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BGH Beschluss v. - V ZB 38/24

Instanzenzug: Az: 29 S 82/24vorgehend AG Aachen Az: 118 C 5/24

Gründe

I.

1    Mit einem am zugestellten amtsgerichtlichen Urteil wurde die Beklagte zur Zahlung von Wohngeld verurteilt. Unter dem richtete sie ein mit „Antrag auf Wiedereinsetzung der Berufungsfrist“ bezeichnetes Schreiben an das Amtsgericht und führte darin aus, dass sie bis zum ortsabwesend gewesen sei, sodass die Berufungsfrist einen Monat seit dem betrage. Mit Verfügung vom wies das Amtsgericht darauf hin, dass die Berufung bei dem Landgericht einzulegen und die Berufungsfrist noch nicht abgelaufen sei; vorsorglich werde die Akte dem Landgericht vorgelegt und im Übrigen auf die in der Rechtsbehelfsbelehrung aufgeführten Voraussetzungen einer form- und fristgerechten Berufung verwiesen. Unter dem wies das Landgericht darauf hin, dass die Berufung nicht durch einen Rechtsanwalt und damit nicht formgerecht eingelegt sei. Mit Schreiben vom erklärte die Beklagte, dass sie keine Berufung an das Gericht gesendet habe.

2    Mit Beschluss vom hat das Landgericht die Berufung als unzulässig verworfen und gemeint, aus dem Schreiben der Beklagten vom ergebe sich, dass sie sich gegen ihre Verurteilung wehren wolle; anderenfalls ergäben die Ausführungen zur Verlängerung der Berufungsfrist keinen Sinn. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.

II.

3    Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg; deshalb scheidet auch eine Gewährung von Prozesskostenhilfe aus (§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Denn die Rechtsbeschwerde ist zwar nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO unabhängig davon, ob das Berufungsgericht zu Recht von der Einlegung einer Berufung ausgegangen ist, statthaft (vgl. , NJW-RR 2020, 762 Rn. 3). Sie ist aber unzulässig, weil die besonderen Zulassungsvoraussetzungen gemäß § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Insbesondere ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) erforderlich.

4    1. So liegt, anders als die Rechtsbeschwerde meint, kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot vor. Das ist nur der Fall, wenn die angegriffene Entscheidung - und hier: die Auslegung des Schreibens der Beklagten vom - unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. nur Senat, Beschluss vom - V ZB 159/09, NJW-RR 2010, 784 Rn. 7 mwN). Richtig ist im Ausgangspunkt, dass Prozesserklärungen auszulegen sind; im Zweifel ist das gewollt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 71/02, NJW 2003, 2388). Es ist aber schon nicht ersichtlich, dass das Berufungsgericht dies rechtsfehlerhaft verkannt hätte, als es das - nicht eindeutige - Schreiben der Beklagten vom in den Blick genommen und als Berufungsschrift gewürdigt hat. Jedenfalls ist es nicht schlechthin unvertretbar, die Erklärung der Beklagten vom als Berufung auszulegen. Dass diese Auslegung willkürlich ist bzw. auf sachfremden Erwägungen beruht, lässt sich weder dem angegriffenen Beschluss entnehmen noch wird es von der Rechtsbeschwerde näher ausgeführt. Darauf, ob der Senat - der die Auslegung der Prozesserklärung, wäre die Rechtsbeschwerde zulässig, uneingeschränkt nachprüfen könnte (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 71/02, aaO; , NJW-RR 2012, 755 Rn. 12) - diese Einschätzung teilt, kommt es nicht an.

5    2. Ein Eingreifen des Bundesgerichtshofs zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde auch nicht deshalb erforderlich, weil dem Berufungsgericht bei der Anwendung von Rechtsnormen Fehler unterlaufen wären, deren Wiederholung zu befürchten stünde (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 296). Nähere Darlegungen zu dieser sogenannten strukturellen Wiederholungsgefahr finden sich in der Rechtsbeschwerde nicht; sie ergibt sich auch nicht unabhängig davon aus der rechtlichen Begründung des angefochtenen Beschlusses (vgl. insoweit , NJW-RR 2019, 1 Rn. 27). Vielmehr ist die Begründung der Verwerfung von den besonderen Umständen des Einzelfalls geprägt und kann nicht verallgemeinert werden.

III.

6    1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

7    2. Der Gegenstandswert ist entsprechend dem Interesse der Beklagten festzusetzen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 GKG). Hierbei hat der Senat berücksichtigt, dass sich die Beklagte nicht gegen ihre Verurteilung in der Hauptsache wendet, sondern den Verwerfungsbeschluss mangels Einlegung einer Berufung für wirkungslos hält (zur Wirkungslosigkeit einer trotz fehlender Rechtshängigkeit ergangenen Entscheidung ,NJW-RR 2006, 565 Rn. 11 f.; zur Entscheidung über eine Beschwerde trotz Rücknahme MüKoZPO/Hamdorf, 6. Aufl., § 569 Rn. 23) und nicht mit den aus der Verwerfungsentscheidung folgenden Kosten belastet werden möchte.

Brückner                        Göbel                        Haberkamp

                        Laube                        Grau

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:160125BVZB38.24.0

Fundstelle(n):
HAAAJ-84369