Gewerbesteuer | Keine erweiterte Kürzung bei Veräußerung des gesamten Grundbesitzes im Laufe des Erhebungszeitraums (BFH)
Hat eine Kapitalgesellschaft ihren gesamten Grundbesitz einen Tag vor Ablauf des Erhebungszeitraums ("zu Beginn des 31.12.") veräußert, kann sie die sog. erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG nicht in Anspruch nehmen, da sie in diesem Fall nicht ausschließlich grundstücksverwaltend tätig war (; veröffentlicht am ).
Hintergrund: Gemäß § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG wird die Summe des Gewinns und der Hin-zurechnungen um 1,2 % des Einheitswerts des zum Betriebsvermögen des Unternehmers gehörenden und nicht von der Grundsteuer befreiten Grundbesitzes gekürzt (sog. einfache Kürzung); maßgebend ist der Einheitswert des letzten Feststellungszeitpunktes vor dem Ende des Erhebungszeitraums. Stattdessen kann nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG bei Unternehmen, die ausschließlich eigenen Grundbesitz oder neben eigenem Grundbesitz eigenes Kapitalvermögen verwalten und nutzen oder daneben Wohnungsbauten betreuen oder Einfamilienhäuser, Zweifamilienhäuser oder Eigentumswohnungen errichten und veräußern, auf Antrag die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen um den Teil des Gewerbeertrags gekürzt werden, der auf die Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes entfällt (sogenannte erweiterte Kürzung). Dieser Teil des Gewerbeertrags geht nicht in die Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer ein und wird so im Ergebnis nicht mit Gewerbesteuer belastet (vgl. , BFHE 263, 225, BStBl II 2019, 262).
Sachverhalt: Die Klägerin ist eine GmbH, dessen Gegenstand des Unternehmens u.a. der Erwerb, die Verwaltung und die Veräußerung von Grundbesitz war. In den Jahren 2013 und 2015 hatte sie jeweils ein Immobilienobjekt erworben und anschließend im jeweiligen Folgejahr wieder veräußert. Übergang von Besitz, Nutzen und Lasten erfolgte für das im Jahr 2015 erworbene Grundstück am Beginn des . Weiteren Grundbesitz besaß die Klägerin nicht. Die Klägerin machte in der Gewerbesteuererklärung für das Streitjahr 2016 die erweiterte Kürzung gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG geltend. Das Finanzamt erkannte weder die erweiterte Kürzung noch die einfache Kürzung gemäß § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG an.
Der hiergegen erhobenen Klage gab das FG statt ().
Die Richter des BFH hoben das FG-Urteil auf und änderten den Bescheid über die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags dahingehend, dass die erweiterte Kürzung versagt und die einfache Kürzung gemäß § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG gewährt wurde:
Voraussetzung für die Gewährung der erweiterten Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG ist u.a. anderem, dass das Unternehmen ausschließlich eigenen Grundbesitz verwaltet und nutzt. Der Begriff der Ausschließlichkeit ist gleichermaßen qualitativ, quantitativ sowie zeitlich zu verstehen (vgl. u.a. , BFH/NV 2000, 1497, unter 1.a).
In zeitlicher Hinsicht muss der Unternehmer während des gesamten Erhebungszeitraums der gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG begünstigten Tätigkeit nachgehen. Die erweiterte Kürzung kann nicht zeitanteilig gewährt werden (vgl. , BFH/NV 2022, 242, Rz 12). Wird nur während eines Teils des Erhebungszeitraums eine nicht begünstigte Tätigkeit ausgeübt, entfallen für den gesamten Erhebungszeitraum die Voraussetzungen der erweiterten Kürzung (vgl. Senatsurteil v. – III R 36/17, BFHE 267, 406, BStBl II 2020, 405, Rz 30, m.w.N.).
Der Erhebungszeitraum für die Gewerbesteuer ist grundsätzlich das Kalenderjahr (§ 14 Satz 2 GewStG). Besteht die Gewerbesteuerpflicht nicht während des ganzen Kalenderjahrs, so tritt nach § 14 Satz 3 GewStG an die Stelle des Kalenderjahrs der Zeitraum der Steuerpflicht (abgekürzter Erhebungszeitraum).
