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BGH Beschluss v. - VIII ZR 307/23

Instanzenzug: OLG Dresden Az: 9 U 2208/22vorgehend LG Dresden Az: 6 O 2542/20

Gründe

I.

1Der Kläger ist Eigentümer eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks. Die Beklagte unterhält als öffentliche Trinkwasserversorgerin eine Trinkwasserhauptleitung, von der eine Trinkwasserleitung abzweigt, die über mehrere im Eigentum Dritter stehende Grundstücke auf das Grundstück des Klägers führt und im Keller des Wohnhauses durch Verbindung mit der dort befindlichen Messeinrichtung und dem Hauptabsperrventil endet.

2Mit Schreiben vom teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die vorgenannte Anschlussleitung mit ca. 85 Metern unverhältnismäßig lang sei und forderte ihn deshalb unter Hinweis auf § 11 AVBWasserV auf, dass er auf eigene Kosten entweder unmittelbar an der vorbezeichneten Trinkwasserhauptleitung oder an der ersten Grundstücksgrenze nach der Abzweigung von dieser Trinkwasserhauptleitung einen Schacht zur Unterbringung der Messeinrichtungen errichten möge. Mit weiterem Schreiben vom forderte die Beklagte den Kläger unter Fristsetzung bis zum erneut auf, an der ersten Grundstücksgrenze nach der Abzweigung von der Trinkwasserhauptleitung einen Wasserzählerschacht errichten zu lassen, und kündigte für den Fall des fruchtlosen Fristablaufs an, eine gegen den Kläger gerichtete Klage auf Feststellung der Verpflichtung zur Errichtung eines Wasserzählerschachtes zu erheben.

3Mit Schreiben vom wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass sie nun "zunächst zur Abgrenzung der Verantwortlichkeiten als mildestes Mittel der Wahl" die Übergabestelle des Wassers mit der für ihn kostenpflichtigen Installation einer Hauptabsperrvorrichtung (Kugelhahn) an die erste Grundstücksgrenze nach der Abzweigung von der Trinkwasserhauptleitung vorverlegen werde. Zukünftig werde an jener Stelle die Hausanschlussleitung im Sinne des § 10 AVBWasserV enden und die Kundenanlage im Sinne des § 12 AVBWasserV beginnen. Die Herstellung, Wartung und Instandsetzung der Verbindungsleitung von der Hauptabsperrvorrichtung an der ersten Grundstücksgrenze bis zur Messeinrichtung im Haus des Klägers sowie alle anderen sich aus § 12 AVBWasserV ergebenden Verpflichtungen oblägen dann dem Kläger.

4Entsprechend dieser Ankündigung errichtete die Beklagte an der vorbezeichneten Grundstücksgrenze eine Absperrvorrichtung. Zur Vermeidung der von der Beklagten angedrohten Einstellung der Wasserversorgung zahlte der Kläger den ihm hierfür in Rechnung gestellten Betrag in Höhe von insgesamt 484 € unter dem Vorbehalt der Rückforderung.

5Die auf Rückzahlung dieses Betrags nebst Zinsen sowie auf die Feststellung gerichtete Klage, dass die streitgegenständliche Trinkwasserleitung zur - in der Verantwortung der Beklagten stehenden - öffentlichen Wasserversorgungsanlage gehöre, insbesondere nicht "Kundenanlage" und von der Beklagten zu unterhalten sei, sowie im Eigentum der Beklagten stehe, hat vor dem Landgericht nur hinsichtlich der begehrten Feststellung des Eigentums Erfolg gehabt.

6Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht das Urteil des Landgerichts abgeändert und der Klage vollumfänglich stattgegeben. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.

7Das Berufungsgericht hat den Streitwert für das Berufungsverfahren zuletzt auf bis 19.000 € festgesetzt.

II.

8Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, da der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer - wie die Beschwerdeerwiderung mit Recht rügt - den Betrag von 20.000 € nicht übersteigt (§ 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

91. Der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer bemisst sich nach dem Interesse des Rechtsmittelführers an der Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichts. Dieses Interesse ist nach den allgemeinen Grundsätzen der §§ 3 ff. ZPO zu ermitteln. Über die Höhe der Beschwer hat das Revisionsgericht - gegebenenfalls auch im Wege der Schätzung (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZR 149/21, NJW 2022, 2195 Rn. 7; vom - VIII ZR 30/22, juris Rn. 6) - selbst zu befinden (vgl. Senatsbeschlüsse vom - VIII ZR 255/20, NJW 2022, 194 Rn. 15; vom - VIII ZR 268/21, juris Rn. 5; jeweils mwN). Als Grundlage hierfür dienen nur solche Tatsachen, die der Beschwerdeführer innerhalb laufender Begründungsfrist dargelegt und glaubhaft gemacht hat oder die jedenfalls in Verbindung mit der Berufungsentscheidung offenkundig sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZR 149/21, aaO; vom - VIII ZR 30/22, aaO; jeweils mwN).

10Entscheidend für die Bewertung der Beschwer einer Nichtzulassungsbeschwerde ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom - VI ZR 1191/20, VersR 2021, 668 Rn. 5; vom - IX ZR 15/22, ZIP 2022, 2621 Rn. 3; vom - VIII ZR 268/21, aaO; jeweils mwN), und zwar nach Maßgabe der dem Parteivorbringen zu diesem Zeitpunkt zugrundeliegenden tatsächlichen Angaben zum Wert (Senatsbeschlüsse vom - VIII ZR 129/15, juris Rn. 2; vom - VIII ZR 255/20, aaO; jeweils mwN). Dem Beschwerdeführer ist es verwehrt, im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren die von ihm gemachten Angaben zu korrigieren, um die Wertgrenze des § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zu überschreiten (vgl. BGH, Beschlüsse vom - VII ZR 253/12, NJW-RR 2013, 1402 Rn. 3; vom - VIII ZR 129/15, aaO; vom - III ZR 62/21, juris Rn. 5; vom - VIII ZR 428/21, juris Rn. 6; jeweils mwN). Hat er insoweit keine verlässlichen oder vollständigen Angaben gemacht und hat das Berufungsgericht den Streitwert deshalb unter Zugrundelegung seiner unvollständigen Angaben geschätzt, so ist er ebenfalls gehindert, die diesem Streitwertbeschluss zugrundeliegenden Annahmen mit neuem Vortrag in Frage zu stellen, um den Wert der Beschwer zu erhöhen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - VII ZR 253/12, aaO; vom - III ZR 62/21, aaO; vom - VIII ZR 428/21, aaO).

112. Mit der Revision, deren Zulassung die Beklagte erstrebt, begehrt sie in Abänderung der Berufungsentscheidung die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der sich daraus ergebende Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer beträgt - nach Maßgabe der vorgenannten Grundsätze - (höchstens) 17.410,40 € und nicht, wie die Beschwerde meint, mindestens 25.770 €.

12a) Die Beklagte wendet sich gegen ihre Verurteilung zur Zahlung von 484 € an den Kläger und ist in dieser Höhe durch das Berufungsurteil beschwert.

13b) Sie wendet sich außerdem gegen den in der Berufungsinstanz erfolgreichen Antrag des Klägers auf Feststellung, dass die im Streit stehende Trinkwasserleitung zur - in der Verantwortung der Beklagten stehenden - öffentlichen Wasserversorgungsanlage gehöre, insbesondere nicht "Kundenanlage" und deshalb von der Beklagten zu unterhalten sei. Der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer beträgt diesbezüglich - entsprechend der Streitwertfestsetzung durch das Berufungsgericht - 16.926,40 €.

14aa) Das wirtschaftliche Interesse des Klägers an dieser Feststellung, das vorliegend mit dem Interesse der Beklagten an der Abweisung des hierauf gerichteten Antrags und somit auch mit ihrer Beschwer übereinstimmt, besteht nach seinen Angaben darin, vermeiden zu wollen, mit den Kosten für die Erneuerung oder Verlegung der streitgegenständlichen Leitung belastet zu werden. Die voraussichtlich für die Erneuerung der streitgegenständlichen Trinkwasserleitung anfallenden Kosten haben die Parteien einvernehmlich auf der Grundlage der in dem vorgerichtlichen Schreiben der Beklagten an den Kläger vom genannten Angaben zum Erneuerungsaufwand auf etwa 13.650 € geschätzt.

