Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall - Beweiswert ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen
Instanzenzug: ArbG Schwerin Az: 4 Ca 679/22 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Az: 5 Sa 12/23 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
2Der Kläger war seit Januar 2020 als Dozent in der Erwachsenenbildung bei der Beklagten zu einem Monatsgehalt von zuletzt 3.800,00 Euro brutto beschäftigt. Seine Arbeitsaufgabe bestand insbesondere darin, Fachkräfte für Lagerlogistik und Fachlageristen auszubilden. Der Kläger ist ein schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 50. Im Dezember 2020 stellte die Beklagte ihm ein dienstliches Mobiltelefon mit Zubehör zur Verfügung, zu dessen unverzüglicher Rückgabe der Kläger sich im Fall einer Kündigung vertraglich verpflichtete.
3Am Freitag, dem , nach Dienstschluss gegen 16:15 Uhr übergab der Kläger dem Geschäftsführer der Beklagten die schriftliche Kündigung zum . Zeitgleich übergab er die Kündigung seiner Kollegin Frau H, die zum selben Zeitpunkt kündigte. Das Dienstmobiltelefon befand sich - nachdem der Kläger zuvor eine Rufumleitung auf sein privates Mobiltelefon eingerichtet hatte - in seinem Schreibtisch bei der Beklagten. Gegen 19:00 Uhr desselben Tages suchte die Abteilungsleiterin, Frau M, den Kläger zu Hause auf und forderte ihn ua. zur Rückgabe des ihm überlassenen Laptops und iPads jeweils mit Zubehör sowie von Schlüsseln, ua. für das Büro des Klägers, auf. Diese Gegenstände gab der Kläger heraus.
4Am Montag, dem , erschien der Kläger nicht zur Arbeit. Er suchte seine Hausärztin, die Fachärztin für Allgemeinmedizin P, auf, die ihm Arbeitsunfähigkeit für die Zeit vom 2. bis zum bescheinigte. Am stellte Frau P eine Folgebescheinigung bis zum aus. Am , einem Mittwoch, nahm der Kläger - wie auch Frau H - eine neue Tätigkeit bei einem Konkurrenzunternehmen der Beklagten auf. Am forderte er die Beklagte erfolglos zur Zahlung der am letzten Tag des Monats fälligen Vergütung für Mai 2022 auf.
5Mit seiner Klage hat der Kläger - soweit für die Revision von Bedeutung - von der Beklagten für Mai 2022 Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verlangt. Er hat behauptet, seine Vorgesetzte, Frau M, habe die Rückgabe der Arbeitsmittel sinngemäß mit den Worten beendet: „Bereite dich mal am Montag schon auf einen Spießrutenlauf vor.“ Das habe bei ihm Ängste und Depressionen ausgelöst, weshalb er am Wochenende an Schlafstörungen, Übelkeit, Bauchschmerzen, Durchfall, Kurzatmigkeit und Luftnot gelitten habe. Die Hausärztin habe eine somatoforme Störung und ein Erschöpfungssyndrom diagnostiziert und ihm Ruhe, Spaziergänge, Sport und längere Fahrradfahrten empfohlen. Zudem habe er während der Arbeitsunfähigkeit Physiotherapie erhalten und Entspannungsübungen erlernt. Seine Kollegin sei mit dem Arbeitsklima bei der Beklagten ebenfalls nicht einverstanden gewesen, weshalb sie ihn aus Angst vor einer Auseinandersetzung mit dem Geschäftsführer gebeten habe, der Beklagten die Kündigung zu überbringen.
