f. Rn. 146 f.>). Dem Tarifvertrag kommt eine Richtigkeitsvermutung zu (vgl. BVerfGE 146, 71 <119 f. Rn. 146>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1278/16 -, Rn. 8; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1/16 -, Rn. 14). Es darf grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass das von den Tarifvertragsparteien erzielte Verhandlungsergebnis richtig ist und die Interessen beider Seiten sachgerecht zum Ausgleich bringt; ein objektiver Maßstab, nach dem sich die Richtigkeit besser beurteilen ließe, existiert nicht (BVerfGE 146, 71 <120 Rn. 146>; vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1278/16 -, Rn. 8). Diese Freiheit findet ihren Grund in der historischen Erfahrung, dass auf diese Weise eher Ergebnisse erzielt werden, die den Interessen der widerstreitenden Gruppen und dem Gemeinwohl gerecht werden, als bei einer staatlichen Schlichtung (vgl. BVerfGE 88, 103 <114 f.>; 146, 71 <119 f. Rn. 146>).
63. Ob und inwieweit Tarifvertragsparteien beim Abschluss von Tarifverträgen für die tarifgebundenen Mitglieder an Grundrechte und insbesondere an den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG gebunden sind, ist im Grundgesetz nicht ausdrücklich vorgegeben. Auch gesetzliche Regelungen mit einer ausdrücklichen Bezugnahme auf die Grundrechte bestehen nicht.
7a) Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung nahm zunächst eine unmittelbare Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien differenzierend nach der Art der Grundrechtsbestimmung an (vgl. BAGE 1, 185 <193>; 1, 258 <262 f.>; 1, 348 <352 f.>). Bestimmte Grundrechte der Verfassung sollten nicht nur Freiheitsrechte gegenüber der Staatsgewalt garantieren, sondern als Ordnungsgrundsätze für das soziale Leben in einem aus dem Grundrecht näher zu entwickelnden Umfang unmittelbare Bedeutung auch für den Rechtsverkehr der Bürgerinnen und Bürger untereinander haben (vgl. BAGE 1, 185 <193>). Das Bundesarbeitsgericht begründete eine Bindung an Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG insbesondere damit, dass Tarifverträge "Gesetzgebung" im Sinne des Art. 1 Abs. 3 GG darstellten, weil sie objektives Recht für die Arbeitsverhältnisse der Beteiligten setzten. Die normative Wirkung der Tarifregelungen gehe auf hoheitliche Gewalt zurück. Soweit diese an die Verfassung gebunden sei, gelte das Gleiche für diejenigen, die ihre Rechtsetzungsbefugnisse aus ausdrücklicher staatlicher Übertragung durch § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG herleiteten (sogenannter Delegationsansatz, vgl. BAGE 1, 258 <262 f.>).
8b) Die Begründung der unmittelbaren Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien aufgrund einer staatlichen Delegation der Rechtsetzungsbefugnisse durch das Tarifvertragsgesetz sowie der Rechtsnatur der Tarifnormen als objektives Recht gab das Bundesarbeitsgericht gegen Ende der 1990er Jahre auf. Es versteht Tarifnormen seitdem als Ergebnis kollektiv ausgeübter Privatautonomie der grundrechtsberechtigten Tarifvertragsparteien (vgl. BAGE 88, 118 <123 f.>;BAGE 88, 162 <168 f.> unter Verweis auf BAGE 87, 1 <4>). Soweit sie sich ausdrücklich dazu verhalten, nehmen die Senate des Bundesarbeitsgerichts eine mittelbare Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien an den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG an. Als Begründung herangezogen werden dabei die "Schutzpflichtfunktion", die "Schutzfunktion" oder der "Schutzauftrag" (vgl. BAGE 163, 205 <215 Rn. 38>; -, Rn. 29; vom - 9 AZR 564/17 -, Rn. 28; vom - 6 AZR 460/18 -, Rn. 29; vom - 5 AZR 258/19 -, Rn. 37; vom - 5 AZR 168/19 -, Rn. 21 und vom - 6 AZR 256/22 -, Rn. 37), die "Ausstrahlungswirkung" der Grundrechte (vgl. -, Rn. 31, 38) sowie die Funktion des allgemeinen Gleichheitssatzes als fundamentale Gerechtigkeitsnorm, der eine "ungeschriebene Grenze der Tarifautonomie" bilde (vgl. -, Rn. 37; vom - 5 AZR 168/19 -, Rn. 21; vom - 10 AZR 119/21 -, Rn. 19; vom - 10 AZR 471/21 -, Rn. 19 und vom - 6 AZR 256/22 -, Rn. 37).
9c) Die Frage, ob und inwieweit Tarifvertragsparteien an die Grundrechte gebunden sind, war und ist aber auch Gegenstand einer breiten Diskussion im arbeitsrechtlichen und staatsrechtlichen Schrifttum. Die vom Bundesarbeitsgericht ursprünglich vertretene Auffassung, wonach Tarifverträge das Ergebnis staatlich delegierter Rechtsetzung seien und als Gesetze im materiellen Sinne die Grundrechte beachten müssten, stieß im arbeitsrechtlichen Schrifttum - anders als in der Staatsrechtslehre - überwiegend auf Zustimmung (vgl. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Sonderdruck, 1958, Art. 1 Abs. 3 GG Rn. 114-117; Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, 1964, S. 70-74; dazu auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, 1997, Bd. I, § 16, S. 666-670; Waltermann, RdA 1990, S. 138 <141, 144>; a.A. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 1, 5. Aufl. 2005, Art. 1 Abs. 3 GG Rn. 255; Dreier, GG, Bd. 1, 2. Aufl. 2004, Art. 1 Abs. 3 GG Rn. 41). Die hiergegen erhobenen Einwände, dass Tarifvertragsparteien als Private bei der tariflichen Normsetzung ihr Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG ausübten und die Geltung der Normen aus dem privatautonomen Verbandsbeitritt ihrer Mitglieder folge, fanden aber zunehmend Gehör (vgl. Käppler, NZA 1991, S. 745 <749 ff.>; Singer, ZfA 1995, S. 611 <618 ff.>; Söllner, NZA 1996, S. 897 <901 ff.>; Dieterich, in: Festschrift für Günter Schaub, 1998, S. 117 <120 ff.>). Die Aufgabe des sogenannten Delegationsansatzes durch das Bundesarbeitsgericht in der Annahme, dass Tarifnormen auf kollektiver Privatautonomie beruhten, und die sich hieraus ergebenden Begründungsansätze für eine mittelbare Grundrechtsbindung wurden dann im Schrifttum grundsätzlich konsentiert (vgl. Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, 2005; Löwisch/Rieble, TVG, 4. Aufl. 2017, § 1 Rn. 662 ff.; Schaefer, in: Stern/Sodan/Möstl, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland im europäischen Staatenverbund, 2. Aufl. 2022, § 75 Rn. 26; Thiele, in: Dreier, GG, Bd. 1, 4. Aufl. 2023, Art. 3 Abs. 1 Rn. 85 ff.; Linsenmaier, in: ErfK, 24. Aufl. 2024, Art. 9 GG Rn. 77 ff.; Jarass/Pieroth, GG, 18. Aufl. 2024, Art. 1 Rn. 51; krit. Höfling/Burkiczak, in: Sachs, GG, 10. Aufl. 2024, Art. 9 Rn. 104 f., Art. 1 Rn. 99 f.). Die Diskussion um die dogmatische Herleitung einer Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien ist aufgrund der gesetzlichen Bindung der kollektivrechtlichen Vereinbarungen an die Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG, vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG) weiter abgeebbt.
10d) Für den Bereich der Nachtarbeitszuschläge ist diese Diskussion durch eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts im Jahr 2018 wieder aufgenommen worden. Nachdem das Gericht differenzierende Zuschlagsregelungen für unregelmäßige Nachtarbeit und regelmäßige Nachtschichtarbeit in Tarifverträgen seit dem Jahr 1957 gebilligt hatte (vgl. BAGE 5, 107 <113 ff.>, zuletzt etwa BAGE 147, 33 <37 Rn. 13 ff.>), rückte der 10. Senat mit der Entscheidung vom (BAGE 162, 230) davon ab. Er befand auf Grundlage einer mittelbaren Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien die Differenzierung der Zuschläge bei Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit mangels sachlichen Grundes für mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar und ordnete eine rückwirkende "Anpassung nach oben" an. Diese Entscheidung ist in der fachgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. nur -; -; -; -; -; -; -; -; -; - und -) und im Schrifttum (vgl. Bayreuther, NZA 2019, S. 1684 <1686 f.>; Kleinebrink, NZA 2019, S. 1458 <1459 ff.>; Jacobs/Frieling, SR 3/2019, S. 108 <117>; Creutzfeld/Eylert, ZfA 2020, S. 239 <266 ff.>; Herbert/Braun, NZA-RR 2020, S. 617; Jacobs, RdA 2023, S. 9-20; Lobinger, RdA 2024, S. 69 <72 ff.>; Kolbe, RdA 2024, S. 296-304) auf Kritik gestoßen. Im Kontext dieser Diskussion gibt es Stimmen, die auch eine mittelbare Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien insbesondere an den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG von vornherein ablehnen (vgl. Jacobs/Frieling, SR 3/2019, S. 108-117; Kleinebrink, NZA 2019, S. 1458 <1459 f.>; Frieling, in: Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, 2. Aufl. 2022, Art. 3 GG Rn. 65; Jacobs, in: Wiedemann, TVG, 9. Aufl. 2023, Einl. Rn. 312 ff.; Jacobs, RdA 2023, S. 9 ff.).
II.
11Die durch die angegriffenen Urteile des Bundesarbeitsgerichts beanstandeten tariflichen Zuschlagsregelungen betreffen Nachtarbeitszuschläge bei Nachtschichtarbeit beziehungsweise Nachtarbeit.
121. Die Beschwerdeführerin zu I. 1. ist Mitglied des Beschwerdeführers zu I. 2., eines Arbeitgeberverbandes. Dieser schloss mit der Gewerkschaft (…), Landesbezirk (…), einen Manteltarifvertrag vom ("MTV-I"), der seit dem gilt.
13a) Der Manteltarifvertrag trifft für Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit differenzierende Regelungen. Nachtarbeit ist im Manteltarifvertrag durch zwei Elemente, ein zeitliches und ein sachliches, definiert. In zeitlicher Hinsicht meint Nachtarbeit die Arbeitsleistung, die in der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr erbracht wird (§ 8 Nr. 5 MTV-I). In sachlicher Hinsicht darf Nachtarbeit keine geplante und über mehrere Tage erfolgende Schichtarbeit sein. Die Schichtarbeit, auch Nachtschichtarbeit wird sachlich bestimmt. Sie ist nach § 8 Nr. 6 Satz 1 MTV-I die regelmäßig geleistete tägliche Arbeitszeit, die mit dem Betriebsrat geplant wird, mindestens fünf Tage dauern soll und den betreffenden Beschäftigten drei Tage vorher anzukündigen ist. Nachtarbeitnehmer erhalten für ihre Tätigkeit zur Nachtzeit einen Zuschlag von 50 % entsprechend der Berechnungsmethode in § 5 Nr. 2 MTV-I nach Maßgabe des § 9 Nr. 1 b) MTV-I, während Nachtschichtarbeitnehmer für die Arbeit in der Nachtschicht von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr lediglich einen Zuschlag von 25 % erhalten (vgl. § 9 Nr. 1 d) MTV-I). Beschäftigte, die in Nachtschicht arbeiten, können grundsätzlich auch von Schichtfreizeiten (§ 7 Nr. 2 MTV-I), bezahlten Pausen (§ 5 Nr. 4 MTV-I) sowie von einer Aufsummierung verschiedener Zuschläge (§ 9 Nr. 4 MTV-I) profitieren.
14Der Manteltarifvertrag enthält - auszugsweise - die folgenden Regelungen:
"§ 5 Regelung der Arbeitszeit
1. Die regelmäßige tarifliche wöchentliche Arbeitszeit beträgt ausschließlich der Pausen 37 Stunden.
2. Für die Ermittlung von für Mehr-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit sowie für Zuschläge und Zulagen gilt als Berechnungsgrundlage für jede Arbeitsstunde 1/160,2 des tatsächlichen gezahlten Monatsentgelts.
3. Die Sonnabende sind in der Regel arbeitsfrei.
4. Werden Beschäftigte im Drei-Schicht-System (Früh-, Spät-, Nachtschicht in beliebiger Folge) beschäftigt, so haben sie innerhalb ihrer Schicht Anspruch auf eine bezahlte Pause von 30 Minuten Dauer.
5. - 7. (…)
8. Der 24.12. und der 31.12. ist unter Fortzahlung des Arbeitsentgeltes arbeitsfrei. Am Tage vor dem 01. Mai schließen die Betriebe zwei Stunden früher als gewöhnlich unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts. Die Regelung der Schichtarbeit erfolgt nach den betrieblichen Bedürfnissen im Einvernehmen mit dem Betriebsrat.
Für Beschäftigte in Schichtarbeit endet die Arbeitszeit am Tage vor dem 1. Mai zweieinhalb Stunden früher, ohne dass dadurch ein Entgeltausfall entsteht. Muss an diesen Tagen aus betrieblichen Gründen während der Stunden, die den Beschäftigten als Freistunden zugute kommen sollen, Arbeit geleistet werden, so ist diese Arbeit wie Mehrarbeit, den Provisionsfahrern jedoch entsprechend dem System ihrer Entlohnung mit 200 % ihres tariflichen Arbeitsentgelts pro Stunde zu bezahlen.
(…)
§ 7 Zusätzlich bezahlte Freizeit
1. Altersfreizeit (…)
2. Schichtfreizeit
2.1 Zur Abgeltung der in Nachtschicht oder in Zwei- bzw. Drei-Schicht-Wechsel auftretenden Erschwernisse und Belastungen wird ein Ausgleich durch bezahlte Freizeit gegeben.
2.2 Beschäftigte, die im Drei-Schicht-System oder ausschließlich in Nachtschicht arbeiten erhalten jährlich vier Arbeitstage bezahlte Schichtfreizeit.
2.3 Beschäftigte, die im Zwei-Schicht-System (Früh-/Spät-, Früh-/Nacht- oder Spät-/Nachtschicht) arbeiten, erhalten jährlich drei Arbeitstage bezahlte Schichtfreizeit.
Bei teilweiser Schichtleistung im Jahr erfolgt anteilige Gewährung.
(…)
§ 8 Mehr-, Nacht-, Schicht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit
1. Mehrarbeit ist jede über die betriebliche durch Schicht- oder Arbeitsplätze geplante tägliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeit. Notwendige Mehrarbeit ist im Einvernehmen mit dem Betriebsrat zu leisten.
2. Jede angefangene halbe Stunde angeordneter Mehrarbeit wird als halbe Überstunde bezahlt.
Bei Mehrarbeit von mehr als 1 1/2 Stunden ist jedem(r) Beschäftigten nach Beendigung der regulären Arbeitszeit eine bezahlte Pause von 20 Minuten zu gewähren. In dieser Zeit wird zusätzlich ein Imbiss auf Kosten der Brauerei gereicht. Bei Arbeiten an Sonnabenden, Sonn- und Feiertagen wird nach 5-stündiger Tätigkeit ebenfalls ein Imbiss auf Kosten der Brauerei gereicht.
3. Mehrarbeit und Mehrarbeitszuschläge können durch entsprechende Freizeit ausgeglichen werden.
4. Bei der Durchführung von Mehr-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit ist auf private und kulturelle Wünsche der Beschäftigten weitgehend Rücksicht zu nehmen.
5. Nachtarbeit ist die in der Zeit von 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr geleistete Arbeit, soweit sie nicht Schichtarbeit ist.
6. Als Schichtarbeit (Tag- oder Nachtschichten) gilt die regelmäßig geleistete tägliche Arbeitszeit. Als regelmäßig gilt die Arbeitszeit, die mit dem Betriebsrat gemäß Schichtplan vereinbart ist. Die Schichtarbeit soll mindestens fünf Tage dauern; sie ist den betreffenden Beschäftigten drei Tage vorher anzukündigen.
7. Sonntags- und Feiertagsarbeit ist die an Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen in der Zeit von 0 bis 24 Uhr, für Schichtgänger vom Beginn der Frühschicht bis zum Beginn der Frühschicht des folgenden Tages geleistete Arbeit.
8. Arbeitsleistungen einzelner Beschäftigter zur Übergabe bei Schichtwechsel, zum Fertigmachen der Post zum Versand oder andere Tagesabschlussarbeiten bis zu 15 Minuten über die regelmäßige tägliche Arbeitszeit hinaus sind nur dann ohne besondere Vergütungen zulässig, wenn dadurch die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit nicht überschritten wird.
§ 9 Zuschläge für Mehr-, Nacht-, Schicht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit
1. Für Mehr-, Nacht-, Schicht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit sind folgende Zuschläge zu zahlen:
a) Für Mehrarbeit (Montag bis Freitag)
während der ersten zwei Stunden täglich 25 %
ab der dritten Stunde täglich 50 %
für Mehrarbeit an Sonnabenden und für Schichtgänger an arbeitsfreien Werktagen 35 %
b) für Nachtarbeit 50 %
c) für Arbeit in der Spätschicht bis 22 Uhr, wenn diese Schicht nach 18 Uhr endet 10 %
d) für Arbeit in der Nachtschicht von 22 Uhr bis 6 Uhr 25 %
e) - g) (…)
2. - 3. (…)
4. Bei einem Zusammentreffen mehrerer Zuschläge ist, abgesehen von Schichtzuschlägen sowie Schmutz- und Erschwerniszulagen, nur der jeweils höchste, bei gleicher Höhe nur ein Zuschlag zu zahlen.
(…)
§ 21 Verfallklausel
Alle gegenseitigen Ansprüche aus diesem Tarifvertrag und dem Beschäftigungsverhältnis sind, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist, spätestens innerhalb von vier Monaten nach ihrer Entstehung geltend zu machen. Der Lauf der Ausschlussfrist verlängert sich bei Krankheit oder Urlaub des/der Beschäftigten um diese Zeit."
15b)Die Beschwerdeführerin zu I. 1. ist durch den in Nachtschicht beschäftigten Kläger des Ausgangsverfahrens (Kläger), der Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft (…) ist, im Februar 2019 auf Zahlung eines höheren als des im Manteltarifvertrag für Nachtschichtarbeit vorgesehenen Zuschlags für seine im Zeitraum von Oktober 2018 bis Januar 2019 erbrachte Tätigkeit zur Nachtzeit verklagt worden. Der Kläger hat zudem zuletzt die Feststellung begehrt, dass die Beschwerdeführerin zu I. 1. fortan für die Nachtschichtarbeit einen Zuschlag in Höhe von 50 % zu zahlen habe. Eine Halbierung des für Nachtarbeit vorgesehenen Zuschlags (§ 9 Nr. 1 b) MTV-I) für die zur gleichen Nachtzeit erbrachte Arbeit im Rahmen eines Schichtsystems sei insbesondere mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Dem ist die Beschwerdeführerin zu I. 1. entgegengetreten. Den Tarifvertragsparteien komme nach Art. 9 Abs. 3 GG ein weiter Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum zu. Dieser sei durch die streitentscheidenden tariflichen Regelungen nicht überschritten worden.
16aa)Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom - 14 Ca 201/19 - abgewiesen. Dem Kläger stehe gegen die Beschwerdeführerin zu I. 1. aus dem kraft beiderseitiger Tarifbindung geltenden § 9 Nr. 1 b), d) MTV-I kein Anspruch auf Zahlung weiterer Zuschläge zu. § 9 Nr. 1 d) MTV-I sei wirksam, insbesondere verstoße die Regelung nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Ob die Tarifvertragsparteien im Rahmen der tariflichen Normsetzung an die Grundrechte gebunden seien beziehungsweise die Gerichte für Arbeitssachen gleichheitswidrigen Regelungen die Durchsetzung verweigern müssten, könne dahinstehen. Denn auch bei Anwendung der Grundrechte sei die tarifvertragliche Regelung wirksam. Tarifvertragsparteien komme aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Den so abgesteckten Spielraum hätten die Tarifvertragsparteien bei der Regelung in § 9 Nr. 1 d) MTV-I nicht verlassen.
17bb) Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen erhobene Berufung des Klägers mit Urteil vom - 1 Sa 10/20 - zurückgewiesen. Die tarifliche Regelung, die für Nachtarbeit einen Zuschlag in Höhe von 50 % und für Nachtschichtarbeit einen Zuschlag in Höhe von 25 % vorsehe, sei wirksam.
18cc) Auf die Revision des Klägers hat das Bundesarbeitsgericht das Urteil des Landesarbeitsgerichts mit der hier angegriffenen Entscheidung - unter Zurückweisung der Revision hinsichtlich eines Teils der Zinsen - aufgehoben und die Beschwerdeführerin zu I. 1. zur Zahlung verurteilt. Diese schulde für die durch den Kläger geleistete Arbeit in der Nachtschicht einen Zuschlag in Höhe von 50 % nach § 9 Nr. 1 b) MTV-I. Das Bundesarbeitsgericht hat weiterhin festgestellt, dass die Beschwerdeführerin zu I. 1. für Arbeit in Nachtschicht von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr den 50 %igen Zuschlag für Nachtarbeit nach § 9 Nr. 1 b) MTV-I zu leisten habe.
19Der Anspruch auf den 50 %igen Zuschlag für Nachtschichtarbeit folge zwar nicht aus den tarifvertraglichen Vorschriften, die kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit Anwendung fänden. Eine Auslegung der tariflichen Bestimmungen ergebe, dass der Zuschlag nach § 9 Nr. 1 d) MTV-I nur für Nachtschichtarbeit, nicht aber für Nachtarbeit (§ 8 Nr. 5 MTV-I) zu zahlen sei.
20Die tarifvertragliche Unterscheidung der Zuschläge für Nachtarbeit (§ 9 Nr. 1 b) MTV-I) und für Nachtschichtarbeit (§ 9 Nr. 1 d) MTV-I) verstoße jedoch gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Tarifvertragsparteien seien nicht unmittelbar an Grundrechte gebunden, wenn sie tarifliche Normen setzten. Mit der Normsetzung auf der Grundlage von Art. 9 Abs. 3 GG übten die Tarifvertragsparteien keine delegierte Staatsgewalt aus, sondern nähmen vielmehr privatautonom ihre Grundrechte wahr. Mit der privatautonomen Legitimation tariflicher Rechtsnormen sei eine umfassende gerichtliche Überprüfung des Tarifvertrags am Maßstab der Verhältnismäßigkeit in der Regel nicht zu vereinbaren.
21Tarifnormen seien im Ausgangspunkt aber dennoch uneingeschränkt am allgemeinen Gleichheitssatz zu messen. Die Grundrechte hätten mittelbare Drittwirkung in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten; sie entfalteten ihre Wirkung als verfassungsrechtliche Wertentscheidungen und strahlten als "Richtlinien" auf privatrechtliche Beziehungen aus. Dieser Ausstrahlungswirkung müssten die Gerichte als staatliche Gewalt bei ihren Entscheidungen genügen. Es sei die Aufgabe der Arbeitsgerichte, die Grundrechte der von den Tarifnormen erfassten Beschäftigten zu schützen, indem sie die Grundrechtsausübung durch die Tarifvertragsparteien beschränkten, wenn sie mit den Freiheits- und Gleichheitsrechten oder mit anderen Rechten der Normunterworfenen mit Verfassungsrang kollidierten. Dies gelte auch dann, wenn die Kollision zwischen der Tarifautonomie und den Grundrechten der Normunterworfenen nicht durch einfaches Gesetzesrecht konkretisiert sei. Gewerkschaftsmitglieder seien der tariflichen Normsetzung ähnlich unterworfen wie Bürger der Rechtsetzung durch den Staat; mit dem Beitritt zur Gewerkschaft unterwürfen sie sich nicht freiwillig jeder nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung. Art. 3 Abs. 1 GG bilde als grundlegende Gerechtigkeitsnorm in seiner Ausstrahlungswirkung als verfassungsrechtliche Wertentscheidung oder auch "Richtlinie" eine ungeschriebene Grenze der Tarifautonomie. Diese Grenze sei zu beachten, auch wenn Tarifnormen nicht selten das Ergebnis tarifpolitischer Kompromisse seien.
22Art. 3 Abs. 1 GG verbiete einen gleichheitswidrigen Begünstigungsausschluss. Differenzierungen seien aber nicht untersagt. Sie müssten jedoch durch Sachgründe gerechtfertigt sein, die nach Ziel und Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen seien. Der Gesetzgeber unterliege hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen des allgemeinen Gleichheitsgrundrechts an den Sachgrund, der eine Ungleichbehandlung trage, je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedlichen Grenzen. Diese könnten von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen. Dass Art. 3 Abs. 1 GG keinen eigenen Schutzbereich habe, sei unerheblich. Die den Gleichheitsrechten zukommende Schutzfunktion, die Ausdruck des Gerechtigkeitsgedankens im Grundgesetz sei, könne auf das Privatrecht ausstrahlen. Für spezifische Konstellationen könnten gleichheitsrechtliche Anforderungen auch für das Verhältnis von Privaten gelten.
23Bei der Überprüfung von Tarifnormen am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG hätten die Arbeitsgerichte aber die in Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich verbürgte kollektive Koalitionsfreiheit angemessen zur Geltung zu bringen. Art. 9 Abs. 3 GG schütze koalitionsspezifische Verhaltensweisen, wozu insbesondere der Abschluss, das Aushandeln sowie der Bestand und die Anwendung tariflicher Regelungen zählten. Den Tarifvertragsparteien komme in Bezug auf die tatsächlichen Gegebenheiten, die betroffenen Interessen und die Rechtsfolgen eine Einschätzungsprärogative zu. Sie verfügten über einen weiten Gestaltungsspielraum für die inhaltliche Ausformung der Regelungen, insbesondere seien sie nicht verpflichtet, die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Es genüge, wenn es für die jeweils getroffene Regelung einen sachlich vertretbaren Grund gebe. Hieraus folge in der Regel eine deutlich zurückgenommene Prüfungsdichte durch die Gerichte. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG sei erst dann anzunehmen, wenn die Tarifvertragsparteien es versäumt hätten, tatsächliche Gemeinsamkeiten oder Unterschiede der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam seien, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise hätten beachtet werden müssen. Zwar dürften die Tarifvertragsparteien bei der Gruppenbildung generalisieren und typisieren; die Differenzierungsmerkmale müssten aber im Normzweck angelegt sein und dürften ihm nicht widersprechen.
24Danach verstoße die im Manteltarifvertrag enthaltene Differenzierung bei den Zuschlägen für Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Übereinstimmend knüpften die Zuschlagstatbestände an die Arbeitsleistung in der tarifvertraglich definierten Nachtzeit an. Der Annahme der Vergleichbarkeit stehe die Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien hinsichtlich der Gruppenbildung nicht entgegen.
25Die unterschiedlich hohen Zuschläge für Nachtarbeit (§ 9 Nr. 1 b) MTV-I) und Nachtschichtarbeit (§ 9 Nr. 1 d) MTV-I) für die Gruppen von Arbeitnehmern, die nachts arbeiteten, bewirkten eine Ungleichbehandlung. Der Zuschlag für Nachtarbeit sei doppelt so hoch wie derjenige für Nachtschichtarbeit. Er enthalte auch nicht den Zuschlag von 25 % des Stundenentgelts für Mehrarbeit. Die Differenz zwischen den Zuschlägen für Nachtarbeit beziehungsweise Nachtschichtarbeit werde auch nicht durch die übrigen tariflichen Leistungen verringert. Die bezahlte Freizeit nach § 7 Nr. 2 MTV-I diene dem Ausgleich der spezifischen, aus Wechselschichten oder ständiger Nachtschicht folgenden Belastungen und Erschwernisse. Für den Anspruch auf die bezahlte Schichtfreizeit sei unerheblich, ob die Beschäftigten in Nachtschicht, im Drei-Schicht-System oder Zwei-Schicht-System arbeiteten. Auch die bezahlte 30-minütige Pause nach § 5 Nr. 4 MTV-I sei kein spezifischer Nachtschichtzuschlag, sondern solle lediglich die besonderen Belastungen infolge der Beschäftigung im Drei-Schicht-System ausgleichen.
26Selbst bei einem zurückgenommenen Prüfungsmaßstab sei die Differenzierung zwischen den Zuschlägen für Nachtarbeit und für Nachtschichtarbeit nicht gerechtfertigt. Die Tarifvertragsparteien hätten den ihnen zustehenden Gestaltungsspielraum überschritten. Zwischen der Nachtarbeit und der Nachtschichtarbeit bestünden keine Unterschiede solcher Art und solchen Gewichts, die diese Differenzierung bei der Höhe der Nachtarbeitszuschläge sachlich rechtfertigen könnten. Ein Anhaltspunkt, der als Sachgrund für die Verdoppelung des Zuschlags für Nachtarbeit gegenüber dem Zuschlag für Nachtschichtarbeit in Betracht komme, sei dem Manteltarifvertrag nicht zu entnehmen.
27Nachtarbeit sei für jeden Menschen schädlich. Durch die Arbeit während der Nachtzeit werde die sogenannte zirkadiane Rhythmik gestört; zur sozialen Desynchronisation komme die physiologische Desynchronisation hinzu. Es sei anerkannt, dass Nachtarbeit umso schädlicher sei, in je größerem Umfang sie geleistet werde. Dass Schichtarbeitnehmer subjektiv den Eindruck erlangten, dass sich ihr Körper an die Nachtschicht anpasse, sei unerheblich. Dieser Eindruck täusche. Belege, die bei vorhersehbarem Einsatz in der Nachtschicht eine signifikant geringere Gesundheitsschädlichkeit bewiesen, lägen bislang nicht vor. Statistische Daten zeigten lediglich eine tendenziell geringere gesundheitliche Belastung, wenn die Arbeitszeiten vorhersagbar seien.
28Aus dem Manteltarifvertrag ergebe sich kein Anhaltspunkt dafür, dass die Tarifvertragsparteien mit der Verdoppelung des Zuschlags für Nachtarbeit einen auf einem sachlichen Grund beruhenden Zweck verfolgt haben könnten. Dass der höhere Zuschlag die fehlende Planbarkeit der Nachtarbeit ausgleichen solle, sei der Systematik des Manteltarifvertrages nicht zu entnehmen. Der Annahme, wonach der höhere Zuschlag für Nachtarbeit für die eingeschränkte Teilnahme am sozialen Leben entschädigen solle, stehe entscheidend § 8 Nr. 4 MTV-I entgegen. Dieser Regelung zufolge seien bei der Durchführung von Nachtarbeit die privaten und kulturellen Wünsche der Beschäftigten weitgehend zu berücksichtigen. Hiermit werde der Arbeitgeber bei der Ausübung des billigen Ermessens tarifvertraglich beschränkt; es gebe keinen Grund, eine nicht erlittene Einbuße auszugleichen.
29Andere legitime Zwecke, die mit dem erhöhten Zuschlag für die Nachtarbeit verfolgt werden könnten, seien nicht ersichtlich. Die Verteuerung könne den erhöhten Zuschlag nicht rechtfertigen, weil Nachtarbeit grundsätzlich vermieden werden solle. Dasselbe gelte für den behaupteten Zweck, die Verdoppelung des Zuschlags begründe eine Motivation der Beschäftigten zur Leistung von Nachtarbeit. Da nicht erkennbar sei, dass mit der Nachtschichtarbeit in (…) eine geringere Arbeitsbelastung als außerhalb von Schichtsystemen verbunden sei, könne offenbleiben, ob vor diesem Hintergrund ein erhöhter Zuschlag zu rechtfertigen wäre.
30Eine ergänzende Auslegung des Manteltarifvertrages mit dem Ziel, die Regelung des § 9 Nr. 1 d) MTV-I mit Art. 3 Abs. 1 GG zu vereinbaren, sei dem Senat nicht möglich. Die mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu vereinbarende Ungleichbehandlung könne nur durch eine "Anpassung nach oben" beseitigt werden. Die begünstigende Regelung in § 9 Nr. 1 b) MTV-I bleibe das einzig gültige Bezugssystem. Um den gleichheitswidrigen Zustand zu beseitigen, müsse § 9 Nr. 1 d) MTV-I unangewendet bleiben. Dies gelte, solange keine geeigneten Maßnahmen getroffen worden seien, um die Gleichbehandlung herzustellen. Auch eine "Anpassung nach unten" scheide aus. Die Beschwerdeführerin zu I. 1. könne den durch § 9 Nr. 1 b) MTV-I begünstigten Nachtarbeitnehmern den erhöhten Zuschlag nicht entziehen; Rückforderungsansprüche unterlägen der Verfallsklausel. Auch sei das berechtigte Vertrauen des Personenkreises auf die Wirksamkeit der tariflichen Regelung zu schützen. Einer rückwirkenden Änderung des Manteltarifvertrages mit dem Ziel, die Zuschläge auf insgesamt 25 % herabzusetzen, stehe das grundsätzlich geschützte Vertrauen der Beschäftigten entgegen, einen einmal entstandenen Tarifanspruch nicht rückwirkend zu beseitigen. Eine solche Regelungskompetenz stehe den Tarifvertragsparteien allenfalls dann zu, wenn die Begünstigten mit einem Wegfall der Besserstellung hätten rechnen müssen.
31Einer "Anpassung nach oben" könne nicht mit Erfolg der finanzielle Mehraufwand für den Arbeitgeber entgegengehalten werden. Sinn und Zweck der tariflichen Zuschlagsregelungen sei gerade eine Verteuerung der gesundheitsschädlichen Nachtarbeit.
32Die Aussetzung des Rechtsstreits komme nicht in Betracht. Dies ließe die durch Art. 3 Abs. 1 GG gebotene Gleichbehandlung "leerlaufen", weil nicht sichergestellt werden könne, dass sich die Tarifvertragsparteien auf eine diskriminierungsfreie Neuregelung verständigten.
332. Die Beschwerdeführerin zu II. 1. ist Mitglied des Beschwerdeführers zu II. 2., bei dem es sich ebenfalls um einen Arbeitgeberverband handelt. Dieser schloss mit der Gewerkschaft (…), Landesbezirk (…), den Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der (…), (…), (…) vom ("MTV-II") ab, der zum in Kraft trat.
34a) Der Manteltarifvertrag trifft für Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit ebenfalls, wie der MTV-I, differenzierende Regelungen, die durch zwei Elemente, ein zeitliches und ein sachliches, definiert sind. Nachtarbeit ist nach § 5 Nr. 1 c) MTV-II die in der Zeit von 21.00 Uhr bis 6.00 Uhr geleistete Arbeit, soweit sie nicht Schichtarbeit ist. Schichtarbeit wird unter Mitbestimmung des Betriebsrats geplant. Nachtarbeitnehmer erhalten für ihre Tätigkeit zur Nachtzeit einen Zuschlag von 50 % nach Maßgabe des § 5 Nr. 2 b) MTV-II, während Nachtschichtarbeitnehmer für die Arbeit in der Nachtschicht von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr lediglich einen Zuschlag von 25 % erhalten. Beschäftigte, die in Nachtschicht arbeiten, können nach den Tarifbestimmungen insbesondere auch von einer Kompensation durch Schichtfreizeiten (§ 4 Nr. 2 MTV-II), bezahlten Pausen (§ 3 Nr. 6 MTV-II) sowie von einer Aufsummierung verschiedener Zuschläge (§ 5 Nr. 3 b) MTV-II) profitieren.
35Der Manteltarifvertrag enthält - auszugsweise - die folgenden Regelungen:
"§ 3 Arbeitszeit
(…)
III.
Zusätzliche Regelungen zur Arbeitszeit
(…)
5. Mitbestimmung des Betriebsrates bei Schichtarbeit
Schichtarbeit wird betrieblich unter Mitbestimmung des Betriebsrates festgelegt.
6. Bezahlte Essenspause bei Zwei- bzw. Drei-Schicht-System
In Betrieben, in denen im Zwei- bzw. Drei-Schicht-System gearbeitet wird, muss den Arbeitnehmern, die aus betrieblichen Gründen wegen ununterbrochenen Fortgangs der Arbeit ihren Arbeitsplatz nicht verlassen können, eine bezahlte Essenspause von 30 Minuten innerhalb der Arbeitszeit gewährt werden.
(...)
§ 4 Alters- und Schichtfreizeit
(…)
2. Schichtfreizeit
Arbeitnehmer, die ständig im Drei-Schicht-Wechsel arbeiten, erhalten für je 25 geleistete Nachtschichten in diesem System eine Freischicht.
Arbeitnehmer, die im Zwei-Schicht-Wechsel arbeiten, erhalten nach diesem System für je 55 geleistete Spätschichten eine Freischicht.
Wechselschichtarbeit liegt vor, wenn ein regelmäßiger Wechsel des Schichtbeginns und damit der zeitlichen Lage der Schicht erfolgt und die Spätschicht mindestens bis 20.00 Uhr dauert.
§ 5 Mehrarbeit, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit
1. Begriffsbestimmung
a) Zuschlagspflichtige Mehrarbeit ist die über die regelmäßige werktägliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeit mit Ausnahme der Stunden, die nach § 3 I, Ziffer 3 a) für Freizeitausgleich angesammelt werden. Bei abweichender Arbeitszeitregelung (§ 3 II) liegt zuschlagspflichtige Mehrarbeit vor, wenn die mit dem Betriebsrat vereinbarte regelmäßige werktägliche Arbeitszeit überschritten wird.
b) Mitbestimmung des Betriebsrates und Ausdehnung der Arbeitszeit
Mehrarbeit ist nach Möglichkeit zu vermeiden. Sie soll nur vorübergehend in Fällen dringender betrieblicher Notwendigkeit im Einvernehmen mit dem Betriebsrat angeordnet werden, soweit es sich nicht um einzelne Arbeitnehmer und nicht vorhersehbare Fälle handelt.
(…)
c) Nachtarbeit
Nachtarbeit ist die in der Zeit von 21.00 Uhr bis 6.00 Uhr geleistete Arbeit, soweit es sich nicht um Schichtarbeit handelt.
(...)
e) Freier Tag bei regelmäßiger Sonntagsarbeit
Die mit regelmäßiger Sonntagsarbeit beschäftigten Arbeitnehmer (Wächter, Pförtner, Heizer, Maschinisten usw.) erhalten je einen freien Arbeitstag in der Woche; dieser muss innerhalb von 14 Tagen ein Sonntag sein.
(…)
2. Zuschläge
Für Mehrarbeit, Nachtarbeit, Schichtarbeit in der Nacht, Sonntags- und Feiertagsarbeit sind folgende Zuschläge zu zahlen:
a) Für Mehrarbeit 25 %
ab der 3. Mehrarbeitsstunde am Tage 30 %
(…)
b) für Nachtarbeit 50 %
c) für Schichtarbeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr 25 %
(…)
3. Berechnung der Zuschläge
a) Zuschläge werden von dem tatsächlichen Stundenentgelt berechnet. Das Stundenentgelt beträgt bei 38stündiger tariflicher Wochenarbeitszeit 1/165 des tatsächlichen Monatsentgelts.
(…)
b) Beim Zusammentreffen mehrerer Zuschläge ist nur der jeweils höhere zu zahlen. Hiervon ausgenommen ist der Zuschlag für Schichtarbeit (§ 5 Abs. 2 c). Dieser Zuschlag ist auch bei Zusammentreffen mit anderen Zuschlägen zu zahlen.
(…)
§ 15 Ausschlussfrist
Gegenseitige Ansprüche aller Art aus dem Beschäftigungsverhältnis sind innerhalb einer Ausschlussfrist von 3 Monaten ab Entstehen des Anspruches geltend zu machen. Diese Ausschlussfrist ist gehemmt während des Urlaubs und während krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Auf diese Bestimmung des Tarifvertrages hat die Betriebsleitung durch ständigen Aushang am Schwarzen Brett besonders hinzuweisen."
36b) Die Beschwerdeführerin zu II. 1. ist durch den in Nachtschicht beschäftigten Kläger des Ausgangsverfahrens, der Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft (…) ist, für im Zeitraum November 2018 bis November 2019 erbrachte Nachtschichtarbeit auf Zahlung des höheren Nachtarbeitszuschlags in Höhe von 50 % des maßgebenden Bruttostundenentgelts unter Anrechnung der erhaltenen Nettobeträge verklagt worden. Der Kläger ist der Auffassung, der Anspruch ergebe sich aus dem entsprechenden Zuschlag des § 5 Nr. 2 b) MTV-II für Nachtarbeit in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Dem ist die Beschwerdeführerin zu II. 1. entgegengetreten.
37aa) Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom - 6 Ca 2361/19 - abgewiesen. Es fehle an einer gleichheitswidrigen Schlechterstellung der Schichtarbeitnehmer im Verhältnis zu den Arbeitnehmern, die sonstige Nachtarbeit leisteten. Die tarifvertragliche Regelung in § 2 MTV-II (wohl: § 5 MTV-II) überschreite die den Tarifvertragsparteien nach Art. 9 Abs. 3 GG eingeräumte Einschätzungsprärogative nicht.
38bb) Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen erhobene Berufung des Klägers mit Urteil vom - 13 Sa 292/20 - zurückgewiesen. Die tariflichen Regelungen des Manteltarifvertrages, die differenzierende Zuschlagsregelungen für Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit enthielten, verstießen nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
39cc) Der Kläger hat seine Zahlungsansprüche mit der beim Bundesarbeitsgericht erhobenen Revision weiterverfolgt. Dieses hat das Revisionsverfahren im Hinblick auf zwei Vorabentscheidungsverfahren beim Gerichtshof der Europäischen Union zu Anwendung und Inhalt der Charta der Grundrechte der Europäischen Union hinsichtlich der tarifvertraglichen Regelungen zunächst ausgesetzt. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat die Vorabentscheidungsverfahren mit Urteil vom (vgl. Coca-Cola European Partners Deutschland, C-257/21, C-258/21, EU:C:2022:529) entschieden. Er hat bereits die erste von zwei Fragen, nämlich ob eine tarifvertragliche Regelung die Richtlinie 2003/88 im Sinne von Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh durchführe, wenn die tarifvertragliche Regelung für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Ausgleich vorsehe als für regelmäßige Nachtarbeit, verneint. Die zweite - bedingte - Frage, ob eine tarifvertragliche Regelung, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Ausgleich als für regelmäßige Nachtarbeit vorsehe, mit Art. 20 GRCh vereinbar sei, wenn damit neben den gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch die Nachtarbeit auch Belastungen wegen der schlechteren Planbarkeit von unregelmäßiger Nachtarbeit ausgeglichen werden sollen, hat der Gerichtshof in der Folge nicht mehr beantwortet. Mit dem hier mit den Verfassungsbeschwerden zu II. angegriffenen Urteil vom hat das Bundesarbeitsgericht im Nachgang zu diesem Urteil die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und das erstinstanzliche Urteil abgeändert.
40Zwar ergebe sich der Anspruch auf einen höheren Nachtarbeitszuschlag nicht unmittelbar aus den Regelungen des MTV-II. Sie stünden dem Kläger aber zu, weil die tarifliche Differenzierung der Zuschläge für sonstige Nachtarbeit (§ 5 Nr. 2 b) MTV-II) und Nachtschichtarbeit (§ 5 Nr. 2 c) MTV-II) einer Kontrolle am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG nicht standhalte. Die Tarifvertragsparteien seien bei der tariflichen Normsetzung zwar nicht unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bilde aber als fundamentale Gerechtigkeitsnorm eine ungeschriebene Grenze der Tarifautonomie. Der Schutzauftrag der Verfassung verpflichte die Gerichte dazu, gleichheitswidrige Differenzierungen in Tarifnormen zu unterbinden und entsprechenden Regelungen die Durchsetzung zu verweigern. Tarifvertragsparteien verfügten zwar über einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Regelungen; sie seien nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG sei trotz der zurückgenommenen Prüfungsdichte der Gerichte aber anzunehmen, wenn die Tarifvertragsparteien es versäumt hätten, tatsächliche Gemeinsamkeiten oder Unterschiede der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam seien, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise hätten beachtet werden müssen. Differenzierungszwecke müssten im Normzweck angelegt und dem Tarifvertrag durch Auslegung zu entnehmen sein. Diesen Anforderungen genügten die im Manteltarifvertrag enthaltenen Differenzierungen in Bezug auf die Zuschläge für Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit nicht.
41Die Arbeitnehmergruppen seien miteinander vergleichbar. Eine Ungleichbehandlung zwischen diesen liege vor, ohne dass sich die Differenz zwischen den Zuschlagstatbeständen durch die Schichtfreizeit, die bezahlte Essenspause, den behaupteten Mehrarbeitscharakter der Nachtarbeit oder die vorgezogene Nachtzeit verringere. Die Ungleichbehandlung sei auch nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt. Die Zuschläge für Nachtarbeit verfolgten ausweislich des Manteltarifvertrages den Gesundheitsschutz. Dieser rechtfertige aber die Ungleichbehandlung nicht. Aufeinanderfolgende, im Rahmen eines Schichtplans geleistete Nachtschichten verminderten nicht die Schädlichkeit für die Gesundheit. Sonstige Zwecke, die die Differenzierung der Zuschlagshöhe rechtfertigten, seien nicht ersichtlich. Der behauptete Zweck des Ausgleichs der fehlenden Planbarkeit von unregelmäßiger Nachtarbeit habe im Manteltarifvertrag keinen Niederschlag gefunden. Dass mit Nachtarbeit im Sinne des § 5 Nr. 2 b) MTV-II ausschließlich "unregelmäßige" Nachtarbeit gemeint sei, sei dem Manteltarifvertrag nicht zu entnehmen. Eine Bezeichnung wie "unregelmäßig" fehle. Auch den übrigen tarifvertraglichen Regelungen sowie dem langjährigen Begriffsverständnis der Rechtsprechung zu differenzierenden Nachtarbeitszuschlagsregelungen sei nicht zu entnehmen, dass es sich bei "Nachtarbeit" stets um eine "unregelmäßige" Beschäftigung handele. Der Verstoß gegen den Gleichheitssatz sei durch eine "Anpassung nach oben" zu beseitigen.
III.
42Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen die Urteile des Bundesarbeitsgerichts. Die Beschwerdeführerinnen zu I. 1. und II. 1. rügen mit ihren Verfassungsbeschwerden jeweils eine Verletzung von Art. 9 Abs. 3 GG und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG (im Verfahren zu II. jeweils in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG); im Verfahren zu II. rügt die Beschwerdeführerin zu II. 1. zudem eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG sowie Art. 3 Abs. 1 GG (jeweils in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG). Die Beschwerdeführer zu I. 2. und II. 2. rügen jeweils eine Verletzung von Art. 9 Abs. 3 GG sowie des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG; im Verfahren zu I. wird zusätzlich eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG und im Verfahren zu II. zusätzlich eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG gerügt.
431. a) Die Beschwerdeführenden zu I. halten die Verfassungsbeschwerden für zulässig. Der am Ausgangsverfahren unbeteiligte Beschwerdeführer zu I. 2. sei jedenfalls ausnahmsweise beschwerdebefugt. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts ordne die Nichtanwendung einer tariflichen Bestimmung sowie eine "Anpassung nach oben" an. Die tarifvertragliche Regelung verliere hierdurch ihre von Art. 9 Abs. 3 GG geschützte rechtliche Verbindlichkeit. Die gerichtlich vorgegebene "Anpassung nach oben" negiere die Einschätzungsprärogative der Tarifpartner und verändere zugleich deren Verhandlungsgleichgewicht im Sinne einer "Vorwirkung" durch die Setzung einer Ankerzahl von 50 % als Zuschlagshöhe für Nachtschichtarbeit. Das angegriffene Urteil begründe weiter eine "faktische Breitenwirkung" dergestalt, dass die anderen Mitglieder des Beschwerdeführers zu I. 2. sich trotz der Friedenspflicht nicht mehr auf den Bestand des Tarifwerks verlassen könnten. Es sei vielmehr mit weiteren Zahlungsklagen zu rechnen. Ein Verfahren nach § 9 TVG, das eine Beseitigung tariflicher Auslegungsstreitigkeiten herbeiführen könne (näher hierzu Rn. 124-129), böte keinen hinreichenden Rechtsschutz, denn es durchbreche nicht die Rechtskraft der angegriffenen Entscheidung und sei zudem zeitintensiv. Eine Anhörungsrüge habe der Beschwerdeführer zu I. 2. als am Ausgangsrechtsstreit Unbeteiligter nicht erheben können.
44b) Die Verfassungsbeschwerden seien auch begründet. Art. 9 Abs. 3 GG und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG seien verletzt. Die angegriffene Entscheidung greife in doppelter Hinsicht in Art. 9 Abs. 3 GG ein, nämlich durch die Nichtanwendung der tariflichen Regelung zur Nachtschichtarbeit (§ 9 Nr. 1 d) MTV-I) sowie durch die Anordnung einer "Anpassung nach oben" zur Beseitigung des vermeintlichen Gleichheitsverstoßes. Der Beschwerdeführerin zu I. 1. werde der Schutz durch den eigenen Arbeitgeberverband, den Beschwerdeführer zu I. 2., genommen. Entgegen § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG fänden die tariflichen Regelungen nicht mehr unmittelbar und zwingend Anwendung.
45Dem Beschwerdeführer zu I. 2. werde ebenfalls das von ihm in den Verhandlungen Erreichte "entzogen". Der von ihm abgeschlossene Tarifvertrag werde nicht - jedenfalls nicht richtig - angewandt. Sein Mitglied werde damit um die "Früchte der Mitgliedschaft" gebracht. Durch die "Anpassung nach oben" werde dem Gewerkschaftsmitglied ein Anspruch gewährt, dessen tarifvertragliche Voraussetzungen nicht vorlägen. Der positiven Regelung zur Nachtarbeit (§ 9 Nr. 1 b) in Verbindung mit § 8 Nr. 5 MTV-I) sei die negative Anordnung immanent, dass der Zuschlag in anderen als den geregelten Konstellationen, also etwa der Nachtschichtarbeit, nicht zu zahlen sei. Diese negative Anordnung übergehe das Bundesarbeitsgericht.
46Die Eingriffe in Art. 9 Abs. 3 GG seien verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Es fehle an einem parlamentarischen Gesetz als notwendiger Grundlage. Auch könne Art. 3 Abs. 1 GG nicht im Wege richterlicher Rechtsfortbildung herangezogen werden, denn Tarifverträge seien als kollektiv ausgeübte Privatautonomie nicht an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen. Eine mittelbare Grundrechtsbindung scheide aus. Eine Tarifvertragskontrolle könne auch nicht durch Schutzpflichten der Gerichte begründet werden. Art. 3 Abs. 1 GG sei ein Grundrecht ohne materiellen Schutzbereich; es könne daher kein aus einer eventuellen Schutzpflicht folgendes Minimum an grundrechtlicher Entfaltungsmöglichkeit gewährleistet werden. Das Bundesarbeitsgericht betone, den Gleichheitsgrundsatz nur mittelbar und ohne Durchführung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung anzuwenden, kontrolliere die Tarifnormen aber ohne dogmatische Begründung im Ergebnis wie bei einer unmittelbaren Bindung. Die "Ausstrahlungswirkung der Grundrechte" sei eine Leerformel. Die Absicht, Minderheiten zu schützen, sei in Anbetracht des überwiegenden Anteils an Nachtschichtarbeitnehmern verfehlt. Schließlich sei das Schutzbedürfnis der Unterworfenen von tariflicher und staatlicher Normsetzung nicht vergleichbar. Den Wirkungen der Normsetzungen von Gewerkschaften und Verbänden könne man sich entziehen, jenen staatlicher Normsetzungen nicht.
47Durch die angenommene Bindung der Tarifvertragsparteien an Art. 3 Abs. 1 GG werde die Tarifautonomie unzulässig eingeschränkt. Der in Tarifverhandlungen gefundene Kompromiss könne nur mit erheblichen Schwierigkeiten an Art. 3 Abs. 1 GG gemessen werden. Denn die Ermittlung des Zwecks der Zuschlagsregelungen sei aufgrund des ihnen zugrundeliegenden Motivbündels sowie der gegenläufigen Interessen der Vertragspartner häufig erschwert. Eine Kontrolle an Art. 3 Abs. 1 GG legte den Tarifvertragsparteien die Obliegenheit auf, mit jeder Bestimmung einen Zweck zu verfolgen.
48Selbst bei einer unterstellten (un-)mittelbaren Bindung der Tarifvertragsparteien an Art. 3 Abs. 1 GG sei der Gleichheitssatz jedenfalls nicht anwendbar, weil es an einer Vergleichbarkeit der Nachtarbeitnehmer und Nachtschichtarbeitnehmer fehle.
49Das Bundesarbeitsgericht habe den Gleichheitssatz schließlich auch nicht richtig angewandt. Die Tarifvertragsparteien besäßen eine Einschätzungsprärogative in Bezug auf die tatsächlichen Gegebenheiten und betroffenen Interessen und müssten nicht die beste, vernünftigste oder gerechteste Vereinbarung zur Lösung der Konflikte treffen. Es genüge, wenn für eine Ungleichbehandlung ein sachlicher Grund vorliege. Dies sei hier nach Wortlaut, Regelungszusammenhang und Zweck des Manteltarifvertrages in mehrfacher Hinsicht der Fall. Die Zuschläge dienten dem Ausgleich der Gesundheitsbelastung, der bei den Nachtschichtarbeitnehmern neben dem Zuschlag weitere Maßnahmen umfasse, sowie einer Kompensation für die beim Einsatz in Nachtarbeit weniger stark geschützten Interessen der Arbeitnehmer. Auch § 8 Nr. 4 MTV-I erfordere nicht "zwingend" eine Rücksichtnahme auf entgegenstehende private Belange von Nachtarbeitnehmern, sondern sei lediglich ein "Programmsatz". Schließlich diene der höhere Zuschlag für Nachtarbeit auch dem Zweck, Beschäftigte zur Übernahme solcher zusätzlicher Dienste zu gewinnen und die Nachtarbeit zu verteuern.
50Die "Anpassung nach oben" stelle auf Rechtsfolgenseite nicht den schonendsten Ausgleich der gegenläufigen Grundrechte aus Art. 9 Abs. 3 GG und Art. 3 Abs. 1 GG dar. Sie greife besonders intensiv in die Koalitionsfreiheit ein. Die den Tarifvertragsparteien jedenfalls in einem dem Gesetzgeber vergleichbaren Maße zustehende Einschätzungsprärogative werde unterlaufen und das Risiko einer gleichheitswidrigen Regelung einseitig der Arbeitgeberseite aufgebürdet. Das Bundesarbeitsgericht hätte eine Unvereinbarkeitsfeststellung treffen können.
51Die angegriffene Entscheidung überschreite mit ihrer Konzeption auch die Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung und verletze hierdurch die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG).
52Der Beschwerdeführer zu I. 2. rügt weiterhin eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG, weil das Gericht ihn, der am Ausgangsverfahren unbeteiligt gewesen sei, vor Erlass der Entscheidung nicht im Wege einer Tarifauskunft angehört habe.
532. a) Auch die Beschwerdeführenden zu II. halten die Verfassungsbeschwerden für zulässig. Der am Ausgangsverfahren unbeteiligte Beschwerdeführer zu II. 2. sei beschwerdebefugt, weil die tarifvertragliche Regelung durch die angegriffene Entscheidung ihre Verbindlichkeit verliere und eine "faktische Breitenwirkung" auslöse sowie bei der Bestimmung der Rechtsfolge des Gleichheitsverstoßes die Einschätzungsprärogative der Tarifpartner missachtet worden sei. Ein Verfahren nach § 9 TVG wäre nicht zielführend und zeitintensiv.
54b) Die Verfassungsbeschwerden seien auch begründet. Art. 9 Abs. 3 GG und Art. 3 Abs. 1 GG seien verletzt. Die Nichtanwendung der Tarifnormen unterlaufe die Planungssicherheit, die Ordnungswirkung und die Befriedungsfunktion des Tarifvertrages. Auch fehle sowohl für die Nichtanwendung der tariflichen Zuschlagsregelung für Nachtschichtarbeit als auch für die Heranziehung der tariflichen Regelung für Nachtarbeit bei den in Nachtschicht arbeitenden Beschäftigten die erforderliche gesetzliche Grundlage. Eine Grundrechtsverpflichtung der Tarifvertragsparteien oder der Beschwerdeführerin zu II. 1. bestehe nicht, weil diese keine Staatsgewalt im Sinne von Art. 1 Abs. 3 GG seien, keine Übertragung staatlicher Gewalt vorliege und eine Heranziehung des allgemeinen Gleichheitssatzes als "fundamentale Gerechtigkeitsnorm" keine dogmatische Grundlage habe. Auch eine mittelbare Drittwirkung liege nicht vor, weil schon aus Art. 3 Abs. 1 GG keine Schutzpflicht folge, im Übrigen aber zwischen den Tarifvertragsparteien auch kein strukturelles Ungleichgewicht vorliege, auf das sich grundrechtlicher Korrekturbedarf beziehen könne.
55Auch bei einer Bindung an Art. 3 Abs. 1 GG sei es jedenfalls unzutreffend, dass Differenzierungszwecke den Tarifnormen durch Auslegung zu entnehmen sein müssten, weil dies die Eigenheiten von Tarifverhandlungen außer Acht ließe. Objektiv sachliche Gründe könnten bei Tarifnormen wie auch bei Gesetzesregelungen differenzierende Bestimmungen rechtfertigen. Ebenso fordere die Rechtsbestimmtheit nur eine eindeutige Ermittlung des Regelungsgehalts, aber keine ausdrückliche Bestimmung der verfolgten Zwecke. Die angefochtene Entscheidung gehe über die allenfalls mögliche Willkürkontrolle hinaus, verkenne die Typisierungskompetenz der Tarifvertragsparteien und übersehe, dass hinsichtlich des Gesundheitsschutzes letztlich keine Ungleichbehandlung und für die verbleibende Zuschlagsdifferenz ein sachlicher Grund in Form der Honorierung der regelmäßig erforderlichen Flexibilität bei den Nachtarbeitnehmern vorliege. Hinsichtlich des Gesundheitsschutzes verbleibe angesichts fehlender arbeitsmedizinischer Erkenntnisse ein Einschätzungsspielraum bei den Tarifvertragsparteien. Geplante Nachtarbeit außerhalb des Schichtbetriebs komme in der Praxis nicht vor und müsse als rein theoretisches Konstrukt nicht berücksichtigt werden. Auch die Verteuerung der Nachtarbeit und Anreize zur Übernahme seien objektiv rechtfertigende Gründe für die differenzierenden Zuschlagsregelungen.
56Jedenfalls sei die Rechtsfolge einer "Anpassung nach oben" eine fehlerhafte Auflösung der angenommenen grundrechtlichen Konfliktlage. Den Tarifvertragsparteien wären in den Grenzen des Rückwirkungsverbots auch nachträgliche Regelungen oder Zwecksetzungen möglich gewesen, und das Bundesarbeitsgericht hätte das Verfahren aussetzen oder sich auf eine Unvereinbarkeitserklärung beschränken und den Tarifvertragsparteien die Möglichkeit zur Neuregelung einräumen müssen. Die Rechtsfolge greife massiv in den Dotierungsrahmen des Tarifvertrages ein, bürde das Risiko einer gleichheitswidrigen Regelung einseitig der Arbeitgeberseite auf und verkenne dabei, dass auch diese einen Vertrauensschutz genieße.
57Zudem rügt die Beschwerdeführerin zu II. 1. eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG wegen eines ungerechtfertigten Eingriffs in die Berufsfreiheit. Die richterrechtliche "Anpassung nach oben" verletze die Arbeitsvertragsfreiheit.
IV.
58Zu den Verfassungsbeschwerden und den hierzu durch das Bundesverfassungsgericht übermittelten Fragen haben der Freistaat Sachsen, die Freie und Hansestadt Hamburg, das Bundesarbeitsgericht, die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e.V. (BDA), die Arbeitgebervereinigung Nahrung und Genuss e.V. (ANG), der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) inhaltlich Stellung genommen. Die Beschwerdeführenden in beiden Verfahren haben ihr Vorbringen auf die gestellten Fragen hin weiter ergänzt.
591. Für den Freistaat Sachsen hat dessen Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung mitgeteilt, dass Streitigkeiten um Nachtarbeitszuschläge bei den sächsischen Arbeitsgerichten nur in Einzelfällen anhängig gemacht worden seien. Arbeitsgerichte hätten mangels Rechtsgrundlage keine anhängigen Verfahren an die Verbände gemeldet. Fälle, in denen das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr oder das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) rechtskräftige Entscheidungen der Verbände bekannt gegeben hätten, seien nicht bekannt.
60Die Freie und Hansestadt Hamburg hat mitgeteilt, dass es zu einer größeren Zahl von Individualklagen aus dem Geltungsbereich von Tarifverträgen gekommen sei, die unterschiedlich hohe Nachtzuschläge für Nachtschichtarbeit und unregelmäßige Nachtarbeit enthielten. Schwerpunktmäßig handele es sich um Klagen im Geltungsbereich des Manteltarifvertrages der Metallindustrie, Bezirk Küste, sowie aus den Geltungsbereichen vonseiten der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten abgeschlossener Tarifverträge. Eingegangen seien auch drei Verfahren nach § 9 TVG betreffend den Manteltarifvertrag der Getränkeindustrie in Hessen, den Manteltarifvertrag des Brauereiverbandes Nord und den Manteltarifvertrag der obst- und gemüseverarbeitenden Industrie Mecklenburg-Vorpommern. Diese Verfahren seien ruhend gestellt worden. Soweit das Landesarbeitsgericht Hamburg die Berufungsverfahren entschieden habe, sei die Ungleichbehandlung von Nachtschichtarbeit und Nachtarbeit durch die jeweiligen streitgegenständlichen Tarifverträge für gerechtfertigt gehalten worden. Anders als das Bundesarbeitsgericht stelle das Landesarbeitsgericht nicht entscheidend darauf ab, ob der beziehungsweise die Differenzierungszwecke im Wortlaut des Tarifvertrages Niederschlag gefunden hätten.
61Weiterhin hat die Freie und Hansestadt Hamburg mitgeteilt, dass die Arbeitsgerichte die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände über die Verfahren nicht informierten, dies im Hinblick auf die regelmäßige Prozessvertretung durch die Gewerkschaften beziehungsweise die Verbände aber auch unerheblich sei.
622. Das Bundesarbeitsgericht hat mitgeteilt, dass Anfang des Jahres 2023 knapp 440 Verfahren zu 27 Tarifverträgen betreffend den Komplex differenzierende Nachtarbeitszuschläge anhängig gewesen seien. 25 Tarifverträge stammten aus dem Organisationsbereich der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten; zwei weitere Tarifverträge seien im Organisationsbereich der Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) abgeschlossen worden. Die Rüge, wonach die Tarifvertragsparteien bei der Gestaltung tariflicher Regelungen Art. 3 Abs. 1 GG verletzten, könne aber in verschiedenen rechtlichen Einkleidungen vor allen Senaten des Bundesarbeitsgerichts auftreten. Im Übrigen hat das Bundesarbeitsgericht mitgeteilt, dass die Tarifvertragsparteien der Metall- und Elektroindustrie ihre Tarifverträge im Hinblick auf die Entscheidung des geändert und Neuregelungen für die Nachtarbeitszuschläge getroffen hätten.
633. a) Die Beschwerdeführerin zu I. 1. hat betreffend den Umfang von unregelmäßiger Nachtarbeit mitgeteilt, dass diese in ihrem Unternehmen am Standort Hamburg etwa einen Anteil von 2,56 % ausmache. Durch die geänderte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entstünden im Hamburger Betrieb bei knapp 100 Tarifbeschäftigten jährliche Mehrkosten in Höhe von etwa 200.000 Euro; dies bedeute für jeden Dreischichtgänger eine Lohnerhöhung von 7 - 8 %. Es gebe nur wenige Konstellationen, in denen Nachtarbeit anfalle, etwa wenn ein Tagschichtgänger ausnahmsweise, zum Beispiel wegen Personalmangels, nachts arbeite, wenn ein Schichtgänger zur Gewährleistung der Arbeitsübergabe bereits um 5.45 Uhr ("zur Nachtzeit") beginne (die 15 Minuten bis zum regulären Arbeitsbeginn um 6.00 Uhr würden als Nachtarbeit vergütet) oder wenn ein Nachtschichtgänger an die reguläre Nachtschichtarbeitszeit 15 Minuten "dranhänge".
64Nach Mitteilung der Beschwerdeführerin zu I. 1. haben sich in Reaktion auf die Entscheidung des keine Änderungen ergeben. Der Beschwerdeführer zu I. 2. erfahre als zuständiger Arbeitgeberverband von sämtlichen arbeitsgerichtlichen Verfahren.
65Der Beschwerdeführer zu I. 2. hat nach Rücksprache mit den Mitgliedsunternehmen mitgeteilt, dass unregelmäßige Nachtarbeit, wie es dem Willen der Tarifvertragsparteien entspreche, die absolute Ausnahme darstelle. Rückstellungen seien in Höhe der Differenzbeträge zwischen dem Nachtarbeitszuschlag (50 %) und dem Nachtschichtzuschlag (25 %) in Reaktion auf die Entscheidung des teilweise gebildet worden. In allen befragten Brauereien erfolge unregelmäßige Nachtarbeit allenfalls durch eine ungeplante Übernahme, wie zum Beispiel bei Krankheit oder einem Unfall. In der Regel werde aber zunächst geprüft, ob durch die verminderte Belegschaft ein ungestörter Arbeitsablauf gewährleistet sei oder ob Mitarbeiter aus einem "Personal-Pool" Arbeiten freiwillig übernähmen. "Mehrarbeit" könne bei unregelmäßiger Nachtarbeit nur dadurch entstehen, dass es zu einem verzögerten Schichtwechsel oder vorzeitiger Schichtübernahme komme.
66Auch an der betrieblichen Praxis habe sich seit Erlass der Entscheidung des nichts geändert. Abweichend von den tariflich vereinbarten "Mindestankündigungsfristen" werde der konkrete Schichtplan den Mitarbeitern in einem Zeitraum von einer Woche bis zu zehn Tagen vorab bekannt gemacht.
67Weiterhin hat der Beschwerdeführer zu I. 2. mitgeteilt, dass die Arbeitgeberverbände regelmäßig mittels Inanspruchnahme von Prozessschutz oder auch schon durch Kenntnisgabe von Forderungsschreiben von den Mitgliedsbetrieben über drohende oder rechtshängige Arbeitsgerichtsverfahren informiert würden. Auch gebe es einen branchenübergreifenden Informationsaustausch der Bundesverbände der deutschen Arbeitgeber. Im Falle der Forderungen für die Nachtarbeitszuschläge habe die zuständige Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten ohne Vorabinformationen der Arbeitgeberverbände massenhaft Serienbriefe im Namen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an die Geschäftsleitungen der Unternehmen versandt.
68Die betroffenen Manteltarifverträge seien seit 2018 nicht angepasst worden. Für den Bereich Hamburg/Schleswig-Holstein sei durch den zuständigen Tarifträgerverband eine Klage nach § 9 TVG am eingereicht worden. Im Übrigen hätten lediglich einzelne Brauereien wegen des Kostendrucks eine Umstellung des Schichtsystems auf ein Zwei-Schicht-System - mit Früh- und Spätschicht - geplant.
69Schichtpläne würden unter Einbeziehung des Betriebsrats erstellt. Durch die konkreten Vorlaufzeiten von sieben bis zehn Tagen könnten sich die Mitarbeiter im Schichtsystem frühzeitig mit dem Personaleinsatzplan vertraut machen oder Schichten individuell im Rahmen des betrieblich Möglichen wechseln. Für die unregelmäßige Nachtarbeit gelte das Freiwilligkeitsprinzip. Im Übrigen hätten die Mitgliedsunternehmen auch mitgeteilt, dass Mitarbeiter regelmäßig freiwillig die Übernahme der steuerfreien Nachtarbeiten anböten. Die Anordnung unregelmäßiger Nachtarbeit sei daher der absolute Ausnahmefall und erfolge, wie tariflich vorgesehen, unter Berücksichtigung der sozialen Kriterien.
70b) Die Beschwerdeführerin zu II. 1. hat mitgeteilt, dass unregelmäßige Nachtarbeit nur in unvorhergesehenen Notfällen vorkomme. Die Gesamtstundenzahl für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit bei der Beschwerdeführerin zu II. 1. im Jahr 2022 habe 20.731 Stunden betragen. Regelmäßige Nachtschichtarbeit im Schichtbetrieb sei in den Jahren 2018 bis 2022 im Umfang von circa 18.000 bis 24.000 Stunden pro Jahr durch etwa 20 bis 50 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geleistet worden. Für das Jahr 2023 seien bislang nur 1.800 Arbeitsstunden in regelmäßiger Nachtschichtarbeit dokumentiert; der wesentliche Rückgang an Nachtarbeit sei unter anderem auf die angegriffene Entscheidung zurückzuführen. Unregelmäßige Nachtarbeit jenseits des Schichtbetriebs sei in den Jahren 2018 bis 2021 sowie im laufenden Kalenderjahr 2023 in keinem einzigen Fall vorgekommen; im Jahr 2022 sei diese gerade einmal im Umfang von elf Stunden geleistet worden. Regelmäßige Nachtarbeit jenseits des Schichtbetriebs sei in den Jahren 2018 bis 2023 in keinem einzigen Fall verrichtet worden.
71Die Beschwerdeführerin zu II. 1. hat mitgeteilt, dass sie den zuständigen Arbeitgeberverband bei auftretenden Klagen umgehend telefonisch und schriftlich informiere und ihn in das Verfahren einbinde.
72Der Beschwerdeführer zu II. 2. hat in Ergänzung zur Stellungnahme der Arbeitgebervereinigung Nahrung und Genuss mitgeteilt, dass es im Bereich der Ernährungsindustrie eine Vielzahl von Tarifverträgen in den einzelnen Regionen und Teilbranchen gebe, in denen tarifvertragliche Regelungen über unterschiedlich hohe Zuschläge für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit weit verbreitet seien. Die vom Bundesarbeitsgericht als weitere mögliche Fallgruppe adressierte regelmäßige Nachtarbeit außerhalb von Schichtarbeit existiere in der Praxis nicht; eine solche habe bei den befragten Betrieben in keinem einzigen Fall stattgefunden.
73Zwischen 2018 und 2023 hätten durchschnittlich 197 Beschäftigte in den Betrieben durchschnittlich 95.648 Stunden Nachtarbeit verrichtet, davon 92.650 Stunden regelmäßige Nachtschichtarbeit und 1.588 Stunden unregelmäßige Nachtarbeit außerhalb von Schichtarbeit. Rückstellungen würden nicht in allen Mitgliedsunternehmen gebildet. Der Anteil der Mehrarbeit bei unregelmäßiger Nachtarbeit sei in den Mitgliedsunternehmen wegen der einzelfallabhängigen Handhabung von kurzfristigen technischen Störungen und kurzfristigem Personalausfall unterschiedlich, in den meisten Unternehmen liege er bei 0 %.
74Unregelmäßige Nachtarbeit werde in den Betrieben unterschiedlich gestaltet. Sie könne im Rahmen der Rufbereitschaft durch Einsätze vor Ort zur technischen Unterstützung oder infolge einer häufig absprachegemäß erfolgten arbeitgeberseitigen Anordnung geleistet werden. Die Freiwilligkeit der unregelmäßigen Nachtarbeit werde von den Mitgliedsunternehmen favorisiert. Konfliktlagen träten aufgrund spezifischer Betriebsvereinbarungen, des Prinzips der Freiwilligkeit und der Möglichkeit einvernehmlicher Schichtwechsel selten auf. Privaten Interessen werde durch die freiwillige Basis entsprochen. Größere Änderungen in der Tarifpraxis hätten sich seit dem nicht ergeben, allerdings sei zu beobachten, dass die Planung und Durchführung von Nachtarbeit tendenziell stagniere.
754. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten hat darauf hingewiesen, dass die im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu I. angegriffene Entscheidung keine Rechtswirkung entfalte, weil das Bundesarbeitsgericht zwischenzeitlich seine Rechtsprechung zum einschlägigen Tarifvertrag aufgegeben habe und die Kläger der Ausgangsverfahren in der Folge aus den Urteilen keine Rechte ableiteten. Zu arbeitsgerichtlichen Verfahren sei es nur gekommen, weil teilweise keine tarifpolitischen Lösungen hätten gefunden werden können.
76Die Tarifverträge der Gewerkschaft seien nicht das Produkt einer einheitlichen tarifpolitischen Festlegung, sondern Tarifergebnis der konkreten Verhandlungen der ehrenamtlich besetzten Tarifkommissionen. Führung und Abschluss von Tarifverhandlungen oblägen dem für Tarifpolitik zuständigen Mitglied des Geschäftsführenden Hauptvorstands mit den Mitgliedern der Tarifkommission.
77Die Gewerkschaft vertrete ihre Mitglieder nicht selbst vor Gericht, sondern gebe gerichtliche Anliegen an die Deutsche Gewerkschaftsbund Rechtsschutz GmbH weiter. Sie unterhalte aber eine Rechtsabteilung. Für die gerichtlichen Verfahren mit Bezug zu den Nachtarbeitszuschlägen habe sie Handreichungen verfasst und die Beschäftigten der Deutsche Gewerkschaftsbund Rechtsschutz GmbH über die unterschiedlichen Urteile und Argumentationen informiert.
78Anfang des Jahres 2019 habe sie auf die Entscheidung des und die im Einzelfall bestehenden individuellen Ansprüche auf höhere Nachtschichtzuschläge hingewiesen sowie im Bedarfsfall eine entsprechende Geltendmachung angeboten. Sie habe auch frühzeitig Kontakt zu den betroffenen Arbeitgebern beziehungsweise Arbeitgeberverbänden der Ernährungswirtschaft aufgenommen. Zu Tarifgesprächen mit dem Ziel einer Anpassung der Tarifverträge sei es bis auf wenige Ausnahmen nicht gekommen. Zugleich habe sie der Arbeitgebervereinigung Nahrung und Genuss vor Einleitung der Klageverfahren im März 2019 auf Spitzenebene ein Gesprächsangebot unterbreitet und den Abschluss von Musterprozessvereinbarungen angeboten. Die Gespräche seien aber im Ergebnis fruchtlos verlaufen. Ein seltenes Beispiel für eine frühzeitige Anpassung der Nachtzuschlagsregelungen sei die Zuckerindustrie. Dort sei ein einheitlicher Nachtzuschlag unter Berücksichtigung der Verfallsfristenregelungen vereinbart worden. Insgesamt seien Ende des Jahres 2020 zwar circa 6.000 Klageverfahren betreffend die Nachtzuschläge anhängig gewesen, viele beträfen aber Folgeansprüche.
79Nach der Entscheidung des seien von den insgesamt 511 Manteltarifverträgen nur in Bezug auf circa 70 Tarifverträge Verfahren anhängig gemacht worden.
80Die Nachtzuschlagsregelungen in den Manteltarifverträgen der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten seien bundesweit sehr unterschiedlich ausgestaltet; dies gelte insbesondere für die Brauwirtschaft, deren Tarifstruktur sehr heterogen sei. Es existiere teilweise nur ein einziger Nachtzuschlag, der sich lediglich auf die Arbeit zur tariflich definierten Nachtzeit beziehe. Ein Gleichheitsproblem stelle sich hier nicht. Häufiger enthielten die Tarifverträge aber mehrere Zuschlagstatbestände, die an unterschiedliche Voraussetzungen anknüpften und entsprechend differenzierten. Es gebe Regelungen zu "regelmäßiger" und "unregelmäßiger" Nachtarbeit, zu "Nachtarbeit, die zugleich Mehrarbeit" sei, zu "regelmäßiger Nachtarbeit (Nachtschichtarbeit) im Drei-Schicht-System", zu "unregelmäßiger Nachtarbeit, die über eine Schicht" hinausgehe, zu "unvorhergesehener Nachtarbeit" sowie zu "Nachtarbeit, jedoch nicht Schichtarbeit".
81Neben den individualrechtlichen Verfahren seien seit Ende des Jahres 2021 an den hamburgischen Arbeitsgerichten sieben Klagen nach § 9 TVG anhängig. Unter den Klägern sei auch der Beschwerdeführer zu I. 2. Es bestünden insofern erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit der vorliegenden Verfassungsbeschwerde wegen fehlender Rechtswegerschöpfung und mangelnder Einhaltung der Subsidiaritätsanforderungen. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten habe seinerzeit ein Verfahren nach § 9 TVG zwar erwogen, hiervon aber im Hinblick auf die Weigerung der Arbeitgeberverbände beziehungsweise Arbeitgeber, auf die Ausschlussfristen zu verzichten, Abstand genommen.
82Der 10. Senat des Bundesarbeitsgerichts habe seine Judikatur weiter ausdifferenziert. Es bestehe für die Parteien eine sehr transparente und nachvollziehbare Dogmatik. Im Ergebnis wahre die Rechtsprechung des 10. Senats des Bundesarbeitsgerichts die Tarifautonomie. Sie respektiere, dass die Tarifautonomie Schranken unterworfen sei, wenn arbeitsmedizinische Erkenntnisse verkannt worden und hierdurch gleichheitswidrige Zustände eingetreten seien. Dem 10. Senat sei es gelungen, die europarechtlichen und gesetzlichen Vorgaben zum Gesundheitsschutz in einen schonenden Ausgleich mit der Koalitionsfreiheit zu bringen.
83Der Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor den Belastungen sei, wie § 6 Abs. 5 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) zeige, keine tariflich frei dispositive Materie. Die Tarifvertragsparteien hätten den staatlich abgeleiteten Schutzauftrag zu respektieren; der Tarifvertrag werde insoweit zum "gesetzesvertretenden Tarifvertrag".
84Die mittelbare Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien an Art. 3 Abs. 1 GG könne dogmatisch nicht durchgreifend in Frage gestellt werden. Gleichheitsrechtliche Anforderungen für private Verhältnisse seien für spezifische Konstellationen wie bei einer aus struktureller Überlegenheit resultierenden Entscheidungsmacht anerkannt; die kollektive Privatautonomie sei insoweit nicht grenzenlos ausgestaltet. Sofern sich die Tarifvertragsparteien von fehlerhaften Tatsachenvorstellungen leiten ließen, müssten die Normunterworfenen eine Möglichkeit der Rechtsdurchsetzung erhalten. Die durch das Bundesarbeitsgericht vorgenommene Vergleichsgruppenbildung sei nicht zu beanstanden. Auch dass der Senat eine Verringerung der Differenz durch Schichtfreizeiten annehme, sei folgerichtig. Regelmäßig enthalte der höhere Nachtzuschlag für sonstige Nachtarbeit keine Belastungen durch Mehrarbeit; diese seien vielmehr in den Tarifverträgen durch spezifische Mehrarbeitszuschläge abgebildet. Zutreffend erkenne der 10. Senat des Bundesarbeitsgerichts, dass sich der Zweck einer Regelung im Text des Tarifvertrages niederschlagen müsse. Es sei gerichtlich nicht umfassend zu ermitteln, welche Gedanken die Tarifkommissionen geleitet hätten; dies sei sogar für die Tarifvertragspartei nicht möglich. Im Unterschied zu parlamentarischen Gesetzgebungsprozessen existierten keine umfangreich dokumentierten Begründungsunterlagen. Für die Auslegung eines Tarifvertrages könne daher nur Berücksichtigung finden, was im Tariftext erkennbar sei. Wenn ersichtlich kein sonstiger Zweck seinen Niederschlag im Tariftext gefunden habe, sei im Umkehrschluss davon auszugehen, dass sich die Tarifvertragsparteien von einer Fehlvorstellung leiten ließen.
85Die in der Entscheidung vorgenommene "Anpassung nach oben" entspreche der langjährigen senatsübergreifenden fachgerichtlichen Judikatur. Sie sei Ausdruck der respektierten Tarifautonomie.
86Im Übrigen fänden sich die Begriffe der "regelmäßigen" und "unregelmäßigen" Nachtarbeit nicht flächendeckend in den Manteltarifverträgen. In beiden Unternehmen, in denen der streitgegenständliche Manteltarifvertrag zur Anwendung gelange, trete Nachtarbeit außerhalb von Schichtmodellen eher selten auf. Die (bewusste) Anordnung der sonstigen Nachtarbeit spiele in der betrieblichen Praxis keine hervorgehobene Rolle. Die finanzielle Belastung durch die höheren Zahlungen für Nachtschichtarbeit sei überschaubar; ein Fall eines substanziell gefährdeten Unternehmens sei nicht bekannt. Vielmehr sei man dort, wo Arbeitgeber nachvollziehbar finanzielle "Schieflagen" kommuniziert hätten, zu tariflichen Lösungen gelangt.
875. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hat eine Stellungnahme der Arbeitgebervereinigung Nahrung und Genuss, die die gemeinsamen Interessen der tarifierenden Landesarbeitgeber- und Fachverbände der Ernährungs- und Genussmittelindustrie vertrete, übermittelt.
88Ausweislich dieser gebe es in der Ernährungs- und Genussmittelindustrie hunderte von Tarifverträgen in einzelnen Regionen und Teilbranchen, und Differenzierungen bei Zuschlägen für Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit seien weit verbreitet; unregelmäßige Nachtarbeit finde aber nur ausnahmsweise statt. Bei den Gruppen der Nachtarbeitnehmer und der Nachtschichtarbeitnehmer handele es sich nicht um vergleichbare Gruppen. Für unregelmäßige Nachtarbeit würden aufgrund ihres Ausnahmecharakters und der fehlenden Planbarkeit höhere Zuschläge als für regelmäßige Nachtschichtarbeit gezahlt. Zudem enthielten einige tarifliche Zuschlagsregelungen für unregelmäßige Nachtarbeit auch den Zuschlag für etwaige Mehrarbeit. Der Streit um die differenzierenden Nachtarbeitszuschläge belaste eine große Zahl der tarifgebundenen Arbeitgeber in der Ernährungs- und Genussmittelindustrie. Die durch das Bundesarbeitsgericht vorgenommene "Anpassung nach oben" bewirke eine untragbare Belastung für die Branche. Es werde damit gerechnet, dass diese Anpassung eine Steigerung der Lohnsumme um weitere 6 % zusätzlich zu den bereits inflationsangepassten Tariflohnsteigerungen auslösen werde.
89Eine Analyse der Daten aus Betrieben von 26 Flächen- und Haustarifverträgen verschiedener Branchen aus verschiedenen Bundesländern zeige, dass zwischen 2019 und 2022 durchschnittlich 977 Beschäftigte 62.773 Stunden pro Jahr unregelmäßige Nachtarbeit und 9.583 Beschäftigte 3.583.760 Stunden regelmäßige Nachtschichtarbeit verrichteten. Die Beschäftigten, die unregelmäßige Nachtarbeit vornähmen, seien mit durchschnittlich 9 % der zur Nachtzeit arbeitenden Beschäftigten eine Minderheit. Der Anteil unregelmäßiger Nachtarbeitsstunden im Verhältnis zu allen Nachtarbeitsstunden liege bei durchschnittlich 2 %. Der Anteil von Mehrarbeit bei unregelmäßiger Nachtarbeit sei gering, werde aber in den Unternehmen datentechnisch nicht gesondert erfasst. Unregelmäßige Nachtarbeit werde meistens auf freiwilliger Basis geleistet, eine "Anordnung" von Nachtarbeit sei in den Unternehmen äußerst selten. Eine Ausnahme hiervon bildeten unvorhersehbare Störungen, bei denen aber persönliche Belange nach Möglichkeit berücksichtigt würden.
90Ob Unternehmen Rückstellungen bildeten, hänge stark davon ab, ob ihnen gegenüber bislang eine Zahlung höherer Zuschläge geltend gemacht worden sei.
91Seit der Rechtsprechungsänderung im Jahr 2018 seien zwei Manteltarifverträge neu abgeschlossen worden. Im Übrigen lehne die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten aber seit Aufkommen der Klagewelle in 2019 Gespräche oder Verhandlungen über eine Neufassung der tarifvertraglichen Regelungen zu Nachtarbeitszuschlägen ohne Ausspruch einer arbeitgeberseitigen Kündigung des gesamten Manteltarifvertrages ab.
92Die prozessführenden Arbeitgeberverbände in der Ernährungs- und Genussmittelindustrie seien von den betroffenen Mitgliedsunternehmen bereits vor Einleitung der individuellen Klageverfahren von den eingehenden Geltendmachungsschreiben informiert worden. Sie erhielten auch die Klagen nebst Terminladungen unverzüglich. Da die Verbände die gerichtlichen Verfahren qua ihrer satzungsmäßigen Aufgabenwahrnehmung für die Mitgliedsunternehmen betreuten, bestehe von Beginn an eine enge Einbindung.
93Im Übrigen hat die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände zu den Verfassungsbeschwerden und den gestellten Fragen ausgeführt, dass sie die Verfassungsbeschwerden für zulässig und begründet halte. Die Urteile verletzten Art. 9 Abs. 3 GG. Die Lohnfindung durch die Tarifvertragsparteien gehöre zum Kernbereich der geschützten Koalitionsbetätigungsfreiheit. Den Koalitionen stehe eine Einschätzungsprärogative hinsichtlich der Angemessenheit tariflicher Regelungen zu. Tarifverträge seien das Ergebnis einer Gesamtabwägung und in aller Regel ein Kompromiss. Die im Gesamtkontext des Tarifvertrages zu lesenden Zuschlagsregelungen für Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit seien das Ergebnis einer solchen Abwägung. Gerichtliche Maßnahmen, die darauf gerichtet seien, Tarifnormen in ihrem Geltungsbereich zu verdrängen, griffen in den von Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Freiraum der Tarifvertragsparteien zu autonomer Rechtsgestaltung ein. Bei der Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit könne Art. 3 Abs. 1 GG berührt sein. Es gelte aber ein eingeschränkter Prüfungsmaßstab. Im Regelfall sei davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien ihre Einschätzungsprärogative korrekt ausfüllten.
94Es fehle vorliegend bereits an einer Vergleichbarkeit von Nachtschichtarbeitnehmern und Nachtarbeitnehmern, weil diese Formen der Nachtarbeit weder definitorisch noch hinsichtlich der unterschiedlichen Belastungen und Belastungsfaktoren vergleichbar seien. Schließlich gehe in der betrieblichen Wirklichkeit Nachtarbeit in der Regel mit Mehrarbeit einher, was ein Grund dafür sei, dass der Zuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit höher sei.
95Eine Vergleichbarkeit unterstellt, sei jedenfalls die unterschiedliche Behandlung bezogen auf die Zuschläge sachlich gerechtfertigt und von der Ermessensprärogative der Tarifvertragsparteien gedeckt. Der erhöhte Zuschlag für Nachtarbeiter verfolge das Ziel des Ausgleichs für die Freizeitbelastung aufgrund der Kurzfristigkeit der angeordneten Arbeit. Dieser Zweck gehe aus dem Tarifvertrag hervor; dass dies nicht ausdrücklich dem Wortlaut entnommen werden könne, sei unschädlich. Die Zuschlagshöhe mache deutlich, dass der Wille der Tarifpartner darauf gerichtet sei, die Inanspruchnahme ungeplanter Nachtarbeit gering zu halten, was die Tarifpraxis auch widerspiegele. Die Tarifvertragsparteien hätten daher - anders als bei der Mehrarbeit - keinen Anlass gesehen, eine entsprechende Mahnung hinsichtlich unregelmäßiger Nachtarbeit in den Tarifvertrag aufzunehmen.
96Durch die vom Bundesarbeitsgericht angeordnete "Anpassung nach oben" auf Rechtsfolgenseite werde das Verhandlungsgleichgewicht zwischen den Tarifvertragsparteien rückwirkend und mit Wirkung für künftige Tarifverhandlungen verändert. Die Tatsache, dass Nachtarbeit der absolute Ausnahmefall sei, sei Maßstab der Tarifverhandlungen und damit Basis des Verhandlungsergebnisses gewesen. Bei einem lückenhaften Tarifvertrag sei die Wahl des konkreten Weges einer Anpassung jedenfalls den Tarifpartnern vorbehalten.
97Schließlich hat die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ausgeführt, dass das Verhältnis unregelmäßiger Nachtarbeit zu regelmäßiger Nachtarbeit bei 0,2 % zu 99,8 % in den betroffenen Unternehmen stehe. Unregelmäßige Nachtarbeit finde nur im Rahmen von Rufbereitschaft sowie in Vertretungsfällen in der Regel nach einem mit dem Betriebsrat abgestimmten Einsatzplan mit Ankündigungsfristen statt; bei unaufschiebbaren Übergaben könne sie auch auf Anweisung erfolgen. Zu nennenswerten Konfliktlagen sei es aufgrund des sehr geringen Anteils an unregelmäßiger Nachtarbeit bisher nicht gekommen. Die Tarifpraxis habe sich seit 2018 dahingehend geändert, dass durch die Tarifabschlüsse die Zuschläge teilweise vereinheitlicht und teilweise nach dem Umfang der Nachtarbeit gestaffelt worden seien.
986. Der Deutsche Gewerkschaftsbund ist der Auffassung, dass zu Unrecht die Belastung einer Vertragsseite durch die angegriffenen Entscheidungen behauptet werde. Da ein Verbandstarifvertrag im Streit stehe, sei keine der vertragsschließenden Parteien des Ausgangsverfahrens verpflichtet. Es komme nur selten zu einer gerichtlichen Überprüfung von Tarifverträgen. Die auf Rechtsfolgenebene vorgenommene "Anpassung nach oben" folge einer ausdifferenzierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und sei, soweit das europäische Antidiskriminierungsrecht betroffen sei, auch unionsrechtlich geboten. Auch könne nur so verhindert werden, dass der begünstigten Gruppe individualrechtliche Ansprüche weggenommen würden.
99Die Tarifvertragsparteien gestalteten durch die Nachtarbeitszuschläge einen vom Gesetzgeber delegierten und vom Bundesverfassungsgericht festgestellten Schutzauftrag aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG aus, so dass der enge Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG gelten müsse.
100In Reaktion auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts hätten einige Mitgliedsgewerkschaften im Wege einvernehmlicher Umsetzung ihre Tarifverträge hinsichtlich der Regelungen zu Nachtarbeitszuschlägen angepasst und die Zuschläge für Nachtarbeit vereinheitlicht.
1017. Die Tarifgemeinschaft deutscher Länder hat mitgeteilt, dass das Tarifrecht für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst der Länder bei der Höhe der Zuschläge für Nachtarbeit nicht zwischen unregelmäßiger Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit unterscheide, sondern einen einheitlichen Zuschlag gewähre; für Wechselschicht- beziehungsweise Schichtarbeit gebe es separate Zuschläge. Im Übrigen sehe sich die Tarifgemeinschaft deutscher Länder durch die Auslegung des § 12 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) durch das Bundesarbeitsgericht auch in ihren verfassungsmäßigen Rechten verletzt. Eine hinreichende Beachtung der Tarifautonomie bei der Tarifrechtsanwendung durch die Gerichte für Arbeitssachen könne daher gar nicht hoch genug geschätzt werden. Es müsse den Gerichten für Arbeitssachen untersagt sein, einer bewusst vereinbarten tariflichen Regelung einen Willen beizumessen, der von dem Tarifwillen der normsetzenden Parteien abweiche.
B.
102Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführerinnen zu I. 1. und II. 1. sind zulässig, die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. 2. und II. 2. dagegen unzulässig. Zwar ist für alle Beschwerdeführenden eine Beschwerdebefugnis gegeben (I), aber die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. 2. und II. 2. genügen mit ihrem Vorbringen zur Wahrung des Grundsatzes der Subsidiarität nicht den Substantiierungsanforderungen (II).
I.
103Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde setzt nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG die Behauptung der jeweiligen Beschwerdeführenden voraus, durch einen Akt der öffentlichen Gewalt in ihren Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt zu sein (Beschwerdebefugnis). Dazu müssen sowohl die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung (vgl. BVerfGE 140, 229 <232 Rn. 9>; 157, 300 <310 Rn. 25> - Unterschriftenquoren Bundestagswahl; stRspr) als auch die eigene, unmittelbare und gegenwärtige Betroffenheit durch die angegriffenen Entscheidungen (vgl. BVerfGE 140, 229 <232 Rn. 9>) den Begründungsanforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG entsprechend dargelegt sein.
104Danach sind alle Beschwerdeführenden beschwerdebefugt, soweit sie eine Verletzung in ihrem Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG rügen (1). Die Beschwerdeführer zu I. 2. und II. 2. haben dabei auch eine mögliche Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG hinreichend dargelegt (2).
1051. Alle Beschwerdeführenden sind beschwerdebefugt, soweit sie eine Verletzung von Art. 9 Abs. 3 GG rügen.
106a) Der Schutzgehalt des Art. 9 Abs. 3 GG umfasst grundsätzlich auch die Anwendung der Tarifnormen im Individualarbeitsverhältnis.
107Art. 9 Abs. 3 GG schützt die Koalition in ihrem Bestand, ihrer organisatorischen Ausgestaltung und ihren Betätigungen, sofern diese der Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dienen (vgl. BVerfGE 50, 290 <373 f.>; 84, 212 <224>; 100, 271 <282>; 103, 293 <304>). Der Schutz erstreckt sich auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen und umfasst insbesondere die Tarifautonomie, die im Zentrum der den Koalitionen eingeräumten Möglichkeiten zur Verfolgung ihrer Zwecke steht (vgl. BVerfGE 103, 293 <304>; 116, 202 <219>; 146, 71 <114 f. Rn. 131>; 148, 296 <344 Rn. 116>). Dies schließt insbesondere den Abschluss von Tarifverträgen (vgl. BVerfGE 92, 365 <395>; 94, 268 <283>; 103, 293 <304 ff.>; 146, 71 <114 f. Rn. 131>) sowie den Bestand und die Anwendung abgeschlossener Tarifverträge ein (vgl. BVerfGE 146, 71 <114 f. Rn. 131>).
108Der Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG richtet sich dabei nicht nur gegen die generelle rechtliche Verdrängung oder Aufhebung tarifautonomer Kollektivvereinbarungen (vgl. dazu BVerfGE 146, 71 <116 Rn. 135 f.>). Geschützt ist auch die Anwendung der Tarifverträge in den von ihnen erfassten Individualarbeitsverhältnissen. Denn die von Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie umfasst die rechtsverbindliche Wirkung der Tarifverträge für alle Tarifgebundenen (vgl. BVerfGE 44, 322 <341>; 92, 26 <44 f.>; 94, 268 <283 f.>; 146, 71 <114 f. Rn. 131>; Dieterich, RdA 2002, S. 1 <12 f.>; vgl. auch Winkler, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 9 Rn. 148; Kemper, in: Huber/Voßkuhle, GG, Bd. 1, 8. Aufl. 2024, Art. 9 Rn. 145, 164 f.; Linsenmaier, in: ErfK, 24. Aufl. 2024, Art. 9 GG Rn. 60 f.; a.A. Burkiczak, Grundgesetz und Deregulierung des Tarifvertragsrechts, 2006, S. 192 ff.; Höfling/Burkiczak, in: Sachs, GG, 10. Aufl. 2024, Art. 9 Rn. 103 m.w.N.). Der in Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG ausdrücklich genannte Zweck der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zielt auf eine Ordnungswirkung, die Tarifverträge nur erfüllen können, wenn auch ihre Rechtswirkung und Durchsetzung in den Individualarbeitsverhältnissen vom grundrechtlichen Schutz erfasst ist. Zugleich ergänzt dieser Schutz die koalitionsbezogene individuelle Gründungs-, Beitritts- und Betätigungsfreiheit durch das Recht, sich auf die Ergebnisse der in kollektiver Privatautonomie ausgehandelten Vereinbarungen grundsätzlich zu berufen. Die konkrete Art der Umsetzung dieser Gewährleistung ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben. Fachrechtlich wird ihr insbesondere durch die gesetzliche Regelung des § 4 TVG Rechnung getragen.
109b) Danach haben die Beschwerdeführenden hinreichend dargelegt, möglicherweise in ihrem Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG verletzt zu sein, wenn sie darauf hinweisen, dass das Bundesarbeitsgericht in den Entscheidungsgründen die differenzierenden tariflichen Zuschlagsregelungen für Nachtarbeit beziehungsweise Nachtschichtarbeit für mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar hält mit der Folge der Geltung des vermeintlich günstigeren Zuschlagsregimes, so dass die von den Beschwerdeführern zu I. 2. und II. 2. autonom vereinbarten Regelungen aus verfassungsrechtlichen und entsprechend verfassungsgerichtlich überprüfbaren Gründen (näher Rn. 133) nicht zur Anwendung kommen.
110aa) Die Beschwerdeführerinnen zu I. 1. und II. 1. werden als Adressatinnen der angegriffenen Entscheidungen durch deren jeweiligen Tenorierungen, die ihnen insbesondere jeweils über die tarifvertraglichen Regelungen hinausgehende Zahlungspflichten auferlegen, selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen (vgl. BVerfGE 140, 42 <57 Rn. 56>). Ihnen wird die Berufung auf die vereinbarten Ergebnisse der Mitgliedschaft in der Koalition verwehrt.
111bb) Auch die Beschwerdeführer zu I. 2. und II. 2. sind beschwerdebefugt, obwohl sie nicht Adressaten der angegriffenen Entscheidungen sind und sich die Tenorierungen, soweit diese Zahlungsansprüche zuerkennen, nicht unmittelbar auf die tarifvertraglichen Regelungen beziehen.
112Eine Beschwer kann sich in besonderen Fällen auch aus anderen Umständen als dem Tenor ergeben (vgl. BVerfGE 140, 42 <57 Rn. 56>) und auch bei Dritten bestehen, wenn bei diesen eine rechtliche Betroffenheit und nicht nur eine faktische Beeinträchtigung im Sinne einer Reflexwirkung vorliegt (vgl. BVerfGE 13, 230 <232 f.>; 78, 350 <354>; 108, 370 <384>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2390/10 -, Rn. 5 f.; Lenz/Hansel, BVerfGG, 4. Aufl. 2024, § 90 Rn. 276 f.).
113So liegt es hier. Die in den angegriffenen Entscheidungen tragend auf die Unvereinbarkeit der tarifvertraglichen Regelungen mit Art. 3 Abs. 1 GG gestützte Nichtanwendung der tariflichen Zuschlagsregelungen für Nachtschichtarbeit und die ebenso ausdrückliche punktuelle Heranziehung der für Nachtarbeit getroffenen tariflichen Zuschlagsregelungen auch für die Nachtschichtarbeit wirken gegen die Beschwerdeführer zu I. 2. und II. 2. als Tarifvertragsparteien rechtlich und nicht nur faktisch. Den von ihnen vereinbarten tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen über die Nachtschichtarbeit wird aus verfassungsrechtlichen Gründen ihre rechtliche Wirkung genommen und jenen über die Nachtarbeit eine zusätzliche rechtliche Wirkung zuerkannt. Unerheblich ist dabei, dass es keine prozessuale Bindungswirkung aus dem Individualrechtsstreit für die Tarifvertragsparteien gibt. Maßgebend für die Beschwerdebefugnis ist nämlich, dass die gerichtlichen Entscheidungen gegenüber den unbeteiligten Verbänden materiellrechtlich wirken (vgl. BVerfGE 60, 7 <13>). Es genügt danach, dass die Tarifnormen ihre rechtliche Verbindlichkeit im Verhältnis der an den Ausgangsstreitigkeiten beteiligten tarifgebundenen Koalitionsmitglieder verlieren. Ob eine Beschwerdebefugnis hier ausnahmsweise auch aus den faktischen Auswirkungen einer im Individualrechtsstreit ergangenen Gerichtsentscheidung auf die Tarifautonomie folgen kann, bedarf deshalb keiner Entscheidung. Auf die von den Beschwerdeführern zu I. 2. und II. 2. vorgetragenen Auswirkungen der Entscheidungen hinsichtlich weiterer Individualklagen oder der vermeintlich geschwächten Position in zukünftigen Tarifverhandlungen kommt es deshalb nicht an.
1142. Die Beschwerdeführer zu I. 2. und II. 2. sind durch die angefochtenen gerichtlichen Entscheidungen auch hinsichtlich ihres durch Art. 103 Abs. 1 GG geschützten Anspruchs auf rechtliches Gehör beschwerdebefugt.
115Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet, dass die an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit erhalten, im Verfahren zu Wort zu kommen, namentlich sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern (vgl. BVerfGE 60, 175 <210>; 89, 28 <35>; 107, 395 <409>); eine besondere Verfahrensart verbürgt Art. 103 Abs. 1 GG jedoch nicht (vgl. BVerfGE 6, 19 <20>; 15, 303 <307>; 36, 85 <87>; 67, 39 <41>; 89, 381 <392>; 101, 106 <129>). Anspruch auf rechtliches Gehör hat jeder, der an einem gerichtlichen Verfahren als Partei oder in ähnlicher Stellung beteiligt ist oder unmittelbar rechtlich von dem Verfahren betroffen wird (vgl. BVerfGE 101, 397 <404>).
116Die Beschwerdeführer zu I. 2. und II. 2. haben aufgezeigt, dass diese Gewährleistung durch die angefochtenen Entscheidungen möglicherweise verletzt wurde. Sie sind zwar nicht Beteiligte in den Ausgangsverfahren gewesen, aber von den Entscheidungen in ihrem Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG rechtlich betroffen (vgl. Rn. 113). Sie erhielten dennoch in den Ausgangsverfahren keine Gelegenheit zur Stellungnahme.
II.
117Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. 2. und II. 2. sind aber unzulässig, weil jedenfalls ihr Vorbringen zur Wahrung des Grundsatzes der Subsidiarität den Substantiierungsanforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG nicht genügt.
1181. Der in Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG angelegte und aus § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG abgeleitete Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde erfordert, dass Beschwerdeführende über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung durch die Fachgerichte zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (vgl. BVerfGE 123, 148 <172>; 134, 242 <285 Rn. 150>; 161, 63 <86 f. Rn. 37> - Windenergie-Beteiligungsgesellschaften; 162, 1 <54 Rn. 100> - Bayerisches Verfassungsschutzgesetz; stRspr). Eine Verfassungsbeschwerde ist daher unzulässig, wenn in zumutbarer Weise Rechtsschutz durch die Anrufung der Fachgerichte erlangt werden kann.
119Die Pflicht zur Anrufung der Fachgerichte besteht ausnahmsweise nur dann nicht, wenn die Anrufung der Fachgerichte nicht zumutbar ist, etwa weil das offensichtlich sinn- und aussichtslos wäre (vgl. BVerfGE 55, 154 <157>; 65, 1 <38>; 102, 197 <208>) oder wenn ein Sachverhalt allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen aufwirft, die das Bundesverfassungsgericht letztlich zu beantworten hat, ohne dass von einer vorausgegangenen fachgerichtlichen Prüfung verbesserte Entscheidungsgrundlagen zu erwarten wären (vgl. BVerfGE 123, 148 <172 f.>; 155, 238 <267 Rn. 67> - WindseeG; stRspr).
120In materieller Hinsicht muss der zur Verfügung stehende Rechtsweg nicht nur formell, sondern auch in der gehörigen Weise unter Nutzung der gegebenen Möglichkeiten durchlaufen werden, um auf die Vermeidung oder Korrektur des gerügten Grundrechtsverstoßes hinzuwirken (vgl. BVerfGE 112, 50 <60>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 593/23 -, Rn. 12). Die Verfassungsbeschwerde soll im Hinblick auf den umfassenden Rechtsschutz durch die Fachgerichtsbarkeit nicht einen wahlweisen Rechtsbehelf gewähren, sondern nur dann zulässig sein, wenn sie trotz Erschöpfung der regelmäßigen verfahrensrechtlichen Möglichkeiten zur Verhinderung einer Grundrechtsverletzung erforderlich wird (vgl. BVerfGE 70, 180 <185 f.>). Es ist daher geboten und Beschwerdeführenden auch zumutbar, vor der Einlegung einer Verfassungsbeschwerde die Statthaftigkeit weiterer fachrechtlicher Rechtsbehelfe sorgfältig zu prüfen und von ihnen auch Gebrauch zu machen, wenn sie nicht offensichtlich unzulässig sind (vgl. BVerfGE 68, 376 <381>).
1212. Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. 2. und II. 2. haben danach nicht hinreichend substantiiert dargelegt, dass sie die Anforderungen der Subsidiarität in Bezug auf die gerügten Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 9 Abs. 3 GG, Art. 103 Abs. 1 GG sowie Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG (nur im Verfahren zu I.) beziehungsweise Art. 3 Abs. 1 GG (nur im Verfahren zu II.) gewahrt haben (vgl. auch BVerfGE 129, 78 <93>; 140, 229 <232 Rn. 9 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 309/22 -, Rn. 3; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2033/23 -, Rn. 7). Sie haben sich insbesondere nicht hinreichend substantiiert mit den Möglichkeiten einer Nebenintervention gemäß § 66 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) (a), eines Verfahrens nach § 9 TVG (b) sowie einer Anhörungsrüge (c) auseinandergesetzt.
122a) Die Nebenintervention ermöglicht grundsätzlich denjenigen, die ein rechtliches Interesse daran haben, dass in einem zwischen anderen Personen anhängigen Rechtsstreit die eine Partei obsiege, dieser Partei zum Zwecke ihrer Unterstützung beizutreten (vgl. § 66 Abs. 1 ZPO; zur Anwendbarkeit im arbeitsgerichtlichen Verfahren BAGE 42, 349 <356>; stRspr; Schultes, in: MüKo, ZPO, 6. Aufl. 2020, § 66 Rn. 2; Althammer, in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 66 Rn. 2). Zur Begründung des weit auszulegenden rechtlichen Interesses im Sinne des § 66 Abs. 1 ZPO genügt insbesondere, wenn ein Nebenintervenient von der Gestaltungswirkung eines Urteils betroffen ist (vgl. hierzu BGHZ 166, 18 <20 Rn. 7> m.w.N.). Die Beschwerdeführer zu I. 2. und II. 2. hätten daher entsprechend der im Ausgangsrechtsstreit gegebenen Interessenlage Darlegungen zu der grundsätzlichen Möglichkeit vornehmen müssen, sich im Wege der Nebenintervention gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG) in Verbindung mit § 66 Abs. 1 ZPO bis zur Rechtskraft der angegriffenen Entscheidungen auf der Seite der jeweiligen Beschwerdeführerinnen zu I. 1. und II. 1. am Ausgangsverfahren zu beteiligen, um es gar nicht erst zu den von ihnen behaupteten Grundrechtsverstößen kommen zu lassen (vgl. zu den Substantiierungsanforderungen BVerfGE 81, 97 <102>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 329/98 -, Rn. 14; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 825/98 -, Rn. 30 ff.; Lechner/Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 90 Rn. 164; Lenz/Hansel, BVerfGG, 4. Aufl. 2024, § 90 Rn. 460). Dass den Beschwerdeführern zu I. 2. und II. 2. hier die Möglichkeit einer Nebenintervention verwehrt oder unzumutbar gewesen wäre, obgleich sie von dem jeweiligen laufenden arbeitsgerichtlichen Individualverfahren schon frühzeitig Kenntnis erlangt hatten (näher Rn. 128), haben sie weder dargelegt, noch ist dies ersichtlich.
123b) Das spezifische Verfahren nach § 9 TVG hätte jedenfalls für die Tarifvertragsparteien die Möglichkeit eröffnet, die Rechtswirksamkeit der tariflichen Regelungen zur Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit frühzeitig mit verbindlicher Wirkung für die Normunterworfenen losgelöst vom Einzelfall klären zu lassen. Die Beschwerdeführer zu I. 2. und II. 2. haben als Parteien der verfahrensgegenständlichen Tarifverträge von dieser Möglichkeit aber keinen oder jedenfalls nicht rechtzeitig Gebrauch gemacht und zumindest nicht hinreichend dargelegt, dass nicht mittels dieses Verfahrens die behaupteten Grundrechtsverletzungen hätten verhindert werden können.
124aa) Nach § 9 TVG kann nicht nur das Bestehen oder Nichtbestehen des Tarifvertrages vor den Gerichten für Arbeitssachen geklärt, sondern auch dessen Inhalt mit bindender Wirkung für die Gerichte festgestellt werden. Das Verfahren dient vorrangig dem Zweck, die normative Wirkung des Tarifvertrages im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit mit einer möglichst einheitlichen rechtlichen Beurteilung von Tarifbestimmungen zu untersetzen (vgl. BAGE 123, 213 <217 f. Rn. 18> m.w.N.). § 9 TVG eröffnet die Möglichkeit einer abstrakten Feststellungsklage über Tarifnormen und erweitert damit den Anwendungsbereich von § 256 Abs. 1 ZPO. Den Tarifvertragsparteien wird auf diesem Wege ein besonderes berechtigtes Feststellungsinteresse zugebilligt. Voraussetzung dieses Feststellungsinteresses ist, dass der Bestand und die Auslegung eines Tarifvertrages zwischen den Tarifvertragsparteien streitig ist (vgl. BAGE 123, 213 <217 f. Rn. 18> m.w.N.; -; Löwisch/Rieble, TVG, 4. Aufl. 2017, § 9 Rn. 53; Creutzfeldt/Eylert, ZfA 2020, S. 239 <282 f.>).
125bb) Die Beschwerdeführer zu I. 2. und II. 2. haben nicht hinreichend dargelegt, dass sie die bestehenden rechtlichen Bedenken an der Wirksamkeit der differenzierenden tariflichen Zuschlagsregelungen nicht im fachgerichtlichen Verfahren nach § 9 TVG hätten klären lassen können.
126Sie behaupten weder ein Einvernehmen mit dem jeweiligen sozialen Gegenspieler hinsichtlich der abstrakten Tarifgeltungsfrage, noch stellen sie in Abrede, dass ein besonderes berechtigtes Feststellungsinteresse für ein Verfahren nach § 9 TVG bestanden haben könnte.
127Für dieses Feststellungsinteresse dürfte zwar die Entscheidung des (BAGE 162, 230), durch die eine differenzierende tarifliche Nachtarbeitszuschlagsregelung für gleichheitswidrig befunden wurde, nicht hinreichen. Denn zum einen genügen Zweifel Dritter, insbesondere staatlicher Stellen oder des Schrifttums, an der Gültigkeit von Tarifnormen zur Begründung eines Feststellungsinteresses regelmäßig nicht (vgl. Löwisch/Rieble, TVG, 4. Aufl. 2017, § 9 Rn. 53 f.; Rachor, in: Däubler, TVG, 5. Aufl. 2022, § 9 Rn. 27; so auch Oetker, in: Wiedemann, TVG, 9. Aufl. 2023, § 9 Rn. 28; Franzen, in: ErfK, 24. Aufl. 2024, § 9 TVG Rn. 8; Henssler, in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht-Kommentar, 11. Aufl. 2024, § 9 TVG Rn. 8). Zum anderen bezog sich der Rechtsstreit im Jahr 2018 auf einen Tarifvertrag einer anderen Branche, der durch die zuständigen Tarifvertragsparteien abgeschlossen wurde.
128Ein Feststellungsinteresse lag aber schon deshalb nahe, weil die Wirksamkeit der hier einschlägigen Tarifregelungen nicht lediglich von dritter Seite, sondern insbesondere von der tarifschließenden Gewerkschaft (…) angezweifelt wurde und wird. Diese warb im Rahmen ihres Internetauftritts für eine Beratung ihrer Mitglieder betreffend die differenzierenden Nachtarbeitszuschlagsregelungen und für ein gerichtliches Vorgehen. Die Meldung aus dem Jahr 2019 adressierte zwar keinen konkreten Tarifvertrag. Die Aufmachung und Formulierungen ("Das BAG hat über eine Klage aus einem anderen Tarifgebiet entschieden - in seiner Begründung aber allgemeine Aussagen zu Nachtarbeit getroffen, die auf deine Branche übertragbar sind"; "Nichtverwirren lassen! (…)-Mitglieder haben rechtliche Ansprüche aus dem Tarifvertrag (…).") legen aber nahe, dass die hier jeweils tarifschließende Gewerkschaft an der Wirksamkeit differenzierender tariflicher Nachtarbeitszuschlagsregelungen zweifelte. Sie setzte damit die jeweiligen sozialen Gegenspieler, nämlich die Beschwerdeführer zu I. 2. und II. 2., aktiv und öffentlichkeitswirksam unter Druck (vgl. -, Rn. 64; Henssler, in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht-Kommentar, 11. Aufl. 2024, § 9 TVG Rn. 8). Neben dieser öffentlichen Vorgehensweise trat die Gewerkschaft ausweislich der eingeholten Stellungnahmen auf die betroffenen Arbeitgeber beziehungsweise ihre Arbeitgeberverbände mit dem Ziel zu, Tarifanpassungen zum Themenkomplex Nachtarbeitszuschläge zu erwirken. Von den Klageverfahren, die sich zur Anspruchsbegründung auf die vermeintlich gleichheitswidrigen Tarifregelungen stützten, hatten die sozialen Gegenspieler, auch die Beschwerdeführer zu I. 2. und II. 2., ausweislich der Stellungnahmen und der Einbindung in die Prozessvertretungen umfassende und unmittelbare Kenntnis.
129cc) Anhaltspunkte dafür, dass den Beschwerdeführern zu I. 2. und II. 2. die rechtzeitige Anrufung der Fachgerichte unzumutbar gewesen sein könnte, zeigen diese nicht hinreichend auf. Ihr Einwand, wonach das Verfahren nach § 9 TVG zur "Korrektur" der angegriffenen Entscheidungen ungeeignet gewesen sei, ist zwar zutreffend. Sie übersehen aber, dass das Unterlassen der möglichen rechtzeitigen Klageerhebung ihnen anzulasten ist. Es ist nicht ausgeschlossen, dass bei rechtzeitiger Einleitung des Verfahrens laufende arbeitsgerichtliche Verfahren zwischen tarifgebundenen Arbeitnehmern und Arbeitgebern mit Blick auf die grundrechtlich geschützte Tarifautonomie zunächst auszusetzen gewesen wären. Hiermit befasst sich die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu I. 2., die vor der zwischenzeitlichen Einleitung eines Verfahrens nach § 9 TVG erhoben wurde, nicht. Die Beschwerdeführer zu I. 2. und II. 2. setzen sich schließlich nicht damit auseinander, dass eine die Unwirksamkeit einer Tarifnorm aussprechende Entscheidung nach § 9 TVG die Vollstreckung eines rechtskräftigen Urteils abwenden könnte (vgl. Löwisch/Rieble, TVG, 4. Aufl. 2017, § 9 Rn. 122 f.; siehe auch Klumpp, Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 3, 5. Aufl. 2022, § 244 Rn. 37; Franzen, in: ErfK, 24. Aufl. 2024, § 9 TVG Rn. 18 m.w.N.).
130c) Die Beschwerdeführer zu I. 2. und II. 2. machen mit ihrem Vorbringen, das Bundesarbeitsgericht habe vor Erlass der angefochtenen Entscheidungen keine Tarifauskunft im Sinne der § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit § 293 Satz 2 ZPO bei ihnen eingeholt, schließlich eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG geltend, ohne dass sie eine Anhörungsrüge gegen die angefochtenen Entscheidungen erhoben haben.
131Wird mit der Verfassungsbeschwerde eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) geltend gemacht, so gehört eine Anhörungsrüge an das Fachgericht zu dem Rechtsweg, von dessen Erschöpfung die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde im Regelfall abhängig ist (vgl. BVerfGE 122, 190 <198>; 126, 1 <17>; 134, 106 <113 Rn. 22>). Erheben Beschwerdeführende in einem solchen Fall keine Anhörungsrüge, obwohl sie statthaft und nicht offensichtlich aussichtslos wäre, hat das zur Folge, dass die Verfassungsbeschwerde insgesamt unzulässig ist, sofern die damit gerügten Grundrechtsverletzungen denselben Streitgegenstand betreffen wie der geltend gemachte Gehörsverstoß (vgl. BVerfGE 134, 106 <113 Rn. 22>). Zu der Frage, ob eine Anhörungsrüge für die Beschwerdeführer zu I. 2. und II. 2. trotz des beschränkten Wortlauts des § 78a Abs. 1 Satz 1 ArbGG aufgrund ihrer rechtlichen Betroffenheit (vgl. BVerfGE 60, 7 <13>; 65, 227 <233>; 101, 397 <404>) statthaft und nicht offensichtlich aussichtslos gewesen wäre, verhalten sich die Verfassungsbeschwerden nicht. Inwieweit ihnen dieser Mangel schon bei der Substantiierung der Rechtswegerschöpfung entgegenzuhalten ist, kann hier dahinstehen. Denn sofern die Beschwerdeführer zu I. 2. und II. 2. von der Möglichkeit der Nebenintervention Gebrauch gemacht hätten, wäre jedenfalls eine Anhörungsrüge in Betracht gekommen (vgl. -,Rn. 23 ff. m.w.N. zur verfassungskonformen Auslegung des § 67 Satz 1 ZPO bei der einfachen Nebenintervention).
C.
132Die zulässigen Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführerinnen zu I. 1. und II. 1. sind begründet. Die angegriffenen Urteile verletzen sie in ihrem Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG. Ob die Urteile des Bundesarbeitsgerichts die Beschwerdeführerinnen zu I. 1. und II. 1. darüber hinaus in ihren Rechten aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG beziehungsweise die Beschwerdeführerin zu II. 1. in Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG verletzen, kann dahinstehen.
I.
1331. Die verfassungsgerichtliche Kontrolle im Rahmen einer Urteilsverfassungsbeschwerde beschränkt sich in der Regel auf die Prüfung, ob die angegriffenen Entscheidungen bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von Bedeutung und Tragweite der in Anspruch genommenen Grundrechte beruhen oder willkürlich sind (vgl. hierzu BVerfGE 18, 85 <92 f.>; 85, 248 <257 f.>; 108, 282 <294>; 134, 242 <353 Rn. 323>). Das Bundesverfassungsgericht kontrolliert gerichtliche Entscheidungen grundsätzlich nur auf die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts (vgl. BVerfGE 1, 418 <420>; 18, 85 <92 f.>; 106, 28 <45>; stRspr). Soweit allerdings das Gericht, dessen Entscheidung mit einer Verfassungsbeschwerde angegriffen wird, Grundrechtsbestimmungen unmittelbar selbst ausgelegt und angewandt hat, obliegt es dem Bundesverfassungsgericht, Reichweite und Grenzen der Grundrechte zu bestimmen und festzustellen, ob Grundrechte nach ihrem Umfang und Gewicht in verfassungsrechtlich zutreffender Weise berücksichtigt worden sind (vgl. BVerfGE 108, 282 <294> m.w.N.). Entsprechend seiner Aufgabe, das Verfassungsrecht zu bewahren, zu entwickeln und insbesondere die verschiedenen Funktionen einer Grundrechtsnorm zu erschließen, ist das Bundesverfassungsgericht im Verhältnis zu den Fachgerichten insoweit nicht auf die Prüfung beschränkt, ob diese das Verfassungsrecht willkürfrei zugrunde gelegt haben, sondern hat selbst letztverbindlich über dessen Auslegung und Anwendung zu entscheiden (vgl. BVerfGE 108, 282 <295>).
1342. Das Bundesarbeitsgericht hat in den angegriffenen Gerichtsentscheidungen den tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen für Nachtschichtarbeit die Wirksamkeit abgesprochen, weil diese Art. 3 Abs. 1 GG widersprächen, und als Rechtsfolge des Gleichheitsverstoßes Zuschläge zuerkannt, die an den tariflichen Zuschlagsregelungen für Nachtarbeit ausgerichtet waren ("Anpassung nach oben"). Der Inhalt und die Reichweite des Art. 3 Abs. 1 GG und sein Verhältnis zu der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie sind tragend für die angegriffenen Entscheidungen und damit Gegenstand voller verfassungsgerichtlicher Überprüfung.
II.
135Die angegriffenen Urteile des Bundesarbeitsgerichts verletzen die Beschwerdeführerinnen zu I. 1. und II. 1. in ihrer Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG). Die Auslegung des Bundesarbeitsgerichts, wonach die tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen über die Nachtschichtarbeit mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar seien und auf Rechtsfolgenebene die Zuschlagsregelungen zur Nachtarbeit Anwendung fänden ("Anpassung nach oben"), berücksichtigt die Koalitionsfreiheit nicht in verfassungsrechtlich zutreffender Weise.
136Die Beschwerdeführerinnen zu I. 1. und II. 1. können sich auf den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG für die Anwendung der von ihren Koalitionen ausgehandelten Tarifverträge berufen (1). Sie sind in diesem Grundrecht verletzt: Zwar müssen die in kollektiver Privatautonomie handelnden Tarifvertragsparteien bei der Tarifnormsetzung den Grundsatz der Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG beachten (2). Bei der Prüfung der Tarifverträge hat das Bundesarbeitsgericht aber die Bedeutung der Tarifautonomie aus Art. 9 Abs. 3 GG für die Reichweite der Bindung an Art. 3 Abs. 1 GG (3) wie auch für die Folgen seiner Verletzung (4) verkannt.
1371. Die Beschwerdeführerinnen zu I. 1. und II. 1. werden durch die angegriffenen Urteile in ihrer durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionsfreiheit beeinträchtigt.
138a) Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG garantiert das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden. Diese Koalitionsfreiheit berechtigt sowohl Einzelpersonen in ihrer Eigenschaft als Berufsangehörige als auch Gewerkschaften beziehungsweise Arbeitgeber(-verbände) (vgl. BVerfGE 148, 296 <343 Rn. 113>). Die mehrdimensionale Koalitionsfreiheit schützt individualgrundrechtlich das Recht, eine Koalition zu bilden, ihr beizutreten beziehungsweise fernzubleiben und an der verfassungsrechtlich geschützten Tätigkeit der Koalition teilzunehmen (vgl. BVerfGE 19, 303 <312>; 28, 295 <304>; 44, 322 <352>). In kollektivrechtlicher Hinsicht schützt das Grundrecht insbesondere die Gründung, den Bestand und die spezifisch koalitionsmäßige Betätigung (vgl. BVerfGE 44, 322 <341> m.w.N.; 50, 290 <367>; 84, 212 <224>; 146, 71 <114 f. Rn. 131, 119 f. Rn. 146 f.>). Es umfasst insbesondere auch die Tarifautonomie, die im Zentrum der den Koalitionen eingeräumten Möglichkeiten zur Verfolgung ihrer Zwecke steht. Der Staat enthält sich einer Einflussnahme und überlässt die autonome Vereinbarung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zum großen Teil den Koalitionen; dazu gehören insbesondere das Arbeitsentgelt und andere materielle Arbeitsbedingungen (vgl. BVerfGE 94, 268 <283>; 100, 271 <282>; 103, 293 <304>; 116, 202 <219>). Diese Freiheit bei der eigenverantwortlichen Austragung der Interessengegensätze findet ihren Grund in der historischen Erfahrung, dass auf diese Weise eher Ergebnisse erzielt werden, die den Interessen der widerstreitenden Gruppen und dem Gemeinwohl gerecht werden, als bei einer staatlichen Schlichtung (vgl. BVerfGE 88, 103 <114 f.>; 146, 71 <119 f. Rn. 146>). Das Aushandeln von Tarifverträgen ist ein wesentlicher Zweck der Koalitionen (vgl. BVerfGE 92, 365 <395>; 94, 268 <283>; 103, 293 <304 ff.>; 116, 202 <219>; 146, 71 <114 f. Rn. 131 f.>; 148, 296 <344 Rn. 116>). Geschützt ist insbesondere der autonome Abschluss von Tarifverträgen (vgl. BVerfGE 92, 365 <395>; 94, 268 <283>; 103, 293 <304 ff.>). Dies schließt den Bestand und die Anwendung abgeschlossener Tarifverträge ein (vgl. BVerfGE 146, 71 <114 f. Rn. 131>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1278/16 -, Rn. 4). Der Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG umfasst auch, sich auf die Ergebnisse der in kollektiver Privatautonomie ausgehandelten Vereinbarungen zu berufen (vgl. Rn. 108, 147).
139b) Indem die angegriffenen Urteile die tarifvertraglichen Differenzierungen zwischen den unterschiedlichen Formen der Nachtarbeit aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht beachtet haben, haben sie die Rechte aus Art. 9 Abs. 3 GG der Beschwerdeführerinnen zu I. 1. und II. 1. als Arbeitgeberinnen beeinträchtigt. Sie haben ihnen auf diese Weise die Berufung auf die tarifvertraglichen Ergebnisse der Mitgliedschaft in der Koalition verwehrt.
1402. Allerdings kommt die Berufung auf tarifvertragliche Regelungen nicht uneingeschränkt in Betracht. Die Tarifvertragsparteien müssen bei der Vereinbarung von Tarifnormen vielmehr den Grundsatz der Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG beachten. Denn das Grundrecht der Koalitionsfreiheit ist nicht schrankenlos gewährleistet, sondern kann begrenzt werden (a). Zu diesen Grenzen gehört auch die grundsätzliche Bindung an den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG (b). Diese Grenze kann durch die Gerichte unmittelbar zur Anwendung gebracht werden (c).
141a) Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit ist zwar vorbehaltlos, aber nicht schrankenlos gewährleistet. Die Koalitionsfreiheit ist kein Spezialfall der allgemeinen Vereinigungsfreiheit und unterliegt daher nicht den Schranken des Art. 9 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 146, 71 <118 Rn. 143>). Begrenzungen können durch Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechte gerechtfertigt werden (vgl. BVerfGE 28, 243 <260 ff.>; 30, 173 <193>; 57, 70 <98 f.>; 84, 212 <228>; 100, 271 <283>; 103, 293 <306>; 146, 71 <119 Rn. 143>; 148, 296 <344 f. Rn. 117>). Kollidierendes Verfassungsrecht kann als Legitimation für Eingriffe dienen, wenn widerstreitende Grundrechtspositionen innerhalb des Gewährleistungsbereichs von Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG auszugleichen sind (vgl. BVerfGE 84, 212 <228>; 92, 365 <394 f.>; 100, 214 <223 f.>).
142b) Zu den Grenzen der Tarifautonomie gehört die grundsätzliche Bindung der Tarifvertragsparteien an den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bei der Vereinbarung von Tarifnormen. Dies folgt aus Art. 9 Abs. 3 GG, der nicht nur die individuelle und kollektive Koalitionsfreiheit schützt (aa), sondern beide auch in spezifischer Weise verknüpft (bb).
143aa) Das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG ist in erster Linie ein Freiheitsrecht (vgl. BVerfGE 146, 71 <114 Rn. 130>; 148, 296 <343 f. Rn. 115>). Es schützt die individuelle Freiheit, Vereinigungen zur Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu bilden und diesen Zweck gemeinsam zu verfolgen (vgl. BVerfGE 92, 365 <393>), ihnen fernzubleiben oder sie zu verlassen (vgl. BVerfGE 116, 202 <218>; 146, 71 <114 Rn. 130>; 148, 296 <343 f. Rn. 115> m.w.N.). Diese individualrechtliche Komponente setzt sich in einem Freiheitsrecht der Koalitionen fort. Danach schützt die Koalitionsfreiheit auch das Recht der Vereinigungen selbst, durch spezifisch koalitionsmäßige Betätigung die in Art. 9 Abs. 3 GG genannten Zwecke zu verfolgen, wobei die Wahl der Mittel, die die Koalitionen zur Erreichung dieses Zwecks für geeignet halten, mit Art. 9 Abs. 3 GG grundsätzlich ihnen selbst überlassen ist (vgl. BVerfGE 92, 365 <393 f.>; 100, 271 <282>; 116, 202 <219>; 146, 71 <114 Rn. 130>; 148, 296 <343 f. Rn. 115>; stRspr).
144Die spezifisch koalitionsmäßige Betätigung durch tarifliche Normsetzung ist als kollektiv ausgeübte Privatautonomie zu verstehen (vgl. BVerfGE 146, 71 <120 Rn. 147>). Tarifautonomie ist darauf angelegt, die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen und damit ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Löhne und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen (vgl. BVerfGE 84, 212 <229>; 92, 365 <395>; 146, 71 <119 f. Rn. 146>). Mit der grundrechtlichen Garantie der Tarifautonomie wird ein Freiraum gewährleistet, in dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber ihre Interessengegensätze in eigener Verantwortung austragen können (vgl. BVerfGE 88, 103 <114 f.>; 146, 71 <119 f. Rn. 146>). Diese Freiheit findet ihren Grund in der historischen Erfahrung, dass auf diese Weise eher Ergebnisse erzielt werden, die den Interessen der widerstreitenden Gruppen und dem Gemeinwohl gerecht werden, als bei einer staatlichen Schlichtung. Ihr liegt die Erwartung zu Grunde, dass der autonome Verhandlungsprozess einer Ordnung und Befriedung des Arbeits- und Wirtschaftslebens dient. Dem Tarifvertrag kommt daher eine Richtigkeitsvermutung zu. Es darf grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass das von den Tarifvertragsparteien erzielte Verhandlungsergebnis richtig ist und die Interessen beider Seiten sachgerecht zum Ausgleich bringt; ein objektiver Maßstab, nach dem sich die Richtigkeit besser beurteilen ließe, existiert nicht (vgl. oben Rn. 5, 138).
145Materielle Ergebnisvorgaben im Sinne einer "Richtigkeitsgewähr" sind an den erzielten Interessenausgleich nicht zu stellen (vgl. BVerfGE 146, 71 <119 f. Rn. 146>). Privatautonomie dient gerade dem Schutz der Gestaltung der Rechtsverhältnisse nach eigenem Willen (vgl. BVerfGE 89, 214 <231>) und steht damit vorgegebenen Bindungen aufgrund der Tarifautonomie zugeschriebener Funktionen grundsätzlich entgegen (vgl. Kemper, in: Huber/Voßkuhle, GG, Bd. 1, 8. Aufl. 2024, Art. 9 Rn. 96 m.w.N.).
146bb) Die individuelle Freiheit und die kollektiv ausgeübte Tarifautonomie stehen allerdings nicht unverbunden nebeneinander, sondern sind grundrechtlich doppelt miteinander verknüpft. Die Tarifautonomie umfasst grundsätzlich auch die rechtsverbindliche Wirkung der Tarifverträge in den tarifgebundenen Individualarbeitsverhältnissen (1). Gegenläufig sind die Tarifvertragsparteien dann aber zum Schutz ihrer Mitglieder bei der Vereinbarung verbindlicher Tarifnormen an den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebunden (2).
147(1) Den Zweck, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu fördern, können die von Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Koalitionen nur dann erreichen, wenn die durch sie abgeschlossenen Vereinbarungen Rechtswirkungen in den Individualarbeitsverhältnissen der Tarifgebundenen entfalten. Diese rechtsverbindliche Wirkung der Tarifverträge im beidseitig tarifgebundenen Arbeitsverhältnis wird vom Schutz der Tarifautonomie nach Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG erfasst (vgl. BVerfGE 44, 322 <341>; 92, 26 <44 ff.>; Kemper, in: Huber/Voßkuhle, GG, Bd. 1, 8. Aufl. 2024, Art. 9 Rn. 145, 164 f.; siehe Rn. 108). Art. 9 Abs. 3 GG enthält nicht nur eine Gründungs-, Beitritts-, Verbleibens-, Fernbleibens-, Austritts- und Betätigungsfreiheit, sondern wird durch das Recht der Arbeitnehmer und Arbeitgeber ergänzt, sich auf die "Früchte" der kollektiv ausgeübten Privatautonomie individualrechtlich zu berufen. Der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Beitritt ist nur dann koalitionszweckrealisierend, wenn die privatautonom begründete Teilhabe Verbindlichkeit zeitigt.
148Diese verbindliche Wirkung der Tarifnormen erweitert die individuelle Freiheit der Tarifgebundenen. Die Mitglieder der Koalitionen und insbesondere die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer profitieren von der kollektiven Interessenwahrnehmung, die eine größere Verhandlungsmacht mit sich bringt und im Wege dann gleichgewichtigen und strukturierten Aushandelns mit der Gegenseite regelmäßig ausgeglichene Ergebnisse erzielt. Die Tarifautonomie des Art. 9 Abs. 3 GG sichert die kollektive Interessendurchsetzung und die Umsetzung der Ergebnisse in den individuellen Arbeitsverhältnissen grundrechtlich ab und garantiert damit insbesondere den sozialen Schutz der abhängig Beschäftigten (vgl. BVerfGE 146, 71 <120 Rn. 147>; BAGE 173, 205 <212 f. Rn. 26>; -, Rn. 16; stRspr).
149(2) Die Kollektivierung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen kann die individuelle Freiheit, die durch die rechtsverbindliche Wirkung der Tarifverträge grundsätzlich erweitert wird, aber auch gefährden (vgl. Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie, 2005, S. 262 ff.; Ulber, in: Däubler, TVG, 5. Aufl. 2022, Einl. Rn. 320 f., 329 f.). Das Koalitionsgrundrecht schützt die Mitglieder der Tarifvertragsparteien vor den damit verbundenen Freiheitsgefährdungen, indem die Tarifvertragsparteien jedenfalls den allgemeinen Gleichheitssatz bei der Tarifnormsetzung grundsätzlich zu achten haben. Denn die Mitglieder der Koalitionen haben regelmäßig keinen unmittelbaren Einfluss auf die konkreten Tarifverhandlungen, deren Ergebnisse für sie rechtsverbindlich werden (vgl. dazu zusammenfassend Ulber, in: Däubler, TVG, 5. Aufl. 2022, Einl. Rn. 328 ff.). Sie sind darauf angewiesen, dass ihre Interessen in den Verhandlungen tatsächlich angemessen repräsentiert und in den Ergebnissen angemessen abgebildet werden. Je größer und heterogener die in einer Tarifpartei vertretenen Gruppen sind, desto schwieriger wird regelmäßig die Interessenvertretung bei der Verhandlung und beim Abschluss des materiellen Interessenausgleichs. Die Tarifparteien sondieren trotz vorhergehender binnendemokratischer Beteiligung der Koalitionsmitglieder die Interessen und wägen abhängig vom tarifpolitischen Geschehen ab, welche hiervon zum Gegenstand von Tarifvertragsverhandlungen gemacht werden. Dabei werden einzelne Individualinteressen notwendigerweise im Interesse der Verhandlungsposition zurückgestellt (so auch Dieterich, in: Festschrift für Günter Schaub, 1998, S. 117 <125 f.> mit Verweis auf Singer, ZfA 1995, S. 611 <628>; siehe zudem Ulber/Klocke, RdA 2021, S. 178 <186>: "Individualinteressen nivelliert"). Eine Garantie dafür, dass sich eine im innerverbandlichen Willensbildungsprozess gefundene Position im kontradiktorischen Interessenausgleich mit dem sozialen Gegenspieler niederschlägt, besteht nicht.
150Dieses durch den privatautonomen Verbandsbeitritt vermittelte Risiko ist in erheblichem Umfang der notwendige Preis der Kollektivierung. Die strukturelle Gefährdungslage wird auch durch die Möglichkeit, die selbstbestimmte Mitgliedschaft in der tarifschließenden Vereinigung aufzugeben, nicht vollständig beseitigt (vgl. Singer, ZfA 1995, S. 611 <628>; Däubler, KJ 2014, S. 372 <376>; Ulber, in: Däubler, TVG, 5. Aufl. 2022, Einl. Rn. 333 ff.; a.A. Jacobs/Frieling, SR 3/2019, S. 108 <115 f.>). Ein zukunftsgerichteter Austritt aus dem Verband gewährt keinen unmittelbaren hinreichenden Schutz der Mitglieder der Koalitionen gegen ungerechtfertigte Benachteiligungen in einzelnen Tarifverträgen. Zudem würde der Gefährdung gerade mit der Aufgabe der Gestaltungsmacht begegnet werden müssen, die Art. 9 Abs. 3 GG der einzelnen Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer einräumen möchte. Mit dem Austritt müssen die Mitglieder auf die übrigen Vorteile der Verbandsmitgliedschaft verzichten, ohne dass für sie unmittelbar gleichwertige Regelungsalternativen zum Tarifvertrag bestünden.
151Auch der innerverbandliche Gleichbehandlungsgrundsatz, der grundsätzlich Ansprüche der Individuen gegen den Verband begründen kann, bietet keinen hinreichenden Schutz für die Mitglieder. Er beschränkt sich auf das Innenverhältnis und gewährt den Mitgliedern nur innerhalb dieses Verhältnisses einen Anspruch darauf, durch die Vereinigung nicht ohne sachlichen Grund gegen ihren Willen benachteiligt zu werden (vgl. Kirchhof, F., Private Rechtsetzung, 1987, S. 289; van Randenborgh, in: Schauhoff/Kirchhain, Handbuch der Gemeinnützigkeit, 4. Aufl. 2023, § 2 Rn. 61 f.). Für die tarifliche Normsetzung, die das Außenverhältnis betrifft, gilt der innerverbandliche Gleichbehandlungsgrundsatz grundsätzlich nicht (vgl. BAGE 122, 134 <151 Rn. 58>; Hueck, G., Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht, 1958, S. 105 Fn. 20; Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, 1964, S. 83; Buchner, DB Beilage 2001, Nr. 09, S. 4 ff.; a.A. Lobinger, in: Festschrift für Ingrid Schmidt, 2021, S. 319 <328 ff.>; ders., RdA 2006, S. 12 <20 f.>; ders. RdA 2024, S. 69 <76>). Die Verbandsmitglieder können nicht darauf vertrauen, dass sich innerverbandliche Mehrheiten auch in der Normsetzung der partiell grundrechtsberechtigten Tarifvertragsparteien widerspiegeln. Berechtigtes Vertrauen kann ein Mitglied regelmäßig nur gegenüber dem mit ihm verbundenen Verband haben; gegenüber der in der Regel gegenläufige Interessen vertretenden anderen Tarifvertragspartei gibt es hierfür keine Grundlage. Die Zwecksetzungen einer Tarifvertragspartei in Bezug auf eine Tarifnorm müssen mit den Zwecksetzungen des jeweiligen sozialen Gegenspielers nicht übereinstimmen. Dem stehen bereits die ökonomischen und sozialen Zwänge der Tarifpartner und der zahlreichen Verbandsmitglieder sowie die Vielgestaltigkeit der Interessenkonflikte entgegen, die im Rahmen eines "Gesamtkompromisses Tarifvertrag" temporär befriedet werden. Der innerverbandliche Gleichbehandlungsgrundsatz verschafft den Verbandsmitgliedern im Falle einer möglichen Ungleichbehandlung durch den im Wege kollektiver Privatautonomie gefundenen Interessenausgleich danach regelmäßig keinen unmittelbaren Ersatzanspruch.
152(3) Der Bindung der Tarifvertragsparteien an Art. 3 Abs. 1 GG stehen weder Art. 1 Abs. 3 GG noch die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes entgegen. Die unmittelbare Grundrechtsbindung wurde mit unterschiedlichen Zielrichtungen im Parlamentarischen Rat diskutiert und blieb letztlich offen (siehe insbesondere die Debatte im Parlamentarischen Rat, Ausschuss für Grundsatzfragen, 26. Sitzung vom in: Bundesarchiv (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat 1948 - 1949, Akten und Protokolle, Bd. 5/I, 1993, S. 752 ff.; Lobinger, RdA 2024, S. 69 f.). Damit bleiben die Materialien zwar unergiebig. Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG kann aber auch nicht in einem Umkehrschluss entnommen werden, dass eine Grundrechtswirkung zwischen Privaten jenseits des dort ausdrücklich formulierten Anwendungsbereichs ausgeschlossen sei (so wohl aber Kemper, in: Huber/Voßkuhle, GG, Bd. 1, 8. Aufl. 2024, Art. 9 Rn. 219).
153c) Diese Grenze der Tarifautonomie folgt unmittelbar aus der Verfassung. Einer ausdrücklichen gesetzlichen Normierung der Folgen gleichheitswidriger Tarifnormen bedarf es nicht.
154Die verfassungsrechtliche Anforderung, dass der Gesetzgeber in den grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen muss (vgl. BVerfGE 49, 89 <126 f.>; 84, 212 <226>), gilt für das Verhältnis zwischen Bürger und Staat (vgl. BVerfGE 84, 212 <226>; 88, 103 <115 f.>). Bei Eingriffen in die grundrechtliche Freiheitssphäre unterliegt der Staat dem Vorbehalt des Gesetzes; er darf in weiten Bereichen nur tätig werden, wenn er durch Verfassung oder einfaches Gesetz dazu ermächtigt ist. Insbesondere im Bereich des Arbeitsrechts, in dem es um das Verhältnis gleichgeordneter Grundrechtsträger oder Beziehungen zwischen Privaten geht, muss die Ausformung nicht zwingend durch gesetzliche Regelungen erfolgen (vgl. BVerfGE 88, 103 <116>). Es ist dann Aufgabe der Rechtsprechung, sachgerechte Lösungen für das Verhältnis gleichgeordneter Grundrechtsträger zu entwickeln (vgl. BVerfGE 88, 103 <116>). Für den Bereich des Arbeitsrechts ist die historische Prägung des Verhältnisses der Kollektivparteien durch die Rechtsprechung zu berücksichtigen. Die Arbeitsgerichte sind insoweit berufen, das materielle Recht mit den anerkannten Methoden der Rechtsfindung aus den allgemeinen, zwischen Bürgern oder auch Privatverbänden geltenden Rechtsgrundlagen abzuleiten. Dies gilt auch dort, wo eine gesetzliche Regelung wegen einer verfassungsrechtlichen Schutzpflicht notwendig wäre (vgl. BVerfGE 84, 212 <226 f.>; 88, 103 <115 f.>), und zwar nicht nur für das Verhältnis der Koalitionen untereinander, sondern auch für die durch diese in kollektiver Privatautonomie getroffenen Tarifvereinbarungen im Verhältnis zu den mitgliedschaftlich verbundenen Normunterworfenen. Nur so können die Gerichte der ihnen vom Grundgesetz auferlegten Pflicht genügen, einerseits den vor sie gebrachten Rechtsstreit sachgerecht zu entscheiden (vgl. BVerfGE 84, 212 <226 f.>) und andererseits den Gestaltungsspielräumen der mitgliedschaftlich legitimierten Koalitionen Rechnung zu tragen. Aus dem Umstand, dass das Bundesverfassungsgericht mehrfach geäußert hat, dass die nähere Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit "Sache des Gesetzgebers" sei (vgl. BVerfGE 50, 290 <368 f.>; 57, 220 <245 ff.>), folgt nichts anderes (vgl. BVerfGE 84, 212 <226 f.>).
155Dies zugrunde gelegt, bedarf es weder für die Bindung der Koalitionen an Art. 3 Abs. 1 GG noch für die Wahrnehmung der Befugnisse, die die Grundrechtsbindung auslösen, einer gesetzlichen Ausgestaltung. Missachten die Koalitionen bei der Ausübung ihrer Koalitionsfreiheit die Grundrechtsbindung, ergeben sich die Folgen unmittelbar aus der Verfassung. Daher können Fachgerichte unter Hinweis auf die Grenzen der Tarifautonomie wegen des Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG als verfassungswidrig befundenen Tarifnormen die Geltung versagen und spezifische Rechtsfolgen zur Auflösung der Konfliktlage auch im Verhältnis der unmittelbar streitbeteiligten gleichgeordneten Grundrechtsträger, nämlich der tarifgebundenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, anordnen.
156Die in den Individualarbeitsprozessen aufgeworfenen Konfliktlagen sind letztlich eine Folge des ungeregelten Zustandes zwischen den von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifvertragsparteien untereinander sowie im Verhältnis zu den ihnen mitgliedschaftlich verbundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Diese mehrpoligen Verhältnisse sind trotz der bestehenden Grundrechtsrelevanz vom parlamentarischen Gesetzgeber nicht ausgestaltet worden und waren daher von den Gerichten für Arbeitssachen im Rahmen ihres Rechtsschutzauftrags zu konturieren. Die grundsätzliche Bindung der Tarifvertragsparteien an den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG (siehe Rn. 142-152) gebietet nicht nur die gerichtliche Kontrolle anhand dieses Maßstabes, sondern auch die gerichtliche Entscheidung über die Folgen eines Verstoßes im Individualrechtsstreit.
1573. Bei der Prüfung der in den Ausgangsverfahren gegenständlichen Tarifverträge hat das Bundesarbeitsgericht Art. 9 Abs. 3 GG verletzt.
158Die Bindung an den allgemeinen Gleichheitssatz erfordert zugleich den Zweck der Tarifautonomie, eine grundsätzlich autonome Aushandlung der Tarifregelungen zu ermöglichen, und den damit einhergehenden Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen (a); dies begrenzt die richterliche Kontrolldichte für die vorliegenden Regelungen auf eine Willkürkontrolle (b). Bei den aufgehobenen Zuschlagsregelungen liegt zwar eine Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG vor, unter Berücksichtigung der aus Art. 9 Abs. 3 GG folgenden Spielräume der Tarifvertragsparteien ist diese aber jedenfalls nicht gerichtlich als willkürlich zu beanstanden (c).
159a) Die Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien sichert hier einen elementaren Schutz von Gleichheit der tarifnormunterworfenen Koalitionsmitglieder angesichts der rechtsverbindlichen Wirkung der kollektiv ausgehandelten Tarifnormen. Sie muss als Element der Tarifautonomie zugleich deren Zweck berücksichtigen, eine grundsätzlich autonome Aushandlung der Tarifregelungen zu ermöglichen.
160aa) Den Tarifvertragsparteien stehen bei der Wahrnehmung der verfassungsrechtlich eröffneten Kompetenz zur Regelung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielräume zu (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 759/05 -, Rn. 57; vom - 1 BvR 488/10 -, Rn. 28 und vom - 1 BvR 2071/18 -, Rn. 16). Die Spielräume der Tarifvertragsparteien, die in der Koalitionsfreiheit fundiert und von den gesetzgeberischen Spielräumen zu unterscheiden sind, bilden sowohl eine Voraussetzung des von Art. 9 Abs. 3 GG auf der kollektiven Ebene geschützten autonomen Abschlusses von Tarifverträgen als auch eine Realisierungsbedingung der individuellen Freiheitsgewinne der Mitglieder, die durch die kollektive Verfolgung der eigenen Interessen ermöglicht werden. Mit der grundrechtlichen Garantie der Tarifautonomie wird ein Freiraum gewährleistet, in dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber ihre Interessengegensätze in eigener Verantwortung austragen können. Der Tarifvertrag stellt einen in einer spezifischen Verhandlungssituation gefundenen Verhandlungskompromiss dar, zu dessen Abschluss die sachnahen Tarifvertragsparteien durch die Verfassung ermächtigt werden. Es bleibt grundsätzlich den Tarifvertragsparteien aufgrund dieser Sachnähe und ihrer tarifpolitischen Kenntnisse überlassen, ob und für welche Bereiche sie spezifische Regelungen treffen und durch welche situationsbezogenen Kriterien diese ausgestaltet sind. Dabei dürfen sie auch Typisierungen und Generalisierungen vornehmen und müssen nicht die objektiv vernünftigste und sachgerechteste Lösung treffen. Die Tarifvertragsparteien sind sogar befugt, Regelungen zu treffen, die die Betroffenen im Einzelfall für ungerecht halten und die für Außenstehende nicht zwingend sachgerecht erscheinen (vgl. -, Rn. 19; vom - 10 AZR 397/20 -, Rn. 68 und vom - 6 AZR 256/22 -, Rn. 39). Fehlen im Bereich tariflicher Regelungen in tatsächlicher Hinsicht Erkenntnisse, schlägt sich dieser Prognosevorrang auch in der Reichweite des Spielraums nieder.
161bb) Dieser grundrechtlich geschützte Gestaltungsspielraum wird jedoch durch die Grundrechte der Mitglieder der Tarifvertragsparteien begrenzt, mit denen er in Ausgleich zu bringen ist. Die Gestaltungsspielräume der Tarifvertragsparteien sind im Ausgangspunkt umso weiter, je näher die geregelten Sachverhalte am Kernbereich von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen liegen. Wie weit die Gestaltungsspielräume der Tarifvertragsparteien im Einzelnen reichen, ist insbesondere abhängig von Regelungsgegenstand, Komplexität der Materie, den betroffenen Grundrechten sowie Art und Gewicht der Auswirkungen für die Tarifgebundenen. Die Gestaltungsspielräume sind insbesondere dann enger, wenn tarifvertragliche Differenzierungen an personenbezogene Merkmale anknüpfen oder Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Minderheiten betroffen sind und diese oder spezifische Gruppeninteressen systematisch vernachlässigt wurden. Indizien dafür können Regelungen sein, durch die insbesondere bei einer Gesamtbetrachtung der tarifvertraglichen Regelungen spezifische Schutzbedarfe systematisch übergangen werden oder hinsichtlich derer Anhaltspunkte für eine systematische Vernachlässigung von Minderheitsinteressen vorliegen. Die Vermutung der Richtigkeit des zwischen den Tarifvertragsparteien Ausgehandelten kann dann nicht greifen.
162b) Die gerichtliche Kontrolldichte in Bezug auf Tarifnormen am Maßstab der Grundrechte hängt von dem im Einzelfall bestehenden Spielraum der Tarifvertragsparteien ab.
163Bei Tarifnormen, deren Gehalte im Kernbereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen liegen und bei denen spezifische Schutzbedarfe oder Anhaltspunkte für eine Vernachlässigung von Minderheitsinteressen nicht erkennbar sind, ist die gerichtliche Kontrolle am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG angesichts der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Spielräume der Tarifvertragsparteien auf eine Willkürkontrolle beschränkt.
164aa) Willkür der Tarifvertragsparteien ist nicht schon dann zu bejahen, wenn sie unter mehreren Lösungen nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung treffen (vgl. für gesetzliche Regelungen BVerfGE 55, 72 <90>; 89, 132 <141 f.>). Tarifnormen sind nur dann willkürlich, wenn die ungleiche Behandlung der Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also ein einleuchtender Grund für die Differenzierung fehlt (vgl. für gesetzliche Regelungen BVerfGE 76, 256 <329>; 85, 176 <187>; 101, 275 <291>; 115, 381 <389>; 141, 1 <39 Rn. 94>). Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Unsachlichkeit der Differenzierung evident ist (vgl. für gesetzliche Regelungen BVerfGE 89, 132 <142>; 99, 367 <389>; 126, 331 <367>; 145, 106 <143 Rn. 101>; BVerfGE 168, 1 <49 Rn. 141> - Beteiligungsidentische Schwesterpersonengesellschaften).
165bb) Bei der Prüfung, ob differenzierende Tarifnormen den Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes standhalten, sind alle objektiven Gründe heranzuziehen. Es besteht kein Anlass, von den partiell grundrechtsberechtigten Tarifvertragsparteien, deren Aushandlungsprozess in besonderer Weise durch ein gegenseitiges Nachgeben in komplexen Regelungszusammenhängen geprägt ist, mehr zu verlangen als vom staatlichen Gesetzgeber.
166(1) Selbst beim Gesetzgeber kommt es nicht darauf an, ob die Gründe, die eine Differenzierung verfassungsrechtlich rechtfertigen sollen, im Gesetzgebungsverfahren erwogen und in den Materialien dokumentiert sind (vgl. BVerfGE 21, 292 <299>; 85, 238 <245>; 133, 1 <14 Rn. 46>). Nicht die subjektive Willkür des Gesetzgebers führt zur Feststellung eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, sondern die objektive Unangemessenheit der Norm im Verhältnis zu der tatsächlichen Situation, die sie regeln soll (vgl. BVerfGE 130, 131 <144>). Entscheidend ist, dass das Ergebnis des Gesetzgebungsverfahrens die Anforderungen des Grundgesetzes nicht verfehlt (vgl. BVerfGE 75, 246 <268>; 130, 131 <144>; 133, 1 <14 Rn. 46 >; 143, 246 <345 Rn. 279>; 163, 107 <138 f. Rn. 86>; siehe aber für die Beamtenbesoldung BVerfGE 130, 263 <301 f.>). Insoweit sind insbesondere auch nach dem gesetzgeberischen Willen naheliegende, aber in den Gesetzesmaterialien nicht benannte Gründe zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 151, 101 <136 Rn. 88 f.>).
167(2) Für die Tarifvertragsparteien gelten insoweit keine strengeren Grundsätze. Die durch Art. 9 Abs. 3 GG eröffnete Gestaltungskompetenz in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ist keinem grundrechtlich vorgegebenen Transparenzgebot unterworfen. Das tarifautonome Verhandlungsverfahren hat, insofern hinter den Anforderungen an die staatliche Gesetzgebung zurückbleibend, keine Vorgaben zu achten, die die Transparenz der Entscheidungsfindung und Entscheidung sicherstellen sollen (vgl. BVerfGE 143, 246 <345 f. Rn. 279>). Die Legitimation des Tarifvertrages liegt allein im mitgliedschaftlichen Verhältnis der Koalitionsmitglieder zu dem jeweils tarifschließenden Tarifpartner. Für eine Offenlegung der Gründe für eine Differenzierung wie überhaupt der Zwecksetzungen der Tarifvertragsparteien besteht weder eine Grundlage noch eine Notwendigkeit. Die Tarifvertragsparteien verfolgen bei der im Wege kollektiver Privatautonomie vorgenommenen Tarifnormsetzung häufig vielschichtige, von Motivbündeln getragene und keinesfalls notwendig einheitliche Zwecksetzungen. Sie sind das Ergebnis von Aushandlungsprozessen, die gerade in der Schlussphase oft von Kompromissen gekennzeichnet sind, die nicht in jedem Einzelpunkt stringente Zwecksetzungen aufweisen, sondern ein in seiner Gesamtheit für beide Verhandlungspartner noch tragfähiges Verhandlungsergebnis herbeiführen. Weil es allein um ein gemeinsam getragenes Verhandlungsergebnis, nicht aber um die ihm zugrunde liegenden Zwecke geht, sind weder die maßgeblichen noch etwa aus Sicht der Tarifvertragsparteien selbstverständliche weitere Zwecksetzungen notwendig zu verschriftlichen. Auch ein transparenzbezogenes Schutzbedürfnis der Normunterworfenen ist insofern nicht gegeben. Es ist diesen in Zweifelsfällen unbenommen, aus ihrer mitgliedschaftlichen Stellung heraus Anfragen an "ihre" beteiligte Vertragspartei zu stellen.
168(3) Bei der Prüfung der Frage, ob Tarifnormen mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar sind, müssen im Falle einer Willkürkontrolle nicht nur diejenigen rechtfertigenden Zwecksetzungen beachtet werden, die Niederschlag im Tariftext gefunden haben. Es ist vielmehr, insofern wie beim Gesetzgeber, ausreichend, dass sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender oder sachlich einleuchtender Grund für die differenzierenden Tarifregelungen finden lässt (vgl. -, Rn. 39; -, Rn. 66 ff.; anders -, Rn. 43 ff. und vom - 10 AZR 163/23 -, Rn. 52 ff.).
169c) Danach hat das Bundesarbeitsgericht bei der Prüfung der Tarifverträge Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG verletzt. Für die hier beanstandeten Zuschlagsregelungen war die gerichtliche Überprüfung am Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG nach den dargelegten Grundsätzen auf eine Willkürkontrolle beschränkt (aa). Das Bundesarbeitsgericht ist bei der Prüfung der Tarifvertragsregelungen am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG zwar zutreffenderweise jeweils von Ungleichbehandlungen ausgegangen (bb). Diese sind aber unter Berücksichtigung der aus Art. 9 Abs. 3 GG folgenden Spielräume der Tarifvertragsparteien nicht willkürlich und dementsprechend gerichtlich nicht zu beanstanden (cc).
170aa) Die Überprüfung der hier maßgeblichen Zuschlagsregelungen ist auf eine reine Willkürkontrolle beschränkt.
171(1) Die beanstandeten Zuschlagsregelungen zur Vergütung von Nachtarbeit beziehungsweise Nachtschichtarbeit liegen im Kernbereich der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Gestaltungskompetenz der Tarifvertragsparteien. Tarifliche Zuschlagsregelungen für Nachtarbeit beziehungsweise Nachtschichtarbeit sind weit verbreitet. Bei diesen Tarifbestimmungen sind grundlegende Elemente des Leistungsaustausches betroffen, die von der Richtigkeitsvermutung von Tarifverträgen in besonderer Weise erfasst werden (vgl. BVerfGE 94, 268 <285>). Sie dienen auch dem Gesundheitsschutz auf der gesicherten Grundlage, dass Nachtarbeit als solche gesundheitsschädlich ist.
172(2) Die differenzierenden Zuschlagsregelungen knüpfen auch nicht an personenbezogene Merkmale im Sinne des Art. 3 Abs. 3 GG an. Auch sonst sind keine Anzeichen gravierend fehlgehender Repräsentation gegeben. Die aus den Tarifnormen folgenden, hinsichtlich der Höhe der Zuschläge benachteiligenden Ungleichbehandlungen betreffen vielmehr ausweislich der Stellungnahmen in beiden Verfahren mit den Nachtschichtarbeitnehmern die ganz große Mehrheit der beschäftigten Mitglieder der Tarifparteien, die zur jeweils tariflich definierten Nachtzeit tätig werden. Nachtarbeit stellt dagegen in den Betrieben beziehungsweise Unternehmen, in denen Beschäftigung zur Nachtzeit stattfindet, in Relation zur Nachtschichtarbeit faktisch die absolute Ausnahme dar. Die mit einem möglichen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG verbundene Belastung der tarifgebundenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist mit Blick auf den Zuschlagscharakter der Tarifregelungen schließlich auch nicht besonders intensiv.
173bb) Die beanstandeten Tarifnormen bewirken eine Ungleichbehandlung.
174(1) Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Verboten ist auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird (vgl. BVerfGE 131, 239 <255>; 133, 377 <407 Rn. 73>; 162, 277 <305 Rn. 68> - Kindergeld für Drittstaatsangehörige; stRspr).
175(2) Danach bewirken die in den Ausgangsverfahren in die Prüfung einzustellenden Tarifregelungen (Verfahren zu I.: § 5 Nr. 4, Nr. 8, § 7 Nr. 2.2, Nr. 2.3, § 8 Nr. 4, Nr. 5, Nr. 6, § 9 Nr. 1 b), d), Nr. 4 MTV-I; Verfahren zu II.: § 3 III. Nr. 5, Nr. 6, § 4 Nr. 2, § 5 Nr. 1 c), Nr. 2 b), c), Nr. 3 MTV-II) eine Ungleichbehandlung zwischen Nachtarbeitnehmern und Nachtschichtarbeitnehmern (vgl. zu den Regelungen auch Rn. 13 ff., 34 ff.). Diese bilden zusammen die Gruppe der Beschäftigten zur jeweils spezifisch tarifvertraglich definierten Nachtzeit. Dieser vom Einschätzungsspielraum der Tarifvertragsparteien gedeckten Gruppenbildung ist bei der Prüfung der Tarifregelungen Rechnung zu tragen. Beide Gruppen sind, wie sich jeweils aus den Tarifverträgen ergibt, unterschiedlichen Regelungsregimen unterstellt.
176(a) Nach dem im Verfahren zu I. zugrundeliegenden Manteltarifvertrag erhalten Nachtschichtarbeitnehmer für die Tätigkeit zur tariflich definierten Nachtzeit einen Zuschlag in Höhe von 25 % (§ 9 Nr. 1 d) MTV-I), der bei einem Zusammentreffen mit weiteren Zuschlägen nicht angerechnet wird (§ 9 Nr. 4 MTV-I). Sie haben, soweit sie im Drei-Schicht-System (Früh-, Spät-, Nachtschicht in beliebiger Folge) arbeiten, einen Anspruch auf eine bezahlte 30-minütige Pause innerhalb einer Schicht (§ 5 Nr. 4 MTV-I). Die Regelung der Schichtarbeit erfolgt nach den betrieblichen Bedürfnissen im Einvernehmen mit dem Betriebsrat (§ 5 Nr. 8 Satz 3 MTV-I). Für Beschäftigte in Schichtarbeit endet die Arbeitszeit am Tage vor dem 1. Mai zweieinhalb Stunden früher ohne Entgeltausfall (§ 5 Nr. 8 MTV-I). Zur Abgeltung der in Nachtschicht auftretenden Erschwernisse und Belastungen wird den Nachtschichtarbeitnehmern bei ausschließlicher Nachtschichtarbeit vier Arbeitstage bezahlte Schichtfreizeit gewährt; für eine Tätigkeit im Zwei-Schicht-System (z.B. Früh-/Nacht- oder Spät-/Nachtschicht) erhalten Beschäftigte drei Arbeitstage bezahlte Schichtfreizeit (§ 7 Nr. 2.2, Nr. 2.3 MTV-I). Als Nachtschicht gilt nach § 8 Nr. 6 MTV-I die regelmäßig geleistete tägliche Arbeitszeit, die mit dem Betriebsrat gemäß Schichtplan vereinbart ist. Die Schichtarbeit soll ausweislich des Manteltarifvertrages mindestens fünf Tage dauern und ist den betreffenden Beschäftigten drei Tage vorher anzukündigen.
177Nachtarbeitnehmer erhalten nach § 9 Nr. 1 b) MTV-I einen Zuschlag in Höhe von 50 %. Treffen mehrere Zuschläge zusammen, so ist jeweils nur der höchste, bei gleicher Höhe nur ein Zuschlag, zu bezahlen (§ 9 Nr. 4 MTV-I). Nachtarbeit ist die in der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr geleistete Arbeit, soweit sie keine Schichtarbeit ist (§ 8 Nr. 5 MTV-I). Bei der Durchführung von Mehr-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit ist auf private und kulturelle Wünsche der Beschäftigten weitgehend Rücksicht zu nehmen (§ 8 Nr. 4 MTV-I).
178(b) Nach dem im Verfahren zu II. zugrundeliegenden Manteltarifvertrag erhalten Nachtschichtarbeitnehmer für die Tätigkeit zur tariflich definierten Zeit, das heißt von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr, einen Zuschlag in Höhe von 25 % (§ 5 Nr. 2 c) MTV-II), der bei einem Zusammentreffen mit weiteren Zuschlägen nicht angerechnet wird (§ 5 Nr. 3 b) MTV-II). Sie erhalten, soweit sie im Drei-Schicht-System arbeiten, für je 25 geleistete Nachtschichten eine Freischicht (§ 4 Nr. 2 MTV-II); im Zwei-Schicht-Wechsel für je 55 geleistete Spätschichten eine Freischicht (§ 4 Nr. 2 MTV-II). Ihnen muss in Betrieben, in denen im Zwei- beziehungsweise im Drei-Schicht-System gearbeitet wird, eine bezahlte Essenspause von 30 Minuten innerhalb der Arbeitszeit gewährt werden (§ 3 III. Nr. 6 MTV-II). Schichtarbeit wird betrieblich unter Mitbestimmung des Betriebsrates festgelegt (§ 3 III. Nr. 5 MTV-II).
179Nachtarbeitnehmer erhalten nach § 5 Nr. 2 b) MTV-II einen Zuschlag in Höhe von 50 %. Nachtarbeit ist die in der Zeit von 21.00 Uhr bis 6.00 Uhr geleistete Arbeit, soweit es sich nicht um Schichtarbeit handelt (§ 5 Nr. 1 c) MTV-II).
180(c) Nachtarbeit wird danach in beiden Tarifverträgen insbesondere durch einen erhöhten finanziellen Zuschlag kompensiert, während Nachtschichtarbeit zusätzlich insbesondere durch Schichtfreizeiten und bezahlte Pausen ausgeglichen wird. Auch hinsichtlich der Anrechnung von Zuschlägen treffen die Tarifverträge bezogen auf die gebildete Gruppe differenzierende Regelungen. Die Tarifnormen bewirken insofern eine Ungleichbehandlung.
181cc) Das Bundesarbeitsgericht verletzt aber bei der Prüfung der Tarifverträge Art. 9 Abs. 3 GG, denn die Ungleichbehandlungen der Nachtschichtarbeitnehmer und Nachtarbeitnehmer durch die Tarifnormen sind ausgehend von dem durch Art. 9 Abs. 3 GG für ihre Prüfung gebotenen Willkürmaßstab nicht zu beanstanden. Das Bundesarbeitsgericht verkennt bei Anwendung des Art. 3 Abs. 1 GG den aus Art. 9 Abs. 3 GG folgenden Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien. Es postuliert zwar in den angegriffenen Entscheidungen einen zurückgenommenen Prüfungsmaßstab; der Sache nach nimmt es aber eine detaillierte Prüfung vor und verkennt dabei, dass für die vorgenommenen tariflichen Differenzierungen unter Berücksichtigung der tariflichen Regelungskonzeptionen und der spezifischen Besonderheiten zum jeweiligen Zeitpunkt der Tarifnormsetzung sachliche Gründe objektiv erkennbar sind.
182Für die differenzierenden tariflichen Regelungen zur Nachtarbeit beziehungsweise Nachtschichtarbeit (Verfahren zu I.: § 5 Nr. 4, Nr. 8, § 7 Nr. 2.2, Nr. 2.3, § 8 Nr. 4, Nr. 5, Nr. 6, § 9 Nr. 1 b), d), Nr. 4 MTV-I; Verfahren zu II.: § 3 III. Nr. 5, Nr. 6, § 4 Nr. 2, § 5 Nr. 1 c), Nr. 2 b), c), Nr. 3 MTV-II) stellen jedenfalls die zwischen Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit bestehenden unterschiedlichen sozialen Belastungen in Folge der unterschiedlichen Planbarkeit, der Aspekt der Verteuerung von Nachtarbeit für den Arbeitgeber sowie die Erwägung, dass die Beschäftigten durch den erhöhten Zuschlag zur Erbringung von Nachtarbeit motiviert werden können, sachlich einleuchtende Gründe dar. Diese Zwecksetzungen sind von der Gestaltungskompetenz der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifvertragsparteien erfasst.
183(1) Für die differenzierenden Regelungen zu den Nachtarbeitszuschlägen nach § 9 Nr. 1 b), d) MTV-I liegen zureichende einleuchtende Sachgründe vor.
184Die Zuschläge für Nachtschichtarbeit beziehungsweise Nachtarbeit dienen insbesondere unter dem Aspekt der Verteuerung der Nachtarbeit dem Gesundheitsschutz. Für den Bereich der Nachtarbeit besteht eine Regelungspflicht des Gesetzgebers zum Schutz des objektiven Gehalts der Grundrechte, insbesondere des Rechts auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 85, 191 <212>). Der Gesetzgeber hat dem folgend in § 6 Abs. 5 ArbZG eine Regelung getroffen, die die Ausgestaltung des Ausgleichs für Arbeit zur Nachtzeit wegen der größeren Sachnähe vorrangig den Tarifvertragsparteien überlässt und nur subsidiär einen gesetzlichen Anspruch schafft (vgl. BAGE 173, 205 <219 Rn. 45>; -, Rn. 15; Baeck/Deutsch/Winzer, ArbZG, 4. Aufl. 2020, § 6 Rn. 81; Lorenz, in: Hahn/Pfeiffer/Schubert, Arbeitszeitrecht, 3. Aufl. 2024, § 6 ArbZG Rn. 111 ff.). Die hier relevanten tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen für Nachtarbeit beziehungsweise Nachtschichtarbeit sind entsprechende vorrangige Regelungen, die diesen Schutzzweck ersichtlich mit aufnehmen sollen und erfüllen.
185Inwieweit differenzierende Zuschlagsregelungen bei Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit auch mit Blick auf den sachlichen Grund Gesundheitsschutz gerechtfertigt sind, weil wissenschaftliche Erkenntnisse zu einer signifikant abnehmenden Gesundheitsschädlichkeit in Schichtplänen eingesetzter Beschäftigter im Verhältnis zu spontan oder kurzfristig eingesetzten Beschäftigten fehlen und teilweise extrahierte statistische Daten eine tendenziell geringere mentale Belastung bei Vorhersehbarkeit des Arbeitseinsatzes zur Nachtzeit aufzeigen (vgl. Amlinger-Chatterjee, Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt, 2016, S. 31; dies., Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt, 2017, S. 194 ff.), kann hier dahinstehen. Ein neben dem Gesundheitsschutz naheliegender Sachgrund für die Differenzierung der Zuschlagsregelungen wäre jedenfalls in der unterschiedlichen Auswirkung der Tätigkeit auf das soziale Leben infolge der unterschiedlichen Planbarkeit gegeben. Im Ausgangspunkt erhalten sowohl die Nachtarbeitnehmer als auch die Nachtschichtarbeitnehmer für die gesundheitlichen Folgen der Beschäftigung zur Nachtzeit einen Zuschlag von (zumindest) 25 %. Der lediglich den Nachtarbeitnehmern zustehende Zuschlag von zusätzlichen 25 % kann sich wegen der ihnen abverlangten höheren Flexibilität rechtfertigen. Bei Nachtschichtarbeitnehmern werden die Nachtschichten nicht nur mit der betrieblichen Interessenvertretung, dem gewählten Betriebsrat, durch einen Schichtplan vereinbart. Die Schichtarbeit, die mindestens fünf Tage dauern soll, ist den Nachtschichtarbeitnehmern ausweislich § 8 Nr. 6 Satz 3 Halbsatz 2 MTV-I auch drei Tage vorher anzukündigen. Diese Ankündigungsfrist ermöglicht bei objektiver Betrachtung eine bessere Planung der Familien- und Freizeitgestaltung. Soweit das Bundesarbeitsgericht diesen Grund nicht in die Prüfung einstellen will, weil er sich aus dem Tarifvertrag nicht ergebe und Schichtarbeitnehmer nicht "deutlich" besserstelle, verengt es die Prüfung bereits zu Unrecht auf nachweisbar von den Tarifvertragsparteien bezweckte Aspekte und verkennt, dass hier auch objektiv erkennbare und nachvollziehbare Gründe bei der Prüfung von Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten sind. Das Bundesarbeitsgericht berücksichtigt zudem nicht, dass die Tarifvertragsparteien im Hinblick auf den ihnen zukommenden Gestaltungsspielraum nicht die "beste" oder "vernünftigste" Lösung treffen müssen. Dass es bei Nachtarbeit gar keine tarifvertragliche Ankündigungsfrist gibt, stellt die Beschäftigten im Hinblick auf ihre Zeiteinteilung schlechter; auf die "Wesentlichkeit" der Schlechterstellung kommt es nicht entscheidend an.
186Im Übrigen geht auch die Argumentation des Bundesarbeitsgerichts, den Regelungen in § 7 Nr. 2.1 und § 9 Nr. 4 MTV-I könne nicht entnommen werden, dass die Tarifvertragsparteien mit dem erhöhten Zuschlag für Nachtarbeit (§ 9 Nr. 1 b) MTV-I) auch die sozialen Belastungen der außerplanmäßigen Nachtarbeit ausgleichen wollten, fehl. Die tarifvertraglichen Regelungen der § 7 Nr. 2.1 und § 9 Nr. 4 MTV-I befassen sich mit spezifischen Situationen, nämlich den Belastungen durch die Nachtschicht/Wechselschicht (§ 7 Nr. 2.1 MTV-I) und der Anrechnung von Zuschlägen (§ 9 Nr. 4 MTV-I). Dass in § 7 MTV-I von Nachtarbeit keine Rede ist, weist lediglich den Willen der Tarifvertragspartei zur Regelung der Nachtschichtarbeit aus; für einen Tarifwillen, der dem erhöhten Nachtarbeitszuschlag den Zweck des Ausgleichs fehlender Planbarkeit abspricht, fehlen hinlängliche Anhaltspunkte. Die Regelungssystematik bei Nachtschichtarbeit legt vielmehr den gegenläufigen Schluss nahe, nämlich dass die Tarifvertragsparteien die in geringerem Umfang anfallenden sozialen Belastungen der Nacht- beziehungsweise Wechselschicht nicht nur finanziell, sondern auch durch spezifische Schichtfreizeiten ausgleichen wollten. Denn die Tarifvertragsparteien haben die jeweiligen Belastungen durch Nacht- und Wechselschichtarbeit ausweislich § 7 Nr. 2 MTV-I differenziert betrachtet; für eine Tätigkeit im Drei-Schicht-System beziehungsweise in ausschließlicher Nachtschichtarbeit (§ 7 Nr. 2.2 MTV-I) haben sie einen höheren Umfang bezahlter Schichtfreizeit vereinbart als bei einer Tätigkeit im Zwei-Schicht-System (§ 7 Nr. 2.3 MTV-I). Dass die Tarifpartner mit dieser Nuancierung auch ausgleichen wollten, dass eine Tätigkeit im Drei-Schicht-System beziehungsweise in ausschließlicher Nachtschichtarbeit typischerweise mit höheren sozialen Belastungen einhergeht, ist nicht fernliegend.
187Auch die Annahme des Bundesarbeitsgerichts, § 9 Nr. 4 MTV-I stehe dem sachlichen Grund "Ausgleich fehlender Planbarkeit" durch den erhöhten Nachtarbeitszuschlag entgegen, verfängt nicht. § 9 Nr. 4 MTV-I, der eine Anrechnung mehrerer Zuschläge regelt, soweit keine Schicht-, Schmutz- und Erschwerniszulagen betroffen sind, bildet nur eine - gegriffene - Regelung in einem umfassenden und ausdifferenzierten Regelungssystem für Nachtschichtarbeit und Nachtarbeit. § 9 Nr. 4 MTV-I für sich genommen eine Bedeutung zuzumessen, die ohne Berücksichtigung des austarierten Gesamtsystems erfolgt, ist mit den Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielräumen der Tarifvertragsparteien nicht vereinbar.
188Entgegen der Annahme des Bundesarbeitsgerichts steht einer Rechtfertigung der differenzierenden Nachtarbeitszuschläge über die unterschiedliche Beschränkung der sozialen Teilhabe auch nicht die Regelung des § 8 Nr. 4 MTV-I entgegen. Danach muss der Arbeitgeber auf die "privaten und kulturellen Wünsche der Beschäftigten" bei Durchführung von Nachtarbeit weitgehend Rücksicht nehmen. Das Bundesarbeitsgericht versteht die Regelung als eine tarifvertragliche Beschränkung der Arbeitgeberseite bei Ausübung des billigen Ermessens im Rahmen des Weisungsrechts. Diese Auslegung ist aber keinesfalls zwingend. Es liegt mindestens ebenso nahe, davon auszugehen, dass durch § 8 Nr. 4 MTV-I dem Arbeitgeber lediglich aufgegeben wird, auf die privaten und kulturellen Wünsche weitgehend Rücksicht zu nehmen; das aus § 106 Satz 1 Gewerbeordnung (GewO) folgende Weisungsrecht wird dann im Hinblick auf diese lediglich deklaratorische Regelung weder erweitert noch beschränkt (sogenannte unechte Direktionsrechtserweiterung) (vgl. BAGE 148, 16 <22 f. Rn. 29>; Preis, in: ErfK, 24. Aufl. 2024, § 106 GewO Rn. 17, für die Nachtarbeit Rn. 31 f.). Anders als bei Nachtschichtarbeit, die nach Maßgabe des § 8 Nr. 6 Satz 2 MTV-I im Rahmen eines Schichtplans mit der kollektiven Interessenvertretung im Betrieb - dem Betriebsrat - vereinbart wird, gibt es bei außerordentlicher Nachtarbeit grundsätzlich aufgrund der Unregelmäßigkeit des Einsatzes keine tariflich vorgesehene vorausschauende und kontinuierliche Planung. § 8 Nr. 4 MTV-I stellt dann vor diesem Hintergrund lediglich klar, dass die Interessen der Nachtarbeitnehmer bei Anordnung der Nachtarbeit trotzdem über die Ermessensausübung des Arbeitgebers strukturell gesichert werden. Einer billigem Ermessen entsprechenden Weisung zur Nachtarbeit hat ein Arbeitnehmer dann aber gleichwohl trotz entgegenstehender Interessen nachzukommen. Gegen eine zwingende Beachtung der privaten und kulturellen Wünsche spricht neben dem Wortlaut ("Wünsche"; "weitgehend") auch der Sinn und Zweck der Nachtarbeit. Durch Nachtarbeit sollen - wie die eingeholten Stellungnahmen belegen - im Notfall gerade Produktionsprozesse und eine Maschinenauslastung gesichert werden; hiermit unvereinbar wäre es, eine Anordnung stets und unabhängig von betrieblichen Interessen an private beziehungsweise kulturelle Wünsche der Beschäftigten zu knüpfen.
189Bei objektiver Betrachtung kommt neben dem Ausgleich fehlender Planbarkeit als Zweck der differenzierenden Zuschlagsregelungen entgegen der Annahme des Bundesarbeitsgerichts auch die Verteuerung der Nachtarbeit für den tarifgebundenen Arbeitgeber als naheliegender sachlicher Grund in Frage. Dass Nachtarbeit grundsätzlich vermieden werden soll, ändert nichts an dem Umstand, dass sie erforderlich werden und dann - wie die fehlende Ankündigungsfrist verdeutlicht - besondere Belastungen auslösen kann. Im Hinblick hierauf kann es legitim sein, dass die Tarifvertragsparteien diese Form der nächtlichen Betätigung durch tarifliche Regelungen mit höheren Zuschlägen versehen, um so zugleich den Arbeitgeber zu einer weitestmöglichen vorausschauenden Planung des Produktionsprozesses zu bewegen.
190Den tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen kann auch die naheliegende Zwecksetzung, Arbeitnehmer zur ungeplanten Nachtarbeit zu motivieren, nicht von vornherein abgesprochen werden. Dass Nachtarbeit im Interesse des Gesundheitsschutzes vermieden werden soll, führt nicht dazu, dass ein erhöhter Zuschlag nicht zu ihrer Vornahme motivieren darf. Gerade wenn die Nachtarbeit aus betrieblichen Gründen zwingend notwendig ist, bedarf es eines Anreizes für die Beschäftigten, sich hierzu bereitzuerklären. Dass Ausgleichsregelungen im Sinne von § 6 Abs. 5 ArbZG die Nachtarbeit verringern und nicht ausdehnen sollen, steht diesen parallel verfolgten Zwecken nicht entgegen.
191Den differenzierenden Zuschlagsregelungen kann schließlich der Zweck entnommen werden, das Zusammentreffen von Mehrarbeit und Nachtarbeit rechnerisch abzubilden. Eine solche Aufsummierung liegt grundsätzlich in der Typisierungskompetenz der Tarifvertragsparteien. Sie sind nicht verpflichtet, die beiden Bestandteile in die Systematik der ansonsten differenziert anfallenden Zuschläge einzupassen.
192(2) Auch für die differenzierenden Regelungen zu den Nachtarbeitszuschlägen nach § 5 Nr. 2 b), c) MTV-II im Verfahren zu II. liegen die Sachgründe, die im Verfahren zu I. als mögliche Rechtfertigungsgründe für die differenzierenden Zuschlagsregelungen dargelegt wurden, vor.
193Die differenzierenden Zuschlagsregelungen können insbesondere durch die von der Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien gedeckte Zwecksetzung, einen Ausgleich der Auswirkungen auf das soziale Leben aufgrund der fehlenden Planbarkeit zu schaffen, gerechtfertigt sein. Das Bundesarbeitsgericht verengt auch hier die Prüfung zu Unrecht auf Zwecksetzungen, die im Tarifvertrag Niederschlag gefunden haben (siehe Rn. 165 ff.). Es übersieht, dass aus dem Umstand, dass die Tarifpartner die Zuschlagsregelung für Nachtarbeit in § 5 Nr. 2 b) MTV-II nicht mit dem Zusatz "regelmäßig/unregelmäßig" versehen haben, kein Rückschluss auf die Planbarkeit der dort in Bezug genommenen Nachtarbeit gezogen werden kann. Auch aus dem Vergleich zu den Regelungen der Nachtschichtarbeit kann nicht abgeleitet werden, dass hinsichtlich der Nachtarbeit nicht die unregelmäßige Nachtarbeit im Zentrum stand. Der Manteltarifvertrag versieht weder die Nachtschichtarbeit noch die Nachtarbeit mit der Bezeichnung "(un-)regelmäßig". Dass den Tarifvertragsparteien die Bedeutung dieses Zusatzes bekannt war, zeigen die differenzierenden Regelungen, die verschiedentlich hierauf Bezug nehmen (vgl. § 5 Nr. 1 e) MTV-II: "Freier Tag bei regelmäßiger Sonntagsarbeit"; § 4 Nr. 2 MTV-II: "Wechselschichtarbeit liegt vor, wenn ein regelmäßiger Wechsel des Schichtbeginns … erfolgt"). Die in § 5 Nr. 2 b) MTV-II gefasste Formulierung "Nachtarbeit" könnte insofern jedenfalls auch auf den Willen der Tarifvertragsparteien zur Regelung der nicht ausdrücklich für "regelmäßig" bewerteten Nachtarbeit hindeuten. Es ist weiter nicht nachvollziehbar, wieso die Tarifvertragsparteien den Betriebsparteien eine Mitbestimmung bei (Nacht-)Schichtarbeit ausdrücklich zugestehen sollten, für die "regelmäßige" Nachtarbeit - die mit ungleich höheren sozialen und insbesondere gesundheitlichen Belastungen verknüpft sein dürfte - aber hiervon absähen. Aufgabe der Betriebsparteien ist gerade, wie das Bundesarbeitsgericht klarstellt, regelmäßig wiederkehrende Beschäftigungen zur Vermeidung von Konflikten in Plänen abzubilden. Hinzu kommt, dass Nachtarbeit in Form "regelmäßiger" Nachtarbeit in der Tarifpraxis sehr selten vorkommt. Eine "regelmäßige" Nachtarbeit wäre im Hinblick auf den erhöhten Zuschlag im Regelfall weniger wirtschaftlich; bekanntermaßen nachts zu verrichtende Tätigkeiten könnten ohne Not der planmäßigen Nachtschicht zugewiesen werden. Der bei Gesamtbetrachtung des Tarifvertrags und Berücksichtigung der Tarifpraxis zumindest objektiv erkennbare Zweck des Ausgleichs der zumindest im Vergleich zur Nachtschichtarbeit eingeschränkteren Planbarkeit von Nachtarbeit ist damit möglicher Rechtfertigungsgrund für den höheren Zuschlag.
194Neben dem Ausgleich der fehlenden Planbarkeit kommen als weitere Zwecksetzungen auch hier die Verteuerung der Nachtarbeit für den Arbeitgeber, Motivationserwägungen sowie ein Ausgleich für die zeitgleich erfolgte Mehrarbeit als sachliche Gründe in Frage (siehe Rn. 185-191).
1954. Die angegriffenen Urteile des Bundesarbeitsgerichts verletzen Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG im Übrigen auch durch den für den angenommenen Gleichheitsverstoß herangezogenen Rechtsfolgenausspruch mit Wirkung für die Vergangenheit in beiden Verfahren und für die Zukunft im Verfahren zu I. Das Gewicht des Grundrechts der Beschwerdeführerinnen zu I. 1. und II. 1. aus Art. 9 Abs. 3 GG wird in den Urteilen bei ihrer Rechtsfolgenbestimmung ("Anpassung nach oben") verkannt, weil sie die in einem solchen Fall grundsätzlich bestehende primäre Korrekturkompetenz der Tarifvertragsparteien bei verschiedenen Möglichkeiten zur Beseitigung einer Ungleichbehandlung (a) missachten (b).
196a) Die Bestimmung der Rechtsfolgen von im Individualverfahren für tarifgebundene Arbeitsverhältnisse festgestellten Verstößen von Tarifnormen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz betrifft neben den individuellen Arbeitsvertragsparteien auch die Tarifvertragsparteien (aa). Die Gerichte müssen deshalb zwar Rechtsschutz zugunsten der Streitparteien gewährleisten, gleichzeitig dabei aber auch den grundrechtlichen Gestaltungsspielraum der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifvertragsparteien als Normgeber beachten, in dessen Schutz auch die Koalitionsmitglieder als Tarifnormunterworfene einbezogen sind und der sich in einer primären Korrekturkompetenz beim Vorliegen verschiedener Möglichkeiten der Abhilfe ausdrücken kann (bb). Ob und inwieweit den Tarifvertragsparteien hinsichtlich der Rechtsfolgen der Ungleichbehandlung ein Gestaltungsspielraum und damit eine primäre Korrekturkompetenz zusteht, ist von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig (cc).
197aa) Bei der inzidenten gerichtlichen Kontrolle von Tarifregelungen müssen die Gerichte eine Konfliktlage in einem mehrpoligen Rechtsverhältnis bewältigen. An diesem sind im Individualverfahren die tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien beteiligt, die jeweils Träger der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten individuellen Koalitionsfreiheit sind und sich als solche auf die "Früchte ihrer Mitgliedschaft" berufen können (siehe Rn. 108, 147). Macht ein Mitglied einer Tarifvertragspartei wegen für gleichheitswidrig erachteter Tarifnormen Rechtsansprüche gestützt auf ihn nicht erfassende Tarifbestimmungen gegen seine tarifgebundene Gegenseite geltend, geht es zunächst um ein individuelles Interesse an einer Vergünstigung, die von der tarifvertraglichen Vereinbarung und damit von der kollektiv privatautonom getroffenen Verteilung der "Früchte aus den Mitgliedschaften" abweicht. Es steht dabei notwendig inzident die durch die Tarifvertragsparteien als Grundrechtsträger für eine Vielzahl von tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen getroffene verbindliche Vorgabe auf dem Prüfstand. Indem das Individualverfahren zwischen den Streitparteien auf eine einseitige und individuelle Erweiterung des kollektiv privatautonom verhandelten Tarifergebnisses zweier Tarifpartner zielt, betrifft es zugleich regelmäßig auch das Interesse anderer Verbandsmitglieder und der Tarifvertragsparteien am Fortbestand der Tarifnormen sowie die grundrechtlich geschützte Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien bei der Tarifnormsetzung (vgl. Rn. 160 f.). Diese Gestaltungsfreiheit wird nicht nur durch die Entscheidung über die Ungültigkeit der Tarifnormen betroffen, sondern auch durch die Entscheidung über die Rechtsfolgen eines angenommenen Verstoßes. Denn durch jede inhaltliche Regelung erfolgt eine gerichtliche Gestaltung für einen Bereich, den die Koalitionen in Ausübung ihrer Koalitionsfreiheit ausdrücklich privatautonom regeln wollten (vgl. auch Schlachter, in: Festschrift für Günter Schaub, 1998, S. 651 ff.).
198bb) Ungeachtet dieser mehrpoligen Konfliktlage muss eine Rechtsfolgenbestimmung unmittelbar im Individualrechtsstreit erfolgen. Die Parteien des Individualrechtsstreits haben aus dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Justizgewährungsanspruch nicht nur einen Anspruch auf eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes, sondern auch auf eine verbindliche Entscheidung durch die Gerichte (vgl. BVerfGE 54, 277 <291>; 107, 395 <401>; 108, 341 <347>). Verstoßen im Wege kollektiv ausgeübter Privatautonomie zustande gekommene Tarifnormen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, können sich die Gerichte für Arbeitssachen im Parteiprozess, der insbesondere auf Zahlung gerichtet ist, wegen der Bindung an die gestellten Anträge (§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO) deshalb nicht auf die Feststellung eines solchen Verstoßes beschränken (vgl. Löwisch/Rieble, TVG, 4. Aufl. 2017, § 1 Rn. 984 f.; Jacobs/Malorny, in: Festschrift für Martin Henssler, 2023, S. 279 <290>), sondern müssen über die konkret gestellten Anträge befinden. Dabei scheidet auch eine der Rechtsfolgenbestimmung vorausgehende Überprüfung der Tarifnormen im Wege der Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG aus (vgl. für die staatliche Tarifnormsetzung beiden Satzungsbestimmungen der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder BGHZ 174, 127 <175 Rn. 140>; Dederer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 100 Rn. 95 (Apr. 2024); Jarass/Pieroth, GG, 18. Aufl. 2024, Art. 100 Rn. 11; krit. insoweit Schmidt, in: ErfK, 24.Aufl. 2024, GG, Einl. Rn. 19).
199Bei der Bestimmung der Rechtsfolgen gleichheitswidriger Tarifnormen müssen die Gerichte gleichwohl die Koalitionsfreiheit der Tarifvertragsparteien und insbesondere deren Spielräume in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beachten (so im Ergebnis auch -, Rn. 19; stRspr; für die staatliche Tarifnormsetzung bei den Satzungsbestimmungen der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder BGHZ 174, 127 <178 f. Rn. 149 f.>; vgl. Söllner, NZA 1996, S. 897 <902 f.>; Wiedemann/Peters, RdA 1997, S. 100 <107>; Schlachter, in: Festschrift für Günter Schaub, 1998, S. 651 <660 f.>; Sachs, RdA 1989, S. 25 <35>; Löwisch/Rieble, TVG, 4. Aufl. 2017, § 1 Rn. 985; Kleinebrink, NZA 2019, S. 1458 <1462 f.>). Wenn die Tarifvertragsparteien von ihrer grundrechtlich geschützten Regelungsbefugnis zur Ordnung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch Tarifverträge Gebrauch gemacht haben, setzt sich dieser grundrechtliche Gestaltungsspielraum bei der Tarifnormsetzung (siehe Rn. 160 f.) im Falle verschiedener Möglichkeiten zur Beseitigung der Ungleichbehandlung als grundsätzlich primäre Korrekturkompetenz fort. Die erforderliche partielle Neuordnung der Arbeits- und Wirtschaftsbeziehungen zur Beseitigung einer Unvereinbarkeit von Tarifnormen mit der Verfassung ist auch im Rahmen der Rechtsfolgenbestimmung im Individualprozess im Ausgangspunkt den Tarifpartnern als ursprünglichen Normgebern zu überlassen (vgl. für die staatliche Tarifnormsetzung bei den Satzungsbestimmungen der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder BGHZ 174, 127 <178 f. Rn. 149 f.>). Nur so werden der Legitimationsgrund des Tarifvertrages, seine spezifische Entstehungsweise in einem von staatlichem Einfluss freizuhaltenden Verfahren sowie die Folgen für die grundsätzlich vom Anwendungsbereich des Tarifvertrages erfassten Tarifnormunterworfenen beachtet. Der zwischen den Tarifvertragsparteien im Wege paritätischer Verhandlungen erzielte Tarifvertrag ist ein unter dem Vorbehalt des im Verhandlungszeitpunkt finanziell Möglichen getroffener "Kompromiss", der durch die privatautonomen Beitrittsentscheidungen der Mitglieder der Tarifvertragsparteien legitimiert ist (vgl. -, Rn. 18 m.w.N.; stRspr; Hartmann, C., Gleichbehandlung und Tarifautonomie, 1994, S. 207 ff.; Herbert/Braun, NZA-RR 2020, S. 617 f.). In ihn sind ökonomische und soziale Erwägungen aus der bei Vertragsschluss vorherrschenden Tarifpraxis eingestellt worden. Er zeigt den Verbandsmitgliedern den in der spezifischen Verhandlungssituation beiderseits vertretbaren Dotierungsrahmen auf und löst entsprechende personelle und wirtschaftliche Planungen aus (vgl. Wiedemann/Peters, RdA 1997, S. 100 <107>). Die tarifgebundenen Parteien des Individualarbeitsvertrags können sich als Mitglieder der Koalitionen auf die "Früchte ihrer Mitgliedschaft" nicht nur hinsichtlich der vereinbarten Tarifnormen berufen. Sie können auch an einer Korrektur der grundrechtswidrigen Tarifnormen durch die Tarifvertragsparteien partizipieren.
200Soweit sich nicht aus dem Tarifvertrag selbst bereits die von den Tarifvertragsparteien gewollte Regelung ergibt und den Tarifvertragsparteien vielmehr verschiedene Möglichkeiten zur Beseitigung des Gleichheitsverstoßes offenstehen, müssen sie deshalb jedenfalls die Chance zur tarifvertraglichen Korrektur erhalten. Die Gerichte dürfen in diesen Fällen also nicht unmittelbar eine rechtlich individuell verbindliche und faktisch mittelbar auf gleich gelagerte Anwendungsfälle ausstrahlende Neuregelung zur Herstellung der gebotenen Gleichbehandlung treffen. Sie sind im Individualrechtsstreit bei gleichheitswidrigen Vergütungsregelungen zu einer "Anpassung nach oben", also zur Ausweitung der begünstigenden Regelung auch auf die benachteiligte Personengruppe nur dann berechtigt, wenn das spezifische tarifautonome Gestaltungsermessen zur Beseitigung des Gleichheitsverstoßes auf der Ebene des Entschließungs- und des Auswahlermessens auf eine einzige Gestaltungsmöglichkeit, nämlich die Vergünstigung für beide (Personen-)Gruppen, reduziert ist (vgl. auch BAGE 50, 137 <146>; vgl. Hartmann, C., Gleichbehandlung und Tarifautonomie, 1994, S. 118, 223, 228 f.; Wiedemann/Peters, 1997, S. 100 <107>; Schlachter, in: Festschrift für Günter Schaub, 1998, S. 651 <660 ff.>; Sachs, RdA 1989, S. 25 <35>). Die sekundäre gerichtliche Korrekturkompetenz vollzieht in solchen Fällen nur, was die Tarifvertragsparteien ohnehin in spezifischer Weise regeln müssen.
201cc) Inwieweit Gestaltungsspielräume der Tarifvertragsparteien bei der Korrektur der Ungleichbehandlung bestehen und damit eine primäre Korrekturkompetenz zu beachten ist, ist jeweils im Einzelfall zu bestimmen. Dabei ist in sachlicher Hinsicht insbesondere das tarifliche Regelungssystem (1) und in zeitlicher Hinsicht insbesondere ein eventuell bestehender Vertrauensschutz der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifnormunterworfenen zu berücksichtigen (2).
202(1) In sachlicher Hinsicht lässt sich ein tarifvertraglicher Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz häufig in verschiedener Weise beheben.
203Ein sachlicher Gestaltungsspielraum liegt regelmäßig vor, wenn es um eine Regelung im Tarifvertrag geht, bei der eine Gruppe von Beschäftigten bewusst aus dem sachlichen Anwendungsbereich herausgenommen worden ist und der alleinige Bezugspunkt der Ungleichbehandlung diese Tarifnorm ist. Die Tarifvertragsparteien können den Gleichheitsverstoß hier insbesondere durch Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs auf die nicht erfasste Gruppe, durch eine generelle Nichtanwendung der Regelung für den begünstigten und nicht erfassten belasteten Personenkreis oder durch eine umfassende tarifliche Neuregelung auflösen (vgl. für die staatliche Tarifnormsetzung bei den Satzungsbestimmungen der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder BVerfGE 124, 199 <234 f.>).
204Ein Gestaltungsspielraum liegt regelmäßig auch dann vor, wenn sich die verfassungswidrige Ungleichbehandlung der Personengruppen aus einer bei Gesamtbetrachtung des Tarifkomplexes festgestellten Gleichheitswidrigkeit zweier Regelungssysteme ergibt. Hier sind Bezugspunkt der Nichtigkeit die Regelungssysteme in der konkret gefassten Gestalt (vgl. Creutzfeldt/Eylert, ZfA 2020, S. 239 <274 ff.>; so auch Lobinger, RdA 2024, S. 69 <77 f.>). Als potentiell gleichheitswidrig können sich hierbei alle Tarifnormen erweisen, die ersichtlich in einem Zusammenhang mit der unmittelbar streitbefangenen Tarifbestimmung stehen und ebenfalls zur unterschiedlichen Regelung des die Personengruppen verbindenden Sachverhalts beitragen. Dass die einzubeziehenden Tarifnormen jeweils eine "spezifische" - im Sinne einer sachlich abschließenden und auf die Unterschiede der Personengruppen abzielende - Regelung treffen, ist nicht erforderlich. Es genügt vielmehr, dass mit diesen Regelungen zumindest auch die benachteiligte Vergleichsgruppe erfasst sein kann, so dass sich deren Lage mit Blick auf den verbindenden Sachverhalt verändert. Bei einer solchen Ungleichbehandlung im Schnittpunkt von Regelungssystemen haben die Tarifvertragsparteien regelmäßig vielfältige Gestaltungsoptionen, insbesondere können sie grundsätzlich Regelungssysteme streichen, diese jeweils in sich geschlossen neu regeln, die Regelungssysteme sachlich erweitern oder das Verhältnis der Regelungssysteme zueinander neu gewichten.
205(2) In zeitlicher Hinsicht ist bei der Bestimmung von Gestaltungsspielräumen insbesondere ein eventuell bestehender Vertrauensschutz zu berücksichtigen. Dabei ist zwischen den Rechtsfolgen für die Vergangenheit und den Rechtsfolgen für die Zukunft zu unterscheiden. Während der Gestaltungsspielraum hinsichtlich einer Neuregelung für die Zukunft regelmäßig nicht durch einen Vertrauensschutz der Tarifnormunterworfenen begrenzt wird (a), kommt diesem bei der Neuregelung für die Vergangenheit eine höhere Bedeutung zu (b).
206(a) Für eine tarifliche Neuregelung mit Wirkung für die Zukunft ab der gerichtlichen Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG wird ein sachlich gegebener Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien bei der zwingenden Beseitigung dieses Gleichheitsverstoßes regelmäßig nicht durch einen Vertrauensschutz begrenzt. Auch andere Zwecke engen ihren Gestaltungsspielraum bei einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz regelmäßig nicht ein.
207Tarifvertraglichen Regelungen ist der Vorbehalt ihrer nachträglichen Änderung durch Tarifvertrag immanent (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2071/18 -, Rn. 9; -, Rn. 34 m.w.N.). Diese Änderungen können grundsätzlich mit Nachteilen für die Tarifgebundenen, auch für die abhängig Beschäftigten, verbunden sein (vgl. -, Rn. 34 m.w.N. und vom - 5 AZR 27/22 -, Rn. 44; Bayreuther, NZA 2019, S. 1684 <1686>; Creutzfeldt/Eylert, ZfA 2020, S. 239 <281>). Für Tarifnormen gilt hier jedenfalls kein weitergehender Vertrauensschutz als für den Fortbestand von Gesetzen. Die bloß allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, genießt dort im Regelfall keinen verfassungsrechtlichen Schutz (vgl. BVerfGE 127, 1 <17>; 131, 20 <39 f.>; 132, 302 <319 Rn. 45>; 148, 217 <256 Rn. 138>; 157, 177 <201 Rn. 53> - Vorausgezahlte Erbbauzinsen; 165, 103 <139 Rn. 103> - Vororganschaftliche Mehrabführungen). Die Tarifvertragsparteien sind bei einer in der Vergangenheit positiv geregelten Materie zwar regelmäßig einer politisch-gesellschaftlichen Erwartung hinsichtlich einer korrigierenden Neuregelung sowie einem dahingehenden Druck des jeweiligen sozialen Gegenspielers ausgesetzt. Ein solcher Druck ist tarifpolitischen Auseinandersetzungen aber eigen. Er begründet weder verfassungsrechtlich relevante Vertrauenspositionen, noch begrenzt er in anderer Weise die Tarifautonomie der Tarifvertragsparteien. Diesen steht es grundsätzlich frei, in der Vergangenheit normativ besetzte Regelungsgegenstände vorbehaltlich selten bestehender rechtlicher Pflichten fortan ungeregelt zu lassen oder diese entsprechend den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen auf eine neue Grundlage zu stellen. Für die Zukunft ist das Gestaltungsermessen der Tarifvertragsparteien unter Berücksichtigung von Vertrauensschutzaspekten nur im Ausnahmefall auf null reduziert (vgl. Hartmann, C., Gleichbehandlung und Tarifautonomie, 1994, S. 90 f., 125).
208Eine Begrenzung des Gestaltungsspielraums, aus der sich unmittelbare gerichtliche Rechtsfolgenaussprüche legitimieren könnten, folgt auch nicht aus anderen Anforderungen, etwa einer Sanktionierung oder Prävention des erfolgten Grundrechtsverstoßes. Der hier allein betroffene allgemeine Gleichheitssatz enthält keine Wertungen, die neben der Beseitigung des Grundrechtsverstoßes auch eine spezifische Abschreckungs- oder Präventionswirkung der Rechtsfolgen verlangen (vgl. Wiedemann, Gleichbehandlungsgebote im Arbeitsrecht, 2001, S. 85 ff.; dazu auch Löwisch/Rieble, TVG, 4. Aufl. 2017, § 1 Rn. 954 f.).
209Angesichts des für die Zukunft bestehenden Gestaltungsspielraums der Tarifvertragsparteien kommt daher eine gerichtliche Folgenbeseitigung bei gleichheitswidrigen Tarifnormen durch eine "Anpassung nach oben" regelmäßig nicht für die Zukunft, sondern allenfalls für die Vergangenheit in Betracht (vgl. Hartmann, C., Gleichbehandlung und Tarifautonomie, 1994, S. 223; Schlachter, in: Festschrift für Günter Schaub, 1998, S. 651 <662 f.>; Sachs, RdA 1989, S. 25 <35>; so auch Löwisch/Rieble, TVG, 4. Aufl. 2017, § 1 Rn. 981).
210(b) Doch auch bei einer tariflichen Neuregelung mit Wirkung für die Vergangenheit, also für den Zeitraum vor der gerichtlichen Feststellung eines Gleichheitsverstoßes, besteht für die Tarifvertragsparteien grundsätzlich ein Gestaltungsspielraum (aa). Dieser kann allerdings insbesondere durch einen Vertrauensschutz der Tarifnormunterworfenen begrenzt sein (bb).
211(aa) Die Tarifvertragsparteien sind grundsätzlich aus der grundrechtlich geschützten Regelungsbefugnis folgend auch dazu berechtigt, vereinbarte Tarifnormen mit Wirkung für die Vergangenheit zu ändern (vgl. zuletzt BAGE 169, 163 <179 Rn. 35>; Hartmann, C., Gleichbehandlung und Tarifautonomie, 1994, S. 223-236 m.w.N.; Meyer, RdA 1998, S. 142-155; Beckers, ZTR 1999, S. 145-151 mit Verweis auf BAGE 78, 309-333; Houben, Die Rückwirkung von Tarifverträgen, 2006, S. 50, 175 ff.; Deinert/Wenckebach, in: Däubler, TVG, 5. Aufl. 2022, § 4 Rn. 11-21; Treber, in: Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 20. Aufl. 2023, § 202 Rn. 27 ff.). Sie dürfen als private Normgeber den Zeitpunkt des Inkrafttretens eines Tarifwerks in die Vergangenheit legen oder bestehenden Tarifbestimmungen einen anderen Inhalt verleihen (vgl. Houben, Die Rückwirkung von Tarifverträgen, 2006, S. 50, 175; Deinert/Wenckebach, in: Däubler, TVG, 5. Aufl. 2022, § 4 Rn. 11-21; Treber, in: Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 20. Aufl. 2023, § 202 Rn. 27 ff.). Der Geltungsgrund des Tarifvertrages, der im privatautonomen Verbandsbeitritt der Koalitionsmitglieder liegt, schließt eine rückwirkende Änderung von Tarifnormen nicht aus. Ein solcher Ausschluss beschränkte die den Tarifpartnern durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Gestaltungsbefugnis und die Chance, ein für die Koalitionsmitglieder insgesamt vorteilhaftes Ergebnis zu erarbeiten, erheblich. Sie wären in ihren Möglichkeiten, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu fördern und zu bewahren, behindert. Dass die Freiheitsausübung der Koalitionen regelmäßig mit einer Erhaltung und Verbesserung der wirtschaftlichen Stellung der tarifgebundenen Beschäftigten als Koalitionsmitglieder einhergeht, schließt nicht aus, dass diese etwa im Interesse einer Arbeitsplatzsicherung beziehungsweise einer Standortsicherung durch eine Beschränkung bereits entstandener Ansprüche auch verkürzt werden kann (vgl. BAGE 78, 309-333). Dass die durch Tarifnormen begründeten Ansprüche nicht nur entstanden sind, sondern bereits abgewickelt wurden, steht einem rückwirkenden Eingriff ebenfalls nicht von vornherein entgegen (vgl. -, Rn. 76; offengelassen noch bei BAGE 78, 309 <332>; Houben, Die Rückwirkung von Tarifverträgen, 2006, S. 293 f.). Grundsätzlich eröffnet die Befugnis zu einer rückwirkenden tarifvertraglichen Regelung bei gleichheitswidrigen Entgeltregelungen daher auch die Möglichkeit, neben einer "Anpassung nach oben" eine Vereinheitlichung der Zuschläge (möglicherweise kombiniert mit einer tariflichen Rückgewährpflicht; krit. insoweit Hartmann, C., Gleichbehandlung und Tarifautonomie, 1994, S. 231 f.) oder eine nach Dauer oder Lage gestufte Regelung vorzunehmen (vgl. Höpfner, Die Rechtmäßigkeit der tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen für geleistete Nachtarbeit am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG, März 2020, S. 60-64; Jacobs/Malorny, in: Festschrift für Martin Henssler, 2023, S. 279 <288 f.>) oder im Falle umstrittener Zwecke der Ungleichbehandlung im Wege einer Nachtragsvereinbarung zum Tarifvertrag deklaratorisch die verfolgten Zwecke klarzustellen. Mit der Verankerung dieser bereits bei Tarifabschluss verfolgten Zwecksetzung würde dem unterstellten Gleichheitsverstoß die Grundlage entzogen. Da hiermit nicht zwingend eine inhaltliche Neuregelung einherginge (vgl. hierzu -, Rn. 19 und vom - 9 AZR 81/16 -, Rn. 25), stellte sich eine Rückwirkungsproblematik regelmäßig nicht (vgl. Houben, Die Rückwirkung von Tarifverträgen, 2006, S. 50 f.; Löwisch/Rieble, TVG, 4. Aufl. 2017, § 1 Rn. 1002; Deinert/Wenckebach, in: Däubler, TVG, 5. Aufl. 2022, § 4 Rn. 27).
212Eine rückwirkende Änderungsbefugnis steht den von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifvertragsparteien jedenfalls zu, wenn sie von ihrer primären Korrekturkompetenz zur Herstellung einer Gleichbehandlung bei gegebenen Verstößen gegen Art. 3 Abs. 1 GG Gebrauch machen (vgl. auch Neuner, ZfA 1998, S. 83 <97>; Löwisch/Rieble, TVG, 4. Aufl. 2017, § 1 Rn. 1025).
213Angesichts der mit der rückwirkenden Regelungskompetenz verbundenen Gestaltungsspielräume kann hier offenbleiben, ob die Tarifvertragsparteien insbesondere bei einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG zur rückwirkenden Neuregelung gleichheitswidriger Tarifnormen für die Laufzeiten der Tarifverträge in spezifischer Art und Weise verpflichtet sind. Zwar drängt Art. 3 Abs. 1 GG auf die Herstellung verfassungsgemäßer Zustände auch für die Vergangenheit. Es ist aber zu berücksichtigen, dass der Tarifvertrag regelmäßig eine umfangreiche Kompromisslösung der Tarifvertragsparteien zur Ordnung der Arbeits- und Wirtschaftsbeziehungen darstellt, in den die ökonomischen und sozialen Erwägungen aus der bei Vertragsschluss bestehenden spezifischen Verhandlungssituation der Tarifvertragsparteien eingegangen sind und den beiderseits vertretbaren Dotierungsrahmen bestimmt haben, der entsprechende personelle und wirtschaftliche Planungen ausgelöst hat (vgl. Wiedemann/Peters, RdA 1997, S. 100 <107>). Diese Konsequenzen sind auch für den Verbleib der Verbandsmitglieder im Verband beziehungsweise ihren Beitritt hierzu maßgeblich. Eine generelle rückwirkende Neuregelungspflicht der Tarifpartner bezogen auf den Zeitpunkt der Tarifabschlüsse infolge eines Gleichheitsverstoßes weichte den situativen Kompromisscharakter des Tarifvertrages auf, brächte Verwerfungen in der auf den Dotierungsrahmen abgestimmten Gesamtregelung mit sich und senkte durch eine Erweiterung des Finanzierungsrahmens den Anreiz für die Tarifpartner, von vornherein den "Kampf um den gerechten Preis" effektiv zu führen (vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, 1997, § 16, S. 676; Bepler, in: Festschrift für Ingrid Schmidt, 2021, S. 67 <78 f.>). Eine Erweiterung des Dotierungs- und Kostenrahmens tritt damit in Konflikt mit dem Gestaltungsfreiraum der Tarifvertragsparteien (vgl. Schmidt, in: ErfK, 24. Aufl. 2024, Art. 3 GG Rn. 58).
214Dass die mit der rückwirkenden Regelungskompetenz grundsätzlich verbundenen Gestaltungsspielräume auch bei der Beseitigung von Gleichheitsverstößen nicht entfallen, zeigt schon der Vergleich zum Gesetzgeber (vgl. auch schon Rn. 160, 166). Der Gesetzgeber ist bei der Feststellung der Unvereinbarkeit einer Norm mit Art. 3 Abs. 1 GG zwar grundsätzlich verpflichtet, die Rechtslage rückwirkend, bezogen auf den in der gerichtlichen Feststellung genannten Zeitpunkt, verfassungsgemäß umzugestalten (vgl. BVerfGE 73, 40 <101>; 105, 73 <134>; 130, 263 <312 f.>; 131, 239 <265>; 166, 196 <288 Rn. 244 f.> - Gefangenenvergütung II). Von dieser Verpflichtung sind allerdings selbst für den Gesetzgeber Ausnahmen anerkannt, so im Interesse verlässlicher Finanz- und Haushaltsplanung bei haushaltswirtschaftlich bedeutsamen Normen (vgl. BVerfGE 93, 121 <148>; 105, 73 <134>; 117, 1 <70>; 125, 175 <258>; 131, 239 <265>; 166, 196 <288 Rn. 244 f.>) oder in Fällen, in denen die Verfassungsrechtslage zuvor nicht hinreichend geklärt und dem Gesetzgeber aus diesem Grund eine angemessene Frist zur Schaffung einer Neuregelung zu gewähren war (vgl. BVerfGE 125, 175 <258>). Die Tarifvertragsparteien sind mit Blick auf die von Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie jedenfalls nicht enger gebunden als der staatliche Gesetzgeber.
215Einer umfassenden rückwirkenden Regelungspflicht der Tarifvertragsparteien bei der festgestellten Gleichheitswidrigkeit von Tarifnormen stünden zudem schon die regelmäßig vereinbarten tariflichen Verfallsklauseln als tarifliche Besonderheit entgegen (siehe hierzu Rn. 229).
216(bb) Der grundsätzliche Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien bei der Beseitigung des Gleichheitsverstoßes durch rückwirkende Regelung kann allerdings durch den Vertrauensschutz beschränkt sein.
217Insbesondere bei einer gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßenden Vergütungsregelung sind die Zahlungen für die bevorteilte Gruppe zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung regelmäßig bereits ohne Vorbehalt geleistet. Im Gegensatz zur Regelung für die Zukunft kann eine Gleichbehandlung deshalb grundsätzlich nicht durch vollständigen Regelungsverzicht für alle betroffenen Gruppen mit umfassender Wirkung für die Vergangenheit erfolgen. Es kann insbesondere einerseits ein Vertrauen in den Behalt der gewährten Leistungen auf Arbeitnehmerseite und andererseits in die Stabilität des Dotierungsrahmens des Tarifvertrags auf Arbeitgeberseite zu berücksichtigen sein.
218(α) Bei der Tarifnormsetzung mit Wirkung für die Vergangenheit sind die partiell grundrechtsgebundenen Tarifvertragsparteien zwar nicht unmittelbar an Art. 20 Abs. 3 GG gebunden (vgl. Löwisch/Rieble, TVG, 4. Aufl. 2017, § 1 Rn. 1000; Jacobs, in: Wiedemann, TVG, 9. Aufl. 2023, Einl. Rn. 530; a.A. BAGE 115, 304 <314 Rn. 37>). Sie haben aber bei der rückwirkenden Normsetzung im Wege kollektiver Privatautonomie strukturell vergleichbare Vorgaben wie der Gesetzgeber zu beachten (so auch -, Rn. 32 m.w.N.; Löwisch/Rieble, TVG, 4. Aufl. 2017, § 1 Rn. 1000 m.w.N.; Ulber, in: Däubler, TVG, 5. Aufl. 2022, Einl. Rn. 613 ff.; Jarass/Pieroth, GG, 18. Aufl. 2024, Art. 9 Rn. 55; Franzen, in: ErfK, 24. Aufl. 2024, § 4 TVG Rn. 19) und müssen die dogmatischen Wurzeln des Rückwirkungsverbots für Gesetze, den Vertrauensschutz und das Gebot der Rechtssicherheit, beachten (vgl. Löwisch/Rieble, TVG, 4. Aufl. 2017, § 1 Rn. 1001; Jacobs, in: Wiedemann, TVG, 9. Aufl. 2023, Einl. Rn. 519 f. m.w.N.). Treffen die Tarifparteien Regelungen, die bei staatlicher Normsetzung die Voraussetzungen einer echten Rückwirkung erfüllten, ist das Vertrauen der Normunterworfenen grundsätzlich schützenswert.
219(β) Der Vertrauensschutz ist anders als im Verhältnis zwischen Staat und Bürgern bei Tarifnormen allerdings doppelseitig und den tarifnormunterworfenen Koalitionsmitgliedern auf beiden Vertragsseiten zu gewähren. Entsprechend besteht keine durch Vertrauensschutz vorgegebene Regelung in den Fällen, in denen sich sowohl die tarifgebundenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als auch die tarifgebundenen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber auf ihn berufen können (vgl. Hartmann, C., Gleichbehandlung und Tarifautonomie, 1994, S. 235 f.; Schlachter, in: Festschrift für Günter Schaub, 1998, S. 651 <662>; Houben, Die Rückwirkung von Tarifverträgen, 2006, S. 216 f.; Löwisch/Rieble, TVG, 4. Aufl. 2017, § 1 Rn. 1005 f., 1021; wohl auch Deinert/Wenckebach, in: Däubler, TVG, 5. Aufl. 2022, § 4 Rn. 36; a.A. Däubler/Hege, Tarifvertragsrecht, 2. Aufl. 1981, Rn. 146, 202). Berechtigtes Vertrauen in die Geltung und den Bestand der tariflichen Rechtslage können beide tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien insbesondere für sich in Anspruch nehmen, soweit sie nicht mit einer Änderung rechnen mussten (vgl. Hartmann, C., Gleichbehandlung und Tarifautonomie, 1994, S. 234 ff.; Schlachter, in: Festschrift für Günter Schaub, 1998, S. 651 <662>; Houben, Die Rückwirkung von Tarifverträgen, 2006, S. 216 f.; Löwisch/Rieble, TVG, 4. Aufl. 2017, § 1 Rn. 1005 f., 1015, 1021; wohl auch Deinert/Wenckebach, in: Däubler, TVG, 5. Aufl. 2022, § 4 Rn. 36; a.A. Däubler/Hege, Tarifvertragsrecht, 2. Aufl. 1981, Rn. 146, 202; zu den Konstellationen, in denen schutzwürdiges Vertrauen fehlen kann, im Einzelnen Deinert/Wenckebach, in: Däubler, TVG, 5. Aufl. 2022, § 4 Rn. 40 f. m.w.N.). Es ist im Einzelfall abzuwägen, ob das Vertrauen der einen Seite höher zu gewichten ist als dasjenige der anderen.
220b) Der hier bestehenden primären Korrekturkompetenz der Tarifvertragsparteien tragen die angegriffenen Urteile nicht hinreichend Rechnung. Sie lassen sich nicht auf einen Tarifwillen gründen (aa), verkennen das jeweilige tarifliche Regelungskonzept und die damit verbundenen Gestaltungsspielräume zur Korrektur (bb) und nehmen in verfassungsrechtlich zu beanstandender Weise auf Rechtsfolgenebene eine "Anpassung nach oben" vor, obwohl sich das tarifautonome Gestaltungsermessen in den zu entscheidenden Verfahren weder für die Zukunft noch für die Vergangenheit auf eine solche Regelung verdichtet hat (cc). Das Bundesarbeitsgericht durfte daher eine hierauf gestützte Rechtsfolge weder in Gestalt eines Zahlungsanspruches noch im Rahmen einer stattgebenden Feststellung ausurteilen (dd).
221aa) Die Rechtsfolge einer "Anpassung nach oben" konnte für beide hier gegenständliche Tarifverträge nicht auf einen Willen der Tarifvertragsparteien gestützt werden. Die höher dotierte Nachtarbeit ist nach den insoweit übereinstimmenden Stellungnahmen in den unter den Anwendungsbereich der Tarifverträge fallenden Betrieben die absolute Ausnahme, während Nachtschichtarbeit verbreitet vorkommt. Auf Nachtarbeit wird nur in wenigen Fällen - die mitgeteilten Daten variieren bei genereller Betrachtung zwischen einer Quote von 0,2 % und einer solchen von 2,56 % - zurückgegriffen. Dieses quantitative Verhältnis der Beschäftigungsformen - Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit - ist ausweislich der Stellungnahmen bekannt und dürfte auch den tarifschließenden Kommissionen bei Vertragsschluss und Aufstellung der differenzierenden Regelungssysteme bewusst gewesen sein. Dass die Tarifvertragsparteien in Kenntnis der Gleichheitswidrigkeit der Zuschlagsregelung über die Nachtschichtarbeit pauschal einen Zuschlag in Höhe von 50 % für alle Nachtarbeitnehmer zusätzlich zu den übrigen tariflichen Regelungen abgeschlossen hätten, liegt mit Blick auf die faktische Beschäftigungssituation und die damit bewirkte erhebliche Ausweitung des Dotierungsrahmens nicht auf der Hand.
222bb) Die angegriffenen Gerichtsentscheidungen tragen zudem den tariflichen Regelungskonzepten im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung nicht hinreichend Rechnung. Die unterstellten Gleichheitsverstöße ergeben sich aus dem Vergleich zweier Regelungssysteme - der Nachtschichtarbeit und der Nachtarbeit -, für welche die Tarifverträge jeweils ausdifferenzierte Regelungen vorsehen, zu denen auch, aber nicht nur, reine Zuschläge zählen. Ob die für Nachtschichtarbeit getroffenen Regelungen zu Schichtfreizeiten "spezifische" Ausgleichsregelungen zur Nachtschichtarbeit darstellen und damit Teil des Bezugssystems Nachtschichtarbeit sind, ist dabei unerheblich. Ausreichend ist, dass die Regelungen zur Schichtfreizeit jedenfalls objektiv auch dem Ausgleich der durch die Beschäftigung zur Nachtzeit entstehenden Belastungen dienen können. Durch den in den angegriffenen Entscheidungen zur Rechtsfolgenbestimmung herangezogenen Verweis allein auf das Bezugssystem "Zuschlagsregelungen" wird nicht nur das jeweilige tarifliche Regelungskonzept und das den Tarifvertragsparteien in Bezug auf die Regelung der Nachtarbeit zustehende Wahlrecht verkannt, sondern es droht hierdurch auch eine mit dem originären Tarifwillen unvereinbare Besserstellung der Nachtschichtarbeitnehmer.
223cc) Das Bundesarbeitsgericht verletzt die Koalitionsfreiheit der Beschwerdeführerinnen zu I. 1. und II. 1. durch den Rechtsfolgenausspruch, weil sich das tarifautonome Gestaltungsermessen nicht auf eine "Anpassung nach oben" verdichtet hat.
224(1) Soweit das Bundesarbeitsgericht in dem angegriffenen Urteil vom dem auf die Zukunft gerichteten Feststellungsantrag stattgegeben hat, übergeht die angefochtene Entscheidung die von Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG geschützte tarifautonome Gestaltungsentscheidung. Die Tarifvertragsparteien sind nicht gehalten, an den beanstandeten Zuschlagsregelungen zur Nachtschichtarbeit beziehungsweise Nachtarbeit auch zukünftig festzuhalten (vgl. oben Rn. 206 ff.). Besondere Aspekte der Schutzwürdigkeit auf Seiten der Tarifnormunterworfenen in einen weiterhin unveränderten Bestand der Tarifrechtslage, die eine ausnahmsweise Aufhebung der grundsätzlichen Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien für die Zukunft rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Der verfassungsrechtlich gebotene Gesundheitsschutz wird schon durch § 6 Abs. 5 ArbZG aufgegriffen. Ob die Tarifvertragsparteien die bestgeeignete Regelung zur Beseitigung der unterstellten Gleichheitsverstöße mit Sicherheit getroffen hätten, ist unerheblich. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte, die Verhandlungsbereitschaft und Verhandlungskompetenz der sachnäheren Tarifvertragsparteien zu beurteilen.
225(2) Das Bundesarbeitsgericht verletzt schließlich Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG, soweit es in beiden Entscheidungen auf Rechtsfolgenebene jeweils eine "Anpassung nach oben" für die Vergangenheit annimmt. Die Voraussetzungen, unter denen sich eine Regelungspflicht für die Vergangenheit durch eine "Anpassung nach oben" durch Zahlung eines Zuschlags in Höhe von 50 % ergeben könnte, liegen nicht vor (a). Ein solches Gebot folgt insbesondere auch nicht aus dem Vertrauensschutz (b).
226(a) Den Tarifvertragsparteien kam hier, eine Gleichheitswidrigkeit der Tarifnormen unterstellt, ein Gestaltungsspielraum für den Zeitraum vor der Feststellung des Gleichheitsverstoßes zu. Selbst wenn man die engen Maßstäbe zu Grunde legte, die hinsichtlich einer rückwirkenden Regelung für den Gesetzgeber gelten, wäre eine generelle "Anpassung nach oben" nicht zwingend gewesen. Denn die Frage, ob und in welchem Umfang Tarifvertragsparteien beim Abschluss von Tarifnormen an Art. 3 Abs. 1 GG gebunden sind, war jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt verfassungsrechtlich nicht geklärt. Die generelle rückwirkende Beseitigung eines unterstellten Gleichheitsverstoßes durch eine nach oben angepasste Zuschlagsregelung erweiterte auch das Finanzvolumen der Tarifverträge zum Komplex "Nachtarbeit" mit unmittelbarer Wirkung für die Normunterworfenen erheblich, weil die höher bezuschlagte Nachtarbeit in der betrieblichen Praxis zuvor nur ausnahmsweise herangezogen worden war (vgl. oben Rn. 221).
227Den Tarifvertragsparteien standen zudem im Ausgangspunkt mehrere Regelungsmöglichkeiten zur Verfügung, den unterstellten Gleichheitsverstoß auch für die Vergangenheit für eine Vielzahl tarifgebundener Arbeitsverhältnisse zu beseitigen (vgl. nur oben Rn. 211). Es hätte ihnen zudem freigestanden, im Wege einer Nachtragsvereinbarung zum Tarifvertrag deklaratorisch klarzustellen, dass der höhere Nachtarbeitszuschlag insbesondere dem Ausgleich der fehlenden Planbarkeit dient (vgl. Rn. 211). Ob und gegebenenfalls in welchen Fallkonstellationen von einer rückwirkenden Korrektur abgesehen werden darf (dazu bereits Rn. 211), ist hier nicht zu entscheiden.
228(b) Die durch die angegriffenen Entscheidungen angeordneten Rechtsfolgenbestimmungen der "Anpassung nach oben" in Gestalt eines Zuschlags für Nachtschichtarbeit in Höhe von 50 % mit Wirkung für die Vergangenheit war auch durch den Vertrauensschutz nicht geboten. Es kann dabei offenbleiben, ob ein Vertrauensschutz in die Tarifrechtslage für die Vergangenheit mit Blick auf die Entscheidung des (BAGE 162, 230) und das hieran anknüpfende Verhalten der Sozialpartner angenommen oder abgelehnt wird (vgl. hierzu Höpfner, Die Rechtmäßigkeit der tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen für geleistete Nachtarbeit am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG, März 2020, S. 67). Der Vertrauensschutz gölte mangels entgegenstehender Umstände jedenfalls wechselseitig für die tarifgebundenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Er kann folglich kein Gebot der "Anpassung nach oben" begründen.
229Nichts anderes folgt aus den in den Manteltarifverträgen enthaltenen Verfallsklauseln. Tarifliche Verfallsklauseln sind typischerweise Gegenstand von Tarifverträgen. Sie bilden das Bedürfnis nach einer Verkürzung der Verjährungsfristen bei Massengeschäften ab und sollen zu der im Arbeitsleben besonders gebotenen raschen Klärung von Ansprüchen und Bereinigung offener Streitpunkte führen (vgl. BAGE 154, 252 <262 f. Rn. 37>; -, Rn. 16; Gaul, Tarifliche Ausschlussfristen, 1964, S. 40; Bayreuther, in: Wiedemann, TVG, 9. Aufl. 2023, § 4 Rn. 450 f.). Sie stellen von Art. 9 Abs. 3 GG erfasste Regelungen dar und sind als privatautonome Selbstbeschränkungen grundsätzlich nicht von Verfassungs wegen zu beanstanden (vgl. BVerfGK 4, 137 <141>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1682/07 -, Rn. 24). Dass etwaigen Rückforderungsansprüchen im Individualarbeitsverhältnis die tariflichen Verfallsklauseln entgegenstehen können, kann aber nicht als Anker für eine spezifische Regelungspflicht der Tarifvertragsparteien bei der Nachtschichtarbeit herangezogen werden. Die Verfallsklausel wirkt ebenso wechselseitig. Die fehlende Entzugsmöglichkeit zugunsten der vermeintlich Begünstigten aufgrund der im Wege kollektiver Privatautonomie gesetzten Verfallsklausel bildet das Pendant zur fehlenden Zahlungsobliegenheit zugunsten der vermeintlich begünstigten Arbeitgeber bei nicht rechtzeitiger Geltendmachung. Etwaigen Rückabwicklungsschwierigkeiten im Verhältnis der Koalitionsmitglieder zueinander haben aber primär die sachnäheren und insoweit gestaltungsbefugten Tarifvertragsparteien etwa durch beschränkte "Reparaturregelungen", tarifliche Rückgewährpflichten oder Modifikationen der Verfallsfristenregelungen zu begegnen.
230dd) Es bestand hiervon ausgehend keine Grundlage, um in den angegriffenen Entscheidungen den auch gegenüber den Beschwerdeführerinnen zu I. 1. und II. 1. von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien durch die gerichtliche Anordnung einer "Anpassung nach oben" zu überspielen. Es hätte auch im Falle einer Gleichheitswidrigkeit deshalb zunächst den Tarifvertragsparteien Gelegenheit gegeben werden müssen, einen schonenden Ausgleich der widerstreitenden Positionen im Wege einer autonomen Verhandlung zu erzielen. Hierfür bietet das Prozessrecht hinreichende Möglichkeiten (vgl. etwa zur Aussetzung Hartmann, C., Gleichbehandlung und Tarifautonomie, 1994, S. 249 ff.; Brecht-Heitzmann, in: Kempen/Zachert, TVG, 5. Aufl. 2014, Grundl. Rn. 564; Löwisch/Rieble, TVG, 4. Aufl. 2017, § 1 Rn. 985; Kleinebrink, NZA 2019, S. 1458 <1463>; Jacobs/Malorny, in: Festschrift für Martin Henssler, 2023, S. 279 <290>; Schmidt, in: ErfK, 24. Aufl. 2024, Art. 3 GG Rn. 59; Hergenröder, in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht-Kommentar, 11. Aufl. 2024, Art. 3 GG Rn. 63).
III.
231Das durch die Verfassungsbeschwerde zu II. 1. gerügte Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistet hier keinen weitergehenden Schutz, als aus Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG folgt. Da die Verfassungsbeschwerden schon wegen der Verletzung von Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG durch die angegriffenen Entscheidungen Erfolg haben, kann jedenfalls dahinstehen, ob die angegriffenen Urteile des Bundesarbeitsgerichts zugleich Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG beziehungsweise im Verfahren zu II. Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG verletzen.
D.
232Die Urteile des Bundesarbeitsgerichts sind wegen der Verletzung von Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG aufzuheben. Die Sachen werden gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG an das Bundesarbeitsgericht zurückverwiesen (vgl. BVerfGE 124, 199 <235>).
E.
233Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
F.
234Die Entscheidung ist hinsichtlich der Begründung mit 7 : 1 Stimmen ergangen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2024:rs20241211.1bvr110921
Fundstelle(n):
DAAAJ-85714