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BGH Beschluss v. - 4 StR 97/24

Instanzenzug: LG Arnsberg Az: II-4 KLs 19/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sechs im Zeitraum von August 2022 bis April 2023 in W.       begangener Brandstiftungsdelikte zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und – unter Einbeziehung zweier Einzelgeldstrafen aus einer Vorverurteilung und Aufrechterhalten eines dort ausgesprochenen Einziehungsausspruchs – einer zweiten Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Weiter hat die Strafkammer die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug von vier Jahren und sechs Monaten „der verhängten Strafe“ angeordnet.

2Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

31. Die den Angeklagten beschwerende (vgl. Rn. 18; Urteil vom – 2 StR 2/24 Rn. 20; Urteil vom – 1 StR 120/11, NStZ-RR 2012, 72, 73 mwN) Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, die von seinem Rechtsmittelangriff nicht ausgenommen ist, unterliegt auf seine Revision der Aufhebung. Die Maßregelanordnung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung am Maßstab des seit dem geltenden und der Entscheidung der Strafkammer bereits zugrundeliegenden § 64 StGB in der Fassung vom (BGBl. 2023 I Nr. 203) nicht stand.

4a) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt setzt voraus, dass der Täter einen Hang aufweist, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, § 64 Satz 1 StGB. Gemäß § 64 Satz 1 2. Halbsatz StGB erfordert ein Hang eine Substanzkonsumstörung, infolge derer eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit eingetreten ist und fortdauert. Erforderlich sind insoweit äußere, überprüfbare Veränderungen in mindestens einem der genannten Bereiche der Lebensführung (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 45 f.; Rn. 43; Urteil vom – 6 StR 327/23 Rn. 12). Diese Voraussetzungen sind nicht in jeder Hinsicht nachvollziehbar belegt.

5Die sachverständig beratene Kammer hat insoweit festgestellt, dass der Angeklagte seit seiner Adoleszenz alkohol- und drogenabhängig sei. Bei ihm liege eine Polytoxikomanie (ICD-10: F19.2) mit den Hauptsubstanzen Alkohol und Heroin vor. Das damit zusammenhängende Abhängigkeitssyndrom habe sich unter anderem durch das Auftreten eines Alkoholentzugssyndroms nach der Inhaftierung in der vorliegenden Sache bestätigt. Die Polytoxikomanie des Angeklagten habe sich auf seine persönlichen Beziehungen ausgewirkt. Die Strafkammer hat sich die Einschätzung des Sachverständigen zu eigen gemacht, wonach sich „seine [des Angeklagten] Lebensgefährtin“ wegen seines Konsums von ihm getrennt habe. Eine nähere zeitliche oder biographische Einordnung fehlt.

6Beweiswürdigend unterlegter Feststellungen hierzu hätte es als Grundlegung für die positiv festzustellende (vgl. Rn. 20; Urteil vom – 6 StR 327/23 Rn. 12) dauerhafte und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Angeklagten infolge seines Konsums aber bedurft. Denn an anderer Stelle hat die Strafkammer zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten festgestellt, dass der 1980 geborene Angeklagte zehn längere Beziehungen geführt habe, deren längste ca. sieben Jahre gedauert und im Zuge derer er drei Kinder gezeugt habe. Eine dauerhafte und schwerwiegende konsumbedingte Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Angeklagten liegt angesichts dessen nicht auf der Hand, zumal unklar bleibt, welche Lebensgefährtin sich wann von ihm getrennt haben soll.

7Soweit die Kammer den Befund des psychiatrischen Sachverständigen referiert, wonach der Angeklagte keine Ausbildung absolviert und es längere Phasen der Arbeitslosigkeit gegeben habe, stellt sie keinen Zusammenhang zu dem Alkohol- und Drogenkonsum des Angeklagten her. Dies wäre hier aber erforderlich gewesen. Denn das Landgericht hat auch festgestellt, dass der Angeklagte in diversen Anstellungen bei ca. zehn verschiedenen Arbeitgebern tätig gewesen sei, seine längste Anstellung ca. sechs Jahre gedauert habe und er „auch unter Alkohol- bzw. Drogeneinfluss zur Arbeit [gegangen sei]“. Eine dauerhafte und schwerwiegende Beeinträchtigung seiner Arbeitsfähigkeit im Sinne des § 64 Satz 1 2. Halbsatz Var. 3 StGB ist danach nicht widerspruchsfrei belegt. Hieran vermag auch die erwerbsbiographisch nicht näher eingeordnete Feststellung, es habe „zwischenzeitlich immer wieder auch längere Phasen der Arbeitslosigkeit gegeben“, und dass der Angeklagte „zuletzt“ von Bürgergeld gelebt habe, nichts zu ändern.