6Der Kläger hat - soweit für die Revision von Bedeutung - beantragt,
7Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und vorgetragen, der Kläger habe während der Zeit der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit versucht, Kunden (Kooperationsbetriebe) der Beklagten abzuwerben. Er habe zu Kunden Kontakt aufgenommen und wahrheitswidrig behauptet, dass die Beklagte wegen der Kündigungen über keine Dozenten mehr verfüge, und gegenüber einem Kooperationsbetrieb seine Dienste unter Führung des neuen Arbeitgebers angeboten. Dieser Kunde habe daraufhin die Geschäftsbeziehung mit der Beklagten abgebrochen. Aufgrund der Rufumleitung habe der Kläger dienstliche Anrufe und Nachrichten entgegengenommen und einer Teilnehmerin aus einem Kooperationsbetrieb mitgeteilt, dass er die Fortbildungsmaßnahme bei einem neuen Träger fortsetzen werde. Auch die Kollegin H sei während des Laufes der Kündigungsfrist arbeitsunfähig erkrankt gewesen und habe im Mai 2022 parallele Fehlzeiten aufgewiesen. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, bereits diese Umstände würden den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttern. Auch die exakte zeitliche Übereinstimmung zwischen der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit und dem Lauf der Kündigungsfrist sowie der Antritt einer neuen Tätigkeit unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses sprächen gegen eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers. Zudem erfasse die zweite Bescheinigung mit 18 Tagen einen Zeitraum, der länger sei als die Regelfrist von bis zu 14 Tagen gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie.
8Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter, während der Kläger die Zurückweisung der Revision begehrt.
Gründe
9Die zulässige Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat nicht erkannt, dass die Beklagte den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom und vom erschüttert hat. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen kann der Senat nicht über die Begründetheit der Klage hinsichtlich der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall entscheiden. Das führt zur teilweisen Aufhebung des Berufungsurteils und im Umfang der Aufhebung zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO).
10I. Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerhaft angenommen, der Beweiswert der vom Kläger für Mai 2022 vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom und vom sei durch die Beklagte nicht erschüttert worden.
111. Ein Arbeitnehmer hat nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft. Nach allgemeinen Grundsätzen trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG ( - Rn. 11; - 5 AZR 505/18 - Rn. 16, BAGE 169, 117).
12a) Der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit wird in der Regel durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung iSd. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG reicht die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung iSd. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG aus, um dem Arbeitgeber das Recht zur Leistungsverweigerung zu entziehen (näher dazu - Rn. 12 mwN; - 5 AZR 149/21 - Rn. 12, BAGE 175, 358).
13b) Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründet keine gesetzliche Vermutung einer tatsächlich bestehenden Arbeitsunfähigkeit iSd. § 292 ZPO mit der Folge, dass nur der Beweis des Gegenteils zulässig wäre ( - Rn. 13; - 5 AZR 149/21 - Rn. 13 mwN, BAGE 175, 358). Der Arbeitgeber ist nicht auf die in § 275 Abs. 1a SGB V aufgeführten Regelbeispiele ernsthafter Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit beschränkt ( - aaO). Bei der näheren Bestimmung der Anforderungen an die wechselseitige Darlegungslast der Parteien ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber in aller Regel keine Kenntnis von den Krankheitsursachen hat und nur in eingeschränktem Maß in der Lage ist, Indiztatsachen zur Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzutragen. Der Arbeitgeber muss gerade nicht, wie bei einer gesetzlichen Vermutung, Tatsachen darlegen, die dem Beweis des Gegenteils zugänglich sind ( - Rn. 18 mwN; - 5 AZR 149/21 - Rn. 14, aaO). Für die Frage der Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist nicht entscheidend, ob es sich um eine Eigenkündigung des Arbeitnehmers (vgl. dazu - Rn. 19, aaO) oder um eine Kündigung des Arbeitgebers handelt (vgl. dazu - aaO). Bei der Kündigung durch den Arbeitnehmer kann der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert werden, wenn der Arbeitnehmer unmittelbar nach dem Zugang der Kündigung erkrankt und nach den Gesamtumständen des zu würdigenden Einzelfalls Indizien vorliegen, die Zweifel am Bestehen der Arbeitsunfähigkeit begründen. Hierauf deutet insbesondere eine zeitliche Koinzidenz zwischen Kündigungsfrist und Dauer der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit hin. Es ist auch nicht entscheidend, ob für die Dauer der Kündigungsfrist eine oder mehrere Bescheinigungen vorgelegt werden (näher dazu - Rn. 24 mwN). Die ernsthaften Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit gründen darin, dass der Arbeitnehmer zu einem Zeitpunkt, zu dem feststeht, dass das Arbeitsverhältnis enden soll, arbeitsunfähig wird und bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bleibt ( - Rn. 18).
