Erfordernis eines außergerichtlich gestellten Antrags auf Auskunftserteilung nach Art. 15 DSGVO
Leitsatz
1. Eine auf Auskunftserteilung gemäß Art. 15 Abs. 1 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gerichtete Klage ist mangels Beschwer grundsätzlich unzulässig, wenn es an einem dem Klageverfahren vorausgehenden außergerichtlich gestellten Antrag auf Auskunftserteilung fehlt.
2. Das Auskunftsrecht nach Art. 15 DSGVO ist inhaltlich nicht mit einem Akteneinsichtsrecht identisch.
Gesetze: DSGVO Art. 12, 15, 79; EUGrdRCh Art. 47; FGO § 40 Abs. 2
Instanzenzug: ,
Tatbestand
I.
1 Streitig ist ein Auskunftsanspruch nach Art. 15 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO).
2 Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) führte in der Vergangenheit umfangreiche Klageverfahren gegen den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—).
3 Mit Schreiben vom forderte der Kläger, vertreten durch die Prozessbevollmächtigte, das FA gemäß Art. 15 Abs. 1 DSGVO auf, „unentgeltliche und schriftliche Auskunft zu erteilen, welche personenbezogenen Daten hinsichtlich des [.] Klägers verarbeitet würden“. Als ordnungsgemäße Auskunft werde eine vollständige Kopie der gesamten Akten akzeptiert. Nach weiterem Schriftverkehr bat das FA mit Schreiben vom um Klärung, ob der Antrag aufrechterhalten werde. Daraufhin gab der Kläger, wiederum vertreten durch die Prozessbevollmächtigte, mit Schreiben vom unter dem Betreff „Rücknahme des Antrags gemäß DSGVO“ an, den auf die Datenschutz-Grundverordnung gestützten Antrag nicht weiter zu verfolgen.
4 Mit Schreiben vom nahm der Kläger, vertreten durch die Prozessbevollmächtigte, auf das Schreiben des FA vom Bezug und führte aus, man habe vom FA nicht erfahren können, dass eine ordnungsgemäße Fallbearbeitung vorliege. Man werde sich „daher die Mühe machen müssen, die [im] Finanzamt befindlichen Unterlagen im Einzelnen zu sichten und zu prüfen, um daraus abzuleiten, ob die tatsächliche Bearbeitungsweise korrekt“ sei. Das FA werde daher ersucht, „gemäß den Vorschriften der Datenschutz-Grundverordnung uns alle in Ihrem Hause befindlichen Akten, Teilakten, seien diese als Papierakte [.] oder als elektronische Akte vorhanden, in unserem Büro zur Verfügung zu stellen. Wir spezifizieren unser Auskunftsbegehren dahingehend, dass wir 'alles' sehen möchten. Wir bitten höflich von Anfragen abzusehen, ob wir mit weniger einverstanden sind. Wir werden auch nicht Ihr Finanzamt aufsuchen um uns dort Kopien anzufertigen, wir erwarten die unverzügliche Zusendung der Unterlagen, die uns nach der DSGVO zustehen“. Ergänzend führte die Prozessbevollmächtigte aus, dass sie davon ausgehen müsse, dass die Unterlagen nicht vorgelegt würden und sie sich daher entschlossen hätte, zeitgleich Klage auf Auskunft nach der Datenschutz-Grundverordnung einzureichen.
5 Am hat der Kläger unter Bezugnahme auf den Wortlaut des Art. 15 Abs. 1 und Abs. 3 DSGVO Klage „wegen Verpflichtung zur Auskunft“ erhoben. Mit Schreiben vom lehnte das FA den Antrag des Klägers vom auf Übersendung der gesamten Akten im Original oder in Kopie ab und gewährte eine Akteneinsicht in beschränktem, näher erläutertem Umfang.
