BGH Urteil v. - X ZR 37/22

Chemische Verbrauchsmaterialien

Leitsatz

Chemische Verbrauchsmaterialien

1.    Auf die Unwirksamkeit einer Vereinbarung gemäß § 23 Abs. 1 ArbNErfG darf sich gegebenenfalls auch der Arbeitgeber berufen.

2.    Aus Rechtsgründen ist es nicht zu beanstanden, dass ein objektives Missverhältnis in Anlehnung an die Entscheidungspraxis der Schiedsstelle grundsätzlich bejaht wird, wenn die vorgesehene Vergütung bei Berücksichtigung aller für sie maßgeblichen Faktoren das Doppelte des auf der Grundlage der Richtlinien berechneten Betrages überschreitet.

3.    Bei einer Überschreitung des auf diese Weise als angemessen ermittelten Betrages dürfen die Umstände, unter denen die Festlegung zustande gekommen ist, und die Zeitdauer, während der die getroffene Regelung praktiziert worden ist, nicht außer Acht bleiben.

Gesetze: § 23 Abs 1 ArbnErfG

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 6 U 172/20 Urteilvorgehend LG Frankfurt Az: 2-06 O 306/19

Tatbestand

1Die Parteien streiten um Ansprüche auf Erfindervergütung.

2Der Kläger ist promovierter Chemiker und war bei der Beklagten vom bis als Mitarbeiter im Bereich Forschung und Entwicklung tätig. Zusammen mit dem Leiter der Abteilung und einem weiteren Mitarbeiter war er an drei Erfindungen betreffend chemische Verbrauchsmaterialien beteiligt.

3Mit einer Mitteilung vom setzte der Geschäftsführer der Beklagten die Erfindervergütung für den Kläger in Einklang mit einer am getroffenen Vereinbarung zwischen der Beklagten und den beiden anderen Miterfindern fest. Danach betrug die Vergütung 3 % der mit den Produkten erzielten Nettoerlöse bis zu einem Umsatz von 500.000 Euro und 1,5 % des über 500.000 Euro hinausgehenden Umsatzes, wobei jeweils ein Miterfinderanteil berücksichtigt wurde. Ein Anteilsfaktor wurde nicht einbezogen.

4Nach diesen Vorgaben wurde die Vergütung für die Jahre bis einschließlich 2016 berechnet und gezahlt.

5Am kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis aus betrieblichen Gründen. Im April 2018 übersandte sie dem Kläger die Abrechnung der Erfindervergütung für das Jahr 2017. Darin sind ein Anteilsfaktor von 0,15 und Lizenzsätze von 6 % für Kronen- und Brückenmaterial und 3 % für Stumpfaufbaumaterial zugrunde gelegt. Der Kläger widersprach dieser Festsetzung noch im gleichen Monat. Die Erfindervergütung für das Jahr 2018 berechnete die Beklagte nach den gleichen Parametern wie für das Jahr 2017.

6Der Kläger hat die Feststellung begehrt, dass die Festsetzung vom ab 2019 bis zum Ende der Laufzeit der Schutzrechte für die in Rede stehenden Erfindungen weiterhin gültig ist, und Zahlung restlicher Vergütung in Höhe von 10.616,02 Euro brutto für das Jahr 2017 sowie 10.830,18 Euro brutto für das Jahr 2018 verlangt.

7Das Landgericht hat dem Klagebegehren vollständig entsprochen. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision strebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils an. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Gründe

8Die zulässige Revision ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

9I.    Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung (GRUR-RR 2022, 309) im Wesentlichen wie folgt begründet:

10Die getroffene Vereinbarung sei wegen Unbilligkeit gemäß § 23 ArbNErfG nichtig. Dabei könne dahinstehen, ob kollektivrechtliche Abreden als Vereinbarung im Sinne des § 23 Abs. 1 ArbNErfG anzusehen seien. Im Streitfall sei die Vergütung nicht durch eine kollektivrechtliche Abrede festgesetzt worden, sondern durch eine Mitteilung des Geschäftsführers der Beklagten. Dieser Mitteilung habe der Kläger nicht widersprochen, so dass die Festsetzung gemäß § 12 Abs. 2 ArbNErfG für beide Teile verbindlich geworden sei. Anhaltspunkte dafür, dass die Vereinbarung zwischen der Beklagten und den beiden Miterfindern eine Verbindlichkeit auch im Verhältnis zu anderen Arbeitnehmern haben könnte, bestünden nicht. Es handele sich insbesondere nicht um eine Gesamtzusage. Für eine Ausgestaltung der Vergütungsbemessung durch betriebliche Übung bestehe kein Raum, da die Arbeitnehmererfindervergütung und deren Ermittlung nicht dem Arbeitsvertragsrecht zuzuordnen sei, sondern dem Arbeitsschutzrecht.

11Die Vergütungsvereinbarung sei in erheblichem Maße unbillig. Bei Regelungen über eine Erfindervergütung liege eine erhebliche Unbilligkeit dann vor, wenn von Anfang an ein objektiv ungerechtfertigtes erhebliches Missverhältnis zwischen der vereinbarten bzw. festgesetzten Vergütung und der gesetzlich geschuldeten Vergütung bestehe. Nach der ständigen Entscheidungspraxis der Schiedsstelle sei dies anzunehmen, wenn die nach dem Gesetz geschuldete Vergütung um mindestens das Doppelte überschritten sei.

12Im Streitfall sei die vereinbarte Vergütung um mehr als das Sechsfache zu hoch, weil kein Anteilsfaktor berücksichtigt werde.

13Der Vortrag des Klägers, bei den Gehaltsverhandlungen habe die Beklagte eine großzügige Bemessung der Arbeitnehmererfindervergütung ins Feld geführt, sei zu pauschal, um eine Wirksamkeit der Vergütungsregelung zu begründen. Im Streitfall bestünden keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Parteien eine solche Regelung getroffen hätten.

14Auch die geltend gemachten Zahlungsansprüche bestünden nicht. Einen vertraglichen Vergütungsanspruch habe der Kläger nicht, da die getroffene Vergütungsregelung nichtig sei. Dem Kläger stehe auch kein offener Vergütungsanspruch aus § 9 ArbNErfG zu, weil er nicht darzulegen vermocht habe, dass die von der Beklagten ausgezahlte Vergütung unangemessen niedrig sei.

15Soweit sich der Kläger in einem nicht nachgelassenen Schriftsatz ergänzend auf eine "Excel-Tabelle zur Erfindervergütung in Anlage 8" berufen habe, sei festzustellen, dass diese nicht vorgelegt worden sei und daher seinen Vortrag nicht zu substantiieren vermöge.

16II.    Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.

171.    Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Abgeltungsklausel in einem zwischen den Parteien vor dem Arbeitsgericht geschlossenen Vergleich der Geltendmachung der Klageansprüche nicht entgegensteht.

18Die vereinbarte Abgeltungsklausel bezieht sich ihrem Wortlaut nach auf sämtliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und dessen Beendigung. Wie schon das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, sind die im vorliegenden Rechtsstreit geltend gemachten Ansprüche auf Arbeitnehmervergütung davon jedenfalls deshalb nicht erfasst, weil keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die Parteien im Rahmen ihrer Auseinandersetzung vor dem Arbeitsgericht auch eine Regelung über diese Ansprüche treffen wollten.

192.    Das Berufungsgericht ist ferner zu Recht davon ausgegangen, dass sich gegebenenfalls auch der Arbeitgeber auf die Unwirksamkeit einer Vereinbarung gemäß § 23 Abs. 1 ArbNErfG berufen darf.

20a)    Für dieses Ergebnis spricht der Wortlaut von § 23 Abs. 1 ArbNErfG.

21Nach Satz 1 der genannten Regelung sind Vereinbarungen über Diensterfindungen unwirksam, soweit sie in erheblichem Maß unbillig sind. Gemäß Satz 2 gilt das Gleiche für die Festsetzung der Vergütung.

22Der Wortlaut der Regelung differenziert nicht danach, ob sich die Unbilligkeit zulasten des Arbeitnehmers oder zulasten des Arbeitgebers auswirkt.

23b)    Dies wird bestätigt durch § 23 Abs. 2 ArbNErfG.