14c) Gelingt es dem Arbeitgeber, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, tritt hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast wieder derselbe Zustand ein, wie er vor Vorlage der Bescheinigung bestand. Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, konkrete Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, die den Schluss auf eine bestehende Erkrankung zulassen. Hierzu ist substantiierter Vortrag zB dazu erforderlich, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben und welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente ärztlich verordnet wurden. Der Arbeitnehmer muss also zumindest laienhaft bezogen auf den gesamten Entgeltfortzahlungszeitraum schildern, welche konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden haben ( - Rn. 14; - 5 AZR 149/21 - Rn. 15, BAGE 175, 358).
152. Dies zugrunde gelegt ist die Revision hinsichtlich der Verurteilung der Beklagten zur Entgeltfortzahlung im streitgegenständlichen Zeitraum begründet.
16a) Grundsätzlich ist die Würdigung der Beweise gemäß § 286 ZPO dem Tatrichter vorbehalten. Revisionsrechtlich ist nur zu überprüfen, ob die Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei und ohne Verletzung von Denkgesetzen und allgemeinen Erfahrungssätzen erfolgt ist, ob sie rechtlich möglich ist und das Berufungsgericht alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt hat (vgl. - Rn. 16).
17b) Dieser Überprüfung hält die Berufungsentscheidung nicht stand. Das Landesarbeitsgericht hat nicht alle Umstände des vorliegenden Einzelfalls berücksichtigt und die zu berücksichtigenden Umstände nicht frei von Widersprüchen gewürdigt.
18aa) Das Berufungsgericht hat bereits nicht ausreichend berücksichtigt, dass zwischen der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom , der passgenauen Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit in der Folgebescheinigung vom und der Kündigungsfrist eine zeitliche Koinzidenz bestand.
19(1) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts lag nicht lediglich ein Sachverhalt vor, bei dem die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung „einen Zeitraum innerhalb der Kündigungsfrist, insbesondere gegen Ende der Kündigungsfrist, betrifft“. Die durch den Kläger nach Übergabe der Kündigung zu erbringenden Arbeitstage wurden vielmehr passgenau durch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen abgedeckt. Nachdem der Kläger am Freitag, dem , nach Arbeitsende der Beklagten seine Kündigung zum übergeben hatte, nahm er die Arbeit am nächsten Arbeitstag am Montag, dem , nicht wieder auf, sondern suchte seine Hausärztin auf, die ihm eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis zum ausstellte und diese am bis zum Beendigungsdatum des Arbeitsverhältnisses am , einem Dienstag, verlängerte.
20(2) Die aufgrund der zeitlichen Koinzidenz begründeten Zweifel am Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom und vom bestehen unbeschadet des vom Kläger dem Landesarbeitsgericht vorgelegten ärztlichen Attests der Allgemeinmedizinerin Frau P vom . Zwischen dem Vortrag des Klägers zum Anlass und Grund der Arbeitsunfähigkeit und den Angaben in der ärztlichen Bescheinigung bestehen erhebliche Widersprüche. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger vorgetragen, dass die Drohung der Vorgesetzten mit einem „Spießrutenlauf“ anlässlich der Rückgabe der Arbeitsgegenstände am Abend des bei ihm Ängste und Depressionen mit körperlichen Symptomen ausgelöst habe, weshalb er am Wochenende an Schlafstörungen, Übelkeit, Bauchschmerzen, Durchfall, Kurzatmigkeit und Luftnot gelitten habe. Derartige akute Beschwerden aufgrund des vom Kläger angegebenen Vorfalls nennt das Attest nicht. Frau P hat vielmehr mitgeteilt, der Patient habe von einer ausgeprägten Erschöpfung und diversen „seit Wochen“ bestehenden Symptomen berichtet. Auslöser der Erkrankung sei die unbefriedigende Situation und „anhaltender“ Stress am Arbeitsplatz gewesen.
