Instanzenzug: LG Berlin I Az: 519 KLs 6/21
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 49 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt und angeordnet, dass hiervon zwei Monate wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der auf eine Formalrüge und sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützten Revision. Diese erzielt mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg und ist im Übrigen unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
21. Nach den Feststellungen beschäftigte der Angeklagte als faktischer Geschäftsführer der A. gesellschaft mbH (folgend: A. GmbH) von März 2015 bis zum März 2019 eine Vielzahl von Arbeitnehmern in Vollzeit, die entweder nicht oder nur mit einer Teilzeitbeschäftigung zur Sozialversicherung angemeldet waren. Die A. GmbH führte als reines Lohnleistungsunternehmen (ohne Einsatz eigener Arbeitsmaterialien- und mittel) überwiegend für gewerbliche Bauherren arbeitsintensive Rohbauarbeiten aus. Der Angeklagte zahlte den für die A. GmbH tätigen Arbeitnehmern den vollständigen Arbeitslohn oder den sich zum angemeldeten Entgeltteil ergebenden Differenzbetrag bar aus. Im Tatzeitraum unterließ er es in 49 Fällen, die jeweils zu entrichtenden Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 427.601,29 Euro bis zum Fälligkeitszeitpunkt der zuständigen Einzugsstelle anzumelden, so dass diese auch nicht eingefordert wurden. Hierauf kam es ihm an. Zugleich unterließ er es absichtlich, die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 450.365,31 Euro zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt abzuführen, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre.
32. Die verfahrensrechtliche Beanstandung erweist sich als unzulässig im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.
43. Die auf die Sachrüge veranlasste Nachprüfung des Urteils führt zur Aufhebung des Strafausspruchs, da das Landgericht den Schuldumfang nicht rechtsfehlerfrei bestimmt hat.
5a) Im Ausgangspunkt rechtlich nicht zu beanstanden ist die Ermittlung des Schwarzlohns anhand einer branchenüblichen Nettolohnquote. Da nur vereinzelt Unterlagen (Stundenaufzeichnungen, Bautagebücher) vorhanden waren und auch insoweit eine Zuordnung zu bestimmten Arbeitnehmern zumeist unmöglich war, hat die Strafkammer den Anteil der Nettoschwarzlöhne als Ausgangspunkt der Bestimmung des Beitragsschadens gemäß § 266a StGB nach der vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung für die lohnintensive Baubranche anerkannten Zwei-Drittel-Methode geschätzt (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 577/12 Rn. 55; vom – 1 StR 283/09, BGHR AO § 370 Abs. 1 Steuerschätzung 4). Lediglich für die Monate November und Dezember 2015 hat sie eine einzelfallbezogene Berechnung vorgenommen, da insoweit eine ausreichende Tatsachenbasis vorhanden war.
6b) Allerdings erweist sich die Ermittlung der vorenthaltenen Beiträge zur Sozialversicherung auf vorgenannter Grundlage in allen Fällen als rechtsfehlerhaft. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Zuschrift insoweit ausgeführt:
Nach dieser Rechtsprechung obliegt es dem Tatgericht, die geschuldeten Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge – für die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte gesondert – nach Anzahl, Beschäftigungszeiten, Löhnen der Arbeitnehmer und der Höhe des Beitragssatzes der örtlich zuständigen Krankenkasse festzustellen, um eine revisionsgerichtliche Nachprüfung zu ermöglichen, weil die Höhe der geschuldeten Beiträge auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkassen sowie den gesetzlich geregelten Beitragssätzen der Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung zu berechnen ist (vgl. , Rn. 21; Beschluss vom – 2 StR 460/20, Rn. 7). Sind solche Feststellungen im Einzelfall nicht möglich, kann die Höhe der vorenthaltenen Beiträge auf Grundlage der tatsächlichen Umstände geschätzt werden (vgl. , BGHSt 53, 71, 73; Beschlüsse vom – 1 StR 283/09, juris Rn. 21; und vom – 1 StR 213/11). Allerdings genügt es auch in diesem Fall nicht, die vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge lediglich der Höhe nach anzugeben. Vielmehr müssen die Urteilsgründe die Berechnungsgrundlagen und Berechnungen im Einzelnen wiedergeben (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 310/16, Rn. 16; und vom – 1 StR 111/18, Rn. 12).
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht ausreichend gerecht. Zwar bestehen gegen die vom Landgericht vorgenommene Schätzung keine rechtlichen Bedenken. Jedoch erweist sich die Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge – aufgeschlüsselt nach Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteilen – als lückenhaft. Die Wirtschaftsstrafkammer hat zu diesem Zweck die von ihr auf Basis des Faktors der Deutschen Rentenversicherung Bund auf Bruttolöhne hochgerechneten Nettolöhne zugrunde gelegt (UA S. 22) und ausgehend von den so ermittelten fiktiven Bruttolöhnen im Anschluss die in den jeweiligen Monaten vorenthaltenen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile zur Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung errechnet (UA S. 24). Welche Beitragssätze sie dabei letztlich ihrer Berechnung zugrunde gelegt hat, führen die Urteilsgründe aber nicht aus. Sie beschränken sich allein auf die Benennung der zuständigen Krankenkasse (UA S. 6). Darüber hinaus hat das Landgericht in den Fällen 9 und 10 der Urteilsgründe, in denen es abweichend von den übrigen Fällen den Umfang der in den Monaten November und Dezember 2015 in Schwarzarbeit geleisteten Arbeitsstunden einzelfallbezogen zu errechnen vermochte (UA S. 24), die ermittelten Arbeitsstunden und die hierfür gewährten Entgelte nicht wiedergegeben, die es zum Ausgangspunkt seiner Lohnberechnung gemacht hat. Das wäre indessen ebenso erforderlich gewesen (vgl. , Rn. 10). Somit ist die Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge anhand der nur unzureichend getroffenen Urteilsfeststellungen einer vollumfänglichen revisionsrechtlichen Nachprüfung entzogen (vgl. , Rn. 19).
7Dem verschließt sich der Senat nicht.
84. Die aufgezeigten Rechtsfehler haben, dem Antrag des Generalbundesanwalts entsprechend, die Aufhebung des Strafausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen zur Höhe der vorenthaltenen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge zur Folge. Der Senat kann wegen der fehlenden revisionsgerichtlichen Nachprüfbarkeit nicht ausschließen, dass die Strafkammer einen zu hohen Schaden und damit einen zu großen Schuldumfang der Strafzumessung zugrunde gelegt hat und, dass das Urteil hierauf beruht (§ 337 Abs. 1 StPO).
9Der Schuldspruch ist von den rechtlichen Mängeln nicht betroffen, da nach den – insoweit rechtsfehlerfreien – Urteilsgründen feststeht, dass in jedem Beitragsmonat Beiträge zur Sozialversicherung vorenthalten wurden.
10Die rechtsfehlerfrei begründete Kompensationsentscheidung bleibt von der Aufhebung des Strafausspruchs unberührt (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 4/23 Rn. 16; vom – 5 StR 348/18 Rn. 8).
Gericke Mosbacher Resch
von Häfen Werner
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:181124B5STR375.24.0
Fundstelle(n):
NAAAJ-83236