24Nach § 23 Abs. 2 ArbNErfG können sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf die Unwirksamkeit nach § 23 Abs. 1 ArbNErfG nur berufen, wenn sie die Unbilligkeit spätestens bis zum Ablauf von sechs Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Erklärung in Textform gegenüber dem anderen Teil geltend machen.

25Diese Vorschrift regelt zwar in erster Linie ein Frist- und Formerfordernis. Sie geht aber davon aus, dass sowohl der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber grundsätzlich berechtigt sind, die Unwirksamkeit einer Vereinbarung oder Festsetzung gemäß § 23 Abs. 1 ArbNErfG geltend zu machen.

26c)    Diese Beurteilung entspricht den Vorstellungen des Gesetzgebers.

27Der ursprüngliche Gesetzentwurf sah in § 22 Abs. 2 eine dem heutigen § 23 Abs. 2 ArbNErfG entsprechende Ausschlussfrist nur für den Arbeitnehmer vor (BT-Drucks. 02/1648 S. 6). Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens erhielt die Vorschrift die heute geltende Fassung, mit dem einzigen Unterschied, dass anstelle der Textform ursprünglich Schriftform erforderlich war (BT-Drucks. 02/3327 S. 12). Diese Änderung erfolgte mit dem Ziel, eine ausgeglichenere Fassung zu finden, die sowohl für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber die Berufungsmöglichkeit auf die Unbilligkeit ausspricht (Anlage zu BT-Drucks. 02/3327 S. 8, abgedruckt in BT­Prot. 2. Legislaturperiode, 206. Sitzung, S. 11820)

283.    Der Streitfall erfordert keine Entscheidung der Fragen, ob Vereinbarungen oder Festsetzungen aus dem Zeitraum vor der Erfindungsmeldung aus dem Anwendungsbereich des § 23 ArbNErfG ausgenommen sind (für eine solche Ausnahme Schiedsstelle, Einigungsvorschlag vom - ArbErf 70/18, S. 10 f., anders Kursawe/Nebel in: Boemke/Kursawe, Gesetz über Arbeitnehmererfindungen, 2. Aufl., § 23 Rn. 7), ob eine solche Ausnahme für kollektivrechtliche Abreden gilt (bejahend Bartenbach/Volz, 7. Aufl., § 23 ArbNErfG Rn. 4) und ob sich ein Anspruch auf Arbeitnehmererfindervergütung aus einer betrieblichen Übung ergeben kann (grundsätzlich verneinend Schiedsstelle, Einigungsvorschlag vom - ArbErf 48/14 unter II 4).

29a)    Die Mitteilung des Geschäftsführers der Beklagten vom ist nach der Erfindungsmeldung erfolgt. Sie fällt mithin nach beiden in Betracht kommenden Auffassungen in den Anwendungsbereich von § 23 ArbNErfG.

30b)    Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich ein Vergütungsanspruch des Klägers nicht bereits aus der im Jahr 1993 - und damit vor der Erfindungsmeldung - getroffenen Vereinbarung zwischen der Beklagten und den beiden Miterfindern.

31aa)    Rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass diese Vereinbarung keine Gesamtzusage darstellt, aus der auch der Kläger Rechte herleiten könnte.

32Dem Vortrag des Klägers lässt sich nicht entnehmen, dass die Beklagte über den Wortlaut der Vereinbarung hinaus eine Verpflichtung auch gegenüber Arbeitnehmern übernehmen wollte, die an der Vereinbarung nicht beteiligt waren. Daran ändert auch nichts, dass die Vereinbarung dem Kläger nach den Feststellungen des Landgerichts bekannt gemacht wurde.

33Der Vortrag der Beklagten, sie habe eine einheitliche Behandlung aller Mitarbeiter sicherstellen wollen, reicht für eine diesbezügliche Schlussfolgerung nicht aus. Eine gegenüber einer Gesamtheit von Arbeitnehmern übernommene Verpflichtung mag zwar in besonderer Weise geeignet sein, dieses Ziel zu erreichen. Dies genügt aber nicht, um eine nur mit einzelnen Arbeitnehmern geschlossene Vereinbarung in diesem Sinne auszulegen.

