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BGH Urteil v. - X ZR 112/21

Instanzenzug: LG Frankfurt Az: 2-24 S 40/21vorgehend AG Frankfurt Az: 30 C 2808/20 (32)

Tatbestand

1 Der Kläger beansprucht die Rückzahlung des restlichen Reisepreises für eine Pauschalreise.

2 Im Juli 2019 buchte der Kläger für sich und seine Ehefrau bei der Beklagten eine Rundreise "Istanbul und Athen", die vom 25. März bis stattfinden und 2.546 Euro kosten sollte. Der Kläger zahlte den vollständigen Reisepreis an die Beklagte.

3 Am erklärte der Kläger telefonisch unter Bezugnahme auf die Corona-Pandemie den Rücktritt von der Reise. Die Beklagte zahlte zunächst 1.145,70 Euro an den Kläger zurück und behielt 1.400,30 Euro als Stornopauschale ein. Im Mahnverfahren folgte eine weitere Rückzahlung von 35,50 Euro. Dem Begehren des Klägers nach Erstattung des restlichen Reisepreises kam die Beklagte nicht nach.

4 Die Beklagte sagte die Reise später nach einer Reisewarnung des Auswärtigen Amtes ab.

5 Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 1.364,80 Euro nebst Zinsen verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiter die Abweisung der Klage. Der Kläger tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Gründe

6 Die zulässige Revision ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

7 I.    Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

8 Das Amtsgericht habe die Beklagte zu Recht zur Rückzahlung des restlichen Reisepreises verurteilt. Die Beklagte könne von dem Kläger nach dessen Rücktritt von dem Pauschalreisevertrag keine Entschädigung verlangen, da die Voraussetzungen des § 651h Abs. 3 BGB erfüllt seien.

9 Vor dem Hintergrund, dass das Auswärtige Amt im März 2020 eine weltweite Reisewarnung ausgesprochen habe, stelle die Corona-Pandemie einen unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB dar.

10 Der Kläger schulde gemäß § 651h Abs. 3 BGB keine Entschädigungsleistung. Dies gelte unabhängig davon, ob im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung nach einer ex-ante-Betrachtung bereits hinreichende Anhaltspunkte bestanden hätten, dass die vom Reiseveranstalter geplante Reise infolge der Corona-Pandemie nicht stattfinden kann. Eine ex-ante-Betrachtung sei jedenfalls dann nicht maßgeblich, wenn der Reiseveranstalter die Reise vor deren Beginn selbst aufgrund eines unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstandes abgesagt habe.

11 II.    Dies hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

12 1.    Die Beklagte hat gemäß § 651h Abs. 1 Satz 2 BGB ihren Anspruch auf den Reisepreis verloren, weil der Kläger nach § 651h Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam vom Pauschalreisevertrag zurückgetreten ist. Damit ist die Beklagte zur Rückzahlung des restlichen Reisepreises verpflichtet.

13 2.    Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Entschädigungsanspruch aus § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB, den die Beklagte dem Anspruch des Klägers entgegenhalten könnte, nicht ausgeschlossen werden.

14 a)    Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die Covid-19-Pandemie im vorgesehenen Reisezeitraum einen unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 Satz 2 BGB darstellt.

15 Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, ist es in der Regel nicht zu beanstanden, dass ein Tatrichter die Covid-19-Pandemie als Umstand wertet, der grundsätzlich geeignet ist, die Durchführung der Pauschalreise erheblich zu beeinträchtigen (vgl. , NJW­-RR 2023, 828 = RRa 2023, 118 Rn. 21; Urteil vom - X ZR 115/22, NJW-­RR 2024, 193 Rn. 18; Urteil vom - X ZR 4/23, NJW­-RR 2024, 466 Rn. 17; Urteil vom - X ZR 58/23 Rn. 21). Dies steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. , RRa 2023, 183 Rn. 45 - UFC; Urteil vom - C-584/22 RRa 2024, 62 Rn. 48 - Kiwi Tours) und gilt auch für den im Streitfall maßgeblichen Reisezeitraum im März/April 2020.

16 b)    Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts darf eine erhebliche Beeinträchtigung im Streitfall jedoch nicht schon deshalb bejaht werden, weil die Reise nach der Rücktrittserklärung abgesagt worden ist.

17 Nach der auf Vorlage des Senats ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2015/2302 dahin auszulegen, dass für die Feststellung, ob unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände aufgetreten sind, die im Sinne dieser Bestimmung die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen, nur die Situation zu berücksichtigen ist, die zu dem Zeitpunkt bestand, zu dem der Reisende vom Reisevertrag zurückgetreten ist (, RRa 2024, 62 Rn. 28 ff. - Kiwi Tours).

18 III.    Die angefochtene Entscheidung erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO).

19 1.    Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist die Klage nicht schon dann ohne weiteres begründet, wenn die Allgemeinen Reisebedingungen der Beklagten, die eine pauschalierte Entschädigung vorsehen, nicht wirksam in den Vertrag einbezogen worden sind.

20 Falls der Beklagten ein Entschädigungsanspruch dem Grunde nach zusteht, die in ihren Allgemeinen Reisebedingungen enthaltenen Regelungen zur Höhe des Anspruchs aber nicht zum Bestandteil des Vertrags geworden oder unwirksam sind, steht der Beklagten eine Entschädigung in der im Gesetz (§ 651h Abs. 2 Satz 2 BGB) vorgesehenen Höhe zu. Der Beklagten wird gegebenenfalls Gelegenheit gewährt werden müssen, zu den hierfür maßgeblichen Umständen vorzutragen.

21 2.    Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist die Klage auch nicht deshalb ohne weiteres begründet, weil die Reise später abgesagt worden ist.

22 Nach § 651h Abs. 2 Satz 2 BGB bestimmt sich die Höhe der Entschädigung mangels abweichender vertraglicher Regelung nach dem Reisepreis abzüglich des Werts der vom Reiseveranstalter ersparten Aufwendungen sowie abzüglich dessen, was er durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen erwirbt. Eine Absage der Reise führt nicht ohne weiteres dazu, dass die Höhe der ersparten Aufwendungen dem Reisepreis entspricht oder diesen sogar übersteigt.

23 IV.    Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

24 Das Berufungsgericht hat - von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen, inwieweit bereits zum Zeitpunkt des Rücktritts des Klägers konkrete Umstände absehbar waren, die eine erhebliche Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung der Reise nach § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB begründen.

25 Die Sache ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen treffen kann.

26 Hierbei wird das Berufungsgericht insbesondere auch zu berücksichtigen haben, dass eine im Zeitpunkt des Rücktritts begründete Ungewissheit über die weitere Entwicklung ein starkes Indiz dafür bilden kann, dass die Durchführung der Reise schon aus damaliger Sicht nicht zumutbar war. Hierbei sind gegebenenfalls auch individuelle Gesundheitsrisiken zu berücksichtigen, denen die Reisenden bei Durchführung der Reise ausgesetzt wären (, NJW 2022, 3707 = RRa 2022, 283 Rn. 62 ff.; Urteil vom - X ZR 4/23, NJW-RR 2024, 466 Rn. 31 ff.). Wie der Senat bereits entschieden hat, ist dem Reisenden auch nicht ohne weiteres zuzumuten, mit einer Entscheidung über den Rücktritt bis kurz vor Reisebeginn zuzuwarten (, MDR 2024, 1570 Rn. 43 ff.).

Bacher                              Hoffmann                              Deichfuß

                    Marx                                   von Pückler

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:280125UXZR112.21.0

Fundstelle(n):
HAAAJ-85273