6 Letztlich hat der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren beantragt,
das FA zu verurteilen, Auskunft über diese personenbezogenen Daten und auf folgende Informationen (Art. 15 Abs. 1 DSGVO) zu geben:
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- | die Verarbeitungszwecke; |
- | die Kategorien personenbezogener Daten, die verarbeitet werden; |
- | die Empfänger oder Kategorien von Empfängern, gegenüber denen die personenbezogenen Daten offengelegt worden sind oder noch offengelegt werden, insbesondere bei Empfängern in Drittländern oder bei internationalen Organisationen; |
- | falls möglich die geplante Dauer, für die die personenbezogenen Daten gespeichert werden, oder, falls dies nicht möglich ist, die Kriterien für die Festlegung dieser Dauer; |
- | das Bestehen eines Rechts auf Berichtigung oder Löschung der sie betreffenden personenbezogenen Daten oder auf Einschränkung der Verarbeitung durch den Verantwortlichen oder eines Widerspruchsrechts gegen diese Verarbeitung; |
- | das Bestehen eines Beschwerderechts bei einer Aufsichtsbehörde; |
- | wenn die personenbezogenen Daten nicht bei der betroffenen Person erhoben werden, alle verfügbaren Informationen über die Herkunft der Daten; |
- | das Bestehen einer automatisierten Entscheidungsfindung einschließlich gemäß Artikel 22 Absatz 1 und 4 und —zumindest in diesen Fällen— aussagekräftige Informationen über die involvierte Logik sowie die Tragweite und die angestrebten Auswirkungen einer derartigen Verarbeitung für die betroffene Person. |
7 Weiter sollte das FA verurteilt werden, eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, dem Kläger zur Verfügung zu stellen (Art. 15 Abs. 3 DSGVO).
8 Es würden nicht die Informationen verlangt,
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- | die dem Kläger aus einem Schriftverkehr zwischen dem FA und dem Kläger persönlich sowie aus Schriftverkehr zwischen dem FA und einem der Steuerberater, dem Rechtsanwalt oder einer entsprechenden Assoziierung dieser beiden Berufsgruppen schon bekannt sind; |
- | die nur deshalb bei dem FA gespeichert sind, weil diese aufgrund der gesetzlichen Aufbewahrungsverpflichtung nicht gelöscht werden dürfen; hiervon sind jedoch die Daten ausgenommen, die zu einer Festsetzung eines noch nicht festsetzungsverjährten Zeitraumes relevant sind; |
- | die sachlich den Beschränkungen des Art. 2 Abs. 2 Buchst. d DSGVO unterfallen; |
- | hinsichtlich der Steuerbescheide, die den Kläger persönlich betreffen; |
- | hinsichtlich der Steuerbescheide, die die Gesellschaft(en) betreffen, die der Kläger persönlich vertritt. |
9 Die Beteiligten haben im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom übereinstimmend erklärt, dass der Antrag des Klägers vom und der Bescheid des FA vom im vorliegenden Verfahren nicht streitgegenständlich seien. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
10 Das Finanzgericht (FG) hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil es an einem außergerichtlich gestellten Antrag fehle. Statthafte Klageart sei die Verpflichtungsklage. Denn bei der Entscheidung über einen datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch durch eine Behörde handele es sich um einen Verwaltungsakt. Der Kläger sei vorliegend nicht beschwert im Sinne des § 40 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO), weil er keinen Antrag an das FA gestellt habe. Den Antrag vom habe der Kläger mit Schreiben vom zurückgenommen. Der Antrag vom , den das FA am beschieden habe, sei nicht Gegenstand des Gerichtsverfahrens. Er sei nicht auf Informationserteilung nach Art. 15 DSGVO gerichtet gewesen, sondern auf Gewährung einer umfassenden Akteneinsicht. Der Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO sei einem Akteneinsichtsanspruch nicht gleichzustellen. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2022, 820 abgedruckt.
11 Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, der seine Klage für zulässig hält.
12 Der Antrag auf Auskunftserteilung könne unmittelbar und erstmalig an das Gericht gerichtet werden. Im Übrigen habe es sich bei dem Antrag vom um einen Antrag nach Art. 15 DSGVO gehandelt. Das FG habe den Sachbearbeiter des FA dazu vernehmen müssen, wie dieser das Schreiben vom verstanden habe.