34Dass die Beklagte die Vereinbarung in erster Instanz als Rahmenvereinbarung bezeichnet hat, führt schon deshalb nicht zu einer abweichenden Vereinbarung, weil auch diese Bezeichnung keine Schlussfolgerungen über den Kreis der in die Vereinbarung einbezogenen Personen ermöglicht.

35bb)    Ebenfalls zu Recht hat das Berufungsgericht die Vereinbarung aus dem Jahr 1993 nicht als Grundlage einer betrieblichen Übung angesehen.

36Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann ein Anspruch aus betrieblicher Übung nur entstehen, wenn es an einer anderen kollektiv- oder individualrechtlichen Anspruchsgrundlage für die Gewährung der Vergünstigung fehlt (, BAGE 141, 222 = NZA 2012, 1279 Rn. 62; Urteil vom - 3 AZR 568/12, Rn. 39). Letzteres kann auch dann der Fall sein, wenn der Arbeitgeber eine Vergütung gewährt, die die tariflich vorgesehene Höhe übersteigt. Voraussetzung ist aber stets, dass das Verhalten des Arbeitgebers aus Sicht des Empfängers ausreichende Anhaltspunkte dafür bietet, der Arbeitgeber wolle Zahlungen erbringen, ohne hierzu bereits aus anderen Gründen verpflichtet zu sein (, NJW 2013, 187 Rn. 20).

37Der von der Revision aufgezeigte Vortrag des Klägers lässt nicht erkennen, dass die zuletzt genannte Voraussetzung im Streitfall erfüllt ist.

38Ein Anspruch des Klägers auf Zahlung von Erfindervergütung ergibt sich bereits aus dem Gesetz. Für die Höhe dieses Anspruchs gibt das Gesetz zwar nur abstrakte Maßstäbe vor, die der Ausfüllung im konkreten Einzelfall bedürfen. Ohne besondere Anhaltspunkte darf ein Arbeitnehmer aber nicht davon ausgehen, der Arbeitgeber wolle eine höhere Vergütung gewähren, als er nach dem Gesetz schuldet.

39Der vom Berufungsgericht wiedergegebene Vortrag, die Beklagte habe bei den Gehaltsverhandlungen eine großzügige Bemessung ins Feld geführt, ermöglicht ebenfalls nicht die Schlussfolgerung, dass damit eine Vergütung in Aussicht gestellt wurde, die über das gesetzlich vorgesehene Maß hinausgeht.

404.    Als rechtsfehlerhaft erweist sich demgegenüber die Annahme des Berufungsgerichts, die im Streitfall getroffene Festsetzung sei in erheblichem Maße unbillig und damit unwirksam.

41a)    Nach der Rechtsprechung des Senats ist eine Vergütungsvereinbarung nach § 23 Abs. 1 ArbNErfG unwirksam, wenn sie erheblich hinter dem gesetzlichen Anspruch auf angemessene Vergütung zurückbleibt. Hierzu muss ein objektiv erhebliches Missverhältnis zwischen der in der Vereinbarung niedergelegten und der gesetzlich geschuldeten Leistung bestehen (, GRUR 1990, 271, 272 - Vinylchlorid; , GRUR 2012, 605 Rn. 27 - Antimykotischer Nagellack).

42Da sich auch der Arbeitgeber auf eine Unwirksamkeit nach § 23 Abs. 1 ArbNErfG berufen kann, gilt Entsprechendes grundsätzlich auch dann, wenn die vereinbarte oder festgesetzte Vergütung die gesetzlich geschuldete angemessene Vergütung erheblich übersteigt.

43In beiden Konstellationen ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass ein objektives Missverhältnis in Anlehnung an die Entscheidungspraxis der Schiedsstelle (dazu Bartenbach/Volz, 7. Aufl., § 23 ArbNErfG Rn. 22.1, 22) grundsätzlich bejaht wird, wenn die vorgesehene Vergütung die Hälfte des auf der Grundlage der Richtlinien berechneten Betrages unter- bzw. das Doppelte dieses Betrages überschreitet.