21(3) Für die Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aufgrund der zeitlichen Koinzidenz ist es entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht erforderlich, dass der Kläger die Kündigung und die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 2. bis zum der Beklagten „zeitgleich“ übergibt. Der Kläger hat unmittelbar nach der Übergabe der Kündigung die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom der Beklagten vorgelegt. Das Berufungsgericht hat außer Acht gelassen, dass zwischen der Übergabe der Eigenkündigung des Klägers nach Beendigung der Arbeit am Freitag, dem , gegen 16:15 Uhr, dem Fernbleiben von der Arbeit, dem Aufsuchen der Hausärztin am Montag, dem , und der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom selben Tag, lediglich das ohnehin für den Kläger arbeitsfreie Wochenende und der für ihn arbeitsfreie Feiertag am Sonntag, der , lag. Zwischen der Übergabe der Kündigung und der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung besteht somit ein enger zeitlicher Zusammenhang (vgl. zur Einheit des Verhinderungsfalls - Rn. 21, BAGE 169, 117). Arbeitsleistungen hat der Kläger zwischen der Übergabe der Kündigung und der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom nicht zu erbringen gehabt.
22bb) Darüber hinaus hat das Landesarbeitsgericht nicht ausreichend berücksichtigt, dass die Bestätigung der fortdauernden Arbeitsunfähigkeit durch die Bescheinigung vom abweichend von § 5 Abs. 4 Satz 1 Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie in der im Mai 2022 geltenden Fassung (Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie aF) über die Zweiwochenfrist hinaus bis Dienstag, den , erfolgte und der Kläger am eine neue Beschäftigung aufgenommen hat. Die Annahme des Berufungsgerichts, „der mit einem Arbeitgeberwechsel verbundene Neustart könne insbesondere bei psychosomatischen Beschwerden für eine Genesung durchaus hilfreich sein“, ist rein spekulativ und nicht durch unstreitige oder bewiesene tatsächliche Umstände begründet. Das Landesarbeitsgericht hat sich vielmehr zum einen den - bestrittenen und nicht bewiesenen - Vortrag des Klägers, er leide aufgrund der Bedrohung durch die Vorgesetzte unter psychosomatischen Beschwerden, zu eigen gemacht. Zum anderen hat die Kammer eine eigene Sachkunde in Anspruch genommen, ohne dass sie zuvor auf eine vorhandene eigene medizinische Sachkenntnis hingewiesen und spätestens in den Entscheidungsgründen begründet hat, woher sie diese Sachkunde hat (vgl. dazu - Rn. 38 mwN, BAGE 160, 221; GMP/Müller-Glöge 10. Aufl. ArbGG § 73 Rn. 7).
23cc) Das Landesarbeitsgericht ist zudem unzutreffend davon ausgegangen, dass das von der Beklagten behauptete Verhalten des Klägers nach Ausspruch der Kündigung - das Führen von Telefonaten ua. mit Teilnehmern aufgrund der zuvor auf dem Dienstmobiltelefon eingerichteten Rufumleitung - nicht gegen eine Arbeitsunfähigkeit spricht. Auch wenn die Tätigkeit eines Dozenten in der Erwachsenenbildung - wie das Berufungsgericht meint - hauptsächlich im Unterrichten und der Abnahme von Prüfungen bestehen sollte, wird der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht erst dadurch erschüttert, dass der Arbeitnehmer trotz der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit sämtliche vertraglich geschuldete Tätigkeiten erbringt. Der Beweiswert kann - im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände - auch dann erschüttert sein, wenn der Arbeitnehmer während dieser Zeit Teiltätigkeiten der vertraglich geschuldeten Tätigkeit erbringt und - wie vorliegend von der Beklagten behauptet - Telefongespräche führt, um Kunden abzuwerben.