13 Der Kläger vertritt die Ansicht, es handele sich um eine Leistungsklage und nicht um eine Verpflichtungsklage, weil ein tatsächliches Handeln der Behörde eingeklagt werde. Ein Vorverfahren —und ein solches sei der erstmalige Auskunftsantrag— sei weder in der Datenschutz-Grundverordnung noch in der Abgabenordnung —AO— (§ 32i Abs. 9 AO) vorgesehen. Der Kläger rügt außerdem eine Überraschungsentscheidung. Es habe vor der mündlichen Verhandlung keinerlei Hinweis auf die Frage des Vorverfahrens gegeben.
14 Schließlich verweist der Kläger auf einen Anspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG).
15 Der Kläger beantragt,
das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und der Klage stattzugeben.
16 Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
17 Das FA schließt sich den Erwägungen des FG an. Die Entbehrlichkeit des Vorverfahrens nach § 32i Abs. 9 AO begründe nicht die Entbehrlichkeit des außergerichtlichen Antrags. Denn es obliege dem FG, eine von der Behörde getroffene Entscheidung zu überprüfen, und nicht erstmals eine eigene Entscheidung zu treffen. Die Notwendigkeit einer vorherigen Antragstellung ergebe sich insbesondere aus § 40 Abs. 2 FGO. Danach sei eine Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend mache, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts oder einer anderen Leistung in seinen Rechten verletzt zu sein. Eine solche Rechtsverletzung habe das FG zutreffend verneint. Schließlich folge das Erfordernis der vorherigen außergerichtlichen Antragstellung auch aus § 32d Abs. 1 AO, wonach die Finanzbehörde Form und Inhalt der Information zu bestimmen habe, soweit nicht die Datenschutz-Grundverordnung Regelungen enthalte. Das ergebe nur Sinn, wenn die Behörde Gelegenheit erhalte, Art und Umfang der Auskunft zu bestimmen.
Gründe
II.
18 Die Revision ist nicht begründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Die Vorentscheidung entspricht Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO).
19 Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Klage unzulässig ist, weil der Kläger nicht nach § 40 Abs. 2 FGO beschwert ist.
20 1. Ob die Klage auf Auskunftserteilung nach Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO als Verpflichtungsklage nach § 40 Abs. 1 Variante 2 FGO, als allgemeine Leistungsklage nach § 40 Abs. 1 Variante 3 FGO oder als allgemeine Leistungsklage kombiniert mit einer Anfechtungs- beziehungsweise Verpflichtungsklage gegen die Ablehnung des Begehrens durch das FA statthaft ist, kann im vorliegenden Verfahren dahinstehen (für Verpflichtungsklage: 6 C 10.21, BVerwGE 177, 211, Rz 14; vgl. zur Geltendmachung eines Auskunftsanspruchs nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO 6 C 10.19, Rz 12; Krumm in Tipke/Kruse, § 40 FGO Rz 23; zur Ablehnung des Antrags auf Erörterung des Sach- und Rechtsstands gemäß § 364a AO , BFHE 237, 29, BStBl II 2012, 539, Rz 13 mit Verweis auf , BFH/NV 1988, 319, unter 3.a zur Ablehnung eines Antrags auf Überlassung von Fotokopien der schriftlichen Erklärungen von Zeugen; für allgemeine Leistungsklage vgl. , BFHE 215, 32, BStBl II 2007, 243, unter II.1.; 8 C 13.02, m.w.N.; zur Kombination von allgemeiner Leistungsklage und Anfechtungs- beziehungsweise Verpflichtungsklage vgl. von Beckerath in Gosch, FGO § 40 Rz 123; Braun in Hübschmann/Hepp/Spitaler —HHSp—, § 40 FGO Rz 134; Gräber/Teller, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 40 Rz 34).
21 2. Ein Vorverfahren ist nach § 32i Abs. 9 AO auch bei Annahme einer Verpflichtungsklage nicht erforderlich.
22 3. Ungeachtet der statthaften Klageart muss der Kläger jedenfalls nach § 40 Abs. 2 FGO beschwert sein.
23 a) Das Vorliegen der Sachurteilsvoraussetzungen hat der BFH als Revisionsgericht in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (Senatsurteil vom - IX R 7/22, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BStBl II 2024, 406, Rz 17). Die Beschwer nach § 40 Abs. 2 FGO muss als Sachurteilsvoraussetzung schon zum Zeitpunkt der Klageerhebung gegeben sein und kann nicht durch eine nachträgliche Korrektur des Begehrens während der Instanz bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung geschaffen werden (Gräber/Teller, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 40 Rz 76; Braun in HHSp, § 40 FGO Rz 160).