44b)    Die Feststellung, dass die vorgesehene Vergütung das Doppelte des auf der Grundlage der Richtlinien berechneten Betrages überschreitet, erfordert die Betrachtung aller für die Vergütung maßgeblichen Faktoren und einen Vergleich der unter Berücksichtigung aller Faktoren ermittelten tatsächlichen Vergütung mit der nach der Richtlinie geschuldeten Vergütung.

45aa)    An dieser Gesamtbetrachtung hat es das Berufungsgericht fehlen lassen.

46Das Berufungsgericht hat bei der Vergleichsbetrachtung lediglich auf den Anteilsfaktor und den Lizenzsatz abgestellt, aber keine Feststellungen dazu getroffen, welche Auswirkungen sich daraus ergeben, dass die vereinbarte Abstaffelung von der nach den Vergütungsrichtlinien vorgesehenen Abstaffelung abweicht.

47Das Berufungsgericht hat die Unbilligkeit allein daraus hergeleitet, dass die festgelegte Vergütung wegen Nichtberücksichtigung des für angemessen erachteten Anteilsfaktors von 0,15 mehr als das Sechsfache der nach den Richtlinien berechneten Vergütung beträgt. Ergänzend hat es berücksichtigt, dass ein Lizenzsatz von 6 % (anstelle von 3 %) angemessen erscheint. Diesem Umstand hat es keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen, weil die festgelegte Lizenz auch unter dieser Prämisse um das Dreifache überhöht sei. Mit den Fragen, welche Auswirkung die abweichende Staffelung hat und welche Umsätze im Zeitpunkt der Festlegung zu erwarten waren, hat sich das Berufungsgericht hingegen nicht befasst.

48bb)    Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung der Abstaffelung und gegebenenfalls weiterer für die Bemessung der Vergütung relevanter Faktoren zu dem Ergebnis gelangt wäre, dass die von ihm für angemessen gehaltene Vergütung nicht um mehr als 100 % überschritten ist.

49(1)    Während die auf der Grundlage von § 11 ArbNErfG erlassenen Richtlinien für die Vergütung von Arbeitnehmererfindungen im privaten Dienst unter A I 2 Abs. 11 erst ab einem Gesamtumsatz von 3 Millionen DM (also rund 1,5 Millionen Euro) eine Ermäßigung des Lizenzsatzes um 10 % vorsehen, ermäßigt sich der Lizenzsatz nach der im Streitfall getroffenen Regelung schon ab einem Umsatz von 500.000 Euro. Die prozentuale Differenz zwischen der festgelegten und der nach Auffassung des Berufungsgerichts als Vergleichsmaßstab maßgeblichen, nach den Richtlinien berechneten Vergütung ist damit umso geringer, je höher die in einem Jahr angefallenen Umsätze sind.

50Bei dieser Ausganglage kann die im Streitfall getroffene Vergütungsregelung nicht allein deshalb als unwirksam angesehen werden, weil der vom Berufungsgericht für angemessen gehaltene Betrag in einzelnen Jahren um mehr als 100 % überschritten ist. Wenn die prozentuale Differenz Schwankungen aufgrund der jährlichen Umsätze unterliegt, kann ein objektives Missverhältnis vielmehr nur dann bejaht werden, wenn schon im Zeitpunkt der Festsetzung eine Umsatzentwicklung zu erwarten war, die dauerhaft zu einer erheblichen Überschreitung der nach dem Gesetz geschuldeten angemessenen Vergütung führt.

51(2)    In diesem Zusammenhang hätte sich das Berufungsgericht auch mit der vom Kläger vorgelegten Anlage 8 befassen müssen, die entgegen den Ausführungen im angefochtenen Urteil zur Akte gelangt ist.

52Anlage 8 verdeutlicht, dass die vom Berufungsgericht nicht berücksichtigte Mengenstaffelung je nach Umsatz dazu führen kann, dass die vereinbarte Vergütung eine in allen Punkten nach den Richtlinien berechnete Vergütung nicht wesentlich übersteigt.

53c)    Unabhängig davon kann eine Vergütungsregelung entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht allein deshalb als gemäß § 23 Abs. 1 ArbNErfG unwirksam angesehen werden, weil sie eine auf der Grundlage der Richtlinien berechnete Vergütung um mehr als 100 % übersteigt.

