Instanzenzug: Az: 20 S 95/21vorgehend AG Ettlingen Az: 3 C 82/21
Gründe
1 I. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Deckungsschutz für ein Berufungsverfahren in einem Rechtsstreit auf Schadensersatz wegen behaupteter Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung bei einem von ihr erworbenen Fahrzeug in Anspruch.
2 Zwischen den Parteien besteht ein Vertrag über eine Rechtsschutzversicherung, für welche die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung zum Stand 2006 (im Folgenden: ARB 2006) gelten. Die Klägerin erwarb im Februar 2016 einen Pkw zum Preis von 26.000 €. Das Fahrzeug, das im Februar 2012 erstmals zum Straßenverkehr zugelassen worden war, beim Kauf eine Laufleistung von rund 170.000 km aufwies und der EURO-5-Norm unterliegt, verfügt über einen Dieselmotor. Im April 2020 nahm die Klägerin den Fahrzeughersteller vor dem Landgericht auf Schadensersatz u.a. wegen Verwendung eines sog. "Thermofensters" in Anspruch. Die Klägerin erhielt für das Verfahren eine Deckungszusage der Beklagten. Das Landgericht wies im Februar 2021 die Klage ab. Der Klägerin stehe kein Anspruch auf Schadensersatz zu. Ein Anspruch aus § 826 BGB scheide aus, weil die Klägerin die Voraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung durch die Beklagte nicht schlüssig dargelegt habe. Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB schieden mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 263 StGB aus und solche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 27 EG-FGV mangels des Bestehens von Individualschutz letztgenannter Regelung. Die Beklagte lehnte am eine Deckungszusage für die Berufung der Klägerin gegen das landgerichtliche Urteil ab. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin reichten daraufhin einen "Stichentscheid" mit Schreiben vom ein. Die Beklagte blieb in ihrem Schreiben vom bei ihrer Ablehnung und meinte, das Schreiben vom erfülle nicht die Voraussetzungen für einen Stichentscheid.
3Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Kosten der zweitinstanzlichen Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen zu tragen und diese zu verurteilen, sie von den Kosten des am gefertigten Stichentscheids in Höhe von 729,23 € freizustellen. Das Amtsgericht hat die Pflicht zur Gewährung von Deckungsschutz mit der Maßgabe einer Anrechnung des Vorteils aus der Nutzung des Fahrzeugs auf der Grundlage einer Gesamtfahrleistung von 250.000 km festgestellt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Landgericht das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen; die Anschlussberufung der Klägerin hat es zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren in vollem Umfang weiter.
4 II. Nach Auffassung des Berufungsgerichts - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - sei die Beklagte nicht verpflichtet, der Klägerin Deckung für das Verfahren der Berufung gegen das Urteil des Landgerichts, mit dem dieses einen Schadensersatzanspruch der Klägerin wegen möglicher Verwendung unerlaubter Abschalteinrichtungen des Fahrzeugherstellers abgelehnt hat, zu gewähren, weil keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Hinblick auf sämtliche in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen bestehe. Dies gelte zunächst für einen Anspruch aus § 826 BGB. An der hinreichenden Erfolgsaussicht fehle es schon mangels eines vorsätzlichen sittenwidrigen Verhaltens; ein Ersatzanspruch sei durch die anzurechnende Nutzungsentschädigung aufgezehrt. Mangels eines verbleibenden Schadens beständen (jedenfalls) auch keine Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB, § 263 StGB und/oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV. Für die letztgenannte Anspruchsgrundlage komme hinzu, dass es sich bei den Vorschriften der EG-FGV nicht um Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB handele, ohne dass es auf die Vorlage dieser Frage an den EuGH noch ankomme. Die vorgelegten Stichentscheide würden über die fehlenden hinreichenden Erfolgsaussichten betreffend die Kaufpreisrückzahlung nicht hinweghelfen.
5III. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO liegen nicht mehr vor und das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).
61. Mit Urteil vom (IV ZR 140/23, VersR 2024, 1068; vorgesehen für BGHZ) hat der Senat entschieden, dass für die Frage, ob die beabsichtigte Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, zwar grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Deckungsgesuchs abzustellen ist, d.h. auf den Zeitpunkt, in dem der Rechtsschutzversicherer seine Entscheidung trifft (Senatsurteil vom aaO Rn. 20 m.w.N.), hier der . Erfolgt aber im Deckungsschutzverfahren des Versicherungsnehmers einer Rechtsschutzversicherung nach dem Zeitpunkt der Bewilligungsreife eine Klärung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung (hier: durch den Gerichtshof der Europäischen Union in den sog. Dieselverfahren) , sind für die Beurteilung des Deckungsschutzanspruchs die Erfolgsaussichten der Klage im Zeitpunkt des Schlusses der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht maßgeblich.