24 b) Der Kläger muss nach § 40 Abs. 2 FGO geltend machen, durch einen Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts oder einer anderen Leistung in seinen Rechten verletzt zu sein. § 40 Abs. 2 FGO macht im Fall der Anfechtungs-, Verpflichtungs- und allgemeinen Leistungsklage die Zulässigkeit der Klage ausdrücklich davon abhängig, dass der Kläger die Verletzung eigener Rechte geltend macht (von Beckerath in Gosch, FGO § 40 Rz 25).
25 aa) Diese in § 40 Abs. 2 FGO benannte Ablehnung durch die Behörde setzt zwingend voraus, dass der Erlass eines Verwaltungsakts oder die bestimmte Handlung der Behörde vorher beantragt wurde (Gräber/Teller, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 40 Rz 34; Krumm in Tipke/Kruse, § 40 FGO Rz 45; vgl. 6 B 54.19, Rz 23 und 6 C 7.20, BVerwGE 175, 76, Rz 57 für einen Löschungsanspruch nach Art. 17 DSGVO; kritisch hierzu Kühling/Buchner/Bergt, 4. Aufl., DS-GVO Art. 79 Rz 2 am Ende).
26 Zwar kann es nach der Rechtsprechung des BVerwG aus prozessökonomischen Gründen angezeigt sein, auf das Erfordernis des vorherigen Antrags bei der Behörde zu verzichten, wenn das Beharren auf einer Vorbefassung der Verwaltung als bloße Förmelei erscheint, weil die Behörde klar und eindeutig zu erkennen gegeben hat, dass sie einen solchen Antrag definitiv ablehnen wird (vgl. 6 C 7.20, BVerwGE 175, 76, Rz 58). So liegt der Fall hier jedoch nicht, auch wenn der Kläger in seinem Schreiben vom mitgeteilt hat, er müsse „ohnehin davon ausgehen“, dass „die Unterlagen nicht vorgelegt werden“. Konkrete Anhaltspunkte hierfür sind nicht ersichtlich.
27 bb) Aus der Datenschutz-Grundverordnung ergibt sich nichts Abweichendes. Die nationalen Verfahrensvorschriften bestimmen, wie die von der Datenschutz-Grundverordnung vorgesehenen Rechtsbehelfe durchzuführen sind (vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union —EuGH— Budapesti Elektromos Muvek vom - C-132/21, EU:C:2023:2, Rz 46).
28 (1) Dem steht die Regelung des Art. 79 DSGVO nicht entgegen, wonach das Recht auf gerichtlichen Rechtsbehelf unbeschadet eines verfügbaren verwaltungsrechtlichen oder außergerichtlichen Rechtsbehelfs besteht (gleicher Ansicht Tormöhlen in HHSp, § 32i AO Rz 29). Das bedeutet, dass der gerichtliche Rechtsbehelf nicht durch anderweitige Rechtsbehelfe beschränkt werden darf. Art. 79 DSGVO spricht von einem verfügbaren verwaltungsrechtlichen oder außergerichtlichen Rechtsbehelf, mithin von einem Vorverfahren. Die Geltendmachung des Auskunftsanspruchs stellt kein Vorverfahren dar (vgl. Kühling/Buchner/Bergt, 4. Aufl., DS-GVO Art. 79 Rz 12).
29 Art. 79 Abs. 1 DSGVO gewährt dem Betroffenen ein Klagerecht, wenn er der Ansicht ist, dass bei der Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten gegen Regelungen der Datenschutz-Grundverordnung verstoßen worden ist. Eine Klagebefugnis nach § 40 Abs. 2 FGO ist somit immer dann gegeben, wenn der Steuerpflichtige vorträgt, dass bei der Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten Regelungen der Datenschutz-Grundverordnung verletzt worden sind (Krömker in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, Stand 108. Lfg. 06.2018, § 32i AO Rz 16; Schober in Gosch, AO § 32i Rz 19). Dabei ist zu unterscheiden zwischen antragsabhängigen Rechten und sonstigen Rechten beziehungsweise Pflichten. Soweit antragsabhängige Ansprüche, wie insbesondere die Ansprüche auf Auskunft nach Art. 15 DSGVO, Einschränkung der Verarbeitung nach Art. 18 DSGVO, Unterrichtung über Empfänger nach Art. 19 Satz 2 DSGVO und Datenübertragbarkeit nach Art. 20 DSGVO betroffen sind, entsteht der Anspruch des Betroffenen erst mit der Geltendmachung (vgl. Kühling/Buchner/Bergt, 4. Aufl., DS-GVO Art. 79 Rz 12).