15Die Nichtzulassungsbeschwerde hat - indem sie in der Beschwerdebegründung auf entsprechendes vorinstanzliches Vorbringen der Beklagten Bezug genommen hat - unter Verweis auf den Baupreisindex des Freistaats Sachsen eine Steigerung der Baukosten für die Erneuerung glaubhaft gemacht. Danach ist die Kostenschätzung aus dem Jahr 2017 für das Jahr 2022 - in Übereinstimmung mit der Festsetzung des zweitinstanzlichen Streitwerts durch das Berufungsgericht - auf 21.158 € anzupassen.

16Die Beschwer der Beklagten hinsichtlich des insoweit erfolgreichen Feststellungsantrags des Klägers ist demgemäß - unter Berücksichtigung eines Abschlags in Höhe von 20 Prozent (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom - XI ZR 88/16, NJW 2017, 2343 Rn. 12, 18; vom - VIII ZR 428/21, juris Rn. 11, 13) - mit 16.926,40 € zu bemessen.

17bb) Eine darüber hinausgehende Beschwer hat die Nichtzulassungsbeschwerde schon nicht hinreichend dargetan, jedenfalls aber nicht glaubhaft gemacht.

18(1) Im Hinblick auf die Schätzung der Baukosten für die Erneuerung der im Streit stehenden Trinkwasserleitung weist die Beschwerde zwar zutreffend darauf hin, dass es für die Bewertung der Beschwer einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht auf den Zeitpunkt des Eingangs des Berufungsantrags ankommt, auf den das Berufungsgericht gemäß § 40 GKG für die Festsetzung des Streitwerts des Berufungsverfahrens abgestellt hat. Die Beschwerdebegründung lässt indessen eine hinreichende Darlegung und Glaubhaftmachung von Tatsachen vermissen, die darauf schließen ließen, dass und in welchem Umfang sich die betreffenden Baukosten innerhalb des sehr kurzen Zeitraums zwischen dem Eingang des Berufungsantrags beim Berufungsgericht (am ) und dem - nach den oben aufgezeigten Grundsätzen für die Bewertung der Beschwer maßgeblichen - Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht (am ) weiter gesteigert hätten. Das gälte gleichermaßen, wenn man - entgegen den oben (unter II 1) genannten Grundsätzen - den von der Beklagten für die Bewertung ihrer Beschwer als maßgeblich angesehenen Zeitpunkt der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde (am ) zugrunde legte.

19Die Beschwerde nimmt in diesem Zusammenhang ausschließlich auf das vorinstanzliche Vorbringen der Beklagten in ihrer - gegen den ursprünglichen Streitwertbeschluss des Berufungsgerichts erhobenen - Gegenvorstellung vom Bezug. Insoweit ist nicht nachvollziehbar, wie die Beklagte eine weitere Verteuerung von Bauleistungen um sieben Prozent für das Jahr 2023 im Vergleich zum Jahr 2022 ermittelt hat und auf welchen tatsächlichen Grundlagen dies beruht. Soweit sie die Kosten für die Erneuerung der streitgegenständlichen Trinkwasserleitung alternativ auf der Grundlage anderer von ihr durchgeführter Bauprojekte berechnet, fehlt es nicht nur an einer (hinreichenden) Darlegung der Vergleichbarkeit dieser Bauprojekte mit der hier in Rede stehenden Erneuerung der Trinkwasserleitung, sondern zudem an einer Glaubhaftmachung der angeblichen Kosten für jene anderen Bauprojekte. Zweifeln begegnet dieses Vorbringen der Beklagten schon deshalb, weil sich hieraus eine im Vergleich zum Baupreisindex deutlich höhere Baukostensteigerung ergäbe.

