BAG Urteil v. - 5 AZR 137/23

Entgeltfortzahlung bei Krankheit und an Feiertagen - Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Gesetze: § 3 Abs 1 S 1 EntgFG, § 4 Abs 1 EntgFG, § 5 Abs 1 S 2 EntgFG, § 187 Abs 1 BGB, § 286 Abs 2 Nr 1 BGB, § 288 Abs 1 BGB, § 286 ZPO, § 292 ZPO, § 92 Abs 4a SGB 5, § 92 Abs 1 S 2 Nr 7 SGB 5, § 5 Abs 4 S 1 AURL vom

Instanzenzug: ArbG Hildesheim Az: 2 Ca 190/22 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen Az: 8 Sa 859/22 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

2Der Kläger war seit März 2021 als Helfer bei der Beklagten, die ein Unternehmen der Arbeitnehmerüberlassung betreibt, mit einem Stundenlohn von 10,88 Euro brutto beschäftigt. Die wöchentliche Arbeitszeit betrug 35 Stunden. Nach arbeitsvertraglicher Vereinbarung war das Arbeitsentgelt spätestens am 15. Bankarbeitstag des Folgemonats zu zahlen. Die Beklagte setzte den Kläger seit dem nicht mehr ein.

3Der Kläger legte der Beklagten am eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom selben Tag für die Zeit vom 2. bis zum vor. Mit Schreiben vom , das dem Kläger am zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum . In einer Folgebescheinigung vom wurde Arbeitsunfähigkeit des Klägers bis zum und in einer weiteren Folgebescheinigung vom bis zum bescheinigt. Nach den vom Kläger im Prozess vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen beruhte die Arbeitsunfähigkeit auf der Diagnose nach ICD-10-Code J06.9. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom wies zudem die Diagnose nach ICD-10-Code R45.7 auf. Ab dem war der Kläger wieder arbeitsfähig und nahm eine neue Beschäftigung auf.

4Mit Schreiben vom teilte die Beklagte dem Kläger mit, aufgrund der Koinzidenz zwischen der Kündigung und der vom 2. bis zum bescheinigten Arbeitsunfähigkeit bestünden ernsthaft begründete Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit, weshalb sie die Entgeltfortzahlung für den betreffenden Zeitraum verweigere. Mit Telefax vom forderte der Kläger die Beklagte zur Zahlung des Entgelts für den Monat Mai 2022 auf.

5Mit seiner Klage hat der Kläger von der Beklagten für die Zeit vom 2. bis zum Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verlangt. Er hat gemeint, der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei nicht erschüttert. Er habe sich zunächst krankgemeldet, erst daraufhin habe die Beklagte die Kündigung ausgesprochen. Dies stehe einer zeitlichen Koinzidenz von Kündigung und Krankmeldung entgegen, zumal es sich um eine Arbeitgeberkündigung handele. Bei ihm sei durchgängig eine Infektion der oberen Atemwege diagnostiziert worden, ab dem sei als weitere Diagnose „emotionaler Schock oder Stress“ hinzugetreten.

6Der Kläger hat beantragt,

7Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei erschüttert, weil der Zeitraum der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit taggenau der Kündigungsfrist entspreche und der Kläger unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses wieder arbeitsfähig geworden sei und eine neue Beschäftigung aufgenommen habe.

8Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Gründe

9Die zulässige Revision der Beklagten ist teilweise - bezogen auf den Zeitraum vom 1. bis zum 6. Mai hinsichtlich des Zinsbeginns und bezogen auf den Zeitraum vom 7. bis zum insgesamt - begründet. Die Vorinstanzen haben dem Kläger für den Zeitraum vom 2. bis zum zu Recht Entgeltfortzahlung wegen Arbeitsunfähigkeit zugesprochen. Sie haben aber nicht erkannt, dass die Beklagte den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom und vom erschüttert hat. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen kann der Senat nicht über die Begründetheit der Klage für den Zeitraum vom 7. bis zum entscheiden. Dies führt zur teilweisen Aufhebung des Berufungsurteils und im Umfang der Aufhebung zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 ZPO).