30 (2) Für das Erfordernis eines vorherigen Auskunftsantrags an den Verantwortlichen sprechen auch die Regelungen in Art. 12 Abs. 1 bis 6 DSGVO.
31 Art. 12 DSGVO ist Ausprägung des allgemeinen Transparenzgrundsatzes in Art. 5 Abs. 1 Buchst. a DSGVO und statuiert einen „allgemeinen Teil“ für die Informations- und Mitteilungspflichten im Rahmen der Betroffenenrechte (Paal/Hennemann in Paal/Pauly, DS-GVO, 3. Aufl., Art. 12 Rz 1, m.w.N.). In Art. 12 DSGVO sind die Einzelheiten geregelt, wie, wann und in welcher Form der Verantwortliche eine Auskunft nach Art. 15 DSGVO zu erteilen hat. Nach Art. 12 Abs. 1 Satz 1 DSGVO hat dies in präziser, transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form in einer klaren und einfachen Sprache zu erfolgen. Die Informationen über die ergriffenen Maßnahmen müssen nach Art. 12 Abs. 3 Satz 1 DSGVO unverzüglich, in jedem Fall aber innerhalb eines Monats nach Eingang des Antrags zur Verfügung gestellt werden. Die Übermittlung der Informationen erfolgt nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 DSGVO schriftlich oder in anderer Form, gegebenenfalls auch elektronisch, wobei Art. 15 Abs. 3 Satz 3 DSGVO vorschreibt, dass die Informationen in einem gängigen elektronischen Format zur Verfügung zu stellen sind, wenn der Betroffene den Antrag elektronisch stellt und nichts anderes angibt. In Ergänzung zu Art. 12 DSGVO regelt § 32d Abs. 1 AO, dass die Finanzbehörde die Form, in der Auskunft nach Art. 15 DSGVO erteilt wird, nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt. Diese Normen setzen voraus, dass nicht das FG über den Auskunftsantrag entscheidet, sondern eine Entscheidung der Behörde als Verantwortlichen überprüft.
32 (3) Das EuGH-Urteil Újpesti Polgármesteri Hivatal vom - C-46/23, EU:C:2024:239 zum Tätigwerden einer Aufsichtsbehörde steht dem ebenfalls nicht entgegen.
33 Der EuGH hat entschieden, dass die Aufsichtsbehörde eines Mitgliedstaats der Europäischen Union den Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiter in Ausübung ihrer Abhilfebefugnisse (Art. 58 DSGVO) selbst dann zur Löschung unrechtmäßig verarbeiteter personenbezogener Daten anweisen darf, wenn die betroffene Person keinen entsprechenden Antrag auf Ausübung ihrer Rechte nach Art. 17 Abs. 1 DSGVO gestellt hat (EuGH-Urteil Újpesti Polgármesteri Hivatal vom - C-46/23, EU:C:2024:239, Rz 25, 46 und 54). Zum einen betrifft diese Entscheidung das Verhältnis zwischen der Aufsichtsbehörde und dem Verantwortlichen, zum anderen unterscheiden sich die einzelnen in Art. 58 DSGVO geregelten Befugnisse. So sieht Art. 58 Abs. 2 Buchst. g DSGVO vor, dass es der Aufsichtsbehörde gestattet ist, die Berichtigung oder Löschung personenbezogener Daten oder die Einschränkung der Verarbeitung gemäß den Art. 16, 17 und 18 DSGVO und die Unterrichtung der Empfänger, gegenüber denen diese personenbezogenen Daten gemäß Art. 17 Abs. 2 und Art. 19 DSGVO offengelegt wurden, anzuordnen. Damit bezieht sich die Norm auf Art. 17 DSGVO, wonach die betroffene Person das Recht hat, vom Verantwortlichen zu verlangen, dass sie betreffende personenbezogene Daten unverzüglich gelöscht werden; zugleich ist der Verantwortliche zur unverzüglichen Löschung dieser Daten verpflichtet, sofern sie „unrechtmäßig verarbeitet“ wurden. Daraus ergibt sich, dass eine Löschungsverpflichtung auch ohne einen Antrag des Betroffenen besteht. Dagegen ist das Auskunftsrecht nach Art. 15 DSGVO ausschließlich als Antragsrecht ausgestaltet (siehe oben).