24dd) Das Zusammentreffen derart ungewöhnlicher Umstände, die jeweils für sich betrachtet unverfänglich sein mögen, begründet in der Gesamtschau ernsthafte Zweifel am Beweiswert der am und am ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Bei der Bewertung der Umstände des Einzelfalls ist stets im Blick zu behalten, dass an den Vortrag des Arbeitgebers zur Erschütterung des Beweiswerts keine erhöhten Anforderungen gestellt werden, weil dieser nur über eingeschränkte Erkenntnismöglichkeiten verfügt. Der Arbeitgeber muss gerade nicht Tatsachen darlegen, die den Beweis des Gegenteils begründen können (sh. bereits Rn. 13; vgl. - Rn. 27).
25II. Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Berufungsurteils, § 562 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (vgl. § 561 ZPO). Der Kläger trägt die Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 EFZG. Da das Landesarbeitsgericht - aus seiner Sicht konsequent - hierzu keine Feststellungen getroffen hat, ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 ZPO. Hierbei hat der Senat aufgrund der Sachbehandlung durch das Landesarbeitsgericht von der Möglichkeit der Zurückverweisung an einen anderen Spruchkörper nach § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht. Im fortgesetzten Berufungsverfahren wird das Landesarbeitsgericht Folgendes zu beachten haben:
261. Das Landesarbeitsgericht hat für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit möglicherweise maßgebliche Tatsachen unzutreffend festgestellt.
27a) Der Kläger hat vorgetragen, dass seine Vorgesetzte, Frau M, die Rückholung der Arbeitsgegenstände in seiner Wohnung sinngemäß mit den Worten beendet habe, „Bereite dich mal am Montag schon auf einen Spießrutenlauf vor“, und dies die Ursache für die Erkrankung gewesen sei. Die Beklagte hat diesen Vortrag nicht ausreichend gemäß § 138 Abs. 2 und 3 ZPO, sondern lediglich mit „Nichtwissen“ bestritten. Eine Erklärung mit Nichtwissen ist aber gemäß § 138 Abs. 4 ZPO nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind. Sie ist ausgeschlossen, wenn die erklärungsbelastete Partei imstande ist, substantiierten Gegenvortrag zu halten. Nach den allgemeinen Grundsätzen ist sie dazu verpflichtet, wenn ihr ein solches Vorbringen möglich ist, weil sich die behaupteten Umstände in ihrem Wahrnehmungsbereich verwirklicht haben (vgl. - Rn. 39). Für solche Umstände besteht grundsätzlich eine Pflicht der Partei, sich das für die Erklärung erforderliche Wissen zu verschaffen. Ein Bestreiten mit Nichtwissen ist nur dann zulässig, wenn die Partei ohne Erfolg Erkundigungen über das Verhalten von Personen angestellt hat, die unter ihrer Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig geworden sind (vgl. - Rn. 70; - 7 AZR 501/06 - Rn. 30). Die Beklagte war daher verpflichtet, sich über das Verhalten ihrer Abteilungsleiterin Frau M anlässlich der Abholung der Gegenstände beim Kläger und die in diesem Zusammenhang getätigten Aussagen Kenntnis zu verschaffen. Dem ist sie nicht nachgekommen.
