BGH Beschluss v. - 2 StR 182/24

Instanzenzug: LG Gießen Az: 7 KLs - 599 Js 31410/21

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten – unter Freisprechung im Übrigen – „des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in acht Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Anstiftung zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in einem anderen Fall davon in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen“ schuldig gesprochen und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und drei Monaten verurteilt. Außerdem hat das Landgericht „die Einziehung von Wertersatz“ in Höhe von 237.192,60 Euro angeordnet. Die hiergegen gerichtete und auf die Rüge der Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg, im Übrigen ist sie – auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Schriftsatz vom – unbegründet.

I.

2Der Antrag des Angeklagten, ihm „Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist zur Nachreichung weiterer Verfahrensrügen und zur ergänzenden Begründung der bereits hiermit geltend gemachten Rügen zu gewähren“, ist unzulässig. Zutreffend hat der Generalbundesanwalt hierzu ausgeführt:

„1. Die Revisionsbegründungsfrist ist mit Übersendung des Urteils nach Fertigstellung des Protokolls in Lauf gesetzt worden (§ 345 Abs. 1 Satz 3, § 273 Abs. 4 StPO). Zwar darf nach § 273 Abs. 4 StPO das Urteil nicht zugestellt werden, bevor das Protokoll fertiggestellt ist. Ein Verstoß hiergegen macht die Zustellung wirkungslos und setzt deshalb die Revisionsbegründungsfrist nicht in Lauf. Durch diese Regelung soll sichergestellt werden, dass mit dem Protokoll schon zu Beginn der regelmäßig mit der Urteilszustellung in Lauf gesetzten Revisionsbegründungsfrist eine abgeschlossene Grundlage für die Entscheidung über die Anbringung von Verfahrensrügen vorliegt, die dem Anfechtungsberechtigten während der gesamten Revisionsbegründungsfrist zur Einsichtnahme offen steht (vgl. –, juris Rn. 2 mwN). Die Zustellung einer unvollständigen Ablichtung des fertiggestellten Protokolls an den Verteidiger steht der Ingangsetzung der Revisionsbegründungsfrist nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut gleichwohl nicht entgegen.

2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt, wenn die Revision – wie hier – mit der Sach- und der Verfahrensrüge fristgemäß begründet worden ist, grundsätzlich nicht in Betracht (st. Rspr.; vgl. –, juris Rn. 14; Beschluss vom – 1 StR 301/12). Sie kann nur ausnahmsweise dann gewährt werden, wenn dem Verteidiger trotz angemessener Bemühungen keine vollständige Akteneinsicht gewährt wurde und Verfahrensbeschwerden erhoben werden sollen, die ohne Kenntnis der Akten – hier des vollständigen Protokolls - nicht begründet werden konnten (vgl. , juris Rn. 4 mwN für den Fall der Nichtgewährung der Akteneinsicht bis kurz vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist). An der Unzulässigkeit des Antrags ändert dies im vorliegenden Fall nichts, denn die Verteidigung hat innerhalb der Frist zur Begründung der Revision eine Verfahrensrüge erhoben („Aufklärungsrüge hinsichtlich Übersetzungen der verschiedenen Chats“, RB S. 100 – 170), die auf den vollständig wiedergegebenen Beschluss der Strafkammer Bezug nimmt (RB S. 165 ff), und nicht nachprüfbar vorgetragen, wegen der fehlenden Protokollseite am Vortrag weiterer mit dem Beschluss in Zusammenhang stehender Rügen gehindert zu sein. Der Beschwerdeführer muss aber - zur Zulässigkeit seines Wiedereinsetzungsbegehrens – für jede Rüge ausreichend darlegen, dass er gerade durch die fehlende Akteneinsicht an einer ordnungsgemäßen Begründung gehindert war. Nach Gewährung der Akteneinsicht – dem Wegfall des Hindernisses im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO – sind die Verfahrensbeschwerden grundsätzlich innerhalb der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 iVm Abs. 2 Satz 2 StPO formgerecht nachzuholen (vgl. , juris Rn. 4 mwN). Daran fehlt es hier, denn es wird – zudem irrtümlich eine vollständige Wiedereinsetzung zur Begründung der Revision annehmend – lediglich pauschal vorgetragen, es sei „Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist zur Nachreichung weiterer Verfahrensrügen und zur ergänzenden Begründung der bereits hiermit geltend gemachten Rügen zu gewähren (RB S. 10)“.

3Dem schließt sich der Senat an. Dass der an die Verteidigung übersandten Protokollabschrift eine Seite eines als Anlage zum Protokoll genommenen Beschlusses gefehlt haben könnte, stellte die Wirksamkeit der Urteilszustellung nicht in Frage (vgl. auch BeckOK-StPO/Peglau, 53. Ed., § 273 Rn. 49 mwN). Die fehlende Beschlussseite hat die Revision zur Begründung einer fristgerecht erhobenen Verfahrensrüge vorgelegt; dass sie an der Erhebung weiterer Verfahrensbeanstandungen wegen des behaupteten Mangels bei der Protokollzustellung gehindert gewesen wäre, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

II.

