Instanzenzug: Az: 9 KLs 23/23
Gründe
1 Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen und zu Freiheitsstrafen zwischen sechs Jahren und zwei Monaten und acht Jahren und drei Monaten verurteilt. Zudem hat es Einziehungsentscheidungen getroffen. Die mit der Sachrüge und jeweils einer Verfahrensbeanstandung geführten Revisionen der Angeklagten haben überwiegend Erfolg.
2 1. Allerdings greift die von allen Angeklagten erhobene Verfahrensrüge einer Verletzung des § 229 Abs. 1 StPO nicht durch.
3 a) Der Rüge liegt das folgende Prozessgeschehen zugrunde:
4 Die Hauptverhandlung fand an insgesamt zwölf Verhandlungstagen statt, darunter am 15. November und am . Zwischen diesen beiden Tagen waren ursprünglich Verhandlungstermine am 28. und am vorgesehen. Am machte die Verteidigerin des Angeklagten R. S. geltend, verhandlungsunfähig erkrankt zu sein, und beantragte die Aufhebung dieser beiden Hauptverhandlungstage. Am selben Tag teilte sie weiter mit, dass eine anderweitige Vertretung des Mitangeklagten nicht habe organisiert werden können, da auch der Mitverteidiger durch weitere Termine verhindert sei.
5 Die Vorsitzende der Strafkammer hob darauf den für den Folgetag () vorgesehenen Termin auf. In einem Telefonat teilte sie der Verteidigerin mit, dass am jedenfalls kurz zur Sache verhandelt werden müsse, um die maximale Unterbrechungsfrist zwischen den Hauptverhandlungstagen nicht zu überschreiten. Sie bot an, dass dortige Beweisprogramm auf die schon angekündigte Verlesung und Inaugenscheinnahme von Urkunden, Lichtbildern und Audiodateien zu beschränken und ihr ohne Rechtsverlust ein Erklärungs- und Widerspruchsrecht bis zum folgenden Termin am zu gewähren. Notfalls müsse für den 29. November ein Sicherungsverteidiger bestellt werden, welcher auch durch das Gericht ausgewählt werden könne. Vorzugswürdig sei es, wenn die Verteidigerin einen Vertreter benennen könne und dies mit ihrem Mandanten abgesprochen sei.
6 Nachdem die Verteidigerin bis zum Nachmittag des keinen Vertreter benannt hatte, schlug die Vorsitzende ihr hierfür in einem weiteren Telefonat Rechtsanwältin J. vor und kündigte an, am nächsten Tag allein die in den für das Selbstleseverfahren vorgesehenen Urkunden enthaltenen Lichtbilder in Augenschein zu nehmen, das Beweisprogramm am in ihrer Anwesenheit zu wiederholen und Erklärungsfristen für alle Verfahrensbeteiligten bis zu diesem Tag zu verlängern. Die Verteidigerin erklärte, dass sie keine Zweifel an der fachlichen Eignung der vorgeschlagenen Rechtsanwältin habe, ihr Mandant aber mit einer Vertretung durch einen anderen Verteidiger grundsätzlich nicht einverstanden sei.
7 Im Termin vom widersprach der Angeklagte R. S. der angekündigten Beiordnung. Er wolle keine Vertretung durch einen anderen Rechtsanwalt, da ein solcher nicht eingearbeitet sei und die Akten nicht kenne. Für den Fall der Beiordnung kündige er einen Befangenheitsantrag an. Die Vorsitzende ordnete gleichwohl Rechtsanwältin J. gemäß § 144 Abs. 1 StPO als Sicherungsverteidigerin allein für diesen Termin bei und hielt in der Verfügung fest, dass die Beweisaufnahme auf die genannten Lichtbilder beschränkt und am wiederholt werde, „um alle Verteidigerrechte und Angeklagtenrechte weitgehend zu wahren“. Der Ankündigung entsprechend wurden diverse Abbildungen aus mehreren polizeilichen Vermerken, aus dem Auswertebericht zu einer Observation sowie aus zwei Gutachten in Augenschein genommen. Die Inaugenscheinnahme wurde am nächsten Verhandlungstag wiederholt und Gelegenheit zur Abgabe nachgelassener Erklärungen gemäß § 257 StPO gegeben. Das Befangenheitsgesuch des Angeklagten gegen die Vorsitzende der Strafkammer wurde mit Beschluss vom als unbegründet zurückgewiesen.
8 b) Die Revisionen sehen in diesem Vorgehen einen Verstoß gegen § 229 StPO. Im Termin vom sei nicht zur Sache verhandelt worden, da dessen Beweisprogramm von vornherein habe wiederholt werden sollen. Aus Sicht des Tatgerichts sei die „Beweisaufnahme (möglicherweise) mit einem verfahrensrechtlichen Makel behaftet“ gewesen und habe deshalb von Beginn an eine „Heilung“ an einem weiteren Hauptverhandlungstag notwendig gemacht. Ihr sei daher kein eigenständiger beweisrechtlicher Wert zugekommen, vielmehr habe sie allein der Fristwahrung gedient. Die Hauptverhandlung habe daher ausgesetzt werden müssen (§ 229 Abs. 4 Satz 1 StPO), was nicht geschehen sei.