54aa)    Bei einer Überschreitung des als angemessen ermittelten Betrages dürfen die Umstände, unter denen die Festlegung zustande gekommen ist, und die Zeitdauer, während der die getroffene Regelung praktiziert worden ist, nicht außer Acht bleiben.

55Beruht die Vergütung auf einer einseitigen Festsetzung durch den Arbeitgeber oder auf einer vertraglichen Regelung, die im Wesentlichen vom Arbeitgeber vorgegeben war, kann es unter dem auch im Zusammenhang mit § 23 Abs. 1 ArbNErfG zu berücksichtigenden Grundsatz von Treu und Glauben als unbillig erscheinen, wenn der Arbeitgeber sich später von einer solchen Regelung lösen will. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Überschreitung der angemessenen Vergütung für den Arbeitgeber offensichtlich war, aber auch dann, wenn eine getroffene Regelung über lange Zeit hinweg praktiziert worden ist, ohne dass unangemessene finanzielle Belastungen für den Arbeitgeber zutage getreten wären.

56Die Berücksichtigung solcher Umstände kann dazu führen, dass auch eine Überschreitung der angemessenen Vergütung um deutlich mehr als 100 % nicht als in erheblichem Maße unbillig anzusehen ist. Ob die maßgebliche Grenze im jeweiligen Einzelfall überschritten ist, obliegt in erster Linie der Beurteilung des Tatrichters, der hierbei alle relevanten Umstände gegeneinander abzuwägen hat.

57Eine solche Abwägung hat das Berufungsgericht - von seinem rechtlichen Ausgangspunkt aus folgerichtig - bislang nicht vorgenommen.

58III.    Das angefochtene Urteil stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).

59Entgegen der Auffassung der Revision ist die Festlegung der Vergütung nicht schon deshalb wirksam, weil die Beklagte noch im Februar 2017 die Vergütung für das Jahr 2016 auf dieser Grundlage festgesetzt hat, obwohl ihr die Nichtberücksichtigung des Anteilsfaktors nach ihrem Vorbringen schon zu diesem Zeitpunkt bekannt war.

60Dabei kann dahingestellt bleiben, ob eine Festsetzung für ein einzelnes Jahr als Bestätigung und damit gemäß § 141 BGB als erneute Vornahme der zugrunde liegenden Festlegung angesehen werden kann. Auch eine erneute Festlegung ist nach § 23 Abs. 1 ArbNErfG unwirksam, wenn sie in erheblichem Maße unbillig ist.

61Wie bereits oben dargelegt wurde, kann die Kenntnis des Arbeitgebers, dass die festgelegte Vergütung eine anhand der Richtlinien bemessene Vergütung übersteigt, für die Beurteilung der Unwirksamkeit gemäß § 23 Abs. 1 ArbNErfG allerdings von Bedeutung sein. Daraus folgt jedoch nicht, dass eine in Kenntnis der Überschreitung vorgenommene Festlegung stets wirksam ist. Vielmehr ist auch in dieser Konstellation eine Abwägung aller relevanten Umstände des Einzelfalls vorzunehmen.

62Sofern das Berufungsgericht im Streitfall nicht zu dem Ergebnis gelangt, dass schon die ursprüngliche Festlegung wirksam ist, wird es deshalb zu prüfen haben, ob die Abrechnung für das Jahr 2016 als Bestätigung im Sinne von § 141 BGB anzusehen ist und ob der im Zeitpunkt der Bestätigung vorliegende Kenntnisstand der Beklagten die Vereinbarung als nicht (mehr) unbillig im Sinne von § 23 Abs. 1 ArbNErfG erscheinen lässt.

63IV.    Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 1 ZPO).

64Für die Frage, ob die festgesetzte Vergütung in erheblichem Umfang unbillig ist, bedarf es weiterer Feststellungen und der erneuten tatrichterlichen Beurteilung anhand der oben aufgezeigten Kriterien.

Bacher                         Deichfuß                         Marx

               Rombach                       von Pückler

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:121124UXZR37.22.0

Fundstelle(n):
SAAAJ-81649