4Das von der Revision zu Fall II.9. der Urteilsgründe geltend gemachte Verfahrenshindernis einer fehlenden Anklage besteht nicht. Vielmehr bezeichnet die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklageschrift hierzu – unter Ziffer II.12. – einen nach Tatort, Tatzeit und Tatmodalität individualisierten, näher beschriebenen Betäubungsmittelhandel, wie ihn die Strafkammer nach Beweisaufnahme als geschehen festgestellt hat. Dass sich die Strafkammer nicht davon zu überzeugen vermocht hat, dass der Angeklagte – wie angeklagt – für die Tat eine Belohnung in Höhe von 10.000 € erhielt, lässt die Nämlichkeit der angeklagten und der zur Aburteilung gelangten Tat unberührt.

III.

5Mit ihren Verfahrensbeanstandungen kann die Revision nicht durchdringen.

61. Die Rüge, die frühzeitige Vernehmung des Ermittlungsführers der Polizei verstoße „gegen §§ 250, 261 StPO sowie den Grundsatz Fair Trial“, ist unbegründet. Die Reihenfolge der Vernehmung von Zeugen steht im pflichtgemäßen richterlichen Ermessen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 58 Rn. 4; KK-StPO/Bader, 9. Aufl., § 58 Rn. 3, jeweils mwN). Dieses ist hier offensichtlich nicht verletzt.

72. Soweit die Revision eine „Aufklärungsrüge hinsichtlich Verwertbarkeit der Chat[s] aus SKY ECC“ erhebt, kann dahinstehen, ob die nur auszugsweise Wiedergabe eines Ablehnungsbeschlusses oder das Fehlen eines in diesem Ablehnungsbeschluss in Bezug genommenen Anwaltsschriftsatzes zur Unzulässigkeit der Rüge führt. Die Rüge ist jedenfalls unbegründet. Aus den Gründen des Beschlusses der Strafkammer vom , mit dem sie den Antrag auf „Vervollständigung der Chats“ und auf Beiziehung der „originalen“ Rohdaten zur Akte abgelehnt hat, musste sich die Strafkammer nicht zu weiteren Ermittlungen dazu gedrängt sehen, ob die französischen Behörden verfahrensrelevante Daten zurückhalten und diese auf erneute Aufforderung zu erlangen gewesen wären. Anhaltspunkte dafür, dass einzelne für das Verfahren relevante Chats aus den „Originaldaten“ zurückgehalten oder inhaltlich verändert worden waren, sind auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens nicht ersichtlich. Eine sachgerechte Verteidigung war dem Angeklagten möglich.

83. Zu der „Aufklärungsrüge hinsichtlich Übersetzungen der verschiedenen Chats“ und der „Rüge der fehlerhaften Bescheidung des Beweisantrags hinsichtlich Eurojust und Kenntnis der deutschen Vertreter bzgl. franz. Verfahren SKYECC“, befindet sich zwar eine ausreichend lesbare Revisionsbegründung in der Hauptakte, so dass § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt ist.

9Ohne Rechtsfehler hat die Strafkammer aber den Antrag auf Neuübersetzung der SkyECC-Chats zurückgewiesen. Wie das Landgericht die Überzeugung vom Übereinstimmen der Übersetzung mit den fremdsprachigen Chatnachrichten gewann, blieb ihm nach Maßgabe der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) überlassen (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 339/18; vom – 2 StR 485/18, Rn. 10). Die von der Revision angeführten „exemplarischen Übersetzungsfehler“ boten keinen Anlass für die Beiziehung weiterer Übersetzer, zumal die Strafkammer den Einwänden der Verteidigung auch durch Einvernahme der beteiligten Dolmetscher nachgegangen war.

10Die Bewertung des Antrags auf Einvernahme deutscher Vertreter bei Europol und Eurojust als Beweisermittlungsantrag ist ebenso rechtsfehlerfrei wie die Annahme des Landgerichts, dass auch die Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) vor dem Hintergrund der bereits erhobenen Beweise deren Einvernahme nicht gebiete.

114. Auch soweit die Revision eine fehlerhafte Bescheidung eines Beweisantrags „hinsichtlich der Kenntnis des deutschen Vertreters“ bei Eurojust rügt, befindet sich eine ausreichend lesbare Revisionsbegründung in der Hauptakte. Die Rüge ist gleichwohl unzulässig, weil die Revision versäumt, mit der Rüge den vom beanstandeten Ablehnungsbeschluss in Bezug genommenen weiteren Beschluss der Strafkammer vorzulegen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Rüge wäre auch unbegründet, da die Strafkammer zu Recht von einem Beweisermittlungsantrag ausgegangen ist, dem nachzugehen die Aufklärungspflicht nicht drängte.