34 cc) Das Erfordernis der Beschwer nach § 40 Abs. 2 FGO ist auch im Lichte des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EUGrdRCh) zulässig. Danach hat jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Bei der Festlegung der Modalitäten gerichtlicher Rechtsbehelfe zum Schutz der durch die Datenschutz-Grundverordnung eingeräumten Rechte müssen die Mitgliedstaaten die Beachtung des in Art. 47 EUGrdRCh verankerten Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren gewährleisten, der den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes bekräftigt (EuGH-Urteile Puskár vom - C-73/16, EU:C:2017:725, Rz 59 zur Vorgängerregelung in Art. 22 der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 281 vom , S. 31 und Budapesti Elektromos Muvek vom - C-132/21, EU:C:2023:2, Rz 50). So hat der EuGH bereits entschieden, dass die Erfordernisse einer vorherigen Durchführung von außergerichtlichen Streitbeilegungs- oder Mediationsverfahren (vgl. EuGH-Urteile Alassini u.a. vom - C-317/08 bis C-320/08, EU:C:2010:146, Rz 67 sowie Menini und Rampanelli vom - C-75/16, EU:C:2017:457, Rz 61) sowie die Ausschöpfung eines verfügbaren Verwaltungsrechtsbehelfs (EuGH-Urteil Puskár vom - C-73/16, EU:C:2017:725, Rz 76) nicht gegen Art. 47 EUGrdRCh verstoßen. Insoweit stellt der erstmalige Antrag an die Behörde ein Weniger dar, welches nicht zu einem Verstoß gegen Art. 47 EUGrdRCh führen kann. Wenn der EuGH insbesondere darauf abstellt, dass die Ausschöpfung der vorhergehenden Rechtsbehelfe keine wesentliche Verzögerung für die Erhebung und keine übermäßigen Kosten mit sich bringen darf, so ist das bei dem erstmaligen Auskunftsantrag an die Behörde gegeben.
35 dd) Schließlich steht die Regelung in § 32i Abs. 9 AO dem nicht entgegen. Der dort verwendete Begriff des Vorverfahrens bezieht sich auf § 44 Abs. 1 FGO und bezeichnet das in den §§ 347 ff. AO geregelte außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren (vgl. Schober in Gosch, AO § 32i Rz 34; Tormöhlen in HHSp, § 32i AO Rz 58; Krumm in Tipke/Kruse, § 32i AO Rz 15; Koenig/Pätz, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 32i Rz 51). Nicht gemeint ist der erstmalige Antrag auf Auskunft nach Art. 15 DSGVO.
36 c) Im Streitfall fehlt ein vorheriger Auskunftsantrag.
37 aa) Das FG hat zutreffend festgestellt, dass der Kläger seinen Auskunftsantrag vom am zurückgenommen hat und dieser deshalb nicht mehr Gegenstand des Klageverfahrens sein kann.
38 bb) Auch das an das FA gerichtete Schreiben vom enthält keinen Auskunftsantrag, der Gegenstand des hiesigen Klageverfahrens ist.
39 (1) Das Schreiben vom umfasst nicht den maßgeblichen Streitgegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens. Das FG hat das Schreiben dahingehend ausgelegt, dass der Antrag nicht auf Auskunftserteilung nach Art. 15 DSGVO, sondern auf Gewährung einer umfassenden Akteneinsicht durch das FA in den Räumen der Prozessbevollmächtigten des Klägers gerichtet war.
