Suchen
BVerwG Urteil v. - 11 A 21/23

Tatbestand

1Die Klägerin wendet sich gegen die Planfeststellung einer Höchstspannungsleitung.

2Der Beschluss der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen vom (PFB) stellt den Plan für die Errichtung und den Betrieb der 380-kV-Höchstspannungsfreileitung Urberach - Pfungstadt - Weinheim - G380 - Altlußheim - Daxlanden im Abschnitt Nord 1 (Urberach - Pfungstadt - Weinheim) fest. Das Gesamtvorhaben ist als Nr. 19 in den Bedarfsplan zum Bundesbedarfsplangesetz (BBPlG) aufgenommen und als länderübergreifend im Sinne von § 2 Absatz 1 NABEG gekennzeichnet.

3Die Klägerin ist Vollerwerbslandwirtin und Eigentümerin mehrerer im Außenbereich der Gemarkung W. gelegenen Grundstücke in der so genannten ...siedlung.

4Zwischen dem nordwestlichen und südöstlichen Teil der Siedlung verläuft bislang in Nord-Süd-Richtung ein Trassenband bestehend aus einer Leitung der Stadtwerke W., einer Leitung der We. GmbH sowie der Bestandsleitung der Beigeladenen. Eine Hofstelle wird derzeit von dieser Leitung überspannt. Eine weitere Freileitung der Deutschen Bahn verlässt in diesem Bereich das Trassenband und wird auf voller Länge westlich der Siedlung geführt.

5Der planfestgestellte Verlauf der neuen Leitung bündelt diese mit der Bahnstromleitung und verlässt daher zwischen Mast 91 und Mast 96 die bisherige Trassenführung. Die neue Leitung quert unter anderem das im Eigentum der Klägerin stehende Grundstück Gemarkung W., Flurstück Nr. a und nimmt es für Mast 94 in Anspruch. Auf dem Grundstück befindet sich eine Hofstelle und ein Wohnhaus, das von der Tochter der Klägerin und deren Familie bewohnt wird ("B"). Die Entfernung der geplanten Leitung zum Wohnhaus beträgt etwa 55 m, die Entfernung zu dem 45,50 m hohen Mast 94 etwa 90 m. Die Bestandsleitungen der We. GmbH und der Beigeladenen sind zum Abbau vorgesehen, so dass zwischen den zwei Teilen der ...siedlung künftig nur die Leitung der Stadtwerke W. verbleiben soll.

6Die Klägerin macht die formelle und materielle Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses geltend. Zur Weiterentwicklung ihres landwirtschaftlichen Betriebs eingereichte Pläne seien verfahrensfehlerhaft nicht berücksichtigt worden. Die Planung verursache Gefahren für die menschliche Gesundheit. Die Berechnungen zu den elektrischen und magnetischen Feldern und zur akustischen Beeinträchtigung seien nicht nachvollziehbar, Mast 94 wirke erdrückend auf ihr Grundstück. Die Gesamtbelastung sei zu groß. Die im benachbarten Land Hessen geltenden Vorschriften über den Mindestabstand von Leitungsvorhaben zu Wohngebäuden müssten aus Gründen der Gleichbehandlung herangezogen werden.

7Die Antragstrasse mache die geplante Entwicklung ihres landwirtschaftlichen Betriebes unmöglich. Bewirtschaftungserschwernisse, Flächenverluste und die Minderung des Verkehrswerts der Grundstücke seien nicht zutreffend in die Abwägung eingestellt worden. Die Variantenabwägung sei fehlerhaft. Das Vorhaben hätte in der Bestandstrasse geplant werden können, beziehungsweise diese hätte zur bestmöglichen Verschonung der Hofstellen optimiert werden können.

8Die Klägerin beantragt,

den Planfeststellungsbeschluss der Bundesnetzagentur vom für den Neubau und den Betrieb der 380-kV-Höchstspannungsfreileitung Urberach - Pfungstadt - Weinheim - G380 - Altlußheim - Daxlanden, Abschnitt Nord 1: Urberach - Pfungstadt - Weinheim aufzuheben,

hilfsweise den Planfeststellungsbeschluss für rechtswidrig und nicht vollziehbar zu erklären.

9Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

10Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

11Beklagte und Beigeladene verteidigen den Planfeststellungsbeschluss.

