Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 6 U 212/23 Beschlussvorgehend LG Frankfurt Az: 2-06 O 145/22
Gründe
1 I. Die Klägerin macht wettbewerbs- und markenrechtliche Ansprüche gegen die Beklagte geltend. Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht K. war, damals noch als Vorsitzender einer Zivilkammer des Landgerichts, am in erster Instanz am Erlass eines (ersten) Versäumnisurteils gegen die Beklagte beteiligt. Durch Urteil vom , erlassen ohne die Beteiligung von Vorsitzendem Richter am Oberlandesgericht K. , erhielt die Zivilkammer des Landgerichts das Versäumnisurteil im Wesentlichen aufrecht. Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt.
2 Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht K. sitzt dem zuständigen Berufungssenat des Oberlandesgerichts vor. Die Beklagte meint, er sei wegen Mitwirkung an der angefochtenen Entscheidung nach § 41 Nr. 6 ZPO von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen. Der Richter hat um Entscheidung nach § 48 Fall 2 ZPO über die Frage seines Ausschlusses gebeten.
3 Der Berufungssenat hat das Ablehnungsgesuch der Beklagten für unbegründet erklärt (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom - 6 U 212/23, MDR 2024, 1067). Hiergegen richtet sich die vom Oberlandesgericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Beklagten, mit der sie ihr Ablehnungsgesuch weiterverfolgt.
4 II. Das Oberlandesgericht hat angenommen, die Mitwirkung an einem die Instanz nicht abschließenden Versäumnisurteil führe nicht zu einem Ausschluss nach § 41 Nr. 6 ZPO. Es sei auch nicht nach § 42 Abs. 2 ZPO die Besorgnis der Befangenheit begründet. Aus Sicht eines objektiven Betrachters sei die Neutralität des Richters durch seine frühere Befassung nicht in Frage gestellt. Es liege keine atypische prozessuale Situation vor, die - auch ohne Hinzutreten weiterer, in der Person des abgelehnten Richters begründeter Umstände - bei einer besonnen denkenden Partei bei vernünftiger Betrachtung die begründete Besorgnis der Befangenheit entstehen lassen könne. In der gerichtlichen Praxis gebe es zahlreiche Konstellationen, in denen ein Richter eigene Entscheidungen oder Maßnahmen im weiteren Verfahren zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern habe. Zudem führe die Säumnissituation zu einer nur eingeschränkten Prüfung. Die Tatsachengrundlage sei auf die von der nicht säumigen Partei vorgetragenen Tatsachen beschränkt. Das Versäumnisurteil stelle keine umfassende Entscheidung, sondern nur eine Zwischenstufe auf dem Weg zu einer endgültigen Entscheidung dar.
5 III. Der Senat ist mit dem Oberlandesgericht der Ansicht, dass ein Richter, der in der Vorinstanz an einem ersten Versäumnisurteil gegen den Beklagten (§ 331 ZPO) mitgewirkt hat, das in dem die Instanz abschließenden und nunmehr angefochtenen streitigen Urteil ohne Mitwirkung des Richters aufrechterhalten worden ist (§ 343 Satz 1 ZPO), nicht nach § 41 Nr. 6 ZPO von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen ist (dazu IV 1). Er möchte die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 575 ZPO) Rechtsbeschwerde daher zurückweisen, weil auch eine Besorgnis der Befangenheit nach § 42 Abs. 1 Fall 2, Abs. 2 ZPO eine Ablehnung nicht rechtfertigen könnte (dazu VI 2).
6 Er sieht sich an einer solchen Entscheidung aber gehindert, weil er damit von der Rechtsprechung des 5. Senats des Bundesarbeitsgerichts abwiche. Danach ist ein Richter, der in der Vorinstanz ein Versäumnisurteil erlassen hat, das auf Grund eines zulässigen Einspruchs in einer neuen Entscheidung, an der ein anderer Richter mitgewirkt hat, aufgehoben oder bestätigt worden ist, gegen die nunmehr Berufung eingelegt wird, jedenfalls dann gemäß § 41 Nr. 6 ZPO von der weiteren Ausübung des Richteramts im Berufungsverfahren ausgeschlossen, wenn es sich - wie vorliegend - um ein nach § 331 Satz 1 ZPO gegen den säumigen Beklagten erlassenes Versäumnisurteil handelt, das gemäß § 343 ZPO aufrechterhalten worden ist (vgl. BAG, NJW 1968, 814 [juris Rn. 5 bis 7] und darauf - in Abgrenzung hierzu - bezugnehmend BAG, NZA-RR 2012, 269 [juris Rn. 13]).