8b) Auch das Vorliegen eines symptomatischen Zusammenhangs ist nicht festgestellt. Den Entscheidungsgründen ist, auch in ihrem Gesamtzusammenhang, nicht zu entnehmen, dass die Brandstiftungstaten des Angeklagten – wie von § 64 Satz 1 1. Halbsatz StGB vorausgesetzt – überwiegend auf seinen Alkohol- und Betäubungsmittelkonsum zurückgehen. Hierzu muss die bestehende Substanzkonsumstörung, was tatrichterlicher Feststellung bedarf, für das Tatgeschehen „mehr als andere Umstände ausschlaggebend“ sein (BT-Drucks. 20/5913, S. 69 f.; vgl. Rn. 17). Eine Mitursächlichkeit des Hangs für die Anlasstat unterhalb dieser Schwelle reicht für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals nicht mehr aus (vgl. Rn. 5; Beschluss vom – 5 StR 345/23 Rn. 2; Beschluss vom – 4 StR 364/23 Rn. 7). Eine Feststellung i.S.v. § 64 Satz 1 1. Halbsatz StGB hat das Landgericht hinsichtlich der Wechselbeziehung zwischen der bei dem Angeklagten bestehenden Polytoxikomanie und seinem pathologischen Drang zur Brandstiftung (Pyromanie – ICD-10: F63.1 V) nicht getroffen.

9Soweit die Kammer sich der Wertung des psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen hat, dass der Angeklagte ohne seine Alkoholabhängigkeit und den dadurch „wahrscheinlich“ in den Tatzeitpunkten bestehenden Rausch „die Taten nicht begangen hätte“ bzw. – im Kontext der Schuldfähigkeit – die Brandstiftungen durch den pyromanen Angeklagten durch die Intoxikation „medizinisch bedingt“ seien, ergibt sich hieraus zwar eine Intoxikation als notwendige Bedingung für Brandlegungen durch den Angeklagten, aber keine überwiegende Ursächlichkeit der bei dem Angeklagten bestehenden Substanzkonsumstörung.

10c) Schließlich genügt die Folgerung der Kammer aus einer „glaubhaft vorgebrachten“ und – wohl im Kontext gescheiterter Entwöhnungsbehandlungen – „in der Vergangenheit unter Beweis gestellten“ Therapiemotivation des „grundsätzlich therapiemotiviert[en]“ Angeklagten auf eine „hinreichende Erfolgsaussicht“ einer Therapie nicht den Beleganforderungen des § 64 Satz 2 StGB. Demnach bedarf die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt einer nachvollziehbar dargelegten, auf tatsächliche Anhaltspunkte gestützten Erwartung, den Angeklagten innerhalb der Fristen nach § 67d Abs. 1 Satz 1 oder Satz 3 StGB zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor einem Rückfall zu bewahren und von der Begehung erheblicher hangbedingter Taten abzuhalten. Zu erwarten ist ein Therapieerfolg, wenn für sein Erreichen eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades gegeben ist. Das Gericht hat seine diesbezügliche Überzeugung als Ergebnis einer richterlichen Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgeblichen Umstände in den Urteilsgründen darzulegen (vgl. BT-Drucks. 20/5913 S. 70; , NStZ-RR 2024, 273).

11Vorliegend versteht sich eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für einen Therapieerfolg angesichts der von der Strafkammer im selben Kontext hervorgehobenen „sehr schwer chronifizierten“ Suchterkrankung des Angeklagten, deren „Behandlungsprognose durch die komorbide Pyromanie zusätzlich verschlechtert werde“, keinesfalls von selbst, zumal die Strafkammer die Prognose eines Behandlungserfolgs durch die ebenfalls referierte Wertung des psychiatrischen Sachverständigen, dass das Scheitern früherer Therapieversuche nicht dazu führe, dass „eine Entwöhnungsbehandlung unter den Bedingungen des § 64 StGB von vornherein erfolglos verliefe“, weiter relativiert. In einem Fall wie hier ist das Gericht gehalten, näher darzulegen, welche konkret zu benennenden Anhaltspunkte nahelegen, dass es innerhalb des nach § 64 Satz 2 StGB maßgeblichen Zeitraums nicht mehr zur Begehung hangbedingter, erheblicher rechtswidriger Taten kommen wird (vgl. BT-Drucks. 20/5913 S. 70; , NStZ-RR 2024, 273). Hieran fehlt es.

122. Die Aufhebung der Maßregel zieht den Wegfall der hieran anknüpfenden Anordnung eines Vorwegvollzugs gemäß § 67 Abs. 2 StGB nach sich.

133. Sollte das neue Tatgericht wiederum – sachverständig beraten – auf die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt erkennen, hätte es eine Berechnung des Vorwegvollzugs nach Maßgabe von § 67 Abs. 2 und 5 StGB n.F. auf Grundlage der Summe der beiden verhängten (Gesamt-)Freiheitsstrafen rechnerisch exakt und damit erforderlichenfalls nach Jahren, Monaten, Wochen und Tagen vorzunehmen (vgl. ; Beschluss vom – 3 StR 47/23, NStZ-RR 2023, 211, 212 mwN). § 39 Halbsatz 2 StGB findet keine entsprechende Anwendung (vgl. Rn. 6).

Quentin                        Maatsch                        Scheuß

                 Tschakert                       Gödicke

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:160125B4STR97.24.0

Fundstelle(n):
RAAAJ-85595