12Das Bundesverwaltungsgericht hat einen Eilantrag der Klägerin mit Beschluss vom - 11 VR 4.23 - abgelehnt.

Gründe

13Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO, § 6 Satz 1 BBPlG und Nr. 19 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BBPlG im ersten und letzten Rechtszug über die Klage.

14Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

15Die Klägerin kann weder die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses noch die Feststellung seiner Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit verlangen. Denn der Planfeststellungsbeschluss verletzt - nach Maßgabe des durch § 6 Satz 1 UmwRG fristgerecht bestimmten Prozessstoffes - die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

16Die Klägerin kann eine Verletzung ihres Eigentumsrechts geltend machen. Als enteignungsbetroffener Grundstückseigentümerin steht ihr ein Anspruch auf gerichtliche Überprüfung des Planfeststellungsbeschlusses auf seine objektive Rechtmäßigkeit zu, soweit der geltend gemachte Fehler für die Inanspruchnahme ihres Grundstücks kausal ist (sog. Vollüberprüfungsanspruch, vgl. 9 A 12.19 - BVerwGE 170, 33 Rn. 25 ff., 34 ff. und vom - 4 A 10.21 - UPR 2023, 495 Rn. 12 m. w. N.).

17A. Der Planfeststellungsbehörde sind keine beachtlichen Verfahrensfehler unterlaufen.

18Die Klägerin macht geltend, ein von ihr im Erörterungstermin vorgelegter Grund- und Aufriss eines Stallgebäudes, der als Muster für eine geplante Betriebserweiterung auf dem Flurstück Nr. a dienen sollte, sei verfahrensfehlerhaft nicht öffentlich ausgelegt worden. Der Stallplan hätte zu einer Änderung der ausgelegten Pläne führen und deshalb ausgelegt werden müssen. Das führt nicht auf einen Verfahrensfehler.

19Der von der Klägerin vorgelegte Stallplan gehört nicht zu den nach § 22 Abs. 3 Satz 1 NABEG auszulegenden Unterlagen. Denn vor dem Erörterungstermin auszulegen sind die Unterlagen, die der Vorhabenträger gemäß § 21 NABEG bei der Planfeststellungsbehörde einreicht. Die Vorlage des Plans im Erörterungstermin löste auch keine Pflicht zu einer neuen Öffentlichkeitsbeteiligung aus. Denn eine erneute Beteiligung der Öffentlichkeit setzt nach § 22 Abs. 7 Satz 1 NABEG jedenfalls voraus, dass die bereits ausgelegten Unterlagen geändert werden. Daran fehlt es, wenn von der Planung Betroffene Dokumente einreichen, um Einwendungen zu konkretisieren, die Planung des Vorhabenträgers aber unverändert bleibt.

20B. Die gerügten materiell-rechtlichen Fehler bestehen nicht.

21I. Dem Vorhaben fehlt nicht die Planrechtfertigung. Nach § 1 Abs. 1 BBPlG werden für die in der Anlage zum Gesetz aufgeführten Vorhaben, die unter anderem dem Ausbau der Übertragungsnetze zur Einbindung von Elektrizität aus erneuerbaren Energiequellen und zur Vermeidung struktureller Engpässe in Übertragungsnetzen dienen, die energiewirtschaftliche Notwendigkeit und der vordringliche Bedarf zur Gewährleistung eines sicheren und zuverlässigen Netzbetriebs festgestellt. Die Feststellungen sind nach § 12e Abs. 4 Satz 2 EnWG für die Planfeststellung nach den §§ 18 bis 24 NABEG verbindlich. Dies stellt die Klägerin nicht in Abrede. Mit ihrem Vortrag, der Ersatzneubau im Bereich des Mastes 94 sei nicht erforderlich, weil vorhandene Tragmasten verstärkt werden könnten, macht sie der Sache nach einen Fehler in der Abwägung der Trassenalternativen geltend.

22II. Die gerügten Verstöße gegen zwingendes Recht liegen nicht vor.

231. Die Klägerin befürchtet eine Gesundheitsgefahr für ihre Tochter und deren Familie durch elektrische und magnetische Felder und damit zugleich eine Beeinträchtigung ihres Grundeigentums. Hierfür bestehen keine Anhaltspunkte.