7 Deshalb ist gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 RsprEinhG beim 5. Senat des Bundesarbeitsgerichts anzufragen, ob dieser an seiner Rechtsauffassung festhält.
8 IV. Nach Ansicht des Senats hat das Oberlandesgericht zu Recht auf Veranlassung des betroffenen Richters (§ 48 Fall 2 ZPO) und auf das Ablehnungsgesuch der Beklagten (§ 42 Abs. 1 ZPO) entschieden, dass dieser zur Mitwirkung in zweiter Instanz berufen ist.
9 1. Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht K. ist im vorliegenden Berufungsverfahren nicht nach § 41 Nr. 6 ZPO von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen. Danach ist ein Richter in Sachen, in denen er in einem früheren Rechtszug oder im schiedsrichterlichen Verfahren bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, sofern es sich nicht um die Tätigkeit eines beauftragten oder ersuchten Richters handelt, von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen.
10 Dieser Ausschlussgrund greift nicht ein, wenn der Richter - wie im Streitfall - in der Vorinstanz an einem ersten Versäumnisurteil mitgewirkt hat, das in dem die Instanz abschließenden und nunmehr angefochtenen streitigen Urteil ohne Mitwirkung des Richters aufrechterhalten worden ist (ebenso MünchKomm.ZPO/Stackmann, 6. Aufl., § 41 Rn. 26; Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, 21. Aufl., § 41 Rn. 13; BeckOK.ZPO/Vossler, 54. Edition [Stand ], § 41 Rn. 13.1; Graßnack in Prütting/Gehrlein, ZPO, 16. Aufl., § 41 Rn. 31; Gerken in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl., § 41 Rn. 14 mwN; aA BAG NJW 1968, 814 [juris Rn. 5 bis 7] und darauf bezugnehmend BAG, NZA-RR 2012, 269; Stein/Bork, ZPO, 24. Aufl., § 41 Rn. 19; Saenger/Bendtsen, ZPO, 10. Aufl., § 41 Rn. 17; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 45. Aufl., § 41 Rn. 7).
11 a) Es liegt zwar eine Mitwirkung in einem früheren Rechtszug vor, die sich nicht lediglich auf die Tätigkeit eines beauftragten oder ersuchten Richters erstreckt.
12 b) Die Mitwirkung betrifft jedoch nicht den Erlass der angefochtenen Entscheidung.
13 aa) Nach § 511 Abs. 1 ZPO findet die Berufung gegen die im ersten Rechtszug erlassenen Endurteile statt. Vorliegend ist das die erste Instanz beendende Urteil nicht das Versäumnisurteil vom , an dem Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht K. mitgewirkt hat, sondern das Urteil vom aufgrund streitiger mündlicher Verhandlung, an dem Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht K. nicht mitgewirkt hat.