28b) Das Landesarbeitsgericht hat diese Behauptung des Klägers entgegen § 138 Abs. 2 und 3 ZPO als streitig behandelt. Der Senat ist aber revisionsrechtlich an diese unrichtige Sachbehandlung des Landesarbeitsgerichts gebunden, weil nach § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO der Beurteilung des Revisionsgerichts nur dasjenige Parteivorbringen unterliegt, das aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist. Die in den Entscheidungsgründen wiedergegebenen tatsächlichen Feststellungen werden dem Tatbestand zugerechnet. Widersprechen sich tatbestandliche Feststellungen des Berufungsurteils und in Bezug genommene Schriftsätze, geht der Tatbestand vor (vgl. - Rn. 48; - II ZR 334/04 - Rn. 11; GMP/Müller-Glöge 10. Aufl. ArbGG § 74 Rn. 105). Eine Unrichtigkeit dieser Feststellungen kann grundsätzlich nur im Berichtigungsverfahren nach § 320 ZPO geltend gemacht und behoben werden ( - Rn. 25, BAGE 176, 145; - Rn. 12). Einen Antrag nach § 320 ZPO hat der Kläger jedoch nicht gestellt.
29c) Dasselbe gilt, soweit die Beklagte eine Konkurrenztätigkeit des Klägers behauptet und daraus den Schluss gezogen hat, der Kläger sei nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen.
30aa) Die Beklagte hat vorgetragen, der Kläger habe während der Zeit der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit versucht, Kunden der Beklagten für seine künftige Arbeitgeberin abzuwerben, indem er zu Kunden Kontakt aufgenommen und wahrheitswidrig behauptet habe, die Beklagte verfüge wegen der Kündigungen über keine Dozenten mehr, und gegenüber einem Kooperationsbetrieb seine Dienste unter Führung des neuen Arbeitgebers angeboten habe. Dieser Kunde habe daraufhin die Geschäftsbeziehung mit der Beklagten abgebrochen. Zudem habe der Kläger unter Nutzung der Rufumleitung auf seinem privaten Mobiltelefon trotz der behaupteten Erkrankung dienstliche Anrufe und Nachrichten entgegengenommen und einer Teilnehmerin aus einem Kooperationsbetrieb mitgeteilt, dass er die Fortbildungsmaßnahme bei einem neuen Träger fortsetzen werde.
31bb) Diesen Vortrag hat der Kläger in den Tatsacheninstanzen nicht bestritten. Gleichwohl hat das Landesarbeitsgericht diesen - möglicherweise für das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit relevanten Vortrag - als streitigen Vortrag im Tatbestand dargestellt und ihn bei der Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt. Der Senat ist aber auch insoweit revisionsrechtlich an die unrichtige Sachbehandlung des Landesarbeitsgerichts gebunden, weil die Beklagte einen Antrag auf Tatbestandsberichtigung nach § 320 ZPO nicht gestellt hat. Das erstmalige Bestreiten des Klägers in der Revisionsinstanz ist neues tatsächliches Vorbringen, das nach § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO unbeachtlich ist (vgl. - Rn. 27).
322. Darüber hinaus wird im fortgesetzten Berufungsverfahren festzustellen sein, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers noch am Tag der Ausstellung der jeweiligen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am und am bestanden haben, welche jeweils aktuellen Beschwerden der Kläger seiner Hausärztin mitgeteilt hat und welche Beschwerden zur Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit geführt haben. Diesbezügliche Feststellungen hat das Landesarbeitsgericht bislang nicht getroffen. Insoweit ist dem Kläger auch im Rahmen des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG Gelegenheit zu geben, seinen Vortrag weiter zu substantiieren und etwaige Widersprüche zwischen seinem bisherigen Vortrag und dem ärztlichen Attest vom aufzuklären (vgl. bereits Rn. 20). Das Landesarbeitsgericht wird ggf. in eine Beweisaufnahme einzutreten haben und erwägen müssen, den Kläger zu seiner Arbeitsunfähigkeit persönlich anzuhören (§ 141 ZPO).
33III. Im fortgesetzten Berufungsverfahren wird das Landesarbeitsgericht auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2024:180924.U.5AZR29.24.0
Fundstelle(n):
KAAAJ-81267