24Das planfestgestellte Vorhaben unterliegt als sonstige ortsfeste Einrichtung nach § 3 Abs. 5 Nr. 1 BImSchG dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, bedarf aber nach § 4 Abs. 1 Satz 3 BImSchG i. V. m. § 1 Abs. 1 der 4. BImSchV keiner immissionsschutzrechtlichen Genehmigung. Der Betreiberpflicht nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG wird jedenfalls dann genügt, wenn der Betrieb keine schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne von § 3 Abs. 1 BImSchG hervorruft.

25Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 der 26. BImSchV sind Niederfrequenzanlagen, die nach dem errichtet werden, zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen so zu errichten und zu betreiben, dass sie bei höchster betrieblicher Anlagenauslastung in ihrem Einwirkungsbereich an Orten, die nicht nur zum vorübergehenden Aufenthalt von Menschen bestimmt sind, die im Anhang 1a der 26. BImSchV genannten Grenzwerte nicht überschreiten, wobei Niederfrequenzanlagen mit einer Frequenz von 50 Hertz die Hälfte des in Anhang 1a genannten Grenzwertes der magnetischen Flussdichte nicht überschreiten dürfen. Damit betragen die Grenzwerte für die planfestgestellte Leitung für die elektrische Feldstärke 5 kV/m und für die magnetische Flussdichte 100 µT. Diese Grenzwerte sind an den maßgeblichen Immissionsorten eingehalten (PFB S. 94, 230 ff.). Dabei wurde auch die bestehende Bahnstromleitung berücksichtigt (vgl. Immissionsschutzbericht, Register 9.1 S. 24 und 48 ff.). Obwohl das Wohnhaus "B" keinen maßgeblichen Immissionsort darstellt, wurden die Werte für die elektrischen und magnetischen Felder gemäß einer Vereinbarung im Erörterungstermin hierfür eigens berechnet. Dabei wurde die deutliche Unterschreitung der Grenzwerte bestätigt.

26Darüber hinaus wurden gemäß § 4 Abs. 2 der 26. BImSchV i. V. m. der 26. BImSchVVwV in einem Bereich von 400 m zu beiden Seiten der Trasse Minimierungsmaßnahmen geprüft und hierzu auch am Wohnhaus "B" ein Minimierungsort festgelegt (vgl. PFB S. 235 ff., 484 f.). Der Vorwurf der Klägerin, es sei veraltetes Kartenmaterial verwandt worden, bleibt unsubstantiiert: Die Berechnungen basieren auf den Geobasisdaten der Hessischen Verwaltung für Bodenmanagement und Geoinformation und dem Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung in Baden-Württemberg (vgl. Immissionsschutzbericht, Register 9.1 S. 12).

272. Das Vorhaben wird auch nicht zu schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche führen. Gemäß Nr. 2.3 der TA Lärm i. V. m. Nr. A.1.3 des Anhangs wurde an dem Wohnhaus "B" ein Immissionsort festgesetzt (vgl. PFB S. 243). Der Planfeststellungsbeschluss hat für das im Außenbereich liegende Grundstück entsprechend seiner Schutzbedürftigkeit die Immissionsrichtwerte für Misch-, Dorf- und Kerngebiete zugrundegelegt. Diese werden nach den durchgeführten Berechnungen um mehr als 10 dB(A) unterschritten (PFB S. 248, Tabelle 9).

28Das pauschale Bestreiten der Klägerin genügt nicht, um die Berechnungen in Frage zu stellen. Entgegen ihrer Auffassung mussten die Belastungen durch Lärm und durch elektromagnetische Felder auch nicht im Wege einer Summation betrachtet werden. Für dieses Verlangen fehlt es an einer Rechtsgrundlage.