Am Erfordernis einer ausschließlichen Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes fehlt es, wenn ein Unternehmer das letzte oder einzige Grundstück vor Ablauf des Erhebungszeitraums veräußert und danach nur noch anderweitige Tätigkeiten ausübt. Eine "technisch bedingte" Ausnahme wird bei einer Veräußerung zum 31.12., 23:59 Uhr, zugelassen (vgl. , BFHE 207, 40, BStBl II 2004, 1080, unter II.2.).
Nach diesen Maßstäben ist der Klägerin im Streitjahr die erweiterte Kürzung gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG nicht zu gewähren. Sie hat in zeitlicher Hinsicht nicht ausschließlich eigenen Grundbesitz verwaltet und genutzt oder neben eigenem Grundbesitz eigenes Kapitalvermögen verwaltet und genutzt.
Denn die Klägerin hat ihr einziges Grundstück vor Ablauf des Erhebungszeitraums veräußert, da Besitz, Nutzungen und Gefahr sowie Lasten, bereits zu Beginn des auf die Erwerberin übergingen. Da die Klägerin als juristische Person über den hinaus fortbestand, dauerte auch ihre sachliche Gewerbesteuerpflicht über diesen Tag hinaus an und der Erhebungszeitraum (Kalenderjahr) war nicht abgekürzt.
Damit ist die Klägerin an einem Tag des Erhebungszeitraums () nicht der begünstigten Tätigkeit (Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes) nachgegangen. Eine sog. technische Ausnahme (Veräußerung zum 31.12., 23:59 Uhr) liegt nicht vor. Im Ergebnis ist der Klägerin die erweiterte Kürzung zu versagen.
Anmerkung von Dr. Ralf Adam, Richter im III. Senat des BFH:
Kurz nach dem Jahreswechsel 2024/25 hat der BFH eine Entscheidung mit „Silvesterbezug“ veröffentlicht. Sie reiht sich ein in die wachsende Liste der Urteile zu § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG und zeigt das Risiko auf, dass die erweiterte Kürzung bei der im Streitfall gewählten Vertragsgestaltung am 31.12. noch für den gesamten Erhebungszeitraum verloren gehen kann, selbst wenn bis zum 30.12. sämtliche Voraussetzungen erfüllt waren.
Kernaussagen des Besprechungsurteils sind, dass eine unschädliche Verwaltung eigenen Kapitalvermögens nur neben der Verwaltung eigenen Grundbesitzes möglich ist (Rz 14), dass die erweiterte Kürzung nicht zeitanteilig gewährt werden kann (d.h. im Streitfall nicht für die Zeit vom 01.01. bis , Rz 16) und dass es an der erforderlichen ausschließlichen Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes fehlt, wenn ein Unternehmer sein letztes oder einziges Grundstück vor Ablauf des Erhebungszeitraums veräußert und anschließend nur noch anderweitige Tätigkeiten ausübt (Rz 20). Im vorliegenden Fall erfolgte der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums am Beginn des (Rz 4).
Im Kontext von Fristwahrung/-versäumung und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird kommentiert, dass das Recht kein „Sekundenpardon“ kenne (Brandis in Tipke/Kruse, § 110 AO Rz 7 und § 56 FGO Rz 6 mit Verweis auf den , HFR 2023, 776). Diese Aussage bedarf im Hinblick auf die BFH-Rechtsprechung zu § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG insofern der Relativierung, als der BFH im Urteil v. - I R 89/03 (BFHE 207, 40, BStBl II 2004, 1080) doch Grund für ein „Minutenpardon“ sah. Unbeschadet des gesetzlichen Ausschließlichkeitsgebots sei die erweiterte Kürzung zu gewähren, wenn das grundstücksverwaltende Unternehmen sein einziges Grundstück zum 31.12., 23:59 Uhr veräußere. Im Besprechungsurteil hat der BFH demgegenüber keinen Raum für eine darüber hinausgehende Nachsicht gesehen. Er hat das stattgebende FG-Urteil vielmehr aufgehoben und der Klägerin lediglich die einfache Kürzung gemäß § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG zuerkannt.
Zum gewerblichen Grundstückshandel und der im aufgehobenen Urteil des FG ebenfalls thematisierten sog. Drei-Objekt-Grenze stehen beim BFH die Revisionsverfahren III R 12/22 und III R 14/23 zur Entscheidung an.
Quelle: ; NWB Datenbank (lb)
Fundstelle(n):
XAAAJ-83639