9 c) Die Verfahrensrüge ist unbegründet, da das Landgericht nicht gegen § 229 StPO verstoßen hat.
10 Als ein Termin, der zur fristwahrenden Fortsetzung der Hauptverhandlung nach Maßgabe von § 229 Abs. 1 und 4 Satz 1 StPO geeignet ist, gilt nach ständiger Rechtsprechung nur ein solcher, in dem zur Sache verhandelt, mithin das Verfahren inhaltlich auf den abschließenden Urteilsspruch hin gefördert worden ist. Dies kann etwa durch Vernehmung des Angeklagten, durch Beweisaufnahme oder sonst durch Erörterung des Prozessstoffs geschehen. Es genügt jede Förderung des Verfahrens, selbst wenn weitere verfahrensfördernde Handlungen möglich gewesen wären und der Fortsetzungstermin auch der Einhaltung der Unterbrechungsfrist diente. Nicht ausreichend sind hingegen sogenannte (reine) „Schiebetermine“, welche die Unterbrechungsfrist lediglich formal wahren, in denen aber tatsächlich keine Prozesshandlungen oder Erörterungen zu Sach- oder Verfahrensfragen vorgenommen werden, die geeignet sind, das Strafverfahren seinem Abschluss substanziell näher zu bringen ( mwN, NStZ-RR 2022, 382).
11 Hieran gemessen wurde das Verfahren auch im Hauptverhandlungstermin vom gemäß den Anforderungen des § 229 Abs. 1 StPO gefördert, wozu die Inaugenscheinnahme einer Reihe von Abbildungen ohne weiteres genügte. Dass die Beweisaufnahme nach eigener Einschätzung der Strafkammer mit einem „Makel behaftet“ war, ist nicht ersichtlich. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Bestellung einer zusätzlichen Pflichtverteidigerin für diesen Tag rechtsfehlerhaft war oder seitens der Mitglieder der Strafkammer insoweit Zweifel bestanden. Denn nach § 144 Abs. 1 StPO können dem Beschuldigten zu seinem gewählten oder einem gemäß § 141 StPO bestellten Verteidiger bis zu zwei Pflichtverteidiger zusätzlich bestellt werden, wenn dies zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens, insbesondere wegen dessen Umfang oder Schwierigkeit, erforderlich ist. Ein solches Vorgehen kann dazu dienen, ein Weiterverhandeln auch bei dem vorübergehenden Ausfall eines Verteidigers sicherzustellen (vgl. Rn. 14, BGHSt 65, 129; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 144 Rn. 4). Eine Bestellung ist vom Willen des Beschuldigten unabhängig (BT-Drucks. 19/13829, S. 49; vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO Rn. 7; KK-StPO/Willnow, 9. Aufl., § 144 Rn. 1). Ein Verstoß gegen die Vorschriften zur notwendigen Verteidigung wird auch durch keinen der Revisionsführer geltend gemacht (vgl. zu den denkbaren Ausnahmefällen einer mit einer Pflichtverteidigerbestellung verbundenen Beschwer mwN).
12 Dementsprechend diente die Wiederholung der Beweisaufnahme im nächsten Verhandlungstermin nicht der „Heilung“ eines Versäumnisses. Ihre Ankündigung schon bei Bestellung der zusätzlichen Pflichtverteidigerin stand vielmehr in Zusammenhang mit der Entscheidung der Vorsitzenden der Strafkammer, für alle Verfahrensbeteiligten auch die Erklärungsfristen entsprechend zu verlängern. Der erkrankten Verteidigerin sollte so Gelegenheit gegeben werden, von dem Recht nach § 257 Abs. 2 StPO anhand eines persönlichen Eindrucks von den in Augenschein genommenen Abbildungen Gebrauch zu machen. Dieses vom Willen zur Gewährleistung einer möglichst umfassenden Verfahrensfairness getragene Vorgehen macht aus der Beweisaufnahme vom keinen „Schiebetermin“.
13 2. Die auf die Sachrüge gebotene Nachprüfung des Urteils führt bei allen Angeklagten zur Aufhebung des Schuldspruchs.
14 a) Nach den Feststellungen überwachten und organisierten die vier Angeklagten in der Nacht vom 2. auf den die Bergung von 37 kg Kokain aus dem B. er Überseehafen. Die Betäubungsmittel waren dort in einem Kühlcontainer versteckt, der per Schiff aus Lateinamerika geliefert und am in Br. entladen worden war. In den Tagen bis zur Bergung befand er sich im besonders gesicherten Bereich des B. er Überseehafens. Der Container sollte zeitnah an den Empfänger der Legalware, ein Unternehmen in Polen, ausgeliefert werden.