293. Ein Verstoß gegen zwingende raumordnungsrechtliche Vorgaben besteht nicht. Der Landesentwicklungsplan Baden-Württemberg schreibt keinen bestimmten Mindestabstand von Leitungsvorhaben zu Wohngebäuden vor. Es liegt kein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG darin, dass unter anderem das hessische Landesrecht solche Mindestabstände kennt. Der Gleichheitssatz wird nicht verletzt, wenn ein Landesgesetzgeber innerhalb seines Kompetenzbereiches von der Gesetzgebung anderer Länder abweichende Regelungen trifft, auch wenn dadurch die Einwohnerinnen und Einwohner seines Landes mehr belastet oder begünstigt werden (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom - 2 BvL 36/71 - BVerfGE 32, 346 <360> und vom - 1 BvR 931/12 - BVerfGE 138, 261 <288>). Anderes folgt auch nicht aus dem in § 2 Abs. 2 Nr. 1 ROG verankerten Grundsatz der Raumordnung, dass im Gesamtraum der Bundesrepublik Deutschland und seinen Teilräumen ausgeglichene infrastrukturelle Verhältnisse anzustreben sind.

30Der landesrechtliche Verzicht auf raumordnerische Abstandsvorschriften verstößt nicht gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Vor schädlichen Umwelteinwirkungen schützen zuvörderst die Betreiberpflichten nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG (vgl. Appel, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 4. Aufl. 2019, § 4 BBPlG Rn. 22). Diese Anforderungen sind - trotz der Annäherung der Leitung an das Wohnhaus - erfüllt.

31III. Verstöße gegen das Abwägungsgebot hinsichtlich der betrieblichen Belange der Klägerin lassen sich nicht feststellen.

32Nach § 18 Abs. 4 Satz 1 NABEG sind bei der Planfeststellung die von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen. Das Abwägungsgebot verlangt, dass - erstens - eine Abwägung überhaupt stattfindet, dass - zweitens - in die Abwägung an Belangen eingestellt wird, was nach Lage der Dinge eingestellt werden muss, und dass - drittens - weder die Bedeutung der öffentlichen und privaten Belange verkannt noch der Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens wird das Abwägungsgebot nicht verletzt, wenn sich die zur Planung ermächtigte Stelle in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung eines anderen entscheidet (stRspr, vgl. 4 C 21.74 - BVerwGE 48, 56 <63 f.> und vom - 4 A 5.17 - BVerwGE 161, 263 Rn. 73).

331. Abwägungsfehler in Bezug auf künftige Entwicklungsmöglichkeiten des Betriebs der Klägerin liegen nicht vor.

34Bei der Planfeststellung ist grundsätzlich - auch in betrieblicher Hinsicht - auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Planfeststellungsbeschlusses abzustellen. Wird durch die Zulassung des Planvorhabens eine Grundstücksnutzung unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert, die zwar im Zeitpunkt der Planfeststellung noch nicht verwirklicht ist, die sich aber nach Lage und Beschaffenheit des Grundstücks bei vernünftiger und wirtschaftlicher Betrachtungsweise objektiv anbietet und nach dem Willen des Eigentümers in absehbarer Zeit verwirklicht werden soll, handelt es sich um einen Umstand, der abwägungserheblich ist, wenn er sich im Wege einer Prognose hinreichend sicher abschätzen lässt ( 4 A 18.98 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 146 S. 5 und vom - 9 A 35.07 - juris Rn. 25). Betriebsentwicklungen, die bislang weder rechtlich verfestigt noch unmittelbar in Angriff genommen worden sind, sind demgegenüber nicht als konkrete Planung, sondern lediglich im Rahmen des allgemeinen Interesses des Eigentümers, sein Grundstück ungehindert und nach eigenverantwortlicher Entscheidung nutzen zu können, in die Abwägung einzustellen.

35Gemessen daran musste der Planfeststellungsbeschluss die von der Klägerin geltend gemachten Erweiterungspläne nicht eigens abwägen. In den Schreiben vom , 10. und war nur allgemein ausgeführt, es seien - um den Betrieb zukunftsfähig aufzustellen - unter anderem neue tiergerechte Stallanlagen samt Nebenanlagen erforderlich, die in den kommenden Jahren auf dem Flurstück Nr. a geplant seien. Erst im Erörterungstermin am ließ die Klägerin den Grund- und Aufriss eines Stallgebäudes überreichen, der allerdings einer fremden Planung entnommen und nicht auf dem in Rede stehenden Grundstück verortet war. Die mündliche Verhandlung hat den Eindruck bestätigt, dass die Frage, ob und wann der Betrieb erweitert werden soll, noch nicht hinreichend sicher feststeht.