125. Die Rüge eines Verstoßes gegen § 261 StPO wegen der Verwertung von SkyECC-Chats ist unzulässig. Die Revision versäumt es, die zur Begründung des – in einem Verwertungswiderspruch geltend gemachten – Verwertungsverbots in Bezug genommenen Dokumente (ein Haftbefehl, der aufgehoben worden sein soll, die Europäischen Ermittlungsanordnungen, ein französischer Beschluss „vom “) vorzulegen. Damit sind die den geltend gemachten Verstoß enthaltenden Tatsachen nicht so vollständig und so genau dargelegt, dass dem Senat allein auf Grund dieser Darlegung die Prüfung möglich wäre, ob der Verfahrensmangel festzustellen ist, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen sind oder bewiesen werden.

IV.

13Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Nachprüfung des angefochtenen Urteils führt zu der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Änderung des Schuld- und des Strafausspruchs sowie der Einziehungsentscheidung. Im Übrigen hat die Nachprüfung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht.

141. Der Schuldspruch hat im Fall II.1. der Urteilsgründe – wie die Revision und der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt haben – keinen Bestand, soweit der Angeklagte wegen tateinheitlich begangener Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden ist. Zwar hat sich der Angeklagte eines Kuriers zur Überbringung von Geld aus Drogengeschäften bedient, der zugleich auch fünf Kilogramm Kokain für einen anderen nach K.     transportierte. Es ist aber nicht ersichtlich, inwieweit der Angeklagte psychische Beihilfe zu der von Dritten ohne seine Beteiligung verabredeten Beförderung von Kokain geleistet haben könnte. Dass der Kurier auch von dem Angeklagten entlohnt werden sollte oder sonstige Vorteile in Bezug auf den Kokaintransport mit der Begleichung der Restforderung aus dem Betäubungsmittelgeschäft des Angeklagten verbunden waren oder von den Beteiligten auch nur in Betracht gezogen wurden, ist nicht festgestellt.

15Der Senat schließt aus, dass weitergehende Feststellungen getroffen werden können, die eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen tateinheitlich begangener Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge begründen, und ändert daher den Schuldspruch wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich. § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

162. Die Änderung des Schuldspruchs im Fall II.1. der Urteilsgründe zieht eine Änderung der in diesem Fall verhängten Einzelstrafe nach sich. Denn die Strafkammer hat die tateinheitliche Verwirklichung zweier Straftatbestände bei der Zumessung der Einzelstrafe straferhöhend bewertet. Um jede Benachteiligung des Angeklagten auszuschließen, hat der Senat die im Fall II.1. verhängte Einzelstrafe entsprechend § 354 Abs. 1 StPO auf das Maß herabgesetzt, das die Strafkammer auch in den Fällen II.3. und II.4. der Urteilsgründe zugemessen hat. Die Strafkammer hat die Einzelstrafen rechtsfehlerfrei im Wesentlichen nach dem Umfang der Überschreitung des Grenzwerts der nicht geringen Menge gestaffelt. In den Fällen II.3. und II.4. der Urteilsgründe ist der Angeklagte ebenfalls „nur“ wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (jeweils Heroin) in nicht geringer Menge verurteilt. Die Grenze zur nicht geringen Menge war dort – wie im Fall II.1. der Urteilsgründe – jedenfalls um mehr als das 266-fache überschritten. Der Senat kann ausschließen, dass die Strafkammer im Fall II.1. der Urteilsgründe eine niedrigere Einzelstrafe oder – angesichts der Einsatzstrafe von vier Jahren und zehn Monaten Freiheitsstrafe und der Höhe der weiteren Einzelfreiheitsstrafen – eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte.

173. Die Einziehung des Wertes von Taterträgen bedarf ebenfalls der Korrektur, weil die Urteilsgründe zu Fall II.7. – wie der Generalbundesanwalt zutreffend dargelegt hat – den Zufluss von lediglich 10.000 Euro und nicht – wie die Strafkammer ihrer Einziehungsentscheidung zugrunde gelegt hat – einen solchen in Höhe von 11.500 Euro belegen. In Höhe von 1.500 Euro unterliegt die Einziehungsentscheidung daher der Aufhebung, insoweit hat sie zu entfallen.

V.

18Der geringe Teilerfolg der Revision lässt es nicht unbillig erscheinen, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten, § 473 Abs. 1 und 4 StPO.

Menges                         Meyberg                         Grube

                 Schmidt                        Zimmermann

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:091024B2STR182.24.0

Fundstelle(n):
WAAAJ-81908