15 Dabei sollten alle Angeklagten außerhalb des Hafengeländes agieren. Für die Aufgabe, in dieses einzudringen, das Kokain aus dem Container zu holen und aus dem Hafenbereich herauszuschaffen, waren drei junge Niederländer angeworben worden. Dem Angeklagten F. S. kam es zu, die Tat aus der Entfernung zu leiten und zu koordinieren. Er stand dazu während der gesamten Tat in telefonischem Austausch einerseits mit den Hintermännern, die die Bergung beauftragt hatten, und andererseits mit den Mitangeklagten und den Niederländern, denen er Anweisungen erteilte. Die Angeklagten E. A. und R. S. kundschafteten eine geeignete Stelle für den Überstieg über den Zaun des Hafengeländes aus und stellten den Niederländern die notwendige Ausrüstung zur Bergung des Kokains zur Verfügung. Der Angeklagte R. A. hatte das Geschehen zu überwachen und sicherzustellen, dass das Kokain nicht von den Niederländern abtransportiert wird, sondern in die Verfügungsgewalt der Angeklagten gelangt.
16 b) Der Schuldspruch der Angeklagten wegen mittäterschaftlicher Einfuhr im Sinne der § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG, § 25 Abs. 2 StGB wird durch die Feststellungen nicht getragen.
17 Das Landgericht hat zwar im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, dass nach der mit dem Passieren der Grenze zum Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland eingetretenen Vollendung der Einfuhrtat (, NStZ 2015, 588) noch eine sukzessive Beteiligung in Betracht kommt. Beendet ist die Einfuhr erst, wenn das eingeführte Rauschgift im Inland in Sicherheit gebracht und damit zur Ruhe gekommen ist (BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 157/24; vom – 2 StR 221/23, NStZ 2024, 545; vom – 3 StR 195/16, NStZ-RR 2017, 84).
18 Für eine mittäterschaftliche Zurechnung müssen jedoch die Voraussetzungen täterschaftlichen Handelns nach dem allgemeinen Strafrecht vorliegen. Mittäter der Einfuhr kann zwar auch sein, wer das Rauschgift nicht selbst ins Inland verbringt; der Tatbeitrag des Mittäters muss dann aber einen Teil der Tätigkeit aller und dementsprechend das Handeln der anderen eine Ergänzung seines Tatbeitrages darstellen. Von besonderer Bedeutung sind dabei neben dem Grad des eigenen Interesses am Taterfolg der Einfluss bei der Vorbereitung der Tat und der Tatplanung, der Umfang der Tatbeteiligung und die Teilhabe an der Tatherrschaft oder jedenfalls der Wille dazu, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch von dem Willen des Betreffenden abhängen. Entscheidender Bezugspunkt für die anzustellende wertende Gesamtbetrachtung ist hierbei stets der Einfuhrvorgang selbst (st. Rspr.; vgl. nur mwN zu gesondert Verfolgten Beteiligten des hiesigen Falls).
19 Diese Bedeutung des Einfuhrvorgangs hat das Landgericht zwar selbst erkannt. Ein den genannten Anforderungen genügender Einfluss der Angeklagten gerade hierauf ist den Feststellungen jedoch nicht zu entnehmen.
20 3. Die rechtsfehlerhafte rechtliche Würdigung des festgestellten Sachverhalts bedingt für alle Angeklagten die Aufhebung des gesamten Schuldspruchs einschließlich der für sich genommen nicht zu beanstandenden, aber jeweils in Tateinheit stehenden Verurteilung wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.
21 Die Aufhebung des Schuldspruchs entzieht dem Strafausspruch und der Einziehungsentscheidung die Grundlage. Die Sache erfordert daher neue Verhandlung und Entscheidung. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, da diese von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen sind (vgl. § 353 Abs. 2 StPO); insoweit bleiben die Revisionen ohne Erfolg. Die Feststellungen dürfen um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.
22 Das neue Tatgericht wird – neben einer Beihilfe zur Einfuhr von und zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge – die Möglichkeit einer zusätzlichen tateinheitlichen Verurteilung wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in den Blick zu nehmen haben; einem entsprechenden Schuldspruch würde das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 StPO) nicht entgegenstehen. Ein Besitz erfordert ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis verbunden mit einem Besitzwillen, der darauf gerichtet ist, sich die ungehinderte Einwirkung auf die Sache zu erhalten (st. Rspr.; vgl. , NStZ-RR 2023, 282; vom – 5 StR 102/23). Diese Voraussetzungen können beim Angeklagten E. A. erfüllt gewesen sein, als er nach der teilweise misslungenen Bergung zwei der Niederländer samt einem Rucksack mit 10 kg Kokain in seinem Auto in die Nähe eines Sportplatzes fuhr. Hinsichtlich der übrigen Angeklagten wird zu klären sein, inwieweit gegebenenfalls auch ihnen hierdurch aufgrund des gemeinsamen Tatplans Sachherrschaft vermittelt wurde (vgl. hierzu MüKo-StGB/Oğlakcıoğlu, 4. Aufl., § 29 BtMG Rn. 1100 f.; Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., § 29 Rn. 1058).
23 Hinsichtlich der Frage der Einziehung des von den Angeklagten bei der Tat verwendeten Pkw wird zu beachten sein, dass diese Entscheidung durch § 74 StGB in das Ermessen des Gerichts gestellt ist.
Cirener Mosbacher Resch
von Häfen Werner
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:150125B5STR338.24.0
Fundstelle(n):
BAAAJ-85596