40 Die Auslegung von Verträgen und Willenserklärungen gehört zum Bereich der tatsächlichen Feststellungen und bindet den BFH gemäß § 118 Abs. 2 FGO, wenn sie den Grundsätzen der §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entspricht und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt. Das Revisionsgericht prüft lediglich, ob das FG die gesetzlichen Auslegungsregeln sowie die Denkgesetze und Erfahrungssätze beachtet und die für die Vertragsauslegung bedeutsamen Begleitumstände erforscht und rechtlich zutreffend gewürdigt hat (vgl. , Rz 37; vom - II R 35/15, BFHE 258, 95, BStBl II 2017, 966; vom - I R 7/16, BFHE 260, 334, BStBl II 2019, 738, Rz 30 und Senatsurteil vom - IX R 1/22, Rz 25). Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt nur vor, wenn der vom FG gezogene Schluss schlechthin unmöglich ist, das heißt, wenn nach dem festgestellten Sachverhalt nur eine Folgerung möglich, jede andere jedoch ausgeschlossen ist und das Gericht die in diesem Sinne allein denkbare Folgerung nicht gezogen hat (vgl. Senatsbeschluss vom - IX B 18/17, Rz 4).
41 Nach diesen Grundsätzen ist der Senat an die Feststellung des FG gebunden. Denn nach dem Wortlaut des Schreibens verweist die Prozessbevollmächtigte des Klägers zwar auf die Datenschutz-Grundverordnung —nicht explizit auf Art. 15 DSGVO—, beantragt jedoch ausdrücklich „uns alle in Ihrem Hause befindlichen Akten, Teilakten, seien diese als Papierakte [.] oder als elektronische Akte vorhanden, in unserem Büro zur Verfügung zu stellen“. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass in dem Schreiben vom —im Gegensatz dazu— eindeutig Auskunft nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO begehrt wurde. Das FA wurde darin um Mitteilung gebeten, „welche personenbezogene Daten“ es „hinsichtlich des oben genannten Mandanten“ verarbeite. Auch die hierzu vorgelegte Vollmacht enthält die Formulierung „Auskunft in DSGVO“.
42 Das Auskunftsrecht in Art. 15 DSGVO ist nicht mit dem Akteneinsichtsrecht identisch. Das Akteneinsichtsrecht beruht auf dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes —GG—) und soll den Einsichtnehmenden in die Lage versetzen, die Grundlagen einer Verwaltungsentscheidung nachzuvollziehen. Das Auskunftsrecht dient dazu, dass sich jede natürliche Person vergewissern kann, dass sie betreffende personenbezogene Daten richtig sind und in zulässiger Weise verarbeitet werden (vgl. EuGH-Urteile Nowak vom - C-434/16, EU:C:2017:994, Rz 57 und Österreichische Post [Informations relatives aux destinataires de données personnelles] vom - C-154/21, EU:C:2023:3, Rz 37). Deshalb ist das Akteneinsichtsrecht gegenüber dem Auskunftsrecht hinsichtlich der verarbeiteten personenbezogenen Daten kein Mehr, sondern ein Aliud.
43 (2) Schließlich hat der Kläger ausweislich des Sitzungsprotokolls vom ausdrücklich erklärt, dass sein Antrag vom und der ablehnende Bescheid des FA vom im vorliegenden Verfahren nicht streitgegenständlich seien. Diese Äußerung war auch nicht missverständlich, wie der Kläger meint. Das steht einer anderweitigen Auslegung des Schreibens vom durch das FG entgegen.
44 4. Auch soweit der Kläger erstmals im Revisionsverfahren einen Anspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz beziehungsweise —ohne es ausdrücklich zu benennen— nach dem Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen geltend macht und rügt, das FG habe diesen Anspruch inzident verneint, hat seine Revision keinen Erfolg.
45 a) Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 IFG entscheidet über den Antrag die Behörde, die zur Verfügung über die begehrten Informationen berechtigt ist.
46 b) Ein solcher Antrag des Klägers ergibt sich aus den vorliegenden Akten des FA nicht. Er war auch nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens. Deshalb handelt es sich um neues tatsächliches Vorbringen, das im Revisionsverfahren unbeachtlich ist (vgl. , Rz 40).