36Auf die mit Schreiben vom eingereichten Pläne kommt es nicht an, weil diese erst nach dem für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses maßgeblichen Zeitpunkt seines Erlasses erstellt worden sind (vgl. 4 A 1.13 - BVerwGE 148, 353 Rn. 25 und vom - 4 A 14.19 - BVerwGE 173, 132 Rn. 16 m. w. N.). Die Behauptung der Klägerin, bei Realisierung des Maststandortes sei ihr Betrieb in seiner Existenz gefährdet, bleibt unsubstantiiert.

372. Die geltend gemachten Bewirtschaftungserschwernisse sind ebenfalls fehlerfrei abgewogen.

38Der Planfeststellungsbeschluss geht davon aus, dass Masten zwar einer ungestörten maschinellen Bearbeitung im Wege stünden und Umfahrungen erforderlich machten. Allerdings würden nur 112 neue Masten errichtet und 158 Masten zurückgebaut, so dass gleichzeitig landwirtschaftliche Flächen entlastet würden. Sofern es im Einzelnen zu Mehraufwendungen komme, seien diese zumutbar (PFB S. 519). Auch Schutzstreifen und Leiterseile könnten zu Hindernissen führen. Aufgrund des gemäß DIN VDE 0210 geplanten minimalen Bodenabstandes der Leiterseile von 7,8 m über der Erdoberkante werde die Nutzung landwirtschaftlicher Flächen und der sichere Betrieb landwirtschaftlicher Maschinen aber ohne wesentliche Einschränkungen gewährleistet. Eine landwirtschaftliche Nutzung von Acker und Grünland innerhalb des Schutzstreifens sei somit weiterhin möglich (PFB S. 521).

39Diese Einschätzung ist nicht zu beanstanden. Auf dem Grundstück Flurstück Nr. a der Klägerin wird zwar ein Mast neu errichtet. Auf den Grundstücken Flurstück Nr. b und Flurstück Nr. c werden aber die Masten 35, 40 und 41 der Bl. 0171 und Mast 208 der Bl. 4505 zurückgebaut. Außerdem wird das Flurstück Nr. b von den Spannfeldern der Bl. 4505 und Bl. 0171 entlastet. Sofern die Klägerin Nutzungseinschränkungen bei der Beregnung der Flächen geltend macht, gehen die Planfeststellungsunterlagen auch auf dieses Thema überzeugend ein (Unterlage Register 25 - Landwirtschaftliche Belange - S. 22): Beregnungsanlagen haben zwar bestimmte Sicherheitsabstände einzuhalten, eine Beregnung der Flächen bleibt aber grundsätzlich möglich.

403. Eine unzumutbare Beeinträchtigung durch den Flächenverlust aufgrund der Maststandorte ist nicht erkennbar. Die Klägerin verliert durch die Grundfläche von Mast 94 etwa 180 m² an bewirtschaftbarer Fläche. Durch den Rückbau der vier Bestandsmasten gewinnt sie aufgrund geringerer Fundamentgrößen zwar nur etwa 34 m² (vgl. PFB S. 134). Allerdings spielt nicht nur der absolute Flächenverlust, sondern auch der Wegfall der Nutzungserschwernis für jeden rückgebauten Mast eine Rolle (vgl. Register 25 - Landwirtschaftliche Belange - S. 20). Die geltend gemachte Existenzgefährdung des Betriebes aufgrund der Flächenverluste bleibt unsubstantiiert (vgl. PFB S. 519 f.).

41IV. Ein Verstoß gegen das Abwägungsgebot liegt nicht darin, dass Mast 94 erdrückende Wirkung hätte und das Wohnen im Haus "B" deshalb unzumutbar würde. Masten sind lichtdurchlässig und erlauben einen - eingeschränkten - Blick auf die dahinterliegende Landschaft oder Bebauung. Ihnen kommt daher nur im Extremfall erdrückende Wirkung zu, nämlich, wenn das dem Mast benachbarte Grundstück und die auf ihm errichteten Gebäude ihre Eigenständigkeit und Charakteristik verlieren ( 4 A 5.17 - BVerwGE 161, 263 Rn. 89 und vom - 4 A 14.19 - BVerwGE 173, 132 Rn. 73). Eine solche Wirkung hat der 45,50 m hohe Mast 94 schon aufgrund des Abstands von circa 90 m zum Wohnhaus nicht. Hinzu kommt, dass das Grundstück durch den nur etwas weiter entfernten Mast der Bahnstromleitung optisch vorbelastet ist (vgl. PFB S. 88 f. und 221).