7Nach diesen Maßgaben hat das Berufungsgericht im Streitfall frei von Rechtsfehlern angenommen, dass die von der Klägerin beabsichtigte gerichtliche Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen aus §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, Art. 5 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. EU 2007 L 171, S. 1; und Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (ABl. EU 2007 L 263, S. 1) keine Aussicht auf Erfolg hat. Zum Zeitpunkt der Deckungsablehnung und der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am lag das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom (C-100/21, = NJW 2023, 1111) noch nicht vor. An der bis dahin gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs änderten allein die gestellten Schlussanträge des Generalanwalts vom - und erst recht nicht das Vorabentscheidungsersuchen - in jenem Verfahren nichts (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 140/23, VersR 2024, 1068 Rn. 31).
8Damit ist die Frage von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung geklärt und ein etwa im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts gegebener Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung ist entfallen.
92. Die Revision hat auch in der Sache keine Aussicht auf Erfolg. Das Berufungsurteil steht in Einklang mit dem vorgenannten Senatsurteil. Gesichtspunkte, die eine abweichende Entscheidung rechtfertigen könnten, sind - auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens - nicht ersichtlich. Das Berufungsgericht war revisionsrechtlich beanstandungsfrei der Ansicht, dass es sich nach der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei den Vorschriften der EG-FGV nicht um Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB handelte. Soweit die Revision zur Begründung ihrer gegenteiligen Ansicht auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom (Mercedes-Benz Group, vormals Daimler AG, C-100/21, EU:C:2023:229 = NJW 2023, 1111) verweist, lag dieses - wie ausgeführt - zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht noch nicht vor.
10Ebenfalls ohne revisionsrechtlich beachtliche Fehler und ohne Verletzung des Gehörsanspruchs (Art. 103 Abs. 1 GG) der Klägerin hat das Berufungsgericht selbständig tragend insbesondere einen Schadensersatzanspruch nach §§ 826, 31 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auch deshalb abgelehnt, weil ein Ersatzanspruch der Klägerin jedenfalls durch die anzurechnende Nutzungsentschädigung aufgezehrt sei (vgl. , BGHZ 226, 322 Rn. 15; vom - VIa ZR 542/21, VersR 2023, 192 Rn. 17). Aus revisionsrechtlicher Sicht bedenkenfrei hat es ausgeführt, für die Bemessung des Nutzungsvorteils nach § 287 ZPO sei auf einen Durchschnittswert abzustellen. Nachdem das Fahrzeug der Klägerin bereits mehr als 250.000 km bewegt und damit die zu erwartende Restlaufleistung überschritten worden sei, sei der für das Fahrzeug gezahlte Kaufpreis aufgezehrt. Revisionsrechtlich beachtliche Fehler sind schließlich auch nicht ersichtlich, soweit sich die Revision gegen die Ablehnung eines Freistellungsanspruchs hinsichtlich der Kosten für die Erstellung der Stichentscheide wendet. Soweit sich die Revisionsbegründung darauf beruft, die Stichentscheide seien auf Veranlassung der Klägerin erstellt worden und im Übrigen sei für den Anspruch der Klägerin auf § 823 Abs. 2 BGB abzustellen, liegt ein durchgreifender Rechtsfehler des Berufungsgerichts schon deshalb nicht vor, weil nach seinen aus Rechtsgründen beanstandungsfreien Ausführungen die nachträgliche Vollmacht der Klägerin vom nichts daran ändert, dass die Stichentscheide im Zeitpunkt ihrer Erstellung nicht von der Klägerin veranlasst worden waren und es bezüglich des Anspruchs aus § 826 BGB an hinreichenden Ausführungen zum subjektiven Tatbestand fehlt.
113. Die grundsätzliche Klärung entscheidungserheblicher Rechtsfragen erst nach Einlegung der Revision steht einer Revisionszurückweisung durch Beschluss nicht im Wege (vgl. dazu Senatsbeschluss vom - IV ZR 18/22, VersR 2023, 719 Rn. 14 m.w.N).
Prof. Dr. Karczewski Harsdorf-Gebhardt Dr. Brockmöller
Dr. Bußmann Dr. Götz
Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Rücknahme der Revision erledigt worden.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:161024BIVZR11.23.0
Fundstelle(n):
DAAAJ-80468