10I. Die Revision ist für den Zeitraum vom 1. bis zum lediglich hinsichtlich des Zinsbeginns begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts insoweit im Übrigen zu Recht zurückgewiesen. Der Kläger hat für diesen Zeitraum einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall aus § 3 Abs. 1 EFZG in Höhe von 380,80 Euro brutto.

111. Ein Arbeitnehmer hat nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft. Nach allgemeinen Grundsätzen trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG ( - Rn. 11; - 5 AZR 505/18 - Rn. 16, BAGE 169, 117).

12a) Der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit wird in der Regel durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung iSd. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG reicht die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung iSd. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG aus, um dem Arbeitgeber das Recht zur Leistungsverweigerung zu entziehen. Diese gesetzgeberische Wertentscheidung strahlt auch auf die beweisrechtliche Würdigung aus. Der ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt daher aufgrund der normativen Vorgaben im Entgeltfortzahlungsgesetz ein hoher Beweiswert zu. Die Gesetzesbegründung zur elektronischen Meldung nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGB IV hat die in § 5 Abs. 1a Satz 2 EFZG vorgesehene Papierbescheinigung „als gesetzlich vorgesehenes Beweismittel mit dem ihr von der Rechtsprechung zugebilligten hohen Beweiswert“ bezeichnet (BT-Drs. 19/13959 S. 37) und sich damit diese Bewertung zu eigen gemacht (aA Ricken RdA 2022, 235, 239 f.). Der Tatrichter kann normalerweise den Beweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt. Aufgrund des normativ vorgegebenen hohen Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt ein „bloßes Bestreiten“ der Arbeitsunfähigkeit mit Nichtwissen durch den Arbeitgeber nicht, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit mit einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen hat. Vielmehr kann der Arbeitgeber den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt ( - Rn. 12; - 5 AZR 149/21 - Rn. 12 mwN, BAGE 175, 358).

13b) Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründet keine gesetzliche Vermutung einer tatsächlich bestehenden Arbeitsunfähigkeit iSd. § 292 ZPO mit der Folge, dass nur der Beweis des Gegenteils zulässig wäre ( - Rn. 12; - 5 AZR 149/21 - Rn. 13 mwN, BAGE 175, 358). Der Arbeitgeber ist nicht auf die in § 275 Abs. 1a SGB V aufgeführten Regelbeispiele ernsthafter Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit beschränkt ( - aaO; zust. Küfner-Schmitt Anm. AP EntgeltFG § 5 Nr. 11). Den Beweiswert erschütternde Tatsachen können sich auch aus dem eigenen Sachvortrag des Arbeitnehmers (dazu bspw.  - Rn. 18, BAGE 157, 102) oder aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung selbst ergeben ( - aaO; zur Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wegen Verstößen des ausstellenden Arztes gegen bestimmte Vorgaben der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie  - Rn. 13 ff.).

14c) Gelingt es dem Arbeitgeber, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, tritt hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast wieder derselbe Zustand ein, wie er vor Vorlage der Bescheinigung bestand. Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, konkrete Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, die den Schluss auf eine bestehende Erkrankung zulassen. Hierzu ist substantiierter Vortrag zB dazu erforderlich, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben und welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente ärztlich verordnet wurden. Der Arbeitnehmer muss also zumindest laienhaft bezogen auf den gesamten Entgeltfortzahlungszeitraum schildern, welche konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden haben ( - Rn. 15, BAGE 175, 358).

152. Ausgehend hiervon ist die Annahme der Vorinstanzen, der Kläger sei im Zeitraum vom 2. bis zum infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert gewesen, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

16a) Grundsätzlich ist die Würdigung der Beweise gemäß § 286 ZPO dem Tatrichter vorbehalten. Revisionsrechtlich ist nur zu prüfen, ob die Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei und ohne Verletzung von Denkgesetzen und allgemeinen Erfahrungssätzen erfolgt ist, ob sie rechtlich möglich ist und ob das Berufungsgericht alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt hat (vgl.  - Rn. 18, BAGE 175, 358).