42V. Die Klägerin meint, jedenfalls in der Gesamtschau habe der Planfeststellungsbeschluss der optischen und psychischen Mehrbelastung, der die Bewohner des Grundstücks ausgesetzt würden, nicht ausreichend Rechnung getragen. Es hätte der Einholung eines Gefährdungsgutachtens bedurft. Das führt nicht auf einen Ermittlungs- oder Abwägungsfehler. Der Planfeststellungsbeschluss hat erkannt, dass auch die Belastung mit elektromagnetischen Feldern unterhalb der Grenzwerte abwägungserheblich ist (PFB S. 203). Die optische Belastung, die für Menschen von den Strommasten ausgeht, hat er in seine Entscheidung eingestellt, aufgrund der Vorbelastung, der konsequenten Bündelung der Trasse mit vorhandenen Strukturen sowie der insgesamt eintretenden Entlastungswirkung durch den Rückbau zahlreicher Maststandorte aber als vertretbar erachtet (PFB S. 88 f., 221 und 500). Das ist nicht zu beanstanden. Auch die konkret für das Wohnhaus berechneten akustischen Belastungen hat er bewertet (PFB S. 204). Weiterer Untersuchungen, Gutachten oder Vergleiche bedurfte es nicht, da die maßgeblichen Belange erkannt und ihrem Gewicht entsprechend in die Abwägung eingestellt worden sind.

43VI. Mit der Rüge, das planfestgestellte Vorhaben führe zu einer erheblichen Wertminderung insbesondere des Grundstücks Flurstück Nr. a und verletze sie in ihrem Eigentumsrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG, zeigt die Klägerin keinen Abwägungsfehler auf. Der Planfeststellungsbeschluss hat diesen Belang erkannt und auf S. 513 ff. behandelt. Mit den Ausführungen setzt sich die Klägerin nicht auseinander, sondern hält dies lediglich für nicht überzeugend.

44VII. Die Abwägungsentscheidung leidet auch in Bezug auf die Alternativenprüfung nicht an den geltend gemachten Fehlern.

45Bestehen keine rechtlich zwingenden Vorgaben, ist die Auswahl unter verschiedenen Trassenvarianten eine fachplanerische Abwägungsentscheidung. Die Ausübung der planerischen Gestaltungsfreiheit unterliegt rechtlichen Bindungen. Die Wahl einer Trassenvariante ist rechtsfehlerhaft, wenn eine andere als die gewählte Linienführung sich unter Berücksichtigung aller abwägungserheblichen Belange eindeutig als die bessere, weil öffentliche und private Belange insgesamt schonendere darstellen würde, wenn sich mit anderen Worten diese Lösung der Behörde hätte aufdrängen müssen. Darüber hinaus ist die Auswahlentscheidung auch dann fehlerhaft, wenn der Planungsbehörde infolge einer fehlerhaften Ermittlung, Bewertung und Gewichtung einzelner Belange ein rechtserheblicher Fehler unterlaufen ist (stRspr, vgl. 4 A 9.97 - BVerwGE 107, 1 <11> und vom - 4 A 5.17 - BVerwGE 161, 263 Rn. 82).

46Keine der von der Klägerin vorgeschlagenen Varianten - Nutzung vorhandener Tragmasten, Ersatzneubau in der Bestandstrasse, modifizierte Querung der ...siedlung, Nutzung der Leitung der DB und Erdverkabelung - musste als eindeutig bessere Variante der Antragstrasse vorgezogen werden. Auch eine Fehlgewichtung von Belangen liegt nicht vor.

471. Den Verzicht auf einen Ersatzneubau der Leitung im streitgegenständlichen Abschnitt musste die Planfeststellungsbehörde bereits nicht näher in Betracht ziehen. Die Vermutung der Klägerin, die vorhandenen Tragmasten seien für eine Verstärkung ausreichend dimensioniert, trifft ausweislich der im Rahmen der Bundesfachplanung erstellten Unterlagen nicht zu (vgl. Hauptdokument Bundesfachplanung nach § 8 NABEG, S. 25).