14 bb) Dass mit dem angefochtenen Urteil ein unter Mitwirkung des Richters erlassenes Versäumnisurteil aufrechterhalten worden ist (§ 343 Satz 1 ZPO), stellt keine Mitwirkung des Richters an der angefochtenen Entscheidung dar. Bei einem zulässigen Einspruch gegen ein Versäumnisurteil ist das Gericht zu einer vollständigen Prüfung der Sache verpflichtet, und zwar auch dann, wenn der durch § 342 ZPO bewirkte Wegfall der Geständnisfiktion des § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht zu einer Veränderung der Tatsachengrundlage führt. Insbesondere kann und muss es die Schlüssigkeit der Klage ohne Bindung an das Versäumnisurteil neu beurteilen (vgl. BeckOK.ZPO/Toussaint aaO § 343 Rn. 2; Büscher in Wieczorek/Schütze aaO § 343 Rn. 8; Bartels in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 343 Rn. 1). Die in § 343 Satz 1 ZPO vorgesehene Aufrechterhaltung des Versäumnisurteils hat den vollstreckungsrechtlichen Grund, dass bereits getroffene Vollstreckungsmaßnahmen fortgelten sollen (vgl. MünchKomm.ZPO/Prütting aaO § 343 Rn. 14; Stadler in Musielak/Voit aaO § 343 Rn. 2; Herget in Zöller, ZPO, 35. Aufl., § 343 Rn. 3; Anders in Anders/Gehle, ZPO, 83. Aufl., § 343 Rn. 9; Büscher in Wieczorek/Schütze aaO § 343 Rn. 10; Bartels in Stein/Jonas aaO § 343 Rn. 6). Soweit das Berufungsgericht zu einer anderen Beurteilung gelangt und das durch die erstinstanzliche Endentscheidung aufrechterhaltene Versäumnisurteil aufhebt, dient dies der Beseitigung der darin liegenden Vollstreckungsgrundlage. Das Versäumnisurteil wird dadurch nicht zur im Berufungsrechtszug angefochtenen Entscheidung.
15 cc) Somit besteht kein entscheidender Unterschied zum Fall eines in der dritten Instanz tätigen Richters, der bereits an der erstinstanzlichen Entscheidung mitgewirkt hat. Auch für diesen Fall hat der Bundesgerichtshof einen Ausschluss nach § 41 Nr. 6 ZPO verneint (vgl. , NJW-RR 2012, 1341 mwN). Mit der Revision wird das Berufungsurteil angefochten (§ 542 Abs. 1 ZPO); es kann aber dazu kommen, dass das als Vollstreckungsgrundlage dienende Urteil der ersten Instanz in der Revisionsentscheidung aufgehoben wird.
16 dd) Soweit die Rechtsbeschwerde darauf hinweist, dass ein zweites Versäumnisurteil nach §§ 345, 511 Abs. 1, § 514 Abs. 2 ZPO mit der Berufung angefochten werden kann, steht ein solcher Fall vorliegend nicht zur Entscheidung.
17 c) Es ist nicht geboten, die Regelung des § 41 Nr. 6 ZPO über ihren Wortlaut hinaus auf die Mitwirkung an einem ersten Versäumnisurteil anzuwenden, das in dem die Instanz abschließenden und nunmehr angefochtenen streitigen Urteil ohne Mitwirkung des Richters aufrechterhalten worden ist.
18 aa) Die Zivilprozessordnung wird von dem Gedanken geprägt, dass Richterinnen und Richter grundsätzlich auch dann unvoreingenommen an die Beurteilung einer Sache herantreten, wenn sie sich schon früher über denselben Sachverhalt ein Urteil gebildet haben (vgl. BVerfGE 30, 149 [juris Rn. 15]; , juris Rn. 4; BVerfG, NJW 2001, 3533 [juris Rn. 10]; WM 2020, 1912 [juris Rn. 32]; BB 2023, 479 [juris Rn. 30]); BGH, NJW-RR 2012, 1341 [juris Rn. 4]; Beschluss vom - XII ZB 602/15, NJW-RR 2017, 454 [juris Rn. 12]; Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 28/20, juris Rn. 18). Das Verfahrensrecht sieht sie dazu in der Lage, ihre rechtliche Beurteilung fortlaufend zu überprüfen, sei es innerhalb desselben Verfahrens (zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe in der Vorinstanz vgl. , juris Rn. 15 bis 17; mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK vgl. auch EGMR, NJW 2012, 3019 [juris Rn. 25 bis 31]), sei es in einem nachfolgenden Verfahren (zu einstweiliger Anordnung und Hauptsacheverfahren vgl. BGH, NJW-RR 2017, 454 [juris Rn. 11 f.]).
