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Online-Nachricht - Donnerstag, 16.01.2025

Umsatzsteuer | Vorsteuerabzug bei Konkurrenz umsatzsteuerlicher Befreiungsvorschriften (FG)

Liegen für die Lieferung durch einen in § 4 Nr. 19 Buchst. b UStG genannten Unternehmer (Inhaber einer Blindenwerkstätte) auch die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung (§ 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a UStG) vor (hier: innergemeinschaftliche Lieferungen von Blindenwaren nach Österreich), geht die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG vor, die den Vorsteuerabzug gem. § 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a UStG nicht ausschließt (insofern entgegen Abschn. 4.19.2 Abs. 3 UStAE, Abschn. 6a.1 Abs. 2a UStAE und Abschn. 15.13 Abs. 5 UStAE: des ; Revision anhängig, BFH-Az. XI R 33/24).

Sachverhalt: Streitig ist das Verhältnis der Umsatzsteuerbefreiungsvorschriften nach § 4 Nr. 19 Buchst. b UStG und § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG im Hinblick auf den Vorsteuerabzug: Im Streitfall ging es um innergemeinschaftliche Lieferungen von Blindenwaren von Deutschland nach Österreich. Geklagt hatte der Inhaber einer anerkannten Blindenwerkstätte zur Herstellung und zum Vertrieb von Blindenwaren und Zusatzwaren im Sinne des § 4 Nr. 19 Buchst. b UStG. Dieser hatte in den Streitjahren 2014 bis 2017 neben seinen (teilweise steuerfreien) Inlandsumsätzen auch umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen (§ 4 Nr. 1 Buchst. b UStG i. V. m. § 6a UStG) solcher Blindenwaren nach Österreich ausgeführt zur dortigen Veredelung und zum Weiterverkauf durch seine österreichische GmbH.

Der Kläger machte den Vorsteuerabzug für die mit diesen steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen im Zusammenhang stehenden Eingangsumsätze im Inland geltend. Das beklagte Finanzamt verwehrte dem Kläger jedoch insofern den Vorsteuerabzug unter Verweis auf die entsprechende Verwaltungsauffassung im Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE), wonach grundsätzlich die Steuerbefreiungen ohne Vorsteuerabzug (z. B. § 4 Nr. 8 bis 29 UStG) den Steuerbefreiungen mit Vorsteuerabzug (z. B. § 4 Nr. 1 bis 7 UStG) vorgehen würden. Danach sei vorliegend der Vorsteuerabzug bereits nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG ausgeschlossen und die Ausnahmeregelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a UStG komme nicht zur Anwendung (Abschn. 4.19.2 Abs. 3 UStAE, Abschn. 6a.1 Abs. 2a UStAE und Abschn. 15.13 Abs. 5 UStAE).

Das Niedersächsische FG folgte dieser Verwaltungsauffassung im Streitfall nicht und gab der Klage statt:

  • Bei dem personenbezogenen eingeschränkt formulierten Steuerbefreiungstatbestand nach § 4 Nr. 19 UStG handelt es sich um eine nicht harmonisierte, innerstaatliche Regelung.

  • Nach einer unionsrechtlichen Übergangsvorschrift darf Deutschland die in § 4 Nr. 19 UStG genannten Umsätze der Blinden und Blindenwerkstätten von der Umsatzsteuer befreien.

  • Zwar können Unternehmer, die unter § 4 Nr. 19 UStG fallende Leistungen im Inland erbringen, grundsätzlich nach § 9 Abs. 1 UStG auf die Steuerfreiheit verzichten, wenn der Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird.

  • Bei gleichzeitigem Vorliegen der Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung ist für den Kläger ein solcher Verzicht jedoch tatsächlich gar nicht möglich, da der Kläger die innergemeinschaftlichen Lieferungen zu Recht als umsatzsteuerfrei in seinen Rechnungen ausgewiesen hatte.

  • Ein Verzicht auf die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 19 UStG nach § 9 Abs. 1 UStG ist in diesem grenzüberschreitenden Fall vielmehr gegenstandlos.

  • Durch die vorrangige Anwendung der Steuerbefreiung für die innergemeinschaftlichen Lieferungen (§ 4 Nr. 1 Buchst. b UStG i. V. m. § 6a UStG) wird eine systemwidrige Mehrfachbelastung des Klägers mit Umsatzsteuer über alle Wertschöpfungsstufen hinweg vermieden, da in diesem Fall nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a UStG kein Vorsteuerausschluss eintritt und die Besteuerung in den Bestimmungsmitgliedstaat (hier Österreich) verlagert wird.

Hinweis:

Die Revision gegen das Urteil ist beim BFH unter dem Az. XI R 33/24 anhängig. Der Volltext der Entscheidung ist in der Rechtsprechungsdatenbank des Landes Niedersachsen veröffentlicht.

Quelle: Niedersächsisches FG, Newsletter 1/2025 (il)

Fundstelle(n):
EAAAJ-83200