17b) Dieser Überprüfung hält die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts für den Zeitraum vom 2. bis zum stand. Das Berufungsgericht ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die Beklagte den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom nicht erschüttert hat.

18aa) Das Landesarbeitsgericht hat zunächst zutreffend angenommen, dass für die Frage der Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht entscheidend ist, ob es sich um eine Eigenkündigung des Arbeitnehmers (vgl. dazu  - Rn. 19, BAGE 175, 358) oder um eine Kündigung des Arbeitgebers handelt. Auch bei einer Kündigung durch den Arbeitgeber kann der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert werden, wenn der Arbeitnehmer unmittelbar nach dem Zugang der Kündigung erkrankt und nach den Gesamtumständen des zu würdigenden Einzelfalls Indizien vorliegen, die Zweifel am Bestehen der Arbeitsunfähigkeit begründen. Hierauf deutet insbesondere eine zeitliche Koinzidenz zwischen Kündigungsfrist und Dauer der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit hin. Insoweit gilt nichts anderes als bei einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers (dazu  - Rn. 19, aaO; Barrein NZA-RR 2023, 287, 288; Bissels/Singraven jurisPR-ArbR 24/2023 Anm. 6 unter C; NK-ArbR/Sievers 2. Aufl. EFZG § 5 Rn. 87; wohl auch Fuhlrott/Mai NZA 2022, 97, 101). Die ernsthaften Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit gründen darin, dass der Arbeitnehmer zu einem Zeitpunkt, zu dem feststeht, dass das Arbeitsverhältnis enden soll, arbeitsunfähig wird und bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bleibt. Dass eine vom Arbeitgeber erklärte Kündigung noch mit der Kündigungsschutzklage angegriffen werden kann, steht dem nicht entgegen. Bei der näheren Bestimmung der Anforderungen an die wechselseitige Darlegungslast der Parteien ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber in aller Regel keine Kenntnis von den Krankheitsursachen hat und nur in eingeschränktem Maß in der Lage ist, Indiztatsachen zur Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzutragen. Der Arbeitgeber muss gerade nicht, wie bei einer gesetzlichen Vermutung, Tatsachen darlegen, die dem Beweis des Gegenteils zugänglich sind ( - Rn. 14, aaO; unzutreffend daher die Kritik von Krüger BB 2022, 2676, 2678, die nicht berücksichtigt, dass es dem Arbeitnehmer nach der Senatsrechtsprechung in einer solchen Situation immer noch möglich ist, zu beweisen, dass er tatsächlich arbeitsunfähig war; zutreffend Fuhlrott/Mai NZA 2022, 97, 101; MüKoBGB/Müller-Glöge 9. Aufl. EFZG § 3 Rn. 79; NK-ArbR/Sievers 2. Aufl. EFZG § 5 Rn. 89; Weidt BB 2022, 1396, 1397).

19bb) Die Annahme des Berufungsgerichts, die zeitliche Koinzidenz des Beginns der Arbeitsunfähigkeit mit der Kündigung der Beklagten sei vorliegend in Bezug auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom nicht gegeben, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Kündigung ging dem Kläger erst einen Tag nach Ausstellung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Ausstellung der Bescheinigung damit rechnen musste, dass das Arbeitsverhältnis in Kürze enden werde, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. So kann in solchen Fallkonstellationen bei der Prüfung ernsthafter Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit von Bedeutung sein, dass der Arbeitnehmer bereits vor Zugang der Kündigung von der Absicht des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis zu beenden, Kenntnis erlangt hat, etwa weil der Arbeitnehmer durch den Betriebsrat nach § 102 Abs. 2 Satz 4 BetrVG angehört wurde. Ähnliches gilt, wenn der Arbeitgeber erkennen lässt, ein befristetes Arbeitsverhältnis nicht verlängern zu wollen. Solche tatsächlichen Umstände lagen im Streitfall indes nicht vor. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hatte der Kläger zum Zeitpunkt der Ausstellung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am keine Kenntnis davon, dass die Beklagte beabsichtigte, das Arbeitsverhältnis zu kündigen. Dass er seit dem von der Beklagten nicht mehr eingesetzt wurde, genügt für sich allein hierfür nicht.