482. Die Führung des Vorhabens in dem Trassenband der Bestandstrassen (von der Klägerin sogenannte "blaue Variante") erwägt der Planfeststellungsbeschluss (S. 564 f.) als "Alternative Stadt Weinheim 1". Er hält die Vorzugsvariante für vorteilhaft, weil die bestehende Überspannung der nördlichen Hoflage gänzlich aufgelöst und die Entfernung zur Leitung auf ca. 50 m vergrößert werden könne. Darüber hinaus könne auch der Abstand zur südlichen Hoflage auf etwa 100 m vergrößert werden. Das ist nicht zu beanstanden.

49Wie anhand des Bildmaterials im Erläuterungsbericht (Register 1, Kapitel 3.5.3, S. 48) deutlich wird, nähern sich die Bestandsleitungen sowohl der nordöstlichen als auch den südwestlich liegenden Hoflagen stark an oder überspannen diese. Die Vorzugstrasse löst die Hofüberspannung auf, hält größeren Abstand zu den Hoflagen und zu dem Wohnhaus A. Allerdings wird ein Grundstück der Klägerin für einen Maststandort in Anspruch genommen und zusätzlich überspannt. Die Leitung rückt auch deutlich näher an das dort befindliche Wohnhaus heran. Für die ...siedlung insgesamt ergibt sich aber ein erkennbarer Entlastungseffekt, den die Beklagte zu Gunsten der Vorzugstrasse berücksichtigen durfte.

50Die Planfeststellungsbehörde musste nicht ermitteln, zu welcher Seite die Fenster der jeweiligen Wohngebäude ausgerichtet sind und wie sich die Geräuschbelastung im Einzelnen darstellt. Der Sachverhalt muss nur so weit aufgeklärt werden, wie dies für eine sachgerechte Entscheidung erforderlich ist ( 4 A 5.14 - BVerwGE 154, 73 Rn. 172 und vom - 4 A 10.20 - NuR 2023, 326 Rn. 20). Vorliegend waren die Grenzwerte zum Immissionsschutz für die Antragstrasse deutlich unterschritten, und eine erdrückende Wirkung des Mastes 94 stand nicht in Rede. In dieser Situation genügte es, die Auswirkungen der Varianten auf das Schutzgut Mensch anhand der Abstände der Höchstspannungsleitungen zu den Wohnhäusern und Hoflagen abzuschätzen. Weil die Auswirkungen der Leitungen auf das Schutzgut mit zunehmendem Abstand in aller Regel abnehmen, handelt es sich hierbei um ein im Ausgangspunkt geeignetes Kriterium, auf das auch der Gesetz- und Verordnungsgeber in unterschiedlichen Zusammenhängen verallgemeinernd zurückgreift (vgl. § 4 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BBPlG bzw. § 2 Abs. 2 Nr. 1 und 2 EnLAG, § 4 Abs. 3 der 26. BImSchV). Unabhängig davon hat die Beigeladene eine Berechnung der Lärmimmissionen vom eingereicht, nach der die Beurteilungspegel für das am stärksten betroffene Fenster des Wohnhauses A denen am Wohnhaus B (IO10) entsprechen.

51Ebenfalls in die Abwägung eingestellt werden durfte der Umstand, dass die Alternativtrasse ein flächenhaft verzeichnetes Bodendenkmal queren und für einen Maststandort in Anspruch nehmen würde (vgl. Umweltverträglichkeitsprüfung, Schutzgut Kulturelles Erbe und sonstige Sachgüter - Bestand, Register 17.1.6 Blatt 9 und Blatt 11). Weiterer Untersuchungen oder Probebohrungen zur Klärung der Frage, ob und wie das Bodendenkmal von der vorgeschlagenen Alternative betroffen worden wäre, bedurfte es schon deshalb nicht, weil diesem Belang nur eine die Entscheidung bestärkende Funktion zukam. Der Planfeststellungsbeschluss sieht nämlich Vorteile der Antragstrasse für die Schutzgüter Mensch, Boden und Kulturelles Erbe und sonstige Sachgüter, für andere Schutzgüter aber keine relevanten Unterschiede zwischen beiden Trassenverläufen (PFB S. 565). Schon die Vorteile beim Schutzgut Mensch konnten die Abwägungsentscheidung daher tragen.