20(2) Entgegen der Auffassung der Beschwerde ist der Wert ihrer Beschwer ferner nicht deshalb höher zu bemessen, weil der Kläger in seiner Klageschrift vom im Rahmen der Angaben zum Streitwert Unterhaltungskosten für die in Streit stehende Trinkwasserleitung in Höhe von 5.000 € behauptet hat. Auch insofern hat die Beklagte eine zusätzliche Beschwer weder hinreichend dargetan noch glaubhaft gemacht. Ihre Angaben bieten auch keine Grundlage zur Schätzung einer Beschwer.

21Die Beklagte führt in ihrer Beschwerdebegründung einzig an, dass der Kläger mit seinem Feststellungsantrag auch Unterhaltungskosten für die Trinkwasserleitung habe vermeiden wollen, die er in erster Instanz mit 5.000 € beziffert habe. Dem sei die Beklagte nicht entgegengetreten. Sie ist der Auffassung, der Wert der Beschwer sei deshalb um diesen Betrag - gegebenenfalls abzüglich 20 Prozent - zu erhöhen.

22(a) Die Bestimmung der Beschwer steht gemäß §§ 2, 3 ZPO in freiem Ermessen des Gerichts. Übereinstimmenden Angaben der Parteien zur Höhe des Streitwerts kann hierbei zwar ein erhebliches Gewicht zukommen. Allerdings ist das Gericht an solche übereinstimmenden Angaben nicht gebunden (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZR 21/12, juris Rn. 5; vom - X ZR 110/11, GRUR 2012, 1288 Rn. 4; Stein/Loyal, ZPO, 24. Aufl., § 2 Rn. 94 f.; Wieczorek/Schütze/Kruis, ZPO, 5. Aufl., § 3 Rn. 12 f.). Dies gilt insbesondere, wenn ein Bezug zwischen der Angabe zur Höhe des Streitwerts und dem zur Klagebegründung gehaltenen Sachvortrag fehlt (vgl. hierzu , juris Rn. 15; Stein/Loyal, ZPO, aaO Rn. 94).

23(b) So verhält es sich hier. Weder die Beklagte in ihrer Beschwerdebegründung noch der Kläger in der Klageschrift haben vorgetragen, welche Art von Kosten für die Unterhaltung einer - vollständig erneuerten - Trinkwasserleitung in welchem Zeitraum und in welcher Höhe anfallen würden. Der genannte Betrag erscheint deshalb pauschal und ist - gerade auch im Vergleich zu den Kosten für die komplette Erneuerung der Leitung - nicht nachvollziehbar. Insofern hatte - was auch die Beschwerde nicht in Abrede stellt - bereits das Berufungsgericht Unterhaltungskosten für die Trinkwasserleitung mit Blick auf die bereits berücksichtigten Kosten für ihre vollständige Erneuerung bei der Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren außer Betracht gelassen. Auch die Parteien hatten im Rahmen der Gegenvorstellung gegen den ursprünglichen Streitwertbeschluss des Berufungsgerichts Unterhaltungskosten nicht mehr geltend gemacht, sondern eine Streitwertanpassung allein auf der Grundlage der - aus ihrer Sicht gestiegenen - Kosten für die Erneuerung der Trinkwasserleitung gefordert. Vor diesem Hintergrund ist es sachgerecht und ausreichend, das wirtschaftliche Interesse des Klägers an seinem Feststellungsantrag und folglich auch die hiermit übereinstimmende Beschwer der Beklagten allein anhand der Kosten für die Erneuerung der streitgegenständlichen Trinkwasserleitung zu bemessen.

III.

24Die Nichtzulassungsbeschwerde wäre im Übrigen auch unbegründet, da die von ihr geltend gemachten Revisionszulassungsgründe nicht vorliegen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) noch ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 ZPO) oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) erforderlich.

25Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 544 Abs. 6 Satz 2 ZPO ab.

IV.

26Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Dr. Bünger                           Kosziol                           Wiegand

                     Dr. Reichelt                       Messing

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:171224BVIIIZR307.23.0

Fundstelle(n):
FAAAJ-84147