20c) Soweit die Beklagte die Verletzung des Verfahrens durch eine fehlerhafte Beweiswürdigung rügt, liegt bereits keine zulässige Verfahrensrüge vor. Der Senat hat die Rüge geprüft und sieht gemäß § 564 Satz 1 ZPO von einer Begründung ab.

213. Der Kläger hat für den Zeitraum vom 1. bis zum ausgehend von fünf Arbeitstagen zu sieben Stunden und einer Bruttostundenvergütung in Höhe von 10,88 Euro einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in Höhe von 380,80 Euro brutto.

224. Für diesen Zeitraum schuldet die Beklagte nach § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB Verzugszinsen, die dem Kläger gemäß § 187 Abs. 1 BGB ab dem Tag nach Eintritt der Fälligkeit zustehen (vgl.  - Rn. 20 mwN). Anders als vom Arbeitsgericht angenommen hat die Auszahlung der Vergütung nicht am 15. Kalendertag des Folgemonats, sondern nach § 4 Abs. 2 Unterabs. 3 des Mitarbeitervertrags spätestens am 15. Bankarbeitstag des Folgemonats zu erfolgen. Da die Arbeitsvertragsparteien den Begriff des Bankarbeitstags nicht näher definiert haben, ist von einem allgemeinen Verständnis auszugehen (vgl. auch § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MiLoG; § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV), wonach Bankarbeitstage solche Tage sind, an denen Kreditinstitute in der Bundesrepublik Deutschland regelmäßig für den Publikumsverkehr geöffnet sind. Samstage und Sonntage sowie die bundesweiten gesetzlichen Feiertage sind keine Bankarbeitstage. Die Fälligkeit des Vergütungsanspruchs für die Zeit vom 1. bis zum ist daher unter Beachtung des bundeseinheitlichen gesetzlichen Feiertages Pfingstmontag () am , eingetreten. Zinsen kann der Kläger damit erst ab dem verlangen.

23II. Die Revision ist hinsichtlich der Verurteilung der Beklagten zur Entgeltfortzahlung für den Zeitraum vom 7. bis zum begründet. Das Berufungsgericht hat insoweit rechtsfehlerhaft angenommen, der Beweiswert der vom Kläger vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom und vom sei durch die Beklagte nicht erschüttert worden.

241. Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings zunächst davon ausgegangen, dass für die Beurteilung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen im Zusammenhang mit Kündigungen nicht entscheidend ist, ob für die Dauer der Kündigungsfrist eine oder mehrere Bescheinigungen vorgelegt werden (ebenso Barrein NZA-RR 2023, 287, 288; Fuhlrott/Mai NZA 2022, 97, 101). Die ernsthaften Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit gründen - wie oben bereits ausgeführt (Rn. 18) - darin, dass der Arbeitnehmer zu einem Zeitpunkt, zu dem feststeht, dass das Arbeitsverhältnis enden soll, arbeitsunfähig wird und bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bleibt. Dass bei einer längeren Kündigungsfrist mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erforderlich sind, um diesen Zeitraum abzudecken, ist in erster Linie durch § 5 Abs. 4 Satz 1 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie in der im Mai 2022 geltenden Fassung (Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie aF) bedingt, wonach die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit im Grundsatz nicht für einen mehr als zwei Wochen im Voraus liegenden Zeitraum bescheinigt werden soll.