47 5. Die vom Kläger gerügten Verfahrensfehler liegen nicht vor.
48 a) Das FG hat keine unzulässige Überraschungsentscheidung (Verstoß gegen die Gewährung rechtlichen Gehörs, Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 und § 119 Nr. 3 FGO) getroffen.
49 aa) Eine Überraschungsentscheidung ist gegeben, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten oder nicht bekannten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn ein entscheidungserheblicher Umstand vom FG erst mit dem Endurteil in das Verfahren eingebracht wird (z.B. Senatsbeschluss vom - IX B 2/17, Rz 15). Zwar muss ein —zumal durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer sachkundig vertretener— Verfahrensbeteiligter, auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einstellen (, BVerfGE 86, 133, unter C.III.1.a; Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 119 Rz 15, m.w.N.). Er muss aber nicht damit rechnen, dass seine Klage aus einem Grund abgewiesen wird, den weder die Beteiligten noch das Gericht zuvor in das Verfahren eingeführt haben, und wenn dies zudem mit einer rechtlich fehlerhaften Begründung geschieht (Senatsbeschluss vom - IX B 29/22, Rz 2).
50 bb) So verhält es sich vorliegend nicht. Denn weder die Frage, wie das FA das Schreiben vom verstanden hat, noch die Frage nach einem Vorverfahren stellen nach den obigen Ausführungen entscheidungserhebliche Umstände dar. Ein rechtlicher Hinweis war daher nicht veranlasst, zumal die Beteiligten sich laut Sitzungsprotokoll einig waren, dass der „Antrag des Klägers vom und der Bescheid des Beklagten vom im vorliegenden Verfahren nicht Streitgegenstand“ seien.
51 b) Auch die Rüge, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) verletzt, weil es den Sachbearbeiter des FA nicht dazu vernommen habe, wie dieser das Schreiben vom verstanden habe, bleibt ohne Erfolg.
52 aa) Bei der Verletzung der Sachaufklärungspflicht handelt es sich um einen verzichtbaren Verfahrensmangel (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung), bei dem das Rügerecht nicht nur durch eine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem FG verloren geht, sondern auch durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge (vgl. z.B. Senatsurteil vom - IX R 4/17, BFHE 260, 155, BStBl II 2018, 268, Rz 36). Danach hat die unterlassene rechtzeitige Rüge den endgültigen Rügeverzicht zur Folge (vgl. z.B. , Rz 43, m.w.N.). Deshalb muss vorgetragen werden, dass der angebliche Verstoß in der Vorinstanz gerügt wurde oder aus welchen entschuldbaren Gründen eine solche Rüge vor dem FG nicht möglich war (vgl. z.B. , Rz 28, m.w.N.).
53 bb) Im Streitfall hat die Rüge schon deshalb keinen Erfolg, weil der Kläger, der im Termin zur mündlichen Verhandlung am sachkundig vertreten war, ausweislich des Sitzungsprotokolls den angeblichen Verstoß nicht gerügt hat.
54 6. Einer Vorlage an den EuGH nach Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union bedarf es im vorliegenden Verfahren nicht. Die Rechtslage ist eindeutig („acte clair"; , Rz 55; EuGH-Urteil Srl CILFIT und Lanificio di Gavardo SpA gegen Ministero della Sanità vom - C-283/81, EU:C:1982:335, Rz 16) beziehungsweise bereits durch die aufgezeigte Rechtsprechung des EuGH in einer Weise geklärt, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt („acte éclairé"; , Rz 55 sowie EuGH-Urteil Srl CILFIT und Lanificio di Gavardo SpA gegen Ministero della Sanità vom - C-283/81, EU:C:1982:335, Rz 14). Insbesondere hat der EuGH geklärt, dass die nationalen Verfahrensvorschriften bestimmen, wie die von der Datenschutz-Grundverordnung vorgesehenen Rechtsbehelfe durchzuführen sind (vgl. EuGH-Urteil Budapesti Elektromos Muvek vom - C-132/21, EU:C:2023:2, Rz 46).
55 7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2024:U.121124.IXR20.22.0- 16 -
Fundstelle(n):
HAAAJ-81939