19 Die Regelung des § 41 Nr. 6 ZPO stellt eine begrenzte Ausnahme von diesem Grundsatz dar. Zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Rechtsmittelverfahrens sollen Richterinnen und Richter eine Entscheidung, an der sie selbst mitgewirkt haben, nicht in einem späteren Rechtszug überprüfen (vgl. BGH, NJW-RR 2017, 454 [juris Rn. 12 mwN]; MünchKomm.ZPO/Stackmann aaO § 41 Rn. 24; BeckOK.ZPO/Vossler aaO § 41 Rn. 13; Graßnack in Prütting/Gehrlein aaO § 41 Rn. 31). Darüber hinaus eröffnet § 42 Abs. 1 Fall 2, Abs. 2 und 3 ZPO jeder Partei das Recht, einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Für eine analoge Anwendung des § 41 Nr. 6 ZPO fehlt es daher bereits an der erforderlichen planwidrigen Regelungslücke (zu dieser Voraussetzung vgl. , juris Rn. 9 f.).
20 bb) Die Garantie des gesetzlichen Richters aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gebietet keine verfassungskonforme Auslegung dahin, dass Richterinnen und Richter auch in Fällen, in denen sie ohne Beteiligung an der angefochtenen Entscheidung mit der Sache bereits befasst waren, von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen sind. Bei der näheren Ausgestaltung denkbarer Konfliktfälle steht dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu. Er kann dem verfassungsrechtlichen Gebot, Neutralität und Distanz des Gerichts abzusichern, dadurch Rechnung tragen, dass er entweder den gesetzlichen Ausschluss anordnet oder das Ablehnungsverfahren eröffnet. Der Ausschluss kraft Gesetzes nach § 41 Nr. 6 ZPO ist geeignet, für bestimmte Fallgruppen aus sich heraus Klarheit zu schaffen. Daneben ermöglicht das Ablehnungsverfahren die Berücksichtigung von besonderen Umständen des Einzelfalls. Auf dieser Grundlage kann bei gegebenem Anlass den Belangen der Prozessparteien auch dann Rechnung getragen werden, wenn § 41 Nr. 6 ZPO nicht eingreift (vgl. , juris Rn. 4; BVerfG, NJW 2001, 3533 [juris Rn. 10]; BGH, NJWRR 2017, 454 [juris Rn. 12]).
21 2. Es kann offenbleiben, ob das in der angefochtenen Entscheidung zum Ausdruck kommende Verständnis des Oberlandesgerichts, die Beklagte habe Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht K. auch wegen Besorgnis der Befangenheit (§ 42 Abs. 1 Fall 2, Abs. 2 ZPO) abgelehnt, zutreffend ist. Auch ein dahingehendes Ablehnungsgesuch wäre unbegründet.
22 a) Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.
23 b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 42 Abs. 2 ZPO ist eine richterliche Vorbefassung, die nicht zu einem Ausschluss gemäß § 41 Nr. 4 bis Nr. 8 ZPO führt, in der Regel nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen (vgl. , juris Rn. 8 mwN; Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 50/19, juris Rn. 84 mwN; offenlassend BayVerfGH, DRiZ 2024, 200 [juris Rn. 13]; zwischen typischer und atypischer Vorbefassungdifferenzierend , NJW-RR 2003, 479 [juris Rn. 6]; Heinrich in Musielak/Voit aaO § 42 Rn. 14; Zöller/Vollkommer aaO § 42 Rn. 15 bis 17; BeckOK.ZPO/Vossler aaO § 42 Rn. 16 und 16a; Saenger/Bendtsen aaO § 42 Rn. 13). In diesen Fällen kommt eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit nur im Einzelfall in Betracht, wenn besondere Umstände darauf hindeuten, dass der Richter nicht bereit ist, seine frühere Beurteilung ergebnisoffen zu überprüfen (vgl. BGH, NJW-RR 2012, 1341 [juris Rn. 2 und 4] mwN; MünchKomm.ZPO/Stackmann aaO § 42 Rn. 20 bis 22; Graßnack in Prütting/Gehrlein aaO § 42 Rn. 21 und 23; Gerken in Wieczorek/Schütze aaO § 42 Rn. 27 f.; Hüßtege in Thomas/Putzo aaO § 42 Rn. 13).
24 c) Solche besonderen Umstände sind im Streitfall weder von den Parteien vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Koch Löffler Schwonke
Schmaltz Odörfer
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:090125BIZB40.24.0
Fundstelle(n):
IAAAJ-85585