252. Das Landesarbeitsgericht hat aber zu Unrecht nicht alle Umstände des vorliegenden Einzelfalls berücksichtigt und die berücksichtigten Umstände nicht frei von Widersprüchen gewürdigt.

26a) Das Berufungsgericht hat nicht genügend berücksichtigt, dass zwischen der in den Folgebescheinigungen festgestellten passgenauen Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit und der Kündigungsfrist eine zeitliche Koinzidenz bestand (dazu auch Bürger/Keyhan DB 2023, 1861, 1863). Die zunächst für den Zeitraum vom 2. bis zum bescheinigte Arbeitsunfähigkeit wurde nach Zugang der Kündigung vom durch den Arzt am zunächst unter Ausschöpfung der Frist von zwei Wochen gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie aF und am bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am verlängert. Bei der Würdigung dieses Sachverhalts hat das Landesarbeitsgericht nicht in den Blick genommen, dass die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch die Bescheinigungen vom und vom jeweils bis zu einem Freitag erfolgte, dagegen in der Bescheinigung vom Arbeitsunfähigkeit bis Dienstag, den und damit passgenau bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses attestiert wurde und der Kläger am eine neue Beschäftigung aufgenommen hat. Darüber hinaus ist die zentrale Begründung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger könne nicht erst durch Erhalt der arbeitgeberseitigen Kündigung dazu motiviert worden sein, einen Arzt aufzusuchen, um die Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erreichen, für den Arbeitsunfähigkeitszeitraum vom 7. bis zum nicht haltbar, denn dem Kläger lag am 6. und die Kündigung bereits vor. Sie ist ihm am zugegangen.

27Das Zusammentreffen derart ungewöhnlicher Umstände, die zwar jeweils für sich betrachtet unverfänglich sein mögen, begründet in der Gesamtschau jedoch ernsthafte Zweifel am Beweiswert der am und am ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Bei der Bewertung der Umstände des Einzelfalls ist stets im Blick zu behalten, dass an den Vortrag des Arbeitgebers zur Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden, weil dieser nur über eingeschränkte Erkenntnismöglichkeiten verfügt. Der Arbeitgeber muss gerade nicht Tatsachen darlegen, die den Beweis des Gegenteils begründen können (sh. Rn. 18).

28b) Den sich aus den dargelegten Umständen ergebenden ernsthaften Zweifeln am Beweiswert der am und am ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen steht die Annahme des Landesarbeitsgerichts, für den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen spreche, dass der Kläger „aufgrund der Erstdiagnose durchgängig bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig war und es sich zudem nach dem - vom Kläger freiwillig offengelegten - ICD-10-Code mit einer Infektion der oberen Atemwege um eine Erkrankung handelt, die ärztlicherseits in aller Regel gut und zweifelsfrei feststellbar ist“, nicht entgegen. Diese Annahme beruht auf einer mangelnden Sachverhaltsaufklärung und unvollständigen Würdigung des festgestellten Sachverhalts.

29Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, wie der Arzt die Erkrankung des Klägers diagnostiziert hat. Es hat nicht beachtet, dass im Streitzeitraum nach § 4 Abs. 5 Satz 2 Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie aF die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nicht nur aufgrund einer unmittelbar persönlichen Untersuchung durch den Arzt oder einer mittelbar persönlichen Untersuchung im Wege einer Videosprechstunde möglich war, sondern unter den in § 8 Abs. 1 Satz 1 Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie aF genannten Voraussetzungen ebenso nach telefonischer Anamnese (obwohl eine solche Feststellung nach bisheriger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht geeignet ist, einen Krankengeldanspruch zu begründen, vgl.  - Rn. 13; dazu auch MüKoBGB/Müller-Glöge 9. Aufl. EFZG § 3 Rn. 79; NK-ArbR/Sievers 2. Aufl. EFZG § 5 Rn. 96). Wie das Landesarbeitsgericht vor diesem Hintergrund zu der Annahme gelangen konnte, die Erkrankung des Klägers sei gut und zweifelsfrei feststellbar gewesen, hat es nicht begründet und erschließt sich auch nicht aus dem Vorbringen der Parteien. Abhängig von der Art der Untersuchung enthält die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie aF in Umsetzung von § 92 Abs. 4a SGB V in der im Streitzeitraum geltenden Fassung in § 4 Abs. 5 Satz 4 und Satz 5 und § 5 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 unterschiedliche Vorgaben für die mögliche Dauer der zu bescheinigenden Arbeitsunfähigkeit (dazu MüKoBGB/Müller-Glöge aaO; BeckOK ArbR/Ricken Stand EFZG § 5 Rn. 27.1 ff.; Schaub ArbR-HdB/Linck 20. Aufl. § 98 Rn. 109a; NK-ArbR/Sievers 2. Aufl. EFZG § 5 Rn. 92 ff.).

303. Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO), soweit das Landesarbeitsgericht die Beklagte für den Zeitraum vom 7. bis zum zur Entgeltfortzahlung verurteilt hat. Die Entscheidung stellt sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (vgl. § 561 ZPO). Der Kläger trägt für diesen Zeitraum die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 EFZG. Da das Landesarbeitsgericht - aus seiner Sicht konsequent - hierzu keine Feststellungen getroffen hat, ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 ZPO. Im fortgesetzten Berufungsverfahren wird es ua. Folgendes zu beachten haben:

31a) Der Kläger hat vorgetragen, dass die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit auch in der Zeit vom 7. bis zum auf der Diagnose nach ICD-10-Code J06.9 (Akute Infektion der oberen Atemwege, nicht näher bezeichnet) und in der Zeit vom 20. bis zum zudem auf der Diagnose nach ICD-10-Code R45.7 (Emotioneller Schock oder Stress, nicht näher bezeichnet) beruhte und den behandelnden Arzt von seiner Schweigepflicht entbunden. Das Landesarbeitsgericht wird den Parteien Gelegenheit zu geben haben, unter Berücksichtigung der Entscheidungsgründe des Revisionsurteils weiter zu einer in diesem Zeitraum bestehenden Arbeitsunfähigkeit vorzutragen. Es wird ggf. in eine Beweisaufnahme einzutreten haben und erwägen müssen, den Kläger persönlich zu seiner behaupteten Arbeitsunfähigkeit anzuhören (§ 141 ZPO).

32b) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Sache nicht wegen der Zurückweisung verspäteten Vorbringens des Klägers zu den Ursachen der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit und zur Entbindung des Arztes von der Schweigepflicht entscheidungsreif. Hat das Berufungsgericht - wie hier - die Entscheidung über die Zurückweisung eines Angriffs- oder Verteidigungsmittels offengelassen, weil es das Vorbringen als nicht erheblich angesehen hat, darf das Revisionsgericht diese Entscheidung nicht nachholen, wenn es das Vorbringen für erheblich hält (vgl.  - Rn. 15; - II ZR 233/10 - Rn. 25).

33c) Sollte das Landesarbeitsgericht zu der Auffassung gelangen, dass auch für den Zeitraum vom 7. bis zum ein Anspruch des Klägers auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gegeben ist, wird es bei der Entscheidung zu den Zinsen zu beachten haben, dass die Forderung auch für diesen Zeitraum erst am 15. Bankarbeitstag des Folgemonats, dem , fällig geworden wäre (sh. Rn. 22).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2023:131223.U.5AZR137.23.0

Fundstelle(n):
DStR 2024 S. 696 Nr. 12
DStR-Aktuell 2023 S. 14 Nr. 51
NJW 2024 S. 10 Nr. 15
NJW 2024 S. 24 Nr. 1
NWB-Eilnachricht Nr. 1/2024 S. 14
NWB-Eilnachricht Nr. 1/2024 S. 14
ZIP 2023 S. 4 Nr. 51
ZIP 2024 S. 653 Nr. 12
NAAAJ-60880