52Die Rüge, die Planung sei aufgrund veralteten Kartenmaterials getroffen worden und habe nicht berücksichtigt, dass die vorgeschlagene Alternative zu großen Teilen über nicht mehr bebaubares Gelände verlaufe, verfängt nicht. Die Informationen wurden mit Einwendungsschreiben der Klägerin vom eingereicht und waren bei Abwägung der Varianten bekannt. Abgesehen davon ist angesichts der konkret getroffenen Abwägungsentscheidung nicht ersichtlich, inwiefern die Frage der baulichen Nutzbarkeit der angesprochenen Fläche zu einem anderen Ergebnis hätte führen können.

533. Mit der vorgeschlagenen Querung der ...siedlung unter größtmöglicher Verschonung der Hoflagen setzt sich der Planfeststellungsbeschluss ab Seite 561 unter dem Stichwort "Zickzack-Verlauf" auseinander. Der Planfeststellungsbeschluss lehnt diese Variante mit dem Argument ab, dass bei der Antragsvariante nur noch die Stadtwerke-Leitung zwischen den Teilen der ...siedlung verbleibe. Diese sei im Jahr 1975 errichtet worden, so dass davon ausgegangen werden könne, dass die Leitung absehbar Gegenstand einer planerischen Neutrassierung oder technologischer Alternativüberlegungen wie einer Erdverkabelung werde. Würde das Vorhaben in der Bestandstrasse geführt, würde diese "Öffnungsperspektive" für die nächsten Jahrzehnte verschlossen, und es käme zu einer Verfestigung der Einkesselungssituation (PFB S. 561).

54Die Erwägung, eine Perspektive für eine dauerhafte Entlastung der Siedlung zu eröffnen, ist nachvollziehbar und vermag die Abwägung zu tragen. Auch der Hinweis auf eine denkbare Erdverkabelung der Stadtwerke-Leitung ist angesichts des Umstandes, dass diese Leitung nicht auf Höchstspannungsebene betrieben wird, nicht fernliegend. Hinzu kommt, dass nach den zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Planfeststellungsbeschluss vorliegenden Informationen die Stadtwerke W. eine Bündelung ihrer Leitung mit dem Vorhaben nicht befürwortet haben und die ohne Bündelung notwendig werdenden Kreuzungen der Leitungen zu negativen betrieblichen Abhängigkeiten führen würden (vgl. dazu 4 A 10.20 - NuR 2023, 326 Rn. 23).

554. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte es versäumt hat, sonstige ernsthaft in Betracht kommende Alternativen zu prüfen (vgl. 4 A 5.14 - BVerwGE 154, 73 Rn. 172 und vom - 4 A 4.15 - BVerwGE 157, 73 Rn. 32).

56Einer Einbeziehung der Bahnstromleitung in das Vorhaben hatte die Deutsche Bahn bereits im Jahr 2018 widersprochen. Eine Trassierung westlich der Bahnleitung würde eine doppelte Querung dieser Leitung mit entsprechend höheren Masten notwendig machen und zu betrieblichen Abhängigkeiten beider Leitungen führen. Sie brauchte daher nicht näher betrachtet zu werden.

575. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass der Planfeststellungsbeschluss eine Führung der Leitung als Erdkabel verwirft (PFB S. 567 f.). Das planfestgestellte Vorhaben gehört nicht zu den in § 2 Abs. 1 EnLAG oder in § 4 Abs. 1 BBPlG genannten Vorhaben. Die Beklagte konnte die Beigeladene daher weder nach § 2 Abs. 2 EnLAG oder § 4 Abs. 2 Satz 3 BBPlG verpflichten, die Leitung als Erdkabel auszuführen, noch eine solche Variante von sich aus in die Abwägung aufnehmen (vgl. 4 A 1.18 - BVerwGE 165, 166 Rn. 41 und vom - 4 A 10.19 - NVwZ 2021, 1615 Rn. 37 sowie Beschluss vom - 4 VR 7.19 u. a. - Buchholz 451.17 § 43 EnWG Nr. 11 Rn. 102 ff. m. w. N.).

58Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 3 VwGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:110924U11A21.23.0

Fundstelle(n):
JAAAJ-81519