Internationales | Beschränkung der Niederlassungsfreiheit bei Auseinanderfallen von Satzungs- und Verwaltungssitz einer Gesellschaft (EuGH)
Die
Art. 49 und 54
AEUV sind dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines
Mitgliedstaats entgegenstehen, die generell vorsieht, dass sein nationales
Recht auf die Verwaltungshandlungen einer Gesellschaft anwendbar ist, die ihren
Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, den überwiegenden Teil ihrer Tätigkeit
jedoch im erstgenannten Mitgliedstaat entfaltet ().
Hintergrund: Die Niederlassungsfreiheit ist eines der Grundprinzipien des Unionsrechts. Nach Artikel 49 Abs. 2 AEUV in Verbindung mit Artikel 54 AEUV umfasst die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften u.a. das Recht, solche Gesellschaften nach den im Recht des Niederlassungsmitgliedstaats festgelegten Bedingungen zu gründen und zu leiten. Der EuGH hat diese Freiheit dahingehend ausgelegt, dass sie das Recht einer nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft umfasst, sich in eine dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegende Gesellschaft umzuwandeln, sofern die nach den Rechtsvorschriften dieses anderen Mitgliedstaats festgelegten Voraussetzungen erfüllt sind und insbesondere das von diesem anderen Mitgliedstaat angewandte Kriterium zur Bestimmung der Verbindung einer Gesellschaft mit seiner nationalen Rechtsordnung erfüllt ist.
Sachverhalt und Verfahrensverlauf: Ein italienisches Unternehmen war Eigentümer eines in Italien belegenen Schlosses. Der Geschäftszweck des Unternehmens war die Verwaltung dieses Eigentums. Die Gesellschaft verlegte ihren Sitz von Italien nach Luxemburg und wurde folglich in eine luxemburgische Gesellschaft umgewandelt und neu gegründet, während diese das Schloss in Italien weiter betrieb. Das Unternehmen übertrug das Eigentum an dem Schloss auf Dritte und erhob im Nachgang Klage und beantragte die Aufhebung der Eigentumsübertragung an dem Schloss, da diese nach italienischem Recht rechtswidrig sei. Die Klage hatte vor dem italienischen Gericht keinen Erfolg. Demnach sei italienisches Recht auf Gesellschaften anwendbar, deren „Hauptgeschäftssitz“ sich in Italien befindet. Das Schloss als einziger Vermögenswert des Unternehmens befindet sich in Italien, weshalb auf die in Rede stehende Eigentumsübertragung italienisches Recht anwendbar sei. Nachdem das Berufungsgericht in Italien das Urteil dieses Gerichts aufhob, legten die Erwerber des Eigentums an dem Schloss hiergegen Berufung ein.
Dem EuGH wurden die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Stehen die Art. 49 und 54 AEUV der Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, die generell vorsieht, dass sein nationales Recht auf die Verwaltungshandlungen einer Gesellschaft anwendbar ist, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, aber den überwiegenden Teil ihrer Tätigkeit im erstgenannten Mitgliedstaat entfaltet?
Die Richter des EuGH beantworten die Fragen wie folgt:
Der vorliegende Fall fällt unter die Niederlassungsfreiheit. Art. 49 AEUV in Verbindung mit Art. 54 AEUV erweitert nämlich die Niederlassungsfreiheit auf Gesellschaften, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründet wurden und ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Europäischen Union haben.
Dies trifft im vorliegenden Fall zu. Das Unternehmen wurde als luxemburgische Gesellschaft gegründet, hat seinen Sitz in Luxemburg und übt den Großteil seiner Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat, nämlich Italien, aus.
Alle Maßnahmen, die die Ausübung der Niederlassungsfreiheit verhindern, behindern oder weniger attraktiv machen, sind als Beschränkungen dieser Freiheit im Sinne von Art. 49 AEUV anzusehen.
Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nur zulässig, wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Außerdem muss sie geeignet sein, die Erreichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (vgl. Marks & Spencer, C 446/03 , EU:C:2005:763 , Rn. 35).
Eine nationale Regelung, wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, geht über das hinaus, was zur Erreichung des Schutzes der Interessen erforderlich ist.
Der bloße Umstand, dass eine Gesellschaft zwar ihren satzungsmäßigen Sitz in einem Mitgliedstaat hat, aber den Großteil ihrer Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat entfaltet, kann nicht die Grundlage für eine allgemeine Vermutung des Vorliegens von Betrug sein und kann keine Maßnahme rechtfertigen, die die Ausübung einer durch den Vertrag garantierten Grundfreiheit beeinträchtigt.
Die Art. 49 und 54 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die generell vorsieht, dass sein nationales Recht auf die Verwaltungshandlungen einer Gesellschaft anwendbar ist, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, den überwiegenden Teil ihrer Tätigkeit jedoch im erstgenannten Mitgliedstaat entfaltet.
Quelle: (lb)
Fundstelle